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Gefangen im Labyrinth

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Allo hatte ihn geweckt. Er brauchte einige Sekunden, um sich wieder in die Wirklichkeit einzufinden. Es musste früher Morgen sein.

Die Fackeln an der Decke brannten noch immer. Überrascht stellte der eben Erwachte fest, dass der Kobold seine lächerliche Augenbinde nicht mehr trug. Er hatte sich vermutlich an das Licht gewöhnt.

„Du musst jetzt aufstehen, wir haben einen langen Weg vor uns“, sagte er zu Tado, der sich mittlerweile umsah und feststellte, dass die anderen auch bereits wach waren.

„An eure augenverderbende Fackel habe ich mich ja inzwischen gewöhnt. Jetzt eilt euch“, sagte der Kobold immer wieder. Die Vier taten ihr Bestes, aber Allo ging es zu langsam. Schließlich gab er ihnen eine himmelblaue Flüssigkeit aus einem Glasbehälter zu trinken. Die Müdigkeit verschwand sofort. Auf die überraschten Blicke seiner Gäste erwiderte er nur: „Das ist Wasser von der Quelle, die der Troll bewachte.“

Der Goblinkönig betrachtete das Getränk ehrfürchtig. Tado bekam Allos Antwort nicht so recht mit und realisierte daher auch nicht, dass er gerade von einer der stärksten Magien gekostet hatte, die Gordonien beherbergte.

Wenige Minuten später verließen sie Allos Haus. Der Gang führte sie einige hundert Meter weit in ein anscheinend deckenloses Labyrinth, als sich die erste Abzweigung vor ihnen auftat.

„Nach rechts“, meinte Allo. Doch als die Vier seiner Aufforderung Folge leisten wollten, hielt er sie erschrocken zurück.

„Halt! Was macht ihr denn da?“

Sie sahen ihn verständnislos an.

„Ich habe ‚nach rechts’ gesagt. Und ihr geht einfach nach links.“

„Aber hier ist doch rechts“, sagte Tado verwirrt.

Der Kobold überlegte einen Moment.

„Na wie auch immer. Jedenfalls geht es da lang“, sagte er dann und deutete auf den linken Abzweig. So gingen sie einige Zeit, nach Tados Schätzung mussten es zwei Stunden sein, durch das Labyrinth, vorbei an einer Vielzahl von Gabelungen, bis sich ein Gefühl in ihnen ausbreitete, das sie nicht mehr los wurden.

Das Gefühl, beobachtet zu werden.

„Hier ist noch jemand“, sagte Regan leise. „Etwas. Irgendetwas beobachtet uns.“

„Ja. Die Schatten. Sie sind wachsam“, flüsterte Allo. Er sah sich beunruhigt um.

Die Vier hörten ein Geräusch und hielten an, um zu orten, aus welcher Richtung es kam.

„Was macht ihr denn da?“, rief der Kobold vorwurfsvoll. „Ihr dürft nicht stehen bleiben! Sonst kommt ihr hier nicht mehr weg.“

Tatsächlich schien es Tado, als durchbräche er eine leichte Barriere, während er zu Allo aufschloss, der nervös von einem Fuß auf den anderen trat. Auch die anderen folgten nur zögernd. Das unheimliche Gefühl verlor etwas an Intensität, als sie ihren Weg fortsetzten. Aber es verschwand nicht. Trotzdem stimmte diese Tatsache Tado etwas glücklicher. Auch die anderen waren nicht mehr ganz so angespannt. Allo jedoch schien dies zu beunruhigen: „Das ist nicht gut“, sagte er. „Sie sammeln sich. Offenbar passt es ihnen nicht, dass ihr ihnen entkommen seid.“

Zwei weitere Stunden verstrichen. Erste Anzeichen von Erschöpfung machten sich in ihnen breit. Der Mut sank. Sie sahen schon seit einem Sechstel des Tages nichts als Felswände. Essen mussten sie, während sie gingen.

Eine weitere Stunde neigte sich dem Ende. Schließlich fragte Tado, wie weit es noch sei, er bemühte sich, seiner Stimme dabei einen nicht ganz so jammernden Klang zu geben.

Die Antwort ließ ihn vor Enttäuschung beinahe aufschreien: „Also gleich haben wir die Hälfte hinter uns.“

Auch die anderen waren niedergeschlagen. Noch fünf Stunden in diesen Felsengängen!

