Читать книгу Die Herren von Telkor - Die Trollhöhle - Daniel Sigmanek - Страница 5
Die Goblins
ОглавлениеBald hatten sie Tados ursprünglichen Weg erreicht und marschierten weiter nach Norden. Als sie dem Mauergebirge so nahe waren, dass dieser durch die Bäume hindurch schon einige Felsen sehen konnte, stellte Spiffi die Frage, die er so gefürchtet hatte: „Wohin geht deine Reise eigentlich?“
Er zögerte. Sollte er ihm die Wahrheit sagen? Sollte er ihm sagen, dass er sich auf dem Weg zur Trollhöhle befand? Zwar erhielten die Botschafter seines Dorfes keine richtige Ausbildung, denn alles, was sie wissen mussten, würden sie auf ihrem ersten Auftrag lernen, dennoch hatte Tado erfahren, dass es besser sei, niemandem von seinem Vorhaben zu erzählen, um es in keiner Weise zu gefährden.
Eigentlich war er ein guter Lügner, dem sehr schnell passende Ausreden einfielen, nur in diesem Moment wusste er nichts anderes als die Wahrheit auf diese Frage zu antworten. Also sagte er geradeheraus: „Zur Trollhöhle.“
Diese Antwort kam so plötzlich, dass sein Begleiter abrupt stehen blieb und einen Laut vor sich gab, der sich wie das heisere Grunzen eines Schweins anhörte.
„Zur Trollhöhle?!“, krächzte er. Natürlich hatte auch Spiffi von der Trollhöhle gehört, und im Gegensatz zu Tado wusste er, was es bedeutete, zur Trollhöhle zu wollen. Nicht nur der Weg dorthin war so gefährlich, dass manche sich wohl lieber lebendig begraben lassen würden, als ihn zu gehen. Die Höhle selbst galt als einer der schrecklichsten Orte, die Gordonien zu bieten hatte.
Tado hielt nun auch an, wartete, bis Spiffi zu ihm aufgeschlossen hatte und fuhr dann mit einer Erklärung fort: „Ich habe einen Auftrag zu erfüllen. Mehr darf ich dir leider nicht sagen.“ Er fühlte sich wichtig, als er diese Worte sagte.
„Aber das ist reiner Selbstmord“, entgegnete Spiffi. Tado sah ihn nur verständnislos an.
„Es gibt Gerüchte, dass eine mächtige Person die Trollhöhle unterworfen und die darin lebenden Trolle zu seinen Untertanen gemacht hat. Diese Person nennt sich Lord des Feuers.“
Diese Worte brachten Tado zum Nachdenken. Er konnte diese Argumente nicht ausschließen. Er wusste ohnehin nur sehr wenig über die Länder außerhalb seines Dorfes, sollte ihm also dieses Gerücht entgangen sein, wäre es nicht weiter verwunderlich. Und Haktir würde er es ebenso zutrauen, ihm einen solchen Auftrag zu vermitteln, zumal er ebenfalls den Lord des Feuers erwähnte. Die Worte des Waldtreibers mochten also wahr sein.
Heftig diskutierend setzten sie ihren Weg fort.
Tado verteidigte dabei sein Vorhaben, zur Trollhöhle zu gelangen, konnte der Argumentation Spiffis allerdings wenig entgegensetzen. Darum bot er ihm mehrmals an, dass er wieder zurück zu seinem Volk gehen könne, dies lehnte der Waldtreiber jedoch strikt ab. Schließlich könne er jemanden, der so wenig Ahnung von den Gefilden Gordoniens hat, nicht alleine lassen, so lautete seine Begründung.
Nach einer halben Stunde erreichten sie den Waldrand. Der Streit hatte sich inzwischen gelegt und Tado und Spiffi verstanden sich mittlerweile sehr gut.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass er seit ungefähr sieben Stunden nichts mehr gegessen hatte, denn sein Mittagsmahl war ihm von den Waldtreibern verdorben worden. Also setzten sich er und sein Begleiter unter eine große Eiche, deren Krone ihnen Schatten bot. Es herrschten warme Temperaturen und kaum eine Wolke trübte den Himmel.
Während er aß, dachte Tado darüber nach, wie es weitergehen sollte, nachdem er das Mauergebirge durchquert hatte. Sowohl er als auch Spiffi wussten nahezu nichts über die Gebiete dahinter.
Ein komisches Geräusch, das sich wie das Schaben von Holz auf Stein anhörte, riss ihn aus seinen Gedanken.
„Was war das?“, fragte er verwirrt.
