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Der Tümpelwald

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Der sechste Tag seiner Reise brach an und er erwachte pünktlich mit dem ersten Strahl der Sonne. Spiffi, der die letzte Wache übernommen hatte, war tatsächlich noch wach, was Tados Meinung nach bereits einem Wunder gleichkam. Er stand auf und ging zu seinem Gefährten, der gerade ein Käsebrot und etwas von dem Wolfsfleisch aß.

„Oh, ist meine Nachtwache schon vorbei?“, fragte Spiffi mit vollem Mund. Offensichtlich hatte sich Tado in ihm getäuscht. Das lange Aufpassen und Wachbleiben schienen ihm nichts auszumachen. Offenbar war er mal wieder der einzige, der damit ein Problem hatte, dachte Tado, in Gedanken seufzend. Er nahm nun auch etwas zu sich, während die anderen langsam erwachten.

Sie benötigten mehr als eine halbe Stunde, bis sie ihre Sachen endlich zusammengepackt hatten und aufbrechen konnten. „Wir werden durch den Tümpelwald gehen“, sagte Etos nach einiger Zeit. „Normalerweise würde ich den Wald nur betreten, wenn es absolut keinen anderen Weg gibt, aber in unserem Fall ist es besser, unentdeckt zu bleiben. Die Kreaturen des Lords meiden das Gebiet. Allerdings bietet es auch ohne sie schon reichlich Gefahren.“

Wunderbar, dachte Tado sarkastisch. Gab es denn in diesem verdammten Tal nicht einen Ort, an dem es ungefährlich war?

Bevor er jedoch eine entsprechende Frage stellen konnte, begann der König bereits mit einem ganz anderen Thema: „Ich habe euch doch gestern von der Stadtfestung erzählt. Bevor der Lord kam, stellte sie Regierungsstätte und Zentrum der Stadt der Aonarier dar. Bald jedoch belagerte er das Land und mein gesamtes Volk zog sich in den Palast zurück. Doch auch dieser hielt nicht lange stand. Nach einem verzweifelten Verteidigungsversuch flüchteten wir schließlich in die Höhle.“ Etos machte eine kurze Pause. Tado wunderte sich ein wenig über seine Worte. Schatteneiswölfe und Schneespinnen mochte für Unbewaffnete vielleicht eine Gefahr darstellen, ausgebildeten Kriegern konnten sie aber nicht das Wasser reichen. Oder war der Lord selbst vielleicht an der Schlacht beteiligt gewesen? Bevor er sich noch eine zweite Möglichkeit ausdenken konnte, fuhr der König fort: „Natürlich hätten wir uns gegen seine Wölfe eine Weile zur Wehr setzen können, nur griffen uns nicht nur sie, sondern auch viel schlimmere Kreaturen an. Ich hatte noch nie zuvor solche Wesen gesehen, und bin auch heute nicht in der Lage, sie richtig zu beschreiben. Jedenfalls töteten sie unsere Krieger gleich reihenweise, trotz ihrer sehr geringen Zahl. Also verließen wir nachts durch einen Geheimgang das Schloss suchten ein geeignetes Versteck. Als die Kreaturen des Lords am Tag darauf die Festung stürmten, fanden sie sie verlassen vor. Ihre Enttäuschung musste gewaltig gewesen sein, denn seither lagern sie am Fuße des Hügels, auf dem die Mauern stehen, in Erwartung unserer Rückkehr.

Aber natürlich bräuchte ich euch dies alles nicht zu erzählen, wenn es nichts mit unserem Unternehmen zu tun hätte. Doch leider ist genau das der Fall. Wir müssen den Lord gemeinsam angreifen, und da die Großmächte zu weit auseinander liegen, brauchen wir ein Zeichen; und da ich nicht weiß, wie lange unsere Reise zu den einzelnen Reichen dauern wird, will ich kein Datum festlegen.

