Читать книгу Wasserthron und Donnerbalken - Daniel Furrer - Страница 5
Оглавление[Menü]
Einleitung
„Die Geschichte der Menschen
spiegelt sich in der Geschichte der Kloaken wider.“
Victor Hugo in: Les misérables
Der Blick ins Wörterbuch zeigt, dass der Mensch den Ort menschlicher Erleichterung mit einer Vielzahl von Begriffen versah bzw. versieht: Abort, Abtritt, Donnerbalken, Klosett, Bedürfnisanstalt, Latrine, Lokus, Nummer Null, Scheißhaus, Pissoir oder Pinkelbude sind nur eine kleine Auswahl. Schon diese sprachliche Vielfalt macht deutlich, dass das stille Örtchen im Alltag durchaus einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Das befanden auch Dichter, Dramatiker und Gelehrte, die die menschlichen Bedürfnisse und das Örtchen, wo man sich ihrer entledigte, auf unterschiedliche Weise thematisierten. Bertolt Brecht lobt es in seinem Stück Baal gar als den liebsten Platz auf Erden:
„Der liebste Ort
Auf Erden war ihm immer der Abort.
Dies sei ein Ort, wo man zufrieden ist
Dass drüber Sterne sind und drunter Mist.
Ein Ort sei einfach wundervoll, wo man
Selbst in der Hochzeitsnacht allein sein kann.
Ein Ort der Demut, dort erkennst du scharf:
Dass du ein Mensch nur bist, der nichts behalten darf.
Ein Ort der Weisheit, wo du deinen Wanst
Für neue Lüste präparieren kannst.
Wo man, indem man leiblich lieblich ruht
Sanft, doch mit Nachdruck etwas für sich tut.“1
Für Martin Luther (1483 – 1546) war es hingegen ein Ort der Versuchung. Kurz vor Weihnachten 1531 erinnerte der deutschen Reformator an den Reim vom Teufel, der einen Mönch auf dem Abort dabei ertappt, das erste Breviergebet des Tages zu lesen.
Teufel: „Du Mönch auf der Latrine
darfst hier nicht die Mette lesen!
Mönch: Ich reinige meine Därme
und verehre Gott den Allmächtigen
dir gebührt, was nach unten weicht,
dem allmächtigen Gott, was nach oben steigt!“2
Louis-Sébastien Mercier (1740 – 1814) ging noch einen Schritt weiter. Für ihn verkörperten das stille Örtchen und die dazugehörige Infrastruktur das Inferno. In seinem Werk Tableau de Paris äußerte er 1781:
„Drei Viertel der Latrinen sind schmutzig, entsetzlich und ekelerregend. Die Architekten verlegten ihre Röhren aufs Geratewohl; und nichts muss einen Fremden mehr erwundern, als ein Amphitheater von Latrinen zu sehen, die einen über den anderen sitzend, an die Treppen stoßend, neben den Türen, ganz nahe bei den Küchen und von überall her den widerlichsten Geruch ausströmend. Die zu engen Röhren verstopfen leicht; die Fäkalien häufen sich säulenartig an, steigen bis zum Abtrittsitz hoch, das überlastete Rohr platzt: das Haus ist überflutet. Die Kinder ängstigen sich vor diesen verseuchten Löchern; sie glauben, dort sei der Weg zur Hölle.“3
Wer heute das stille Örtchen aufsucht, denkt nicht im entferntesten daran, hier dem Teufel zu begegnen. Und auch wenn heutige öffentliche Toiletten teilweise noch an die Zustände erinnern, die nicht weit von Merciers Beschreibung entfernt sind, so bietet das Badezimmer zu Hause eine Bequemlichkeit, die niemanden Ekel oder Abscheu empfinden lässt. Im Gegenteil, wir akzeptieren die Toilette mit Wasserspülung als eine Selbstverständlichkeit. Aber die Toilette bietet uns noch mehr: Im Durchschnitt verbringen wir fast ein Jahr unseres Lebens auf ihr.
Der Ort verdient also ein genaueres Hinsehen. Man muss sich allerdings bewusst sein, dass man damit in eine Tabuzone vordringt. Die Verrichtung der Notdurft, die doch so grundlegend wie das Essen, die Fortpflanzung, das Gebären oder Schlafen ist, wird heute noch mit großer Zurückhaltung thematisiert. Dies gilt auch für den Ort, wo wir unsere Notdurft verrichten. Das diskrete H oder D oder das nicht weniger zurückhaltende WC sprechen in dieser Hinsicht eine klare Sprache. Paradoxerweise wird die Toilette aber auch als ein Meilenstein der menschlichen Kultur empfunden. Mit Stolz wurde und wird bei archäologischen Ausgrabungen der frühen Hochkulturen auf die Toilette mit Wasserspülung verwiesen. Hier fasst man sie unvermittelt als eine wesentliche Schöpfung der menschlichen Kultur auf.