„Ich weiß es nicht“, erwiderte Spiffi, „aber es klang nicht so, als wenn es einen natürlichen Ursprung hätte.“
Tado packte schnell alle Sachen zusammen und stand auf. Das Geräusch ertönte erneut. Und endlich konnte er es orten. Es kam direkt aus dem Wald. Hinter ihm und Spiffi erschien eine Gestalt. Sie war riesig, mindestens zehn Fuß hoch und wirkte irgendwie... unförmig.
Allein der Anblick ließ in Tado die Alarmglocken läuten. Er bedeutet Spiffi, ihm zu folgen, und zwar auf eine Art, die keine Fragen offen ließ und rannte auf das nur wenige Meter vor ihnen liegende Gebirge zu. Genauer gesagt: auf einen Pfad zwischen den nahezu senkrechten Felswänden, welcher nicht besonders steil in die Höhe führte. In der Breite maß er nur etwa fünf Armlängen. Letzterer gab zu bedenken, dass dies nicht der geeignete Weg sei, um das Mauergebirge zu durchqueren, wurde aber von einem halblauten Gebrüll des Wesens übertönt.
Die Gestalt hatte sie bereits entdeckt. Sie ließ ein wütendes Grunzen vernehmen und rannte auf den Weg zu, in dem Tado und Spiffi sich gerade zu verstecken versuchten. Weiterlaufen würde nicht viel nützen, ihr Verfolger war weitaus schneller. Doch endlich konnte er sehen, um was es sich bei ihrem Jäger handelte.
Um einen Troll.
Zumindest glaubte Tado das, denn so hatte er sich Trolle immer vorgestellt: Groß, dick, graue Hautfarbe, kurze, aufgeblähte Beine, zerknautschtes Gesicht. In der breiten Hand trug er eine Keule, die, im Gegensatz zu seinem übrigen Erschienungsbild, eher lächerlich wirkte. Hinter ihm erschien ein weiterer Troll, dieser war mit einem übergroßen Stein bewaffnet, der im Durchmesser gute anderthalb Meter aufweisen musste.
Inzwischen hatte der erste die Felslücke erreicht.
Sein Knüppel beschrieb wilde Kreise in der Luft, während er mit der freien Hand versuchte, nach Tados Bein zu greifen, als dieser an der nahezu senkrechten Felswand empor kletterte. Spiffi, der auf der gegenüberliegenden Seite ebenfalls hinaufgekraxelt war, wollte ihm helfen. Er hatte einen schmalen Felssims erreicht, sich draufgesetzt und einen Pfeil auf die Sehne seines Bogens gelegt. Doch seine Hände zitterten so, dass er nicht mal auf diese kurze Distanz traf.
Es blieb Spiffi keine Zeit, erneut zu schießen. Der zweite Troll war nun auch herangekommen und warf seinen übergroßen Felsbrocken in seine Richtung. Das Geschoss donnerte mit einer solchen Wucht gegen die Wand unmittelbar neben ihm, dass die gesamte Umgebung zu beben begann. Eine Sache schien der Troll jedoch nicht bedacht zu haben: Sein Stein zersprang nicht am Fels, sondern flog wieder hinunter, genau auf den Kopf des grauen Ungetüms.
Erneut bebte die Erde. Diesmal war jedoch der Troll Schuld, dessen eigenes Wurfgeschoss ihm den Kopf zerschmettert hatte. Er krachte der Länge nach mit einem lauten Knall auf den harten Steinboden. Doch es blieb immer noch sein Gefährte übrig, der nun mit der Keule nach Tado schlug. Tados Gesicht und auch das Spiffis wiesen zahlreiche Kratzer auf, die vermutlich durch winzige Steinsplitter verursacht worden waren.
Er trat nach dem Kopf des Trolls, verfehlte ihn jedoch. Derweil hatte Spiffi erneut seinen Bogen gespannt. Diesmal traf der Pfeil. Zwar nur in den Arm, aber immerhin reichte der Schmerz aus, um das Ungetüm wild um sich schlagen zu lassen. Dabei brach er sich auch noch etliche Finger, als sein Arm gegen die Steinmauer schlug. Tado kletterte weiter nach oben. Die Felswand war von den beiden heftigen Erschütterungen rissig geworden.
Schließlich passierte es: Ein gewaltiger Brocken löste sich, genau dort, wo er seine Hände hatte. Tado fiel zusammen mit dem Steinklotz in die Tiefe. Kurz bevor er auf dem Boden aufschlug, stieß er sich von dem Felsen ab und landete nur einen Meter weiter unsanft auf der Leiche des anderen Trolls.
Doch der losgelöste Stein hatte eine erneute Erschütterung herbeigeführt, sodass eine ganze Lawine aus Geröll die nahezu lotrechte Wand hinunterprasselte.