Nur die Tatsache, dass sie einen Führer hatten (welcher offenbar nicht die geringste Müdigkeit verspürte), der sich hier auskannte, ließ ihn nicht verzweifeln. Dennoch hielt es Tado kaum noch aus. Die Beine waren schwer wie Blei. Allerdings schien er nicht der einzige zu sein, dem es so ging, und er war auch nicht der erste, der zusammenbrach. Spiffi lehnte sich nach einer weiteren Stunde erschöpft an eine Wand. Zum großen Entsetzen Allos taten es ihm die anderen gleich. Den Kobold überkam leichte Panik. Ein dumpfes Gefühl von Schwere breitete sich in ihnen aus. Sie konnten sich nicht bewegen. Nur Allo hüpfte weiterhin hin und her.

Und dann kamen sie.

Im Licht der Fackel erschien an der Wand plötzlich ein Schatten, schwärzer als jedes Schwarz. Er formte sich einige Sekunden lang, ließ die bizarrsten Figuren entstehen und nahm schließlich Gestalt hunderter Libellen an. Der Kobold prallte entsetzt zurück und stieß gegen Regan. Dieser erwachte aus der Lähmung und war im Stande, sich zu bewegen. Sein Morgenstern (den er plötzlich wieder in der Hand hielt) wütete verheerend, während Allo die anderen aus ihrer Starre befreite. Tado griff nach der Fackel. Die Libellen hatten inzwischen herausgefunden, wie sie Regans Waffe ausweichen konnten, und versuchten nun, ihrerseits anzugreifen. Sie setzten sich auf seine Arme, wurden zu formlosen Schatten, die ihn bei jeder Bewegung behinderten.

Tado zündete eines der herumfliegenden Wesen an. Dieses begann, wie wild durch die stickige Luft zu gleiten und steckte den Hauptteil seiner Artgenossen an, welche tot zu Boden fielen.

Die wenigen Libellen an Regans Körper ließen von ihm ab und flatterten davon. Jedoch hatten sie dort, wo sie ihn berührten, blutende Wunden hinterlassen.

„Seht ihr jetzt, warum ich euch davon abhalten wollte, stehen zu bleiben?“, fragte Allo vorwurfsvoll, aber auch mit einer nicht zu überhörenden Spur von Triumph in der Stimme.

Sie setzten ihren Weg ohne weitere Pause fort, selbst der verwundete Regan (dessen Waffe übrigens wieder verschwunden war). Unterwegs begegneten sie einigen Labyrinthspinnen und einigen Höhlenkäfern, die Allo natürlich ordnungsgemäß einfing. Zwei weitere Stunden verstrichen.

Tado verdrängte die Erschöpfung einfach, die sich wieder in ihm ausbreiten wollte und fragte Regan etwas, das er schon lange wissen wollte: „Welcher Zauber lässt dich deine Waffe eigentlich jederzeit materialisieren?“

Der Goblin sah ihn einen Moment lang an. „Es ist interessant, dass es dir aufgefallen ist. Viele bemerken diese Art der Magie gar nicht. Es ist ein einzigartiger Zauber, der von dem Volk der Goblins entwickelt und perfektioniert wurde. Dabei handelt es sich um eine Art Bündnis, das man mit seiner Waffe eingeht. Die gesamte Zeremonie zu erläutern würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen, aber nachdem dieses Ritual durchgeführt wurde, ist man in der Lage, die Waffe an jedem beliebigen Ort erscheinen und auch wieder verschwinden zu lassen. Dieser Zauber ist jedoch nur auf einen einzigen Gegenstand anwendbar, auch wenn dieser zerstört werden sollte, ist das Ritual nicht erneut durchführbar. Es gibt nur wenige Goblins, die diese Fähigkeit besitzen, und außerhalb unseres Volkes beherrscht sie niemand.“

Tado war erstaunt. So eine Fähigkeit hätte er auch gerne gehabt. Er beschloss, bei der nächsten Gelegenheit einmal zu fragen, ob nicht auch er dieses Ritual durchführen könne. Erst einmal galt es jedoch, aus diesem Labyrinth herauszukommen. Nach dem Zwischenfall mit den Libellen schritten sie nun schneller aus und kamen - Tados Gefühl nach - recht gut voran. Sie passierten unzählige Gabelungen und Kreuzungen, mal fiel der Gang sacht ab, dann stieg er wieder ein Stück an.

Eine weitere Stunde verstrich. Schließlich begannen sich Mutlosigkeit und Hunger in den fünf Wanderern auszubreiten. Gegen Letzteres konnten sie etwas unternehmen, in dem sie im Gehen Teile ihres Proviants verspeisten.