Und was würde sich als Zeichen besser eignen, als ein Leuchtfeuer? Leider liegt genau da das Problem. Um das Leuchtfeuer nämlich zu entzünden, muss man auf den höchsten Turm der Stadtfestung, vorbei an den schrecklichen Kreaturen, die fast mein ganzes Volk ausgelöscht haben.“

Etos machte erneut eine Pause, um seinen Worten Wirkung zu verleihen. Wenn es ihm auch nicht gefiel, so wusste Tado doch jetzt wenigstens, warum Hexate so überrascht reagierte, als der König von dem Leuchtfeuer sprach.

Den Rest des Weges durch den Ausläufer des Mauergebirges legten sie schweigend zurück. Schließlich, nach ein paar Stunden Fußmarsch, standen sie wieder im Schnee, und keine zweihundert Meter vor ihnen erstreckte sich ein urzeitlich anmutender Laubwald.

„Das ist der Tümpelwald“, sagte Etos schließlich. „Von nun an sollten wir uns beeilen. Ich möchte nur ungern mehr als einen Tag darin verbringen.“

Die letzte Strecke legten sie beinahe im Laufschritt zurück und betraten den im Vergleich zur übrigen Landschaft gänzlich falsch aussehenden Wald. In diesem schlug ihnen eine solche Hitze und Luftfeuchtigkeit entgegen, dass sie schon nach wenigen Metern ihre Fellmäntel auszogen. Die Bäume waren riesig, viel größer, als sie von weitem den Anschein gehabt hatten, und beidseitig des schmalen Pfads, den die Sieben entlang schritten, wuchs mannshoher Farn, sodass Tado sich klein und hilflos vorkam.

Dieses Gefühl wurde durch die plötzliche Warnung seitens Grook noch verstärkt: „Solltet ihr übrigens irgendwelche Tiere sehen, sagt sofort Bescheid und verhaltet euch ruhig. Der Biss eines schwarzen Tigers kann tödlich sein.“ Tado hatte noch nie zuvor von ‚schwarzen Tigern’ gehört, und wollte sein gerade erworbenes Wissen auch nicht erweitern, weder mit einer direkten Begegnung noch mit einer entsprechenden Frage. Er wäre auch gar nicht zu irgendeiner weiteren Bemerkung gekommen, da in diesem Moment ein gewaltiger Schatten, begleitet von einem sehr unangenehm surrenden Geräusch, über sie hinwegrauschte.

„Was war das?!“, fragte Spiffi, nachdem sie sich vergewisserten, dass von dem Wesen keine Gefahr mehr ausging. Er stand mit weit aufgerissenen Augen da und starrte dem in den Baumkronen verschwindenden Etwas nach.

„Vielleicht eine Waldlibelle“, antwortete Etos zögernd.

„Eine Waldlibelle?“, fragte Regan. „Das ist nicht gut. Sie sondern ein Gift über ihre Haut ab, was jede Berührung äußerst schmerzhaft macht. Allerdings beträgt ihre Größe normalerweise nur eine Handbreit. Doch dieses Exemplar eben war etliche Meter lang und demzufolge muss der Kontakt tödlich sein, da ihr Gift je nach Gewicht und Länge an Gefährlichkeit zunimmt.“

Der König der Aonarier warf dem Goblin einen anerkennenden Blick zu, vermutlich hatte er von einem Fremden ein solch ausgeprägtes Wissen nicht erwartet. „Das stimmt. Auch ich habe nie zuvor ein Exemplar solcher Größe gesehen.“

Nach dem kleinen Zwischenfall gingen sie nun wieder etwas schneller. Außerdem hielten sie sich an den Lauf eines schmalen Flusses, der häufig auch durch sumpfiges Gelände führte. Tado konnte sich schon nach einer halben Stunde ausmalen, woher der Wald seinen Namen hatte. Schließlich mussten die Sieben vor einem kleinen Nebenarm des Baches Halt machen. Er schien nicht sehr tief, dafür aber sehr lang zu sein, sodass sie, sollten sie versuchen, ihn zu umgehen, etliche Stunden verlieren würden. Spiffi wollte gerade vorschlagen, hindurchzuwaten, da in diesem Moment aber das Maul eines Sumpfkrokodils aus der Wasseroberfläche hervorbrach, verwarf er den Gedanken, bevor er ihn zu Ende hatte sprechen können. Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit.