Wieder warf sich Tado zur Seite, während der Troll, der nicht so geistesgegenwärtig handelte, sondern nur weiter den fallenden Steinen entgegenstarrte, unter einem Berg von Staub und Schutt begraben wurde.
Als er wieder halbwegs klar sehen konnte, bemerkte Tado, dass nicht nur vor ihm ein Geröllberg entstanden, sondern auch der gesamte Zugang zur Felsspalte eingestürzt war, sodass ein Umkehren nunmehr unmöglich schien. Er würde diesem Weg, in den er nur wegen des Trolls geflüchtet war, folgen müssen. Also kletterte er über den Steinhügel vor ihm. Spiffi hatte mittlerweile seinen Felssims verlassen und stand wieder auf festem Boden.
„Wo kamen die so plötzlich her?“, fragte Tado und deutete auf die Leiche des ersten Trolls, der sich mit seinem eigenen Felsen erschlagen hatte.
Er blutete aus zahlreichen Schrammen.
„Ich denke, das waren einige von der Gruppe von Trollen, vor der wir dich gerettet haben.“ Spiffi deutete in die Richtung, aus der sie kamen. „Sie müssen dich gewittert haben.“
Dass der Weg zur Trollhöhle derartige Gefahren bergen würde, hatte Tado nicht erwartet. Langsam zweifelte er daran, dass dies ein angemessener Auftrag für einen Anfänger wie ihn war.
Nach einer kurzen Pause machte er sich mit Spiffi wieder auf den Weg. Da sie nicht wussten, in welche Richtung sie gehen sollten, folgten sie einfach dem Pfad. Der Aufstieg wurde nun immer beschwerlicher. Bald mussten sie die Hände zu Hilfe nehmen. Außerdem schien der Weg kein Ende nehmen zu wollen. Ab und zu bogen sie um leichte Kurven, die Umgebung blieb jedoch stets gleich: Felsen, wohin man sah, Wände aus Stein zu beiden Seiten. Als sie schließlich weitere zwei Stunden unterwegs waren, hörte der Pfad abrupt auf. Tado blieb fassungslos stehen und auch sein Begleiter machte nicht gerade einen erfreuten Eindruck.
Er sah hoch. Ein paar Meter über ihnen befand sich eine Felsöffnung.
„Vielleicht kommen wir da hinauf“, meinte er und deutete auf das Loch im Granit. Seine Euphorie hatte nach dem Zwischenfall erheblich nachgelassen.
„Sicher“, antwortete Spiffi, „wenn du zufällig ein Seil dabei hast.“
Auf dem Gesicht des Angesprochenen machte sich ein leicht triumphierendes Grinsen breit, als er aus seinem Rucksack tatsächlich einen langen Strick hervorholte. Tado band seine Axt daran fest und schleuderte die gesamte Vorrichtung in Richtung Felsöffnung. Es verstrichen einige Minuten, bis sie sich nach etlichen Versuchen tatsächlichen in einer Felsspalte verfing. Er und Spiffi zogen ein paar Mal an dem Seil, um seine Festigkeit zu prüfen, ehe Ersterer sagte: „Ich glaube, das sollte fürs Erste reichen.“
Er bedeutete seinem Gefährten, hinaufzuklettern, was diesem jedoch nicht zu gefallen schien: „Wie wäre es, wenn du zuerst hochkletterst, ich halte dir hier unten den Rücken frei, falls wieder Trolle auftauchen sollten.“
Tado bezweifelte zwar, dass Spiffi wirklich etwas gegen diese würde ausrichten können, beließ es aber bei einem Achselzucken und machte sich daran, den Fels hinaufzusteigen. Auf halber Strecke drehte er sich noch einmal um und sah zu seinem Begleiter, der tatsächlich mit gespanntem Bogen den hinter ihnen liegenden Weg absuchte.
Mit einem Kopfschütteln kletterte er nun weiter, und war auch bald oben angekommen. Er rief Spiffi zu, dass er nachkommen solle. Widerwillig entspannte dieser seinen Bogen und ergriff das Seil. Er war im Klettern nicht gerade der Schnellste und brauchte allein für die Hälfte des Weges doppelt so lange wie Tado für die Strecke in ihrer Gänze. Also vertrieb der Wartende sich damit die Zeit, nun seinerseits den Gebirgspfad, den sie gekommen waren, nach möglichen Feinden abzusuchen.
Und tatsächlich weiteten sich seine Augen nach einigen Augenblicken des Ausschauhaltens, als er nämlich eine kleine Gruppe von grauen Schatten ausmachte, die sich in beträchtlichem Tempo ihrem jetzigen Standort näherten.
