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300000 Superreiche lenken das Imperium
Оглавление»Die heutige Ungleichheit ist nahezu beispiellos«, protestierte im Jahre 2019 Noam Chomsky, einer der einflussreichsten Intellektuellen der Vereinigten Staaten, der viele Jahre am Massachusetts Institute of Technologiy (MIT) in Boston lehrte. Über Jahrzehnte hat die Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik in den USA darin bestanden, den Reichen Vorteile zu verschaffen. Dieses Prinzip hat die Politik dominiert. Daher konzentriert sich heute die wirkliche Macht »in einem Bruchteil von einem Prozent der Bevölkerung«, so Chomsky. Diese »Superreichen«, wie Noam Chomsky sie nennt, lenken das Imperium. »Sie bekommen einfach, was sie wollen, sie bestimmen im Grunde, was läuft.«48
Diese Einschätzung deckt sich mit den Resultaten von anderen US-Forschern. Gemäß dem Politologen Jeffrey Winters, der an der Northwestern University in Illinois lehrt, steuern die Superreichen mit ihrem Geld die Politik und die Medien in den USA. Zu den Superreichen gehören gemäß Winters nur ein Zehntel von einem Prozent der US-Bevölkerung, also 300000 Menschen. Diese Superreichen sitzen entweder selbst im Weißen Haus und im Parlament, das in den USA aus Senat und Repräsentantenhaus besteht und als Kongress bezeichnet wird. Oder sie können dort anrufen, ein Treffen mit dem Präsidenten oder Senator arrangieren und ihre Wünsche einbringen, was die Armen nicht können. Die Superreichen können einen Teil ihres Geldes in Politik, Medien und Think Tanks investieren, was für arme US-Amerikaner undenkbar ist. »Es ist nicht mehr plausibel (wenn es das überhaupt je war) zu argumentieren, dass die Politik in den USA durch die Bevölkerung auf demokratische Weise gesteuert wird, wobei jeder Bürger eine gleichstarke Stimme hat«, erklärt Winters. »Reichtum und Einkommen spielen eine zentrale Rolle.«49
In der Innenpolitik haben die Vertreter der Superreichen wiederholt die Steuern für die Reichsten gesenkt oder Schlupflöcher kreiert. Es kümmert die Superreichen nicht, wenn der Staat immense Schulden anhäuft, die er nicht zurückbezahlen kann, solange ihr Vermögen nicht gefährdet ist. Während der Finanzkrise von 2008, als die Lehman Brothers Bank pleite ging, hat der Staat im Sinne der Superreichen interveniert und Milliarden von Dollars zur Rettung von Banken und Investoren ausgegeben, was die Staatsverschuldung in die Höhe trieb. Doch Hausbesitzern aus der Mittelklasse wurde nicht geholfen, was in einer Oligarchie nicht anders zu erwarten ist. Auch wenn ein Unternehmer aus der Mittelschicht mit seiner Firma pleite geht, hilft ihm der Staat nicht. Nur die Superreichen können auf die Hilfe des Staates zählen, wenn ihre Investitionen leiden, weil sie die Schlüsselstellen des Staates kontrollieren.
In der Außenpolitik haben sich die Superreichen Absatzmärkte für US-Produkte und Zugang zu billigen Rohstoffen und Arbeitskräften gesichert. Wenn das US-Imperium in einem fremden Land die Regierung stürzt, stehen dahinter die Interessen der 300000 Superreichen und ihrer Konzerne, welche sprichwörtlich über Leichen gehen, um ihre Profite zu sichern. Es ging in der US-Außenpolitik nie um Demokratie, Freiheit oder Menschenrechte. Krieg dient der Wirtschaft und befriedigt die Gier der Superreichen. US-Regierungen haben darauf hingearbeitet, den Zugang zu Erdöl- und Erdgasquellen und anderen Rohstoffen zu sichern, Rivalen zu schwächen und Absatzmärkte für die Produkte der US-Konzerne zu eröffnen. Die imperiale Macht dient dem Geldadel. Eine Kritik am US-Imperialismus richtet sich daher nicht an die armen Menschen in den USA, die auf Parkbänken übernachten, sondern an die Superreichen.
