Читать книгу Wasserthron und Donnerbalken - Daniel Furrer - Страница 8

„Geld stinkt nicht“: Roms Umgang mit seinen Fäkalien

Оглавление

Im alten Rom kannte man die Seife nicht, doch wusste man sich mit einem Ersatzstoff zu helfen. So wuschen die Legionäre und die ärmere Bevölkerung ihre Wäsche mit Urin. Durch den Ammoniak im Urin konnte der speckige Schmutz beseitigt werden. Eine besondere „Gilde“, die Fullonen, spezialisierte sich aufs Waschen. Abbildungen aus Pompeji zeigen, wie der Waschvorgang in Trögen oder Bottichen durch Stampfen der Wäsche mit bloßen Füßen vorgenommen wurde. Um an den benötigten Urin zu kommen, stellten die Fullonen große irdene Gefäße an den Straßenecken auf. Diese holten sie ab, wenn sie von den Passanten gefüllt waren.

Auch Gerber, Walker und Färber brauchten Urin als wertvollen Roh- und Zusatzstoff zur Ausübung ihres Gewerbes. An günstig gelegenen Orten in der Stadt stellten sie Amphoren (vasae curtae) auf, deren Hals zur bequemeren Benutzung abgeschlagen war. Die Unternehmer dieser „Latrinenindustrie“ gehörten zu den mercatores, d. h. zu den Kaufleuten und Händlern. Sie wurden unter Kaiser Vespasian (69 – 79) besteuert. Als sein Sohn Titus ihm deswegen Vorwürfe machte, soll ihm Vespasian eine durch diese Sondersteuer eingenommene Münze unter die Nase gehalten haben und die berühmten Worte gesprochen haben: „(Pecunia) non olet“ – es (Geld) stinkt nicht (Suetonius, De vita Caesarum, Vespasian 23,3).10

Das Geld verschwand in den Taschen des Kaisers, nicht aber der Gestank aus Roms Straßen. Besonders schlimm war es um die Elendsviertel Roms bestellt, in denen es zahllose Mietshäuser gab. Das antike Rom war eine pulsierende Großstadt. Roms Bevölkerung zählte in den ersten beiden Jahrhunderten nach Christi Geburt rund 1 – 1,5 Millionen. Das Besondere dabei ist jedoch nicht die Größe, die mit modernen Großstädten des 20. Jahrhunderts verglichen werden kann, sondern dass die Menschen auf engstem Raum leben mussten: Im Rom der Kaiserzeit kamen rund 110 000 Einwohner auf einen Quadratkilometer, mehr als im alten Alexandria, in dem sich etwa 76 000 Einwohner auf dem Quadratkilometer drängten. Zum Vergleich: Die Bevölkerungsdichte in München betrug gegen Ende des 20. Jahrhunderts rund 4200 Personen pro Quadratkilometer; für einige Quartiere des modernen Kairo gar 300 000 Einwohner pro Quadratkilometer.

Die Stadt Rom wuchs immer stärker auch in die Höhe, es entstanden immer mehr Mietskasernen. Viele hatten sechs und mehr Stockwerke. In den meisten Fällen waren die Wohnungen klein, ungemütlich, finster und ohne jeglichen Wohnkomfort. Folgt man dem Dichter Marcus Valerius Martialis (um 40 bis ca. 104), so stellten oft ein Krug, eine Matte, eine Wanze, ein Haufen Stroh als Bettlager den einzigen Hausrat und eine kurze Toga den einzigen Schutz gegen Kälte dar. Da die Mietshäuser in der Regel kein fließendes Wasser hatten und auch ein Anschluss an die Kanalisation fehlte, war die Versuchung groß, Abfälle und anderen Unrat auf dem leichtesten Weg zu entsorgen. Im Schutz der Dunkelheit wurde allerlei aus dem Fenster geworfen. Häufig sind in juristischen Dokumenten aus dieser Zeit Hinweise auf das Entleeren von Nachttöpfen zu finden. Der römische Satiriker Juvenal (um 65 bis ca. 128) gab denn auch die ironische Warnung, man solle bloß sein Testament machen, bevor man sich nachts unter Fenstern bewege.