Als Tado mit einer Hand seine Blicke vor der brennenden Sonne schützte, erkannte er, dass es sich um Trolle handeln musste. Er hätte gerne gewusst, wie sie den herabgeregneten Geröllberg hatten überwinden können, realisierte aber, dass es nicht der passende Augenblick war, um sich über so etwas Gedanken zu machen.
Stattdessen rief er Spiffi in hektischem Tonfall zu: „Beeil dich! Wir werden anscheinend verfolgt!“
„Von wem?“, wollte Spiffi wissen.
„Konzentrier dich lieber auf das Klettern“, versuchte Tado seine Frage zu umgehen. „Sonst sind wir tot.“
Wie auf Stichwort löste sich die Axt, die sich bis eben noch in einer kleinen Felsspalte verhakt hatte, und fiel mitsamt dem Seil und Spiffi in die Tiefe.
Zumindest wäre sie das, wenn Tado nicht geistesgegenwärtig seine Hand ausgestreckt und das Beil zu fassen bekommen hätte.
Er rief dem Kletternden zu, dass er sich beeilen solle, lange könne er das Seil nicht mehr festhalten. Danach sah er sich nach einem Halt um. Er musste immerhin das gesamte Gewicht Spiffis sichern, zudem wurde seine Hand langsam rutschig und die Klinge der Axt schnitt ebenfalls fortwährend in seinen Arm.
Das Holz glitt langsam durch seine Hand, Blut färbte den Boden. Bis Spiffi hinaufgeklettert war, dauerte es noch gut eine Minute, viel zu lange, um dieser Belastung standzuhalten. Seine Schuhe schliffen langsam in Richtung Abgrund. Er brauchte einen festen Stand. Ein Blick auf ihre Verfolger, die nun kaum noch hundert Meter entfernt waren, gab ihm noch einmal neue Kraft. Seine rechte Hand griff nach dem Seil, welches rauer war als der glatt polierte Holzgriff der einfachen Holzfälleraxt, während seine linke einen Spalt an der Wand des Tunnels, in den die Felsöffnung führte, ergriff. Das Metall des Beils bohrte sich noch tiefer in seinen Arm.
Genau in dem Moment, in dem Spiffi nach der Kante fasste, erreichte der erste Troll das Seil, und begann, daran herumzuzerren.
Spiffi warf seinen Bogen und den Köcher zu Tado in die Felsöffnung. Dieser schaffte es, die Axt an der Tunnelwand zu befestigen, legte einen Pfeil auf die Sehne und zielte auf den Kopf des Ungetüms. Er hatte noch nie mit so einem Gerät hantiert, also spannte er die Waffe so weit, dass das Holz ächzte. Dann ließ er das Geschoss auf den Troll zuschnellen. Er traf überraschend gut. Die Metallspitze durchbohrte einige Halswirbel, sodass der Getroffene einfach nur nach hinten kippte und dabei zwei seiner nachfolgenden Gefährten niederriss.
Spiffi kletterte derweil endlich über den Rand und Tado holte das Seil ein. Nachdem die Gefahr gebannt war, atmeten beide tief ein und aus, tranken etwas, bevor sie sich den vor ihnen liegenden Tunnel besahen. Er wurde von Fackeln erhellt, die sich in alten, rostigen, scheinbar symmetrisch angeordneten Halterungen befanden. Durch das flackernde Licht sah Tados Schnittwunde schlimmer aus als sie war, wirkte schon fast bedrohlich. Seine Schläfe zierte weiterhin die unrühmliche Wunde, die ihm die Waldtreiber beigebracht hatten, denn der Verband schien sich gelöst zu haben.
Die Kletterei hatte die beiden ziemlich erschöpft, und sie tranken fast ihren gesamten Wasservorrat leer. Auch aßen sie nicht gerade wenig. In Tados Rucksack befand sich hauptsächlich Obst, während der Spiffis bis oben hin mit Käsebroten gefüllt war.
„Wir sollten langsam weiter“, meinte Ersterer schließlich. Er stand auf. Nach kurzem Zögern erhob sich auch sein Gefährte.
Einige weitere Sekunden verstrichen, bevor sie in den vor ihnen liegenden Tunnel hineinmarschierten. Ihre Schritte hallten unnatürlich laut wider. Die Luft war erfüllt von einem Geruch, der sie beide vorsichtiger werden ließ.
„Hoffentlich endet der Gang bald. Ich möchte gar nicht wissen, was hier drinnen alles haust“, sagte Spiffi, während er den schussbereiten Bogen vor sich hielt.
„Wir sollten uns lieber darüber Gedanken machen, welchen der beiden Wege wir nehmen“, meinte Tado und deutete auf eine Weggabelung.
„Der linke scheint mir sicherer. Rechts werden die Fackeln weniger und da sind lauter Spinnweben an den Wänden“, meinte sein Gefährte angewidert.