„Dann bleibt uns eben nichts anderes mehr übrig, als auf diesen Baum dort“, Regan deutete auf eine wuchtige Eiche dicht am Ufer, „zu klettern und über den untersten Ast auf die andere Seite zu gelangen.“ Dieser Plan klang zwar ein wenig waghalsig, erschien ihnen im Moment jedoch als einzig sinnvolle Lösung. Der Baum besaß eine sehr zerklüftete Rinde, sodass das Hinaufklettern recht leicht und schnell vonstatten ging. Oben angekommen, befanden sie sich auf einem stabil aussehenden, etwa dreißig Zentimeter breiten Ast, der weit über das jenseitige Ufer hinausragte und sich dort mit dem Geäst einer weiteren Eiche verzweigte. Tado warf nicht selten einen beunruhigten Blick auf die durch die Spiegelung des Blätterdaches grün wirkende Wasseroberfläche, aus der ab und zu der Kopf eines Sumpfkrokodils ragte.

„Darüber?“, fragte Spiffi, der als erster hinaufgeklettert war, mit zitternder Stimme.

„Es steht dir frei, hinüberzuschwimmen“, meinte Etos leicht genervt. Plötzlich vernahmen sie ein Rascheln. Zwischen den Büschen unter ihnen kamen sechs große, schwarze Tiere hervor. Vom Körperbau her ähnelten sie Tigern, waren aber ungleich größer. Dieser Anblick gab Spiffi wohl neue Kraft, denn er überquerte mit einer Schnelligkeit, die nicht nur Tado überraschte, den Ast und winkte Etos, der sich nun auch in Bewegung setzte. Die Tiere hatten inzwischen den Baum umkreist und begannen ihn nun nacheinander und mit einer erschreckenden Geschwindigkeit, hinaufzuklettern. Etos und Grook hatten die natürliche Brücke ebenfalls überwunden, und auch Baako erreichte soeben ihr Ende. Nun machte sich Tengal daran, auf dem Ast hinüberzubalancieren. Die schwarzen Tiger hatten bereits mehr als die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Die beiden letzten Verbliebenen spielten eine Runde Schere-Stein-Papier darum, wer als erster gehen durfte. Selbstverständlich verlor Tado. Und genauso selbstverständlich erreichte der erste seiner Verfolger genau in dem Moment den Ast, in dem Regan auf der anderen Seite ankam und er gerade losgehen wollte. Natürlich zögerte das Tier nicht lange und setzte zum Sprung an. Tado griff schnell nach einem seiner gesammelten Steine und warf ihn dem Tiger in das leicht geöffnete Maul. Der Getroffene verschluckte das Wurfgeschoss. Doch wenigstens einmal war das Glück auf seiner Seite. Der scharfkantige Stein musste dem Tier wohl im wahrsten Sinne des Wortes im Halse stecken geblieben sein, denn es röchelte plötzlich und schien das Gleichgewicht zu verlieren, woraufhin es einfach abrutschte und einige Meter tief in den Fluss fiel, wo es umgehend von den riesigen Reptilien zerfleischt wurde. Tado nutzte die Gelegenheit und rannte auf das jenseitige Ufer zu.