Secundus hic cacat

Auch wer des Lateinischen nicht mächtig ist, errät den Inhalt dieser Inschrift aus Pompeji, zumal sich das Schlüsselverb lautmalerisch nicht verändert hat. Viele Begriffe rund um das stille Örtchen und sein „Geschäft“ verraten heute noch ihre Herkunft aus dem Lateinischen: Der fachmedizinische Begriff sterkoral (kotig) lässt sich auf die römischen Bezeichnung stercus für Kot zurückführen; Abort ist abgeleitet von abitorium (von ab-ire = abtreten) und Latrine vom lateinischen latrina (abgeleitet von lavatrina = Waschraum). Die Bezeichnung latrina für einen Abtritt findet sich bei Plautus um 180 v. Chr. und bei Suetonius um 120 n. Chr.

Auf welchem Weg auch immer die Fäkalien auf die Straße und in den Rinnstein gelangten, entsorgt waren sie damit nicht. Nicht alle Straßen verfügten über eine Kanalisation und viele Kanäle wiesen zudem nur ein geringes Gefälle auf. Bald sammelte sich so viel Unrat an, dass er aufgrund der intensiven Geruchsbelästigung beseitigt werden musste. Agrippa, Intimus von Kaiser Augustus (63 v. Chr.– 14 n. Chr.), ließ wegen des pestilenzartigen Gestanks, der aus den unterirdischen Kanälen aufstieg, im Jahr 32 v. Chr. die Kloaken gründlich reinigen. Er hatte zu diesem Zweck riesige Rückhaltebecken anlegen lassen. Mit dem Ziehen der Wehrschützen strömte der gesamte Inhalt dieser Wasserreservoire mit einem gewaltigen Schwall durch die Kanäle und riss allen Schmutz und Unrat mit sich fort. Nach dieser „Schwallspülung“ befuhr Agrippa die Kanäle mit einem Boot bis zum Tiber, um sich vom Erfolg der Reinigung selbst zu überzeugen.

Generell stellt sich die Frage nach dem üblichen Entsorgungsweg der Fäkalien und Abwässer bei Häusern ohne Kanalanschluss. Im Idealfall legte man bei Privathäusern (domus) Fäkalgruben an, deren regelmäßige Räumung von speziellen Beamten (Aedilen bzw. curatores cloacarum) überwacht wurde. Die Grubenentleerung sollte nur nachts und bei kühlem Wetter vorgenommen werden. Ihre Räumung besorgten Bauern oder Düngemittelhändler, die – jedenfalls unter Vespasian – das Recht hierzu erworben hatten. Die Händler verkauften ihrerseits den Fäkalgrubeninhalt an Gärtner weiter. „Die Gärtner benötigten diese Exkremente als Dünger für Blumen- und Gemüsebeete, die damals teilweise schon als Mistbeete bestellt wurden.“11

Eine andere Möglichkeit der Abfallentsorgung war das Tonnensystem. Dabei wurden die Fäkalien in Tonnen gesammelt, die von Sklaven auf Äcker in der Umgebung gebracht oder in die nächste Kloake geschüttet wurden. Häufig holten auch private Abfuhrunternehmer – u. a. die bereits erwähnten Fullonen – die gefüllten Tonnen ab. Da man diese Tonnen im Erdgeschoss platzierte, war die Entsorgung der Fäkalien besonders für die Bewohner in den höheren Etagen eines Miethauses ein mühsames Geschäft. Mitte des 4. Jahrhunderts betraf dies viele Menschen: Damals zählte Rom 46 602 Mietshäuser, in denen durchschnittlich 40 Menschen lebten. Obwohl unter Augustus für die Mietshäuserblöcke eine Höhenbegrenzung von 18 Metern (fünf Stockwerke) eingeführt worden war, wurde diese Verordnung offensichtlich nicht befolgt, denn nach dem Brand im Jahr 64 n. Chr. wurden Gesetze verabschiedet, in denen die Höhe auf 21 Meter (sechs Stockwerke) begrenzt wurde.