„Aber wenn wir nach links gehen, laufen wir Gefahr, auf irgendwelche Kreaturen zu stoßen. Die Fackeln müssen nämlich ab und zu erneuert werden, und wer sollte dies auf einem unbewohnten Pfad tun?“
„Kreaturen, die uns angreifen wollten, würden aber eher nicht ihren Gang für uns ausleuchten“
Also schlugen die beiden die von Spiffi genannte Abzweigung ein. Als sie eine Weile gegangen waren, stellen sie erleichtert fest, dass es wohl der richtige Weg gewesen sein musste. Nur die absolut gleichen Abstände der Fackeln, dass sie alle genauso weit heruntergebrannt und die Felswände nicht geschwärzt waren, machten Tado stutzig. Zudem schien nirgendwo ein Spalt im Gestein zu sein, durch das der Rauch abziehen konnte.
Er wurde aus seinen Überlegungen gerissen, als plötzlich ein Geräusch ertönte. Die beiden hielten ihre Waffen - den Bogen und die Axt - fester umschlossen. Der Gang beschrieb an dieser Stelle eine Biegung. Als die Gefährten am Ende der Kurve angelangt waren, stellten sie erleichtert fest, dass der Laut wohl doch einen natürlichen Ursprung besaß, nahmen jedoch mit Schrecken wahr, dass sich der Weg erneut gabelte - diesmal in vier Richtungen. In diesem Moment tauchte vor ihnen so etwas wie eine schwarze Kugel auf, die den beiden ihre Waffen regelrecht aus den Händen schleuderte. Erst auf den zweiten Blick stellten sie fest, dass es sich um einen Morgenstern handelte.
Plötzlich segelte von der Decke ein Schatten herab, der sich als eine kleine Gestalt entpuppte. Tado konnte nichts Näheres erkennen, außer dass sie nur etwa einen Meter fünfzig maß und eine lange Nase hatte. Die Hautfarbe war bei dem flackernden Licht nicht besonders gut zu erkennen, aber sie schien ins Grünliche zu gehen.
Während die beiden Angegriffenen nur völlig fassungslos dastanden, musterte sie das kleine Wesen aufmerksam.
„Wer seid ihr?“, fragte es in nicht gerade höflichem Tonfall.
„Wir werden dich nicht angreifen“, begann Tado.
„Wozu ihr auch gar nicht in der Lage wärt“, meinte der andere.
„Doch, ich habe ein Messer in meinem Rucksack“, erwiderte er, bemerkte allerdings selbst, dass seine Aussage gepaart mit seinem unsicheren Tonfall eher lächerlich wirkte.
Das Wesen maß ihn mit einem stechenden Blick.
„Egal, wer seid ihr?“, fragte es noch einmal in einem nicht viel freundlicheren Ton.
„Tado und Spiffi.“ Letzterer war noch zu geschockt, um etwas zu sagen.
„Eigentlich meinte ich: Was seid ihr?“
„Sieht man das nicht? Wir sind Menschen“, meinte Tado etwas verwirrt.
„Man kann ja nie wissen. Wir haben seit langer Zeit keine Menschen mehr gesehen, da kann man das Aussehen solcher Kreaturen schon einmal vergessen. Und nun folgt mir. Ich bringe euch zu meinem König.“
„Und wenn wir nicht mitkommen?“, fragte Spiffi, der langsam seine Fassung wiederbekam.
„Wenn ihr hier jemals lebend herauskommen wollt, dann solltet ihr mir folgen.“
Mit diesen Worten drehte sich die Kreatur um und schlug den zweiten Weg von links ein. Plötzlich blieb er stehen und drehte sich noch einmal um: „Bevor ich es vergesse, ihr seid hier im Reich der Goblins. Erwartet also nicht zu viel Freundlichkeit oder gute Behandlung.“
Er setzte seinen Weg fort, hielt dann allerdings noch einmal inne: „Übrigens, mein Name ist Regan. Und ich bin ein Goblin.“
Er wartete, bis die beiden Gefährten aufgeholt hatten, und marschierte dann weiter. Ihre Waffen nahm ihr Führer in Verwahrung.
Leise flüsterte Tado zu Spiffi: „Er scheint mir ein wenig merkwürdig zu sein.“
„Ja“, antwortete der Angesprochene, „und sein Morgenstern ist auch plötzlich verschwunden.“
Dann gingen sie schweigend weiter. Der Gang war ziemlich lang und schmutzig und das kleine Wesen hatte ein recht zügiges Tempo eingeschlagen. Als sie um eine Ecke bogen, kamen sie an zwei weiteren Goblins vorbei, die gerade den Tunnel säuberten und sie nur verwundert musterten.
