Читать книгу SIE FINDEN DICH. - Dankmar H. Isleib - Страница 4

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I

Franco war dem Verzweifeln nahe. In jeder Minute verdoppelte sich die Zahl der Toten.

Erschreckend.

Die Meldungen überschlugen sich; die Netze der großen Webhosting-Betreiber und deren Internet-Backbones – von AT&T, Orange, Tata Communications, Telefónica, Hurricane Electrics und vielen anderen der IT-Riesen – waren weltweit zusammengebrochen.

Die Erde im Schockzustand.

Keiner ging mehr einer Arbeit nach. Weder in New York noch in Moskau, schon gar nicht in Mumbai, Berlin oder London. 9/11 war eine relativ unbedeutende, von Geheimdiensten und Politikern im Auftrag der Herrscherclique – manche nennen sie auch Illuminaten – geplante und durchgeführte Mahnung an die dummen Menschen, sich vom bösen Islam fernzuhalten. Und vor allem ihm die Schuld für den ‚Anschlag‘ zu geben. Wie unsäglich beschränkt die Bosse der Bosse sind, zeigt sich daran, dass ihre Firmen immer mehr Waffen an Saudi Arabien, den Irak, Syrien und andere Länder des Nahen Ostens verkaufen.

Perverse Welt, ging es Franco durch den Kopf. Alles verdreht. Und ich weiß nicht weiter. Lappalien?

Stimmt.

Mehr nicht, gemessen an dem, was sich gerade in Indien abspielte und nicht nur dort: Eine Pandemie unfassbaren Ausmaßes hatte die Welt erreicht. Die Pestepidemie in Europa hatte in den Jahren 1347 bis 1353 ein Drittel der Bevölkerung des damals bevölkerungsreichsten Kontinents ausgerottet.

Das heißt, in sechs Jahren 25 Millionen Menschen.

In sechs Jahren.

Pandemie.

Jetzt waren es schon vierhundert Millionen.

Tot.

Vierhundert Millionen. Mindestens.

In weniger als einer Woche!

Unvorstellbar?

Ja.

Weltweit berichteten über eintausend Fernsehsender rund um die Uhr von dem unfassbaren Ereignis. Binnen drei Tagen hatte sich die Zahl der Toten in Indien schätzungsweise verzehnfacht. Der Sprecher der indischen Regierung ging heute, 17:30 Uhr Ortszeit, von „circa 186 Millionen“ Toten aus.

Gelogen.

Es waren weit mehr. Dennoch reichte die Zahl.

Panik total. Weltweit!

Morgen würden es vielleicht schon 500 Millionen Tote sein.

Nichts funktionierte mehr.

Die Welt in Agonie.

Todeskampf.

Ja.

Egon Schieles Bild „Agonie“ aus dem Jahre 1912, düster, eklig, realistisch. Multipliziert mit dem Faktor 500 Millionen.

Schock pur. Unfassbar.

Unfassbar!

Aber real.

Wie würde sich die Pandemie ausbreiten? Worin hatte sie ihren Ursprung? Würde Pakistan betroffen werden – oder schon sein? China? Indonesien? Es wurde spekuliert, aber keiner konnte auch nur annähernd eine realistische Prognose abgeben. Die Wissenschaftler rund um den Globus waren hilflos und sprachlos. Schulterzucken. Nachrichtensperre on top. Als wenn man damit die Gefahr beseitigen könnte.

Franco saß mit seinen Verschworenen Jonathan, Fuckbingo – Winnfried von Löske –, Alberto de Morrero und dem finnischen Therapeuten Mika Nurman zusammen. Romantisch, unter Weinreben nordöstlich von Kapstadt, inmitten einer Idylle. IN VINO VERITAS. Das Weingut Alberto de Morreros im riesigen Jonkershoek Naturreservat.

»Wir sind alle betroffen, glaube ich. Indien scheint weit weg zu sein, aber was ist, wenn die Pandemie morgen auch nach Afrika rüberschwappt? Ich kann mir nicht denken, dass die Vergiftung der Menschen plötzlich aufhört oder an einer Grenze haltmacht«, ergriff Franco das Wort. »Auch wenn wir noch nicht wissen, ob der Auslöser wirklich der von Südafrika gelieferte Weizen ist.«

Er schaute den Jüngsten dabei ängstlich an, Winnfried von Löske, FB. Fuck Bingo. Als erhoffe er sich gerade von dem Kind eine Antwort. Intuitiv hatte Franco vielleicht sogar Recht. Nur mit ungewöhnlichen Ideen und Gedanken, mit unverbildetem Denken, einem noch für alles offenen Geist, einer sauberen Seele, war es vielleicht möglich, das Unmögliche zu erreichen. Jetzt galt es, einen Plan zu entwickeln, wie man der Lage Herr werden könne. Vermessen, von dem lächerlich kleinen Haufen unterschiedlicher Typen, die bei Alberto mitten im Weinberg saßen, das zu erwarten. Altruismus schien Franco angeboren zu sein. Aber was soll ein junger Typ gegen Mächte, von denen er nur ahnte, wer sie sind und was sie der Erde gerade antun, einer Pandemie dieses Ausmaßes ausrichten können? Andererseits: Jesus war angeblich auch allein gewesen und hatte die Welt verändert. Wenn das über Jahrtausende gut erzählte Märchen denn stimmen sollte. Für viele Wissenschaftler rund um den Globus war Gott nur eine Erfindung einer Gesellschaftsclique, die die Erde unter Kontrolle bringen wollte.

Ja, es war längst an der Zeit, die Herrschaft der Repräsentanten der 13 Blutlinien zu durchbrechen. Klar: Die Welt braucht Leader. Nur nicht solche wie die, die die Menschheit seit Jahrhunderten verdummt und versklavt halten. Echte Vorbilder werden gebraucht. Nein, selbst wenn irgendjemand ihn fragen sollte, Franco konnte und wollte das alles nicht sein. Schon der Gedanke daran war ihm fremd.

Er sah nur Leid und wollte helfen.

Doch Franco wusste, wer diese Leader-Position einnehmen könnte: FB. Der geniale Hacker mit dem Ethik-Gen im Blut. FB war nicht zu verbiegen und war sich seiner ungewöhnlichen, großen Kraft, die in ihm steckte, überhaupt nicht bewusst! Nur so einem Erdenwesen könnte es gelingen die Welt zum Positiven zu verändern ...

»Wir können nichts machen, Franco, solange wir den Auslöser der lebensvernichtenden Seuche nicht kennen«, antwortete ihm FB ganz ruhig, ganz gefasst. Er schien in der Tat der Einzige in der kleinen Runde zu sein, der die erschütternde Nachricht seelenruhig, ja fast lässig aufnahm.

»Also Freunde, lasst uns systematisch an die Sache herangehen und nicht den Sand in den Kopf stecken, wie es einmal ein deutscher Fußballspieler sagte«, schaltete sich Alberto mit forscher Stimme ein.

Er war der Älteste, Erfahrenste in der Runde, der Professor für Design und Architektur. Einer, der planen kann. Planung war jetzt gefragt. Eine Struktur aufbauen, mit der man vielleicht irgendwie helfen konnte.

»Ich schlage vor, dass wir uns verteilen. Jeder zappt sich jetzt mal durch die Medien. Geht ins Netz, schaut TV, hört Radio. Wir müssen sehen, ob wir einen uns noch immer unbekannten Hintergrund, eine Richtung, in die die Katastrophe noch gehen könnte, erkennen können. Jeder schreibt sich auf, was ihm auffällt. Uns bleibt nichts Anderes übrig, als nach der Chaos-Theorie zu verfahren und es dem Zufallsprinzip zu überlassen, ob wir auf einen kosmischen Weg treffen, der uns zum Ziel bringt«, forderte Alberto die anderen auf.

»Okay. Wir treffen uns in vier Stunden wieder hier«, sagte FB mit stoischer Ruhe, stand auf, nahm seinen Laptop und ging in sein Gästehaus. Auch Franco und Mika verschwanden still.

Nur Alberto blieb sitzen. Schaute in den friedlichen, noch immer strahlend blauen Himmel, schritt in Gedanken den Weinberg ab und dachte nach. Dann griff er zum Handy, nicht ohne vorher ein kleines technisches Gerät angekoppelt zu haben, und wählte eine Nummer. Es dauerte lange, bis er eine Verbindung zu dem anderen Teilnehmer bekam.

Endlos lange, fast 10 Minuten.

»Darf ich Sie etwas fragen«, begann er die Konversation. Das zeigte, dass sein Gesprächspartner wusste, wen er in der Leitung hatte.

»Selbstverständlich!«

»Womit haben wir es in Indien zu tun«, fragte Alberto in die entstandene Stille.

»Die Ursache für die Massenvernichtung von Menschenwesen ist eine Genmutation. In Auftrag gegeben von unseren ‚Freunden‘ in New York. Umgesetzt durch Bigson Laboratories Bakersfield, Kalifornien; entwickelt und in 3000 Jahre altes Emmer-Saatgut implantiert durch eine Tochtergesellschaft von BLB, bei Ihnen um die Ecke, der GrainBrain Ltd. in Kapstadt.«

Eine klare Antwort von dem Wesen ohne Namen, das weit, weit weg von Südafrika zu sein schien.

»Sie wissen, dass wir uns in der letzten Phase des großen Sabbat-Jahres befinden. In der Kabbala gilt die Zahl 7 als ein Symbol für die Zeiteinteilung. Es ist die heilige Zahl Gottes. Die Woche der Schöpfung bestand aus 7 Tagen, wovon der Sabbat der letzte Tag ist. Das Fest der Wochen wird so genannt, weil es immer 7 Wochen nach Passover – den Feiern zum Auszug aus Ägypten – stattfindet, am 50. Tag. Das ist der erste Pfingsttag. Diese Tage verlaufen parallel zu den Sabbat-Jahren und den Sabbat-Jubel-Jahren. Die Menschenwelt, so wie man sie heute kennt, besteht 7000 Jahre. Das 7000. Jahr ist das Jahrtausend-Jahr, der Große Gottes-Sabbat. Nicht zu vergessen die ´7 noachidischen Gebote´ mit den 7 Lebensgesetzen, die zugunsten einer sehr kleinen Minderheit mit einem unendlichen Machtanspruch gefälscht wurden. Sieben plus sechs. Die Zahl des Unglücks, 13. So einfach erklären es sich die Menschen. Doch: Die Erde ist noch immer unter der Kontrolle der Sechs. Sie wissen, eigentlich der 666! Satan! Wir haben es unvermindert noch immer mit den dreizehn Familien zu tun, die das Zepter an sich gerissen haben. Satanisten, die sich als Philanthropen getarnt haben. Ihr seid in der Phase der brutalsten Vernichtung, die es je in der Geschichte der Menschheit gab. Man will von den 7 Milliarden Menschen, die es derzeit auf der Erde gibt, wieder auf eine göttliche Zahl zurückkommen, die von der Machtelite, den Kabbalisten, als beherrschbar gilt. Sie wollen nicht akzeptieren, dass es sieben Milliarden Menschen gibt. Damit ist ihre größte heilige Zahl, die 7, beschmutzt. Schauen Sie sich das Vierte Buch Moses an. Dort wird Ihnen alles über die kabbalistischen Zahlen erläutert. Wir befinden uns in einer Hochphase der negativen Elemente. Wenn Sie in die Geschicke eingreifen wollen, mein Freund, können Sie die Lösung nur in der richtigen Auslegung der Kabbala finden. Wie Sie wissen, gibt es die vier Silbernen Schlüssel und drei Goldene Schlüssel. Zusammen ergibt das die 7. Eines der Sieben Tore zum Kosmos liegt direkt vor Ihrer Nase. Sie müssen nur noch einen Mathematiker finden, der sich auf die Bildegesetze versteht und PHI in sehr hohen Potenzen berechnen und dann richtig werten kann ...«

Damit beendete der Unbekannte – der mit einer nach Erdenmaßstäben sehr tiefen, männlich klingenden Stimme und einem ausgesprochen angenehmen Sound gesprochen hatte – abrupt das kurze Gespräch. Alberto hatte gehofft, Antworten zu finden. Man hatte sie ihm gegeben. Er wusste nun, woher die Genmanipulation kam, wer dafür verantwortlich zeichnete. Jetzt galt es, die Verbrecher zu identifizieren und die Manipulation irgendwie rückgängig zu machen oder aber alles zu dem Thema der Manipulation schnellstmöglich zu vernichten. Die Forschungsunterlagen, das noch vorhandene Saatgut, einfach alles. Damit zukünftig nicht noch einmal ein Unheil dieser Dimension geschehen kann. Das lag nun in den Händen der Cracks der Genforschung. Das war ihm klar. Die müssten sie für ihre Mission gewinnen. Aber es war zu bewältigen. Noch dazu, wo der Verursacher vor ihrer Tür saß – mitten in Kapstadt ...

Das Gesamtproblem war jedoch viel größer. Jetzt war es wohl die Aufgabe von FB, Winnfried von Löske, aus den wenigen Fakten, die ‚man‘ Alberto geliefert hatte, einen Plan zu entwickeln und die Zahl 7 richtig zu deuten und zu verarbeiten. FB war das Genie der Zahlen und wüsste, wie man damit etwas Positives anfangen kann.

Alberto de Morrero ging nach einigem Zögern zum Gästehaus, in dem FB untergebracht war.