Irgendwann führte der Gang in spitzem Winkel nach rechts. Doch als sie um die Ecke bogen, blieb der Kobold, der selbstverständlich ihre Führung übernommen hatte, so abrupt stehen, dass Tado noch zwei Schritte weiterging, ehe er dies überhaupt bemerkte. Aus seinen Gedanken gerissen, blickte er sich nach dem Grund für das plötzliche Anhalten um. Der Gang sah aus wie immer: gemauert und absolut symmetrisch führte er schnurgerade weiter - und endete ungefähr zehn Schritte entfernt vor einer Wand. Sein Herz machte einen überraschten Sprung, der beinahe schon wehtat. Fassungslos blickte er das aus übereinander gestapelten Steinen bestehende Ende des Tunnels an. Sollte etwa der ganze Weg bis hierher umsonst gewesen sein?

Er war der Verzweiflung nahe. Sekunden der Fassungslosigkeit verstrichen. Mit einem wütenden Aufschrei warf er sich gegen die Wand. Der Aufprall war nicht so hart, wie er befürchtet hatte. Sondern härter. Er glitt einfach durch die Wand hindurch und flog auf der anderen Seite ungebremst und völlig überrascht auf spiegelglatten Boden. Die Tatsache, dass er sich nicht mehr auf dem gewohnten Fels befand, ignorierte er im Moment einfach und sah zu der Wand, durch die er eben hindurchgerauscht war. Eine Hand tauchte wie aus dem Nichts auf, wurde zum Arm und schließlich trat Spiffi vollends durch die Mauer. Kaher und Regan folgten ihm. Nach kurzem Zögern erschien auch Allo.

„Mir scheint, etwas trübt meine Sinne oder sind wir eben tatsächlich durch eine Mauer gegangen?“, fragte der Goblinkönig mehr zu sich selbst.

„Ich denke schon“, antwortete der Kobold, „Allerdings konnte ich mich nicht erinnern, jemals zuvor an diese Stelle gekommen zu sein“

Tados Schulter schmerzte vom Aufprall, als hätte er sich damit in glühende Kohlen gelegt. Trotzdem sah er sich um. Der Gang, indem sie sich jetzt befanden, besaß die gleichen gemauerten Wände wie der Rest des Labyrinths. Der Boden aber war mit faustgroßen, blankpolierten, bunten Steinen gepflastert, glatt und absolut ebenmäßig. Der Anblick versetzte Tado in Staunen. Auf eine Frage an Allo, was das für Steine seien, antwortete er nur mit: „Ich glaube, ihr nennt es Edelsteine.“ Kaher, der den Satz mitbekommen hatte, wurde nun hellhörig: „Wenn das wirklich alles Edelsteine sind, dann liegen hier unvorstellbare Werte einfach so herum!“ Fast ein bisschen wehmütig betrachtete er das glitzernde Pflaster.

„Und was nützen euch diese Steine?“, fragte Allo schließlich. Kaher war so perplex über die Frage, dass er ihn nur verständnislos ansah. Der Kobold fuhr fort: „Ich meine, sie haben doch keinen praktischen Nutzen.“

„Aber bei uns werden sie auch als Zahlungsmittel benutzt, und mit dieser Menge“, er machte eine weit ausholende Geste und schlug Spiffi dabei gegen die Nase, „hätten Generationen ausgesorgt.“

Der Kobold teilte die Euphorie des Goblinkönigs offensichtlich nicht im Geringsten, denn er schüttelte nur den Kopf und ging weiter. Nach kurzem Zögern folgten ihm die anderen. Der Gang schien sich endlos weit dahinzuziehen. Ihre Schritte schlugen unheimliche Echos aus dem Pflaster, die weit in den Gang hineinhallten.

Nach einer halben Stunde Fußmarsch kamen sie an einen aus gläsernen Steinen gemauerten Brunnen. Darin befand sich trotz des roten Scheins der Fackel hellblau schimmerndes Wasser. Tado schöpfte eine handvoll und trank. Die Schmerzen in der Schulter verschwanden urplötzlich und einige kleine Schrammen, die er sich bei seiner Stolpertour durch die Wand zugezogen hatte, schlossen sich vor seinen Augen.

„Das muss Wasser von der Quelle des Lebens sein!“, rief Regan aufgeregt. Allo nickte nur: „Vor langer Zeit legten einige Kobolde, Vorfahren meines Volkes, diese Stätte hier tief im Innern des Labyrinths an. Ich hielt es immer für eine Legende.“

Während Kaher immer noch fasziniert den Boden betrachtete, holte Spiffi seine mittlerweile leere Wasserflasche aus dem Rucksack und tauchte sie in das Wasser. Sie blieb leer.