Cloaca maxima

Als Cloaca maxima wird der bekannteste römische Abwasserkanal bezeichnet. Der Sage nach soll der etruskische König Tarquinius Priscus (616 – 578 v. Chr.) den Auftrag zur Trockenlegung der Sümpfe zwischen den verschiedenen, später zur Hauptstadt Rom zusammengewachsenen etruskischen Ortschaften gegeben haben. Die Entwässerungsanlage soll ursprünglich eine mit Steinen ausgekleidete offene Rinne gewesen sein. Nachfolger des Tarquinius erweiterten den Kanal. Entsprechend der weiteren Ausdehnung von Rom wurden neue Kanäle angelegt, von denen ein kleiner Teil direkt in den Tiber mündete, der größte Teil aber dem Hauptkanal zugeführt wurde, der somit zum Sammelkanal, zur Cloaca maxima wurde. Die Cloaca maxima nahm bis in die jüngste Zeit alles Wasser und Abwasser aus den ältesten Gebieten Roms auf und führte es dem Tiber zu. Aus dem gewundenen Lauf der Cloaca maxima schließt man, dass es sich um einen kanalisierten Fluss handelt, der später abgedeckt wurde. Die Sohle der Cloaca maxima besteht aus Polygonsteinen aus Lava, die Wände bestehen aus Tuffquadern von 2,5 Meter Länge, 0,8 Meter Höhe und einem Meter Breite. Sie waren nicht verfugt, sondern im Innern durch mit Blei eingelassene Eisenklammern befestigt. Das Gewölbe ist ein Tonnengewölbe, das sieben bis neun aus Kalkstein bzw. Travertin bestehende Schichten trägt.

Unter Kaiser Augustus (63 v. Chr. – 14 n. Chr.) nahm der Kanal nach Ausbesserungsarbeiten und Anschluss von Nebenkanälen am Ende vier Meter Breite ein. Die Distanz vom Wasserspiegel bis zum Scheitelpunkt des Gewölbes betrug 4,20 Meter. Römischen Schriftstellern zufolge hätte ein voll beladener Heuwagen hindurchgepasst. Zur Reinigung der Cloaca maxima wurden Kriegsgefangene und Sträflinge eingesetzt.

Man stelle sich ein Hochhaus in der heutigen Zeit vor, das über kein Bad mit Toilette, über kein fließendes Wasser und keinen Lift verfügt. Vor diesem Hintergrund wird die Beschwerlichkeit des „Toilettengangs“ für die Menschen eines Mietblocks besser verständlich. Gottfried Hösel schreibt in seiner Kulturgeschichte der Städtereinigung (1987) Folgendes dazu:

„Ihnen standen im Haus oder in der Wohnung keine Toiletten zur Verfügung. Wer es sich von diesen Bewohnern leisten konnte, benutzte gegen Bezahlung öffentliche Toilettenanlagen in der Umgebung, die von staatlichen Pächtern (conductores foricarum) geführt wurden. Die Geizigen und die wirklich Armen mussten jedoch die vielen Stockwerke in den insula hinabsteigen, um ihre Nachttöpfe oder Kübel in ein Fass zu entleeren, das am Fuß des Treppenhauses stand. Die zugedeckten Eimer wurden dann von Zeit zu Zeit von den Mistpächtern und Müllkutschern abgeholt. Wurde ihnen dieser Ausweg vom Hausherrn verweigert, gingen sie auf einen Misthaufen in der Nachbarschaft. Derartige Misthaufen (lacus) waren damals in den Gassen von Rom noch häufig zu finden, sowohl zur Zeit Ciceros und Caesars als auch noch 200 Jahre später unter Trajan. Sie konnten ferner zur nächsten Kleiderreinigungsanstalt gehen. Die Tuchwalker, die dieses Gewerbe betrieben, hatten vor ihrer Werkstatt Fässer aufgestellt, in denen der für dieses Gewerbe damals erforderliche Urin gesammelt wurde. Wem Misthaufen oder Tuchwalker zu weit und die Stockwerke zu hoch waren, der hatte die Möglichkeit, seine Nachttöpfe aus dem Fenster auf die Straße zu kippen.“12

Über das gesamte Stadtgebiet Roms waren außerdem öffentlich zugängliche Bedürfnisanstalten – so genannte Latrinen und necessaria – verteilt, die vom Staat betrieben wurden. Eine spätrömische Dokumentation (4. Jahrhundert n. Chr.) führt die Zahl von 144 Latrinen und 254 necessaria auf. Bei den necessaria dürfte es sich um recht einfache Bedürfnisanstalten gehandelt haben. Eine derartige Einrichtung aus dem 2. Jahrhundert im dicht bevölkerten Wohnviertel des äußeren Esquilin war unmittelbar von einer Straße aus zu betreten und verfügte über sieben Sitze. Aufwändiger gestaltet darf man sich die Latrinen vorstellen. Sie waren ein „Luxus“, auf den man auch in den von Rom eroberten Ländern nicht verzichten wollte. In Vaison-la-Romaine, einer unweit von Orange gelegenen Stadt in der Provence, findet sich ein typischer Vertreter dieser öffentlichen Toilettenanlagen. Sie bestand aus elf Sitzen, von denen neun ganz und zwei zur Hälfte erhalten sind. Die archäologischen Untersuchungen lieferten klare Antworten, warfen gleichzeitig aber auch neue Fragen auf.


