Читать книгу Good Morning Dornröschen - Daniela Kögler - Страница 7
Realität! Bitte aussteigen!
ОглавлениеMir bleibt keine Wahl. Ich folge dem Polizisten aufs Revier. Dort angekommen muss ich erst einmal im Gang Platz neh men. Während dieser kurzen Wartezeit gehen bestimmt drei Junkies, zwei Schlägerkids und eine Prostituierte an mir vor-bei. Wenig später sitze ich im Polizeibüro, wo der zuständige Beamte versucht, den vermeintlichen Diebstahl mit versuchter Flucht aufzuklären.
»Ich kann Sie durchaus verstehen. Das muss ja doch et-was seltsam auf Sie gewirkt haben, dass ich geflohen bin. Ich bin Schauspielschülerin und wir üben zur Zeit ›Angst und Flucht‹. Wissen Sie, ich wollte eigentlich nur meine Hausauf-gaben machen. Es tut mir sehr leid, dass ich Ihre Zeit gestoh-len habe! Aber was anderes mit Sicherheit nicht!« Ich komme mir zwar sehr dumm, aber durchaus clever vor. Mein selbst-bewusstes Lächeln scheint Wirkung zu zeigen. Er untersucht meine Tasche und schaut mich dabei skeptisch an: »Und wieso haben Sie das nicht gleich gesagt? Wo kämen wir denn hin, wenn jeder Schauspieler diverse Szenen mitten in der Stadt übt? Was machen Sie denn morgen? Eine Überfallsze-ne? Oder dann doch mal einen richtigen Diebstahl?« Er wirkt nun genervt und ein wenig gelangweilt von meinen ›Spiel-chen‹.
Okay, ich kann den armen Polizisten ja sogar verstehen. Und er hat Recht. So wie heute habe ich mich selbst noch nie erlebt. Das ist eine ganz neue Seite an mir. Dass ich mich so in eine Rolle versetzen könnte, dass ich gar nicht mitbekom-me, wo ich bin und was ich tue . . . also, ein wenig stolz bin ich schon auf mich!
Warum? Na ja, ich bin aus mir rausgegangen. Ich habe heu-te meine Schamgrenze überwunden und mir keine Gedanken gemacht, was die anderen Passanten denken könnten. Und das, oh ja, das ist eine Genugtuung! Der Polizist ist noch immer leicht irritiert, dennoch hat er ein Einsehen: »Gut, Sie dürfen gehen. Anscheinend haben Sie ja wirklich nichts mit-gehen lassen. Es passiert nun mal nicht so oft, dass junge Frauen heulend und fluchtartig durch die Stadt rennen. Sollen wir Sie noch nach Hause fahren?«
Wieso ist er denn jetzt auf einmal so hilfsbereit? Ich über-lege kurz: »Nach Hause? Nein danke, ich wohne nicht weit von hier.«
Fast ein wenig enttäuscht verlasse ich das Polizeigebäude und stehe zum ersten Mal an diesem Tag etwas planlos in der Abenddämmerung herum.
Nach Hause! Dieses Wort muss ich vorerst aus meinem Wortschatz streichen. Dafür benutze ich jetzt neue Begriffe wie Freiheit, Ungebundenheit und unbeschreibliche Ausgegli-chenheit. Ich muss schmunzeln. Die erste Szene meines ganz persönlichen Films ist im Kasten. Und die Polizei hat mir das Schauspiel abgekauft. Mann, ich muss wirklich sehr authen-tisch gewesen sein.