„Wir sind gleich da“, ließ Regan vernehmen und deutete auf einen Durchgang an der linken Wand. Die Drei durchquerten ihn und fanden sich in einer gigantischen Höhle wieder, deren Decke sich gute zwanzig Meter über dem Erdboden wölbte. Es gab hier keine Tropfsteine und auch die Fackeln brannten nicht. Dafür wurde der gesamte Raum von Sonnenlicht erhellt, das durch in regelmäßigen Abständen in den Fels gehauene Löcher drang. Jedes davon besaß einen Durchmesser von ungefähr zwei Metern.
Auf dem Boden befanden sich unzählige Kuppeln, die den Goblins vermutlich als Behausung dienten.
Anscheinend waren Menschen, obwohl sie, wie Regan längere Zeit keine mehr zu Gesicht bekommen hatten, für sie nichts Ungewöhnliches, denn kaum einer schenkte ihnen Beachtung. Dies konnte allerdings auch daran liegen, dass sie sie nicht sahen, denn das Licht besaß hier keine allzu große Wirkung.
Regan marschierte zusammen mit seinen beiden Gefangenen, wie er Tado und Spiffi inzwischen nannte, an einigen Häusern vorbei und hielt direkt auf das Zentrum der Höhle zu. Dort befand sich eine Kuppel größeren Ausmaßes, die auch einige Türme aufwies.
„Das ist der Palast des Goblinkönigs, des mächtigen Kaher von Fukistuin. Er erwartet euch bereits.“
Spiffi war etwas verwirrt: „Woher weiß er denn von uns?“
„Nachrichten verbreiten sich schnell“, erwiderte Regan nur, während er auf das große Tor, welches den Eingang zum Königshaus darstellte, zuschritt. Tado fand zwar nicht, dass diese graue Hütte irgendetwas Palastähnliches hatte, aber das wagte er nicht auszusprechen.
Inzwischen hatten sie die große Steintür erreicht. Auf dem rechten Flügel war in Kopfhöhe des Goblins ein Stern aufgemalt, dessen Farbe sich bei dem schlechten Licht nur unsicher bestimmen ließ, durch den leichten Glanz konnte man jedoch auf Silber oder Gold schließen. Regan legte seine Hand auf das Bild. Tado erwartete, dass die Tür lautlos aufschwingen würde, sich einfach nur auflöste oder dass sich der Eingang zum Palast auf eine andere, unerklärliche Weise vor ihnen auftäte. Doch nichts dergleichen geschah. Sie erhob sich immer noch vor ihnen - kalt, rau und unbeweglich.
Plötzlich vernahm Tado ein Geräusch. Es klang wie ein Flüstern, leise, schleichende und auf irgendeine Weise betäubende Laute, die die Sinne wie ein Schleier umhüllten, die Sicht trübten und das Hörvermögen schwächten. Der schreckliche Zustand schien auch Spiffi zu befallen, jedoch fand er ein jähes Ende, als ein weiterer Ton zu vernehmen war: Das Schleifen von Stein auf Stein.
Tados Blick klarte auf, und er sah, wie die zwei Torflügel langsam nach innen aufschwangen.
Das Innere des Palastes entsprach nicht gerade seinen Vorstellungen. Statt in einen weitläufigen Gang, der zum Thron führte und von unzähligen Goblins gesäumt wurde, blickte er nur auf die nächste Wand. Auf seinen fragenden Blick hin antwortete Regan nur mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Nachdem sie eine ganze Weile schon einen Gang entlang marschierten, zu dessen linker und rechter Seite Türen eingelassen waren, begriff Tado den Aufbau dieses Gebäudes: Das Ganze stellte eine Art gigantisches Schneckenhaus dar, in dessen Mitte sich der Thronsaal befand.
Wie auf ein Stichwort standen die Drei erneut vor einem steinernen Tor, was zu seiner Verwunderung sofort und lautlos aufschwang.
Der Raum dahinter entsprach zumindest halbwegs Tados Vorstellungen: Ein Saal, viel zu groß - die Hälfte stand leer - mit einer etliche Meter hohen Decke, an der zahlreiche Kronleuchter hingen. An der linken Wand befand sich ein Bücherregal.
Und gegenüber der Tür stand der Thron. Zumindest saß darauf ein Goblin mit Krone, rotem Mantel und Stab in der Hand. Sein Sitzplatz stellte sich jedoch als ganz normaler Holzstuhl heraus, was den ganzen Raum irgendwie lächerlich wirken ließ. Der darauf Sitzende stand auf und ging ein paar Schritte auf die eben Hereingekommenen zu. Er maß nur etwa einen Meter dreißig, sodass seine Erscheinung nicht majestätisch, sondern eher wie die eines verkleideten Kindes wirkte. Tado musste sich ein Lachen verkneifen, als er die dicken Pantoffeln sah, mit denen der König einher schritt.