2 Öffentliche Toiletten in Vaison la Romaine.

„Der ganze Raum ist etwa 4 × 4m groß … Der Boden ist mit Steinplatten ausgelegt; um drei Seiten des Raumes laufen steinerne Bänke mit den Abortsitzen. Vor den Sitzen läuft eine schmale Abflussrinne. Die Abortsitze selbst bestehen aus einer steinernen, 54 cm hohen Stirnwand und einer steinernen, 55 cm tiefen Abdeckfläche, in welche die Abortöffnungen eingeschnitten sind. Diese liegen allerdings erstaunlich nahe nebeneinander – im Mittel etwa 55 – 60 cm voneinander entfernt – und haben einen Durchmesser von 18 cm. Vielleicht lassen sich die geringen Maße durch eine kleinere Statur der damaligen Bevölkerung erklären. Manche Fragen bleiben ungelöst, so z. B. die Trennung der Geschlechter für die Benutzung des Abortraumes, der vielleicht überhaupt nur für Männer bestimmt war; ferner die Frage, ob Holzsitze aufgelegt waren oder Holzroste noch auf dem Boden lagen, da die Sitzhöhe verhältnismäßig hoch ist. Die Abdeckplatten der Sitze waren an den Trennfugen der Platten durch eine Art steinerne Zungenwand unterstützt. Unter allen Sitzen führte aber als wesentliche hygienische Maßnahme ein Wasserkanal durch, der an das Entwässerungssystem der Gesamtanlage angeschlossen war. Ob er dabei von einem dauernd fließenden Gewässer – was man annehmen möchte – gespeist wurde oder durch einen Wasserbehälter von Fall zu Fall, lässt sich allerdings ohne weiteres nicht mehr erkennen.“13

Zu den Latrinen und necessaria kamen zahlreiche Pissstände, die wohl in den meisten Fällen von Gerbern, Walkern oder Färbern gepachtet waren. Scheinbar stieg die Zahl der Pissstände vor allem unter Kaiser Vespasian, der damit seine Einnahmen aus der Harnsteuer erhöhen wollte. Ihm zu Ehren heißen fuß- und kopffreie Pissoirs noch heute in Frankreich vespasiennes. Der Komfort der römischen Pissstände war unterschiedlich und bestand nicht nur aus den bereits erwähnten Amphoren. In Herculaneum urinierte man einfach in eine 20 Meter lange Urinalrinne. Wahrscheinlich wurde der Urin in ein großes Auffangbecken geleitet, wo er zur weiteren Nutzung zur Verfügung stand.

Auffällig und aus heutiger Sicht ungewohnt ist das Bemühen der Römer, flüssige und feste Stoffe so weit wie möglich getrennt zu gewinnen. Als kostbare Rohstoffe hatten Exkremente eben einen ökonomischen Wert. Nicht nur Vespasian nutzte dies aus. Kaiser Konstantin der Große (306 – 337) dehnte die Harnsteuer auf alle menschlichen und tierischen Ausscheidungen aus. „Das Geld aus dieser Steuer nannte man chrysargyrum (goldiges Geld).“14

Einen besonderen Stellenwert unter den öffentlichen Bedürfnisanstalten nahmen die Prachtlatrinen ein. Sie tauchen „gleich einer spontanen Erfindung … ab dem frühen 2. Jahrhundert n.Chr. … in noch nie gesehener Größe und mit einer architektonischen Noblesse auf, die angesichts des festgestellten Ekels vor Fäkalien … überrascht.“15 Die augenfälligste Neuheit war die Zahl der Sitze: zwei Prachtlatrinen auf dem Largo Argentina Platz in Rom hatten jeweils rund 50 und 60 Sitze; in Ephesos bot eine Latrine 60 Besuchern und in Kos gar 75 Besuchern Platz. Man baute aber nicht nur größere, sondern auch schönere Latrinen, wobei diese Tendenz nicht verallgemeinert werden darf. Viele Latrinen blieben bescheidene Einrichtungen.