„Ich sagte euch doch, dass man das Wasser nur mit besonderen Gefäßen transportieren kann“, erwiderte Kaher daraufhin.

„So etwas wie das hier vielleicht?“, fragte Regan, der einmal um den Brunnen herumgelaufen war und mit einer Vielzahl von Behältern aus einem Tado unbekannten Material in den Armen wiederkam. Nachdem der Goblin alles abgestellt hatte, nahm er sich eines der flaschenförmigen Objekte und tauchte es in das Wasser. Diesmal blieb es nicht leer, sondern füllte sich bis oben hin. Regan schloss den Behälter mit einer Art Korken. Tado und die anderen taten es ihm gleich. Mit diesem Wasser würde es eine Leichtigkeit sein, stundenlang unermüdlich durch endlose Gänge zu marschieren, ohne je pausieren zu müssen.

Eine ganze Weile besahen sie sich noch den Brunnen und den Fußboden aus Edelsteinen, ehe sie sich von dem Anblick losrissen, um ihren Marsch durch den gemauerten Gang weiter fortzusetzen, der eine gute halbe Stunde geradeaus führte, ehe er einen sanften Bogen nach rechts beschrieb. An deren Ende wurde der Boden uneben, und Tado begann, etwas zu spüren: Das beängstigende Gefühl fremder Präsenz erfüllte ihn von Neuem, doch auf eine andere art als vorhin. Ein eisiger Blick schien ihn zu treffen, der sich wie ein kalter Schatten über den Sinnen ausbreitete und einen einzigen Gedanken immer stärker werden ließ: Gefahr. Doch bevor die Panik, die aus dem Gespürten und Gedachten hervorging, endgültig seine Sinne einhüllte und ihn einfach zum Weglaufen zwang, wurde Tado plötzlich aus seinen Überlegungen gerissen, als jemand seinen Namen rief. Es kostete ihn große Mühe, den Kopf zu drehen, um zu Spiffi zu blicken, dessen Worte ihn im allerletzten Moment davor bewahrt hatten, sich ziemlich schmerzhaft den Kopf an einer jäh aufragenden Wand zu stoßen.

„Du wärst eben beinahe gegen die Mauer gelaufen“, meinte sein Retter verwundert. „Ist dir schlecht oder so?“

Tado musste sich ein Grinsen verkneifen.

„Nein, ich... hatte eben nur so ein komisches Gefühl“, sagte er schließlich ausweichend. Er zog es vor, Spiffi lieber nicht zu erzählen, was für ein Gefühl das war, vermutlich wäre dieser sofort in Panik verfallen. Stattdessen besah er sich die vor ihnen liegende Wand. Sie sah so aus wie der Rest des Labyrinths. Allerdings war in ihr eine mannshohe Öffnung eingelassen, die von schweren Holzbohlen versperrt wurde. Tado klopfte prüfend gegen die Tür, die prompt mit einem Ächzen und einem sonderbar hohlen Geräusch antwortete, welches verriet, dass das Holz ungefähr zehn Holzwurmfamilien als Wohnstätte dienen musste, während Kaher einen wahrlich gigantischen Schlüssel von einem Haken nahm, der seitlich des versperrten Durchganges angebracht war, steckte ihn ins Schloss und drehte das völlig verrostete Kleinod im wahrscheinlich noch mehr verrosteten Schloss. Nichts. Die Tür bewegte sich keinen Millimeter. Auch als der Goblinkönig wie verrückt am Griff zerrte, gab das rotbräunlich zerfressene Metall nur ein beleidigtes Quietschen von sich, ehe es einfach abbrach. Kaher blickte verdutzt auf das Etwas in seiner Hand, das einmal ein Türgriff gewesen war, während Allo und Spiffi ihn beinahe entsetzt ansahen.

Währenddessen hatte Tado einige Schritte Anlauf genommen und blickte nun starr auf die Tür. Regan sah ihm misstrauisch zu. Schließlich rannte er auf den Ausgang zu und warf sich mit der Schulter gegen die Bretter. Zumindest wollte er das, doch kurz vor dem Aufprall begannen die Angeln plötzlich zu quietschen, während sich mit einem Ruck die Holzbohlen nach außen drehten und Tado wieder einmal unsanft und mit einem beunruhigend knirschenden Geräusch in den Schultern auf dem nackten Labyrinthboden aufschlug. Spiffi sah verwundert von der offenen Tür zu Tado und wieder zurück, während Regan mit einem spöttischen Lächeln an ihm vorbei trat. Als auch die anderen den Durchgang durchschritten hatten, schloss sich das Tor wie auf magische Weise (und mit einem in den Ohren schmerzenden Quietschen) wieder.