Welche Hochkulturen kannten wassergespülte Toiletten? Seit wann gibt es das WC? Einfache Fragen stehen oft am Beginn von längeren Antworten. So auch hier. Im Verlauf der Recherchen zu diesem Buch wurde rasch einmal klar, dass eine Geschichte des wassergespülten Klosetts sich nicht mit einer Darstellung der technischen Entwicklung begnügen kann. Das WC hat auch unser Verhalten gegenüber der menschlichen Notdurft verändert. Fäkalien gelten heute als wertlose Abfallprodukte. Noch im 19. Jahrhundert war dies völlig anders. Bei den Bauern war nicht nur der tierische Mist begehrt, auch die menschlichen Exkremente waren hoch geschätzt. Einflussreiche Kreise in Paris hielten damals den Export der Exkremente für eine der größten Einnahmequellen einer Stadt, die 1834 insgesamt 102 800 Kubikmeter an Fäkalien „produzierte“. In Frankreich entstand 1844 auch das grandiose Projekt einer kommerziellen Nutzung von Urin. In einem Industriekomplex namens „Ammoniapolis“ sollte Urin in industriellem Maßstab chemisch behandelt werden. Es blieb bei der Idee. Doch noch 1862 beklagte Victor Hugo in seinem Roman Les misérables die Kanalisation als Geldvernichtungsanlage, weil sie wertvollen Dünger einfach wegschwemme.
Die Nachforschungen zur Geschichte des WCs führten indes noch einen anderen Tatbestand vor Augen: Die natürlichen Bedürfnisse bargen und bergen auch ihre spezifischen Gefahren. Eine Vielzahl von Quellen im Mittelalter berichtet von tödlichen Unfällen bei der Leerung von Abortgruben. Damit aber nicht genug! Der französische König Heinrich III. (reg. 1574 – 1589) wurde auf der Toilette ermordet und Gregor von Tours berichtet von einem Priester, der 473 in einem Abort während der Notdurft den Geist aufgegeben habe. Die Notdurft konnte also zu einem Geschäft mit tödlichem Ausgang werden. Dabei waren den Menschen der damaligen Zeit die verbreitetsten Gefahren, die von Fäkalien ausgehen können, verborgen. Erreger von Krankheiten wie Typhus und Cholera können darin enthalten sein, und wo immer Menschen auf engstem Raum zusammenleben mussten und die Hygiene vernachlässigten, fanden Infektionskrankheiten einen idealen Nährboden.
Ein Wort zu den Exkursen, die im Folgenden jeweils durch grafische Gestaltung im Kasten hervorgehoben sind. Sie sind Geschichten in der Geschichte, bieten Ausweitungen, Abschweifungen und Zerstreuung zur eigentlichen Darstellung. Gerade für kleine Geschäfte sind sie mithin die ideale Lektüre.
Zum Schluss: Die Herkunft der Zitate ist in Endnoten im Anhang angegeben; ansonsten wurde auf Fußnoten und einen kritischen Anmerkungsapparat verzichtet, geht es in diesem Buch doch nicht um eine wissenschaftliche Darstellung. Mit dem Stichwort der Fußnote befinden wir uns jedoch bereits mitten in unserer Thematik! Der amerikanische Publizist Anthony Grafton bemerkte dazu: „Die moderne Fußnote ist für das zivilisierte Historikerleben so unentbehrlich wie die Toilette; wie die Toilette scheint sie ein undankbares Thema für ein kultiviertes Gespräch und erregt sie Aufmerksamkeit vor allem dann, wenn sie nicht richtig funktioniert. Wie die Toilette macht es die Fußnote möglich, sich unansehnlicher Aufgaben quasi im stillen Kämmerlein zu entledigen; wie die Toilette ist sie vornehm versteckt – in den letzten Jahren häufig nicht bloß an den unteren Rand der Seite, sondern ans Ende des Buchs. Aus dem Blick – und sogar aus dem Sinn – scheint exakt der Ort, wohin ein solchermaßen banales Instrument gehört.“4