Aber natürlich hat alles seinen Preis, und dem Glück von eben folgte nun ein Unglück: Der Ast brach. Unter einem lauten Krachen gab das Holz nach und fiel zusammen mit dem Pechvogel in den Fluss. Sein Versuch, nach dem unversehrten Teil der provisorischen Brücke zu greifen, wurde mit einer üblen Schürfwunde belohnt, trug aber nicht zu seiner Rettung bei. Tado fiel ziemlich genau in die Mitte des Wassers und verschwendete keine Zeit damit, überrascht oder gar entsetzt zu sein, sondern watende schnell auf das rettende Ufer zu. Selbstverständlich war seine lautstarke Ankunft im Fluss nicht unbemerkt geblieben. Ein Sumpfkrokodil (ein besonders hässliches, dessen Grün schon fast ins Schwarz überging) hatte bereits zu seiner Verfolgung angesetzt, die übrigen waren zu seinem Glück noch immer mit dem Tiger beschäftigt. Es erreichte ihn, als das Wasser ihm nur noch bis zu den Knien stand. Tado trat blindlings hinter sich, traf auch etwas- nur vermutlich nicht das Krokodil. Dieses schnappte nämlich nach seiner Hand und verfehlte sie nur um Haaresbreite. Als er endlich wieder trockenes Land unter den Füßen hatte, ließ sein Verfolger überraschender- wie glücklicherweise von ihm ab; wahrscheinlich lebten diese Wesen ausschließlich im Wasser und mieden das Land.

Das Gefühl, gerettet zu sein, währte nur kurz. Eine Waldlibelle schnellte so dicht an ihm vorbei, dass die durch ihre Flügel aufgewirbelte Luft seinen Oberarm streifte und eine violette, handgroße Stelle hinterließ, die sich ungefähr so anfühlte, als hätte sie jemand mit einem glühenden Eisen bearbeitet. Tado schrie vor Schmerz auf, warf sich zur Seite und landete mitten in einem seesternförmigen Gebilde. Dieses entpuppte sich, selbstverständlich, wie er in Gedanken hinzufügte, als gigantische fleischfressende Pflanze. Sie maß ungefähr zwei Meter im Durchmesser und wollte wohl ihre fünf riesigen Zacken zuklappen, kam aber offenbar mit der Größe ihres Opfers nicht zurecht, sodass sich ihre gezahnten Ränder nur tief in sein Fleisch gruben. Unter unvorstellbaren Qualen stand Tado auf und schleppte sich einige Schritte von dem unheimlichen Geschöpf weg. Der violette Fleck an seinem Arm brannte stärker als zuvor und beschränkte sich mittlerweile nicht mehr nur auf die betroffene Stelle, sondern breitete sich über den ganzen Körper aus. Offenbar tat das Gift bereits seine Wirkung, die sich, nebenbei gesagt, als schlimmer als angekündigt erwies. Zudem lähmte es seinen Körper nahezu. Unter großer Kraftanstrengung gelang es ihm schließlich, mit fast schon übernatürlich zitternden Händen, die Flasche mit dem Wasser des Lebens hervorzuholen. Er trank sie bis auf ein Drittel leer. Er konnte sehen, wie die tiefen Schrammen an Arm und Hand aufhörten zu bluten und alle Holzsplitter von alleine heraus fielen, er konnte ertasten, dass sich die tiefen Einschnitte der Pflanze schlossen, er konnte spüren, wie das Gift aus seinem Körper wich und die Haut ihre normale Färbung annahm und er konnte fühlen, wie die Kraft in ihn zurückkehrte und die Lähmung wich. Obwohl er bis eben noch vollkommen durchtränkt von dem sumpfigen Wasser war, konnte Tado keine Spur von Nässe auf seiner Kleidung ausmachen.

Nun hatte ihm dieses Wasser schon zum zweiten Mal das Leben gerettet. Was täte, wenn er es aufgebraucht haben würde (‚Was in wahrscheinlich gar nicht allzu ferner Zukunft auch geschehen wird, wenn das so weitergeht’, dachte er ärgerlich).