Bessere Luft mittels effizienter Spülung und weiter Öffnung des Daches fanden bei den Prachtlatrinen größte Beachtung. Der ehemals kleine rechteckige Abortraum öffnete sich nun weit zum Peristylhof. Bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. entstand vor der römischen Agora in Athen eine Latrine für 68 Besucher. Vier Säulen trugen in der luftigen Höhe von sechs Metern den Dachstuhl über dem Umgang, vor dessen Rückwänden die durchgehende Latrinenbank installiert war. Der offene Hofraum maß beinahe elf Quadratmeter.

Bei einer Verbesserung der Belüftung der Latrinen ist daran zu denken, dass in der antiken Stadt die Geruchsbarrieren moderner Siphons fehlten. „Die einzig mögliche Verbesserung war durch optimale Spülung des Fäkalgrabens zu erreichen. Tatsächlich sind seit der frühen Kaiserzeit fast alle öffentlichen Latrinen wassergespült, obschon mit recht unterschiedlicher Effizienz.“16 Durch Vermeidung von Ecken im Fäkalkanal wurde die Luftqualität nun zusätzlich spürbar verbessert.

Luft, Licht, Wasser und schöne Form, unter diesen Schlagworten können die Zielvorstellungen der Prachtlatrine zusammengefasst werden. Die Entwicklung der antiken Bedürfnisanstalt erlebte einen derartigen Schub, dass Richard Neudecker, der Autor der einschlägigen Studie Die Pracht der Latrine (1994), von einer „spezifisch römischen Kultur der Latrine“ spricht und meint: „Erst mit der Verbindung von Hygiene und Schönheit schafft die kaiserzeitliche Gesellschaft etwas grundlegend Neues, die Prachtlatrine. Darin liegt ihre Originalität.“17

In der einen oder anderen Form bedeutet Neues aber auch Veränderung. Dabei scheint sich bei der Prachtlatrine die soziale Zusammensetzung des Benutzerkreises verändert zu haben. Zwar konnte bis heute nicht belegt werden, dass hohe Gebühren als Mittel der Restriktion erhoben wurden, doch wahrscheinlich setzte sich das Publikum der Prachtlatrinen in erster Linie aus Männern zusammen, „deren Tagesablauf mehr oder weniger von ökonomischen und politischen Betätigungen bestimmt war“18. Diese Vermutung wird für eine Prachtlatrine in Ephesos zur gesicherten Tatsache: Sie diente einer mittelständischen Gruppe, die sich in einer Handels- und Hafenstadt wie Ephesos nicht zufällig aus Kaufleuten zusammensetzte, als regelmäßiger Treffpunkt. Der Beweis: Die Kaufleute verfügten über reservierte Sitzplätze wie aus dazugehörigen Inschriften hervorgeht.

Die Tatsache, dass es reservierte Plätze in Prachtlatrinen gab, führt zu einer grundlegenden Frage für alle öffentlichen Bedürfnisanstalten der Römer: Es ist die enge Sitzanordnung, die Anlass zum Kopfzerbrechen gibt. Sie ist wirklich erstaunlich: „Sogar in den großartigsten Latrinen bleibt die durchschnittliche Distanz 50 – 60 Zentimeter … Oft genug musste der Eintretende geradezu über den zunächst der Tür Sitzenden stolpern, so nahe am Eingang beginnt die Sitzbank. Völlig ungelöst blieb der Eckkonflikt, der zweifellos entstand, wenn nicht die Benutzer ihre Füße auf die Sitzflächen stellten.“19 Obwohl die Bequemlichkeit deshalb nicht auf jedem Platz gleich war und Sitze nahe dem einströmenden Wasser geruchsfreier und sauberer gewesen sein müssen, können Ausgrabungen eine Rangordnung der Sitze innerhalb einer Latrine natürlich nur in Ausnahmefällen belegen. Doch man kann wohl davon ausgehen, dass es in den öffentlichen Bedürfnisanstalten gelegentlich zu Positionskämpfen gekommen ist.