Diese Zusammenhänge sind auch in den USA bekannt. »Durch das ganze zwanzigste Jahrhundert und bis in den Anfang des einundzwanzigsten hinein haben die Vereinigten Staaten immer wieder die Macht ihrer Streitkräfte und ihrer Geheimdienste eingesetzt, um Regierungen zu stürzen, die den amerikanischen Interessen ihren Schutz verweigerten«, erklärt US-Journalist Stephen Kinzer. »Jedes Mal bemäntelten sie ihre Einmischung mit dem schönfärberischen Hinweis auf Sicherheitsbedürfnisse der Nation und den Kampf für die Freiheit. In den meisten Fällen indes lagen ihren Aktionen hauptsächlich ökonomische Motive zugrunde – vor allem der Anspruch, amerikanische Geschäftsinteressen rund um die Welt zu untermauern, zu befördern und zu verteidigen und jede Störung von ihnen fernzuhalten.«50
Auch der US-Soziologe Peter Phillips, der an der Sonoma State University in Kalifornien unterrichtet hat, kommt in seiner Forschung zu dem Schluss, dass die Superreichen in den USA die Medien, die Regierung und das Militär kontrollieren. Die Militärallianz NATO, der auch Deutschland, Frankreich, Großbritannien und andere europäische Länder angehören, ist gemäß dem Soziologen Phillips nur ein Instrument, um die Investitionen der Superreichen zu schützen. Krieg ist ein Geschäft, und durch den Verkauf von Kriegsmaterial können besonders hohe Renditen erzielt werden. Das primäre Ziel der Superreichen besteht darin, stets eine Rendite von 3 bis 10 Prozent oder mehr auf ihre Investitionen zu erzielen, egal welcher Schaden dabei für die Gesellschaft entsteht, erklärt Phillips. Die Superreichen investieren weltweit in alles, was die angestrebte Rendite bringt, darunter Agrarland, Erdöl, Immobilien, Informationstechnologie, Gentechnologie, Kriegsindustrie und Tabak.51
Für ihre Investitionen nutzen die Superreichen Banken und Investitionsfirmen wie Black Rock, Barclays Bank, JPMorgan Chase und Goldman Sachs, welche den Superreichen helfen, ihren Reichtum zu vergrößern. Die Superreichen teilen den Glauben, dass der Kapitalismus nicht nur gut für sie selbst, sondern auch für die Entwicklung der ganzen Welt sei. Fehlentwicklungen wie Umweltzerstörung, Ausbeutung und Krieg werden zwar auch von den Superreichen registriert, spielen aber für die Investitionsentscheide nur eine sekundäre Rolle, weil primär die Rendite auf das eingesetzte Kapital zählt. »Diese Konzentration von Reichtum hat zu einer Krise der Menschheit geführt. Armut, Krieg, Hunger, Entfremdung, Medienpropaganda und Umweltzerstörung sind derart stark angestiegen, dass dadurch das Überleben der Spezies Mensch gefährdet wird«, warnt der Soziologe Phillips.52
Immer mehr Menschen verstehen, dass es bei der imperialen Politik nie um Werte geht, sondern immer nur um Macht und wirtschaftliche Interessen. Dies trifft auch auf den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu. Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler hatte 2010 gewagt, dies offen auszusprechen. Auf dem Rückflug von einem Bundeswehr-Besuch in Afghanistan sagte er in einem Interview, ein Land wie Deutschland, »mit dieser Außenhandelsorientierung«, müsse wissen, dass »im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren«. Diese Aussage kostete ihn sein Amt. »Er sprach aus, was andere westliche Politiker täglich denken und praktizieren«, so der deutsche Journalist Jürgen Todenhöfer. Der Bundespräsident verstieß gegen das eiserne »Heuchelei-Gebot«, erklärt Todenhöfer, das seit langem Grundkonsens der westlichen Zivilisation ist: Stets an die eigenen Interessen denken, nie davon reden! Anstatt von »Interessen« und »Außenhandelsorientierung« hätte Köhler einfach von »Werten« sprechen müssen. Dann wäre er Bundespräsident geblieben, glaubt Todenhöfer. »Egal, ob Amerikaner oder Europäer, stets ging es ihnen um Macht, Märkte und Geld. Um ihren Wohlstand, ihre sozialen Errungenschaften, ihre Freiheit. Nie um die Freiheit der anderen.«53
In den USA werben die Superreichen gut ausgebildete Menschen aus der oberen Mittelschicht an, die gegen Bezahlung die Interessen der Superreichen öffentlich vertreten und verteidigen. In modernen Gesellschaften finden sich diese Akteure in den Medien, Stiftungen, Think Tanks, Anwaltskanzleien, Beratungsfirmen und Lobbys. Die Armen können jedoch nicht in Politiker, Anwälte, Journalisten und Lobbys investieren. Es ist für diese Bevölkerungsgruppe nicht möglich, von ihrem Einkommen einen Teil abzuzweigen und damit Politik zu machen. »Es gibt keinen Zweifel daran«, kommentiert der Politologe Jeffrey Winters, »dass die reichsten US-Haushalte über enormen Reichtum verfügen, mit dem sie die Politik beinflussen können, während die meisten Amerikaner das nicht können.« Politik ist in den USA zu einem Privileg der Reichen geworden.54