Doch sein nächster Gedanke galt den anderen. Er hatte sich schon während seiner beinahe tödlichen Tortur gewundert, wo sie denn die ganze Zeit blieben, und fast schon sehnsüchtig auf einen Pfeil Spiffis im Sumpfkrokodil oder dem Tiger (oder bei dessen Schießkunst auch in ihm) gewartet. Nun aber sah er den Grund: Auch sie waren angegriffen worden, und zwar von den übrig gebliebenen schwarzen Tigern. Wahrscheinlich hatten diese die zerstörte Stelle des Astes einfach übersprungen. Zwar empfand Tado es als angenehmer, zu sechst gegen fünf Tiger zu kämpfen, noch dazu bewaffnet, als sich mit Steinen gegen eines der Tiere zu wehren, beinahe von einem Sumpfkrokodil aufgefressen, von dem Luftzug eines Monstrums von Libelle getötet und einer gigantischen fleischfressenden Pflanze zerstochen zu werden, aber das sagte er natürlich nicht den anderen gegenüber, die übrigens immer noch mit zwei der Bestien kämpften. Offensichtlich hatte Tado mehr als unverschämtes Glück gehabt, eines dieser Ungeheuer mit einem Stein zu ersticken, denn in den anderen toten Tigern steckten jeweils gut und gerne ein halbes Dutzend Pfeile. Gerade krachte Regans Morgenstern auf einen der Angreifer nieder und zerschmetterte dessen Schädel, während Grook sein Schwert in den Leib des selbigen bohrte. Etos, Baako und Tengal stachen derweil fast gleichzeitig ihre Klingen in das andere Tier. Spiffi sammelte bereits noch brauchbare Pfeile auf, die ihm scheinbar ausgegangen waren. Tado sah erst jetzt, dass jeder der Sechs ziemlich üble Wunden davon getragen hatte. Der Goblin und der Bogenschütze tranken gerade etwas von ihrem Wasser der Quelle des Lebens, von dem auch sie nicht mehr allzu viel zu besitzen schienen, während die Aonarier ihre Verletzungen anderweitig notdürftig versorgten. Bei ihnen handelte es sich nur um kleinere Schrammen, offenbar wussten sie sich besser zu verteidigen. Tado gesellte sich zu ihnen.

„Du... hast überlebt?“, fragte Etos mehr als nur ungläubig. „Ich habe genau gesehen, wie dich die Libelle verletzt hat!“

Tado winkte ab. „Manchmal muss man einfach Glück haben. Jetzt sollten wir vielleicht eine kleine Pause machen“, schlug er vor.

Die anderen begrüßten diesen Vorschlag, und so entschieden sie sich schließlich dafür, an Ort und Stelle eine Rast zu machen. Spiffi schlang gleich fünf Käsebrote hinunter, und auch die Aonarier, der Goblin und Tado selbst sparten nicht gerade mit ihren Vorräten. Trotzdem waren sie schon nach wenigen Minuten wieder marschbereit.

Es musste kurz nach Mittag sein, als die kleine Gruppe an eine sonnenbeschienene Lichtung gelangte. Inmitten der leuchtenden Grasfläche lag, flankiert von zwei Felsen, einer der schwarzen Tiger, mit denen sie schon Bekanntschaft geschlossen hatten. Das Tier schlief offenbar. Tado wollte schon umkehren, um die Lichtung im Schutz des Waldes zu umrunden, wurde aber von Etos zurückgehalten.

„Nicht“, sagte er. „Du könntest versehentlich auf einen Ast treten und ihn damit wecken. Die Tiger besitzen ein sehr gut ausgeprägtes Gehör, allein die Tatsache, dass er bis jetzt noch nicht aufgewacht ist, grenzt an ein Wunder.“

Die Worte ließen Tado sich nur mit Mühe beherrschen: „Aber wir können niemals über die Lichtung spazieren!“

„Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du deinem Unmut demnächst ein wenig leiser zum Ausdruck bringen könntest!“, flüsterte Etos und warf beunruhigt einen Blick zum Tiger. Das schwarze Tier rührte sich noch immer nicht. Bevor irgendjemand ein weiteres Wort verlieren konnte, trat der König der Aonarier einige Schritte auf die Lichtung hinaus. Widerwillig folgten ihm die anderen. Besonders für Spiffi mussten die wenigen Meter eine Qual sein, er hatte den Blick ununterbrochen auf die schwarze Gestalt geheftet. Gerade als sie an dem Schlafplatz des Tiers vorbei kamen, regte es sich ein wenig. Im Bruchteil einer Sekunde standen die Sieben kampfbereit im Halbkreis um den Tiger. Als sich aber herausstellte, dass dieser anscheinend immer noch schlief, entspannten sie sich wieder und wollten ihren Weg fortsetzen.