Danach war es still. Sie befanden sich in einem Gang, der vermutlich seit Jahrhunderten nicht mehr betreten wurde. Auf dem Boden lag zentimeterdicker Staub und die Luft roch modrig und verbraucht. Die wenigen sichtbaren Mauerflecken, die nicht von Schmutz und Spinnenweben übersät waren, glichen dem hinter ihnen liegenden Labyrinth allerdings wieder wie ein Ei dem anderen. Schließlich brach Spiffi das langsam unangenehm werdende Schweigen mit einer sinnlosen Frage: „Wo sind wir?“

Er hatte nicht wirklich eine Antwort erwartet, doch er bekam sie - wenn auch von jemandem, von dem er es am wenigsten erwartete. „Ihr seid in meiner Gefangenschaft!“, dröhnte eine unwirklich widerhallende Stimme aus einer nicht zu ortenden Richtung. Plötzlich griff eine kalte Hand von hinten nach Tados Schulter und er spürte die scharfe, metallene Klinge eines großen Messers an seinem Hals. Die Kreatur, die ihn festhielt, trat nur soweit aus dem Schatten heraus, dass ihr Gesicht unkenntlich blieb. „Eine falsche Bewegung und euer Freund büßt seinen Kopf ein!“, raunte das Etwas. „Ihr werdet euch jetzt alle schön...“

Weiter kam er nicht. Tado hatte mit seiner freien Hand den Messergriff von seiner Kehle wegbefördert und dem Unbekannten gleichzeitig einen saftigen Stoß mit dem Ellbogen in die Magenkuhle gegeben, sich blitzschnell umgedreht und ihm mit seiner Faust unters Kinn geschlagen, sodass einige seiner Zähne abbrachen. Das Etwas sank unter einem halb enttäuschten, halb schmerzvollen Schrei zusammen, machte aber noch Anstalten, Tado mit dem riesigen Messer zu erstechen, sodass dieser sich gezwungen sah, ihm noch einen zweiten und dritten Fausthieb zu verpassen, unter dem wahrscheinlich sämtliche übrig gebliebenen Zähne zerschmettert wurden. Als es schließlich vollends zu Boden sank, und er einige Schritte zurückwich, sah er, dass es weder ein Mensch noch ein anderes ihm bekannten Wesen war.

Spiffi, Allo und die beiden Goblins hatten ihm entgeistert zugesehen und fanden ihre Fassung erst wieder, als ihr Angreifer nach einigen Sekunden zu sich kam. Er spuckte auf den Boden, wobei das, was er dort auswarf, hörbar klimperte. Als er hochsah und Tado erblickte, stieß er einen erschrockenen Laut aus und huschte in der Dunkelheit des verstaubten Ganges vor ihnen davon. Sie bekamen es nie wieder zu Gesicht.

„Was war denn das?“, fragte Kaher entsetzt und sprach damit genau das aus, was jeder von ihnen in diesem Moment dachte.

„Vermutlich eine wahnsinnige, verlorene Seele in der ewigen Dunkelheit des Labyrinths.“, antwortete Allo nach einigen Sekunden des Zögerns. „Ein verirrter Wanderer, der seinen Verstand langsam zu verlieren beginnt“, fügte er hinzu, als er die entsetzten Blicke der anderen gewahrte. „Wir sollten jetzt weitergehen, ehe uns ein ähnliches Schicksal ereilt“, fuhr er dann mit veränderter Stimme fort.

Die Fünf setzten sich erneut in Bewegung und folgten dem Gang eine weitere halbe Stunde. Die Spinnenweben und der Staub nahmen sogar noch mehr zu (was Tado schon auf der Hälfte der Strecke für unmöglich gehalten hatte), je tiefer sie in das Labyrinth eindrangen. Schließlich kamen sie an eine Stelle, an der das Staubgeflecht sich über die gesamte Breite des Tunnels erstreckte und sie sich mühsam einen Weg bahnen mussten, sodass Tado und die anderen bald von einer grauen Schicht Staub und klebrigen Fäden bedeckt waren. Doch nach ungefähr zweihundert Metern lichteten sich die Weben und die Fünf drangen nicht mehr knöcheltief in Staub und Schmutz. Auch die Wände wurden nun langsam wieder sichtbar. Einmal begegnete ihnen sogar ein Höhlenkäfer einer, wie Allo behauptete, besonders seltenen, und, wie Tado in Gedanken hinzufügte, auch besonders großen Art.