Hat bei Streitigkeiten eine Aufsicht eingegriffen? Moderner gefragt: Gab es einen Klomann bzw. eine Klofrau? Die Ansichten der Historiker gehen auseinander: Die einen interpretieren die vestibula als ein Wärterhäuschen des conductor foricae und sehen in ihm einen Kontrolleur, der Eintrittsgelder erhob und nach dem Rechten sah. Fest stehen sein geringes soziales Ansehen und die Tatsache, dass es sich um einen Männerberuf handelte. Wahrscheinlich ist, dass seine Hauptaufgabe darin bestand, Minutalia und Sitzmatten aus Stroh den Benutzern zur Verfügung zu stellen. Bei den Minutalia handelt es sich um eine Sammelbezeichnung für alle „Hilfsmittel“, die zur Verrichtung der Notdurft nötig waren. In den Schriftquellen wird nur der Schwamm erwähnt. Gebräuchlich waren aber auch Stofflappen, während Toilettenpapier unbekannt war. Das Putzen des Hinterns, wie es einige wenige Zeugnisse überliefern, konnte von einem Sklaven übernommen werden. Die Hände wurden übrigens nach dem Gang zur Toilette in einem Wasserbecken oder in einer Wasserrinne gewaschen, die vor den Sitzen durchlief. Über weitere Einzelheiten zur Toiletten-Hygiene fehlen eindeutige Quellenbelege.

Zwei Auffälligkeiten der öffentlichen Bedürfnisanstalten müssen noch erwähnt werden: Zum einen scheint es nur ausnahmsweise eine Trennung nach Geschlechtern gegeben zu haben. Sie wird bei so genannten Doppelanlagen vermutet, wo über ein Vestibül zwei Toilettenräume zu erreichen waren. Eine solche Anlage mit einem Raum von 40 bzw. 17 Sitzen wurde außerhalb Pergamons gefunden. Der kleinere Toilettenraum wird gerne als Frauentoilette bezeichnet. Weil die Installationen jedoch keinen Beweis für eine Geschlechtertrennung liefern können, bleibt dies hypothetisch. Einige Fachhistoriker vermuten gar, dass es nur in Ausnahmefällen öffentliche Bedürfnisanstalten für Frauen gegeben hätte. Es stelle sich nämlich in Anbetracht der häuslichen Lebensweise der Frau in der römischen Kaiserzeit grundsätzlich die Frage, ob Frauen sich häufig in der Öffentlichkeit zeigten. Zu erklären gilt es dann aber, warum Frauen – „und zwar auch ehrenwerte Matronen, wie etwa die Mutter des Augustus“20 – die Thermen, aber keine öffentlichen Bedürfnisanstalten aufsuchten.


3 Die hier dargestellte Toilettenhalle (Rekonstruktion) war mit ihren 100 Plätzen sehr groß. Als Ausgrabung ist sie noch im rückseitigen Gebiet des Largo Argentina zu besichtigen.

Eine zweite Auffälligkeit betrifft die Schamgrenze, die anders verlaufen zu sein scheint. Die enge Sitzanordnung führte bei der Benutzung der antiken öffentlichen Latrine zu einer körperlichen Nähe, die scheinbar keine Berührungsängste kannte. Ein kleiner Schwatz mit dem Nachbar (oder der Nachbarin?) stellte sich fast von selbst ein. Nicht selten wurde die öffentliche Toilette als Ort der Begegnung gezielt aufgesucht: Martial spricht in seinen Epigrammen von Schmarotzern, die sich hier zum Essen einladen ließen oder von einem Dichter, der seine Lyrik vortrug. Auch wenn man in diesen Aussagen eine ironische Überspitzung sehen kann, so zeigen sie doch auch in aller Deutlichkeit das Eine: In der römischen Kultur waren die öffentlichen Bedürfnisanstalten ein Ort der Begegnung. Kurzum: Das stille Örtchen war bei den Römern ein kommunikatives Örtchen.