Das Tier jedoch hatte sie gewittert. Es war ein besonders großes Exemplar, und begann, sich langsam zu erheben, ließ zuerst ein leises Knurren vernehmen, und stürzte sich dann auf Tengal. Dessen Schwert wurde ihm aus der Hand gerissen und flog meterweit davon. Die Wucht des Aufpralls auf den Waldboden trieb ihm die Luft aus den Lungen. Regan schlug derweil mit seinem Morgenstern nach dem Tier, dieses wich mit spielerischer Leichtigkeit aus, biss dem Goblin das Handgelenk durch, woraufhin dieser vor Schmerzen auf den Boden sank, und griff nun Baako an. Dieser konnte sich mit einem gewagten Sprung vor dem tödlichen Gebiss des Ungetüms in Sicherheit bringen und stach ihm sein Schwert in die Seite. Das Tier brüllte, und warf sich schließlich, die Waffe mit sich reißend, dem Aonarier entgegen. Völlig überrascht prallte dieser, einen halben Salto vollführend, gegen einen Baum am Rand der Lichtung und blieb bewusstlos liegen. Spiffi hatte währenddessen mehrmals versucht, einen Pfeil auf das Tier abzuschießen, dieses war allerdings viel zu schnell und entging dem tödlichen Geschoss ein ums andere Mal. Es stürmte nun auf den Schützen zu, der bei einem Fluchtversuch (wie könnte es auch anders sein) über eine Bodenranke gestolpert war. Der Tiger stieß seine messerscharfen Zähne in das Bein des Unglücklichen. Dieser erlitt einen solchen Schock, dass er nicht einmal aufschrie. Die drei Verbliebenen versuchten, ihn vor weiteren Attacken des schwarzen Ungetüms zu retten, und stürzten sich auf den Angreifer, der nun endlich von Spiffi abließ und sich zu den anderen umdrehte. Tado schmetterte ihm seinen letzten Stein ans linke Auge, was dem Tier zwar Schmerzen bereitete, es aber noch wütender machte. Mit einem unendlich tiefen Knurren sprang es auf ihn zu, entwaffnete dabei Grook und Etos und versetzte Tado einen solchen Stoß, dass dieser mehrere Meter über die Lichtung flog und dicht bei Baako liegen blieb. Die beiden verbliebenen Aonarier hatten derweil ihre Schwerter wieder ergriffen und schienen dem Ungetüm ernsthaft die Stirn bieten zu können. Dieser Trugschluss währte allerdings nur wenige Sekunden, Grook brach schon unter Schmerzen zusammen und auch Etos stürzte bald darauf zu Boden. Das riesige Tier fletschte die Zähne. Es ist aus..., schoss es Tado durch den Kopf. In diesem Moment jedoch bemerkte er einen breiten Ast neben sich. Unter Aufbietung seiner letzten Kraft stemmte er die gut vier Meter lange und zwanzig Zentimeter breite Keule in die Höhe und schleppte sich die wenigen Schritte zum Tiger, der gerade dazu ansetzte, Etos die Kehle durchzubeißen. ...aber für dich! Mit diesem Gedanken schmetterte er den Ast zielgerichtet auf den Kopf des Tieres nieder. Dessen Schädel zerbrach unter dem gigantischen Gewicht und der leblose Körper krachte auf die Lichtung. Der König der Aonarier hatte sich rechtzeitig zur Seite rollen können und wurde nicht unter dem Tiger begraben.

Erst eine halbe Stunde nach diesem ungleichen Kampf waren die Sieben wieder zum Weitergehen bereit. Spiffi und Regan hatte sich mit dem Wasser aus der Quelle des Lebens geheilt, und Baako erwachte aus seiner Ohnmacht.

Sie verließen die Lichtung und marschierten weiter durch den Wald. Es wurde immer dunkler und nebliger, ein grauer Schleier ließ die Bäume verhüllt erscheinen, und Tado hatte lange keinen Boden mehr gesehen, als das Dämmerlicht wieder heller wurde und sich vor ihnen ein sumpfiger Bach auftat. Flankiert von Nebelschwaden, war dieser Tümpel frei von jeglichem Schleier.

„Von nun an beginnt der unangenehme Teil unseres Weges“, meinte Etos. „Wir brauchen ein Floß.“

„Meint ihr etwa, wir sollen über den Fluss fahren?“, fragte Regan ungläubig. „Ja. Der Nebel wird links und rechts dichter, irgendwann werden wir gar nichts mehr sehen können. Es ist unsere einzige Chance, lebend aus diesem Wald zu kommen.“

Nach diesen Worten fingen die Sieben dann doch an, Holz zu sammeln und es zu einem Floß zusammenzubinden. Die Dunkelheit schlug ihnen schwer aufs Gemüt.

„Jedes Unwetter ist freundlicher als dieser Ort“, meinte Spiffi, kurz bevor sie das Wasserfahrzeug vollendeten. Es sah weder stabil noch besonders einladend aus, und Platz gab es auf den harten Ästen auch nicht viel. Nichtsdestotrotz schoben sie das Floß ins Wasser und nahmen vorsichtig darauf Platz. Zuvor hatten sie Ruder angefertigt, allerdings taten sie sich schwer, ihr Gefährt in dem sumpfigen Untergrund zu bewegen. Bald jedoch wurde das Wasser klarer, und sie kamen schneller voran.

„Wie weit ist es noch?“, fragte Tado, als die Abendsonne ihre blassen Strahlen durch die Baumkronen schickte und die Blätter golden färbte.

Etos besah sich einen Moment lang die Nebelschwaden, die nach wie vor, wenn auch nicht mehr so undurchdringlich, in dem Dickicht zu beiden Seiten in der Luft hingen, und antwortete schließlich: „Wir werden wohl diese Nacht noch im Wald verbringen müssen. Morgen Mittag sollten wir ihn aber spätestens verlassen haben.“

Er schien noch etwas hinzufügen zu wollen, aber sein Blick richtete sich plötzlich auf die Wasseroberfläche einen Meter vor ihnen. Kleine, kreisförmige Wellen brachten eine sanfte Bewegung in den stillen Bachlauf. Tado ahnte Schlimmes, als drei Augenpaare auftauchten und zu ihnen hinüber sahen. Schließlich ragten ebenso viele Köpfe aus dem Wasser, und er wusste, zu welchem Körper sie gehörten. Es waren Sumpfkrokodile, und äußerst aggressive dazu. Tado erinnerte sich nur ungern an seine erste Begegnung mit einer dieser Kreaturen.