Trotzdem ließ es sich der Kobold nicht nehmen, ihn einzufangen, um ihn zu rösten und in Honig zu backen. Der Gedanke löste einen leichten Brechreiz in Tado aus. Doch bevor sich der Ekel in ihm weiter manifestieren konnte, blieb Allo erneut stehen und deutete auf einige Stacheln an der Decke des Tunnels. „Wir haben es gleich geschafft“, sagte er schließlich. „Das sind Fledermäuse. Sie nisten nie weit vom Ausgang entfernt, auch wenn dies hier ihr Lebensraum ist und sie ihn niemals verlassen.“

Hoffnung machte sich in Tado breit. Vielleicht würden sie es ja doch noch schaffen, aus diesem endlosen Labyrinth herauszukommen. Der Gang verengte sich vor ihnen, sodass sie nun alle hintereinander gehen mussten. Als sie an einer Abzweigung vorbeikamen, stellte Allo fest, dass dies der Weg sein musste, den er bisher normalerweise immer gegangen war und gab gleichzeitig zu, seit dem geheimnisvollen Gang mit dem Edelsteinpflaster nicht mehr zu wissen, wo sie sich eigentlich überhaupt befanden. Dies beunruhigte Tado nicht wenig, versetzte ihn jedoch ebenso wenig in Panik, da sie sich nun offenbar wieder auf dem richtigen Weg einher schritten.

Regan nutzte die Gelegenheit, um Allo zu fragen, wohin der Ausgang führte. Der Kobold schien mal wieder etwas verwirrt, offensichtlich hatte er nicht mit einer solchen Frage gerechnet, denn er antwortete mit einigen Sekunden Verspätung und mit merklichem Zögern: „Das weiß man nicht. Am Ende ist eine Tür, doch niemand ist je durch diese gegangen und ich werde es auch nicht tun. Vielleicht kommt ihr direkt an die frische Luft, vielleicht gelangt ihr aber auch in einen viel schrecklicheren Teil des Labyrinths. Wie auch immer, von dort an seid ihr auf euch allein gestellt.“ Diese Antwort schien dem Goblin nicht so zu gefallen, doch bevor er etwas erwidern konnte, verbreiterte sich der Gang wieder und gab den Blick auf eine schwere Holztür frei.

„Endlich!“, rief Tado erfreut und lief auf die Tür zu. Die anderen folgten ihm. Doch natürlich war der Ausgang verschlossen und natürlich fand sich nirgends ein Schlüssel.

Alle blickten erwartungsvoll zu Tado. Dieser machte nur ein erschrockenes Gesicht.

„Nein“, sagte er. „Ich bin schon durch zu viele Türen und Wände gefallen, als dass ich es noch mal tun würde.“

Doch es half nichts. Er musste versuchen, die Tür aufzubrechen, da sie für einen gemeinsamen Versuch zu schmal war, Spiffi sich denkbar ungeschickt darin anstellte und die Goblins sowie Allo eine zu geringe Größe besaßen. Also nahm Tado Anlauf und sprang mit der Schulter zuerst gegen die Tür. Er stellte sich von vornherein auf einen unsanften Aufprall auf Stein vor. Doch diesmal stieß er dafür umso wuchtiger gegen die Holzbohlen, die hörbar ächzten, während die Angeln durchbrachen und Tado mit samt der Tür in den dahinterliegenden Raum kippte und sich schmerzhaft den Kopf stieß. Er blieb nur eine Weile benommen liegen, bevor er schließlich aufstand und sich herumdrehte, um die spöttischen Blicke und Bemerkungen seiner Weggefährten entgegenzunehmen.

Immerhin war die Tür offen. Allo verabschiedete sich jetzt von den anderen und verschwand im Schatten des Labyrinths, während die beiden Goblins und Spiffi durch den eben erschaffenen Durchgang traten. Sie befanden sich am Fuße einer Treppe, die in steilem Winkel in die Höhe führte. Nach endlosen Stufen schließlich standen sie vor einer Felswand, in der die schwachen Umrisse einer Geheimtür zu sehen waren.

Die Herren von Telkor - Die Trollhöhle

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