„Seid gegrüßt! Mein Name ist Kaher von Fukistuin und ich bin der Herrscher über die Goblinstadt“, sagte die kleine grüne Gestalt. „Ich muss mich für all diese Unannehmlichkeiten entschuldigen, Regan konnte ja nicht wissen, dass ihr keine feindlichen Absichten habt, sondern zur Trollhöhle wollt.“
Kaher verzog sein Gesicht, das Ergebnis sollte wohl ein Lächeln darstellen. Er war mehr als merkwürdig. Woher wusste er das alles? Sie hatten niemandem davon erzählt und wenn er Gedanken zu lesen vermochte, konnte er dies ziemlich schnell, da er die Drei vor noch nicht einmal einer Minute zum ersten Mal sah.
„Tado, Spiffi, warum setzt ihr euch nicht?“, begann Kaher von Neuem und deutete auf einen kleinen, runden Tisch zur Rechten des Regierungsstuhls. Er kannte ihre Namen?
Regan drückte den beiden ihre Waffen in die Hand, während sie der Aufforderung nachkamen.
„Ihr müsst entschuldigen, der Palast wird gerade renoviert und für einen Thron fehlt uns im Moment das Material. Dann erzählt doch mal, wie ihr dazu kamt, diesen lebensgefährlichen und von vornherein keinen Erfolg versprechenden Versuch, euch in den Hort der Trolle und in die Hände des Lords des Feuers zu begeben, zu unternehmen?“
Dass diese Worte nicht besonders ermutigend waren, schien dem Goblinkönig nicht aufzufallen.
Wozu fragst du uns, wenn du alles über uns weißt?, fragte Tado in Gedanken. Als er aber weder telepatisch eine Antwort erhielt, noch eine Regung auf Kahers Gesicht wahrnahm, begann er widerwillig, in knappen Worten von seinem Auftrag und ihrer ersten Begegnung mit den unheimlichen Geschöpfen zu erzählen. Spiffi pflichtete ihm mit detailgenauen Schilderungen der Trolle bei.
„Das ist sehr interessant“, meinte der oberste Goblin schließlich. „Auch wir wurden schon oft von diesen Wesen angegriffen. Sie denken sich immer wieder die verschiedensten Verkleidungen aus, um unsere Wachen überlisten zu können.“ Er machte eine kurze Pause. „Solltet ihr noch einmal mit ihnen kämpfen, zielt auf den Hals oder Kopf. Verwundungen an anderen Stellen sind selbst bei Volltreffern nicht lebensgefährlich.“
„Ich würde gerne wissen, wann wir denn eigentlich wieder weiterziehen dürfen“, versuchte Tado den Redefluss des Goblins zu unterbrechen.
„Eine törichte Frage, Junge. Du solltest sie niemals stellen, wenn du dir nicht sicher bist, ob du als Gefangener oder Gast behandelt wirst. In solchen Fällen ist es sinnvoll...“ Tado verdrehte innerlich die Augen und hörte nicht weiter zu. Er hatte eine kurze Antwort erhofft und kein minutenlanges Geschwafel. Aber er wartete geduldig, bis der König zu Ende gesprochen hatte und stellte erneut seine Frage, die dieser zu beantworten vergaß: „Dürfen wir denn jetzt weiter oder nicht?“
„Aber natürlich dürft ihr das. Nur ist es bereits dunkel und die Schatten könnten zum Leben erwachen. Man kann nie wissen, wem man in einer sternenklaren, warmen, regenlosen Sommernacht so begegnet.“ Tado beschloss, die Sache mit den Schatten einfach zu ignorieren und sich nicht weiter unnötig den Kopf darüber zu zerbrechen.
„Also, was ist euch lieber: die Nacht draußen zu verbringen bei Troll und Tod oder hier drinnen bei Frieden und gutem Essen?“
Er atmete innerlich tief durch und ein kurzer Blick zu Regan sagte ihm, dass nicht nur er diese Worte so interpretierte, als wollte der Oberste der Goblins nichts mehr, als dass seine Gäste nicht ihren Weg fortsetzten. Er hatte trotzdem nicht vor, das Angebot anzunehmen. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, ergriff Spiffi das Wort: „Natürlich werden wir hier übernachten. Ich wüsste keinen Grund, warum wir diese nette Einladung abschlagen sollten.“
Diese Worte trafen Tado wie ein Eimer eiskaltes Wasser mitten ins Gesicht. Es dauerte noch etwa zehn Stunden bis zum Sonnenaufgang, und er würde es keine fünf Minuten mehr mit dieser kleinen Gestalt in einem Raum aushalten können, ohne unweigerlich den Verstand zu verlieren.