In dieses Bild passt auch die Privattoilette im römischen Haushalt, der wir uns zum Schluss nochmals zuwenden. In Herculaneum verfügten fast alle Häuser, oft sogar die Wohnungen im Obergeschoss, über Toiletten. Üblich waren Einzelsitzer in oder neben der Küche, unter Treppen, in Hofwinkeln und in Werkstätten. Demnach waren sie meist klein, dunkel und dem Blick entzogen. Die Toilette wurde in erster Linie von den Bediensteten benutzt. „Die Herrschaft bevorzugte die Lasana oder Colocyntha, tragbares Toilettengeschirr, dessen Bereitstellung als besonders erniedrigender Sklavendienst galt. Die Installationen sind praktisch und unbequem. Eine Sitzfläche aus Stein oder öfter aus Holz ist mit der notwendigen runden Öffnung über der Fäkalgrube versehen. Die senkrechte Vorderseite des Sitzes wurde nicht geschlossen. Man verzichtete darauf, die dahinter eingetiefte Grube zu verbergen, um die Körperreinigung zu erleichtern. Denn dazu musste einem Napf sauberes Wasser entnommen werden, mit dem man sich zweckmäßig von vorne her zwischen den Beinen hindurch säuberte.“21

Dass sich Toiletten oft neben oder in der Küche befanden, hängt wohl mit dem Umstand zusammen, dass sie ein Abwassersystem teilten und auch zur Entsorgung von Abfällen dienen konnten. Küche und Toilette waren mit der öffentlichen Kanalisation verbunden oder, wenn es diese nicht gab, mit Senkgruben. Diese mussten von Zeit zu Zeit auf Kosten des Hausbesitzers entleert werden. Von den damaligen Toilettenanlagen im Haus muss also – zumal bei dem heißen Landesklima – ein beträchtlicher Gestank ausgegangen sein.

„Lokus mobilis“ – Windeln in der Antike

Wer an Weihnachten in die Kirche geht, erinnert sich vielleicht an die folgende Stelle im Lukas-Evangelium (2,7): „Und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil kein Platz in der Herberge war.“ Wann Jesus keine Windeln mehr brauchte – ein Augenblick in der Erziehung eines Kleinkindes, der bis heute Anlass zu Stolz gibt – darüber schweigt sich das Neue Testament aus. Doch immerhin beweist diese Quelle, dass Windeln seit mehr als zwei Jahrtausenden bekannt gewesen sein müssen. Wie diese Windeln ausgesehen haben und wie sie verwendet wurden, darüber berichten ägyptische Quellen. Bei den Ägyptern wurden die Kleinkinder wie Mumien bis zum Hals in Stoffwindeln eingewickelt. Diese Wickeltechnik hatte für die Eltern angenehme Nebeneffekte: Nicht nur konnte man das Kind, das sich nicht rühren konnte, irgendwo hinhängen und ungestört seiner Arbeit nachgehen, auch versprach man sich dadurch ein ebenmäßiges Wachstum seines Sprösslings.

Auch die Griechen, Römer und Germanen bedienten sich derselben Technik. Soranos von Ephesos, ein griechischer Arzt der römischen Kaiserzeit, beschreibt die Methode des Wickelns ausführlich: Das Wickeln des Kleinkindes beginnt am Unterarm. Gewickelt wird in Richtung der Hand, eingebunden werden die gestreckten Finger, dann der Unterarm zu Ellbogen und Oberarm. Der Rumpf wird mit einer breiteren Binde gewickelt, die Beine dann wieder wie die Arme. Zwischen Fußknöchel und Knie legt man ein Stück Wolle, um Druckstellen zu vermeiden. Dann werden die Füße aneinander gepresst und die Arme des Säuglings entlang des Rumpfes gelegt. Nun wird das ganze Kind wie eine Mumie eingebunden: Das Wickelkind ist fertig.

Gespült wurde die Toilette mit einem Eimer. Nach der Verlegung von Wasserleitungen verfügten interessanterweise nur zwölf private Toiletten in Herculaneum über eine fließende Spülung; keine von ihnen befand sich im Haus eines Reichen. Offenbar bestand für die Reichen kein Grund, den Toilettengang komfortabler zu gestalten. Sie selbst benutzten weiterhin das tragbare Geschirr.

Bei größeren Haushaltungen sah man sich veranlasst, die Zahl der Toilettensitze zu erhöhen und es entstanden kleine Privatlatrinen. In Herculaneum brachte man bis zu sechs Löcher auf einer Sitzplatte nebeneinander an. Die gemeinsame Latrinenbenutzung war vor allem für das zahlreiche Gesinde vorgesehen. Vorzugsweise installierte man diese Latrinen hinter Nebeneingängen, z. B. im Stall, gelegentlich auch im herrschaftlichen Badetrakt. Im letzteren Fall handelte es sich immer um Ein- oder höchstens Zweisitzer.

Wasserthron und Donnerbalken

Подняться наверх