Spiffi legte einen Pfeil auf die Sehne seines Bogens, zielte auf das mittlere Exemplar und ließ ihn fliegen. Ein leichtes Krachen war zu hören, als das Geschoss die dicken Schuppen der Krokodilhaut durchbohrte und sich tief ins Fleisch grub. Leider traf Spiffi nicht so, wie er es sich erhofft hatte, und verletzte das Tier nur an der Schulter, was es überhaupt nicht zu kümmern schien. Die drei Krokodile bewegten sich keinen Zentimeter, und die Gefährten steuerten immer weiter auf sie zu, an Land gehen konnten sie nicht (und selbst wenn, hätten die Tiere sie eingeholt, bevor sie auch nur einen Fuß vom Floß nehmen könnten) und zudem besaß der Fluss mittlerweile eine kleine Strömung, sodass sie selbst dann fuhren, wenn sie nicht ruderten. So blickten die Gefährten einige Sekunden in gierig leuchtende Augen, die beständig näher kamen. Schließlich waren die Sumpfkrokodile in Angriffsreichweite. Baako stieß einem der Tiere das Schwert zwischen die Augen. Es vermochte jedoch kaum den Schuppenpanzer zu durchdringen, und hinterließ nur eine kleine Schramme. Ein Krokodil hatte derweil nach Regan geschnappt, verfehlte ihn aber und biss eine kleine Ecke des Floßes ab. Ein anderes Reptil zerstörte zwei Ruder bei dem Versuch, auf das Wassergefährt zu springen. Spiffi ließ endlich einen weiteren Pfeil fliegen, diesmal traf er das Tier zwischen die Augen. Es schlug einige Sekunden um sich, rettete sich schließlich in einen kleinen Nebenarm des Flusses und verschwand im Nebel. Doch wahrscheinlich würde es an der schweren Verletzung sterben. Die beiden anderen Sumpfkrokodile schienen bemerkt zu haben, was mit ihrem Artgenossen geschehen war. Sie folgten, sehr zur Verwunderung Tados, dem verletzten Tier.

Die Sieben konnten ihre Fahrt wieder aufnehmen. Allerdings währte auch diese erfreuliche Tatsache nur wenige Momente, da sie sich bald in einem regelrechten Wald aus riesenhaften Schilfpflanzen wiederfanden, den zu durchdringen sie alle Mühe hatten. Erschwerend kam hinzu, dass der Fluss einen Bogen nach rechts beschrieb, um sofort mit einer scharfen Linkskurve fortzufahren. Einmal versuchten Grook und Etos, sowie Tado und Spiffi, das Floß an den Schilfblättern vorwärts zu ziehen. Dies misslang allerdings, da die Pflanzen mit messerscharfen, gezackten Blatträndern ausgestattet waren, es handelte sich um Westgordonischen Rissschilf.

Zum Glück kamen sie bald wieder in weniger überwucherte Gewässer, und der Nebel zu beiden Seiten im Wald klarte auf, zwar kaum sichtbar, aber immerhin ein klein wenig.

Eine ganze Stunde trieben sie auf ihrem Floß dahin, aßen irgendwann, kurz bevor die Sonne gänzlich untergegangen war, Abendbrot. Regan machte den Vorschlag, die Nacht lieber an Land zu verbringen, um den in der Nacht fast unsichtbaren Sumpfkrokodilen aus dem Weg zu gehen, und zu Tados Überraschung begrüßte Etos diese Idee.

Die letzten Sonnenstrahlen verschwanden hinter den Baumwipfeln, und mit der Nacht brach auch die Kälte über den Tümpelwald herein. Die Sieben steuerten ihr Floß gen Ufer, was nicht allzu schwer war, denn der Bach maß noch immer keine fünf Meter in der Breite. Sie suchten sich eine von Bäumen, Gebüsch und Steinen geschützte Stelle zum Schlafen und schlugen ihr Nachtlager auf. Tado übernahm die letzte Wache, die mochte er am liebsten, da er so bis zum Morgen durchschlafen konnte. Etos stellte seine Sanduhr zur Verfügung, und bald darauf herrschte Schweigen im Wald...

Ein Schatten erhob sich aus dem Sumpf, eine schnell größer werdende Gestalt, mit unendlich kalten, bösen Augen. Tado wurde in den Tümpel hineingezogen, modriger, fauler Morast umgab ihn, und mit einem Mal war er nicht mehr im Wald. Er fand sich zwischen Felsen wieder, und er spürte den Hauch eisiger Kälte, der sich auf ihn zu bewegte. Ein wabernder Schatten kam unaufhaltsam näher, und er...

...erwachte.

Die Herren von Telkor - Die Trollhöhle

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