„Na das ist doch toll!“, freute sich Kaher. „Regan wird euch auf eure Zimmer führen.“
Wenigstens einmal war ihnen das Glück hold. Er musste keine Zeit mehr mit diesem grünen Wesen unter einem Dach verbringen. Zumindest trennten sie jetzt mehrere Wände. Plötzlich blieb Tado stehen. „Ein paar Fragen hätte ich da noch“, begann er.
„Woher wisst ihr all das über uns? Könnt ihr Gedanken lesen? Und dann...“ Er machte eine kurze Pause. „Was war das vorhin am Tor?“
„Also“, erwiderte Kaher lächelnd. „Gedanken lesen kann ich nicht.“ Sein Gesichtsausdruck wurde etwas ernster und sein Tonfall leiser: „Es ist das Gebirge. Die Felsen flüstern. So lautlos wie Schatten. Ich kann mit ihnen reden. Jeder, der diesen Berg passiert, gibt seine Geheimnisse ungewollt an das Gestein preis. Es lebt nicht, nicht wirklich zu mindest, aber es ist der beste Spion, die beste Wache. Niemand sonst versteht ihre Sprache. Am Eingangstor wart ihr unmittelbar an der Quelle der Verbindung zwischen mir und dem Fels und ihr vernahmt jene Laute.
Ich werde euch kurz den Mechanismus hinter der Steintür verraten: Legt man seine Hand auf den goldenen Stern am rechten Torflügel, spricht der Fels zu mir, dass jemand Eintritt ersucht und nennt mir dessen Absichten, Namen und alles, was ich wissen will. Ich antworte dann, natürlich in gleicher Sprache, sofern keine bösen Absichten vorliegen, dass ihnen der Zutritt gewährt sei. Und nur dann bewegt sich das meterdicke Gestein zur Seite und offenbart den Eingang.“
„Aber wenn der Fels lautlos spricht, warum haben wir dann etwas gehört?“, wunderte sich Spiffi.
„Da kein Lebewesen die Sprache so perfekt wie der Berg beherrscht, musste der Fels hörbar reden, damit ich es verstehe. Diese Gabe wird in der Königsfamilie von Generation zu Generation vererbt.“
Für einen Moment herrschte Stille. Nur das leise Atmen der vier Anwesenden war zu vernehmen.
Nach einigen unerträglichen Minuten des Schweigens sagte Regan endlich: „Ich zeige euch nun eure Zimmer.“
Tado war innerlich dankbar dafür, dass der Goblin die Totenstille gebrochen hatte.
Der Weg zu ihren Unterkünften führte sie aus dem Palast hinaus zu einer der grauen Kuppeln zur Linken, welche mehrere Fenster und Etagen aufwies. Regan steuerte, kaum durch die Eingangstür getreten, sofort die Wendeltreppe in der Mitte des Gebäudes an. Die Stufen waren abgenutzt und rutschig. Im obersten Geschoss angekommen, in dem sich - aufgrund des Platzmangels - nur vier Zimmer befanden, marschierte der Goblin auf das erstbeste zu und öffnete die kleine Tür. Mit einer Handbewegung bedeutete er Tado und Spiffi, einzutreten.
Der Raum hatte eine sich nach hinten weitende Fächerform, an den mit Bergen bemalten Seitenwänden standen zwei hart aussehende Betten, eines links und eines rechts, daneben je ein niedriger Tisch auf denen Schalen mit Obst niedergelegt waren. Des Weiteren befand sich nur noch ein kleines Fenster in der der Tür gegenüberliegenden Wand.
„Wir sind da“, sagte Regan nur und verließ auch gleich das Zimmer.
„Er ist nicht besonders gesprächig“, meinte Spiffi.
„Dafür redet dieser kleine König umso mehr“, erwiderte Tado, während er sich auf ein Bett - welches übrigens bequemer war, als es aussah - sinken ließ und in der gleichen Bewegung seinen Rucksack und die Axt ablegte, sowie nach einem Apfel griff. Spiffi hatte wesentlich mehr Schwierigkeiten, seinen großen Bogen irgendwo griffbereit unterzubringen, ohne dass dieser ihm ein Auge ausstach.
„Ich finde es komisch, dass sie uns hier so gut behandeln“, sagte Tado schließlich. „Regan hatte doch gesagt, dass wir keine Freundlichkeit erwarten sollen.“
„Ist doch egal“, meinte sein Gefährte. „Wenn sie zu uns freundlich sind, sollten wir uns lieber freuen, als es zu hinterfragen.“
Mit diesen Worten legte er sich schlafen und auch Tado fielen bald die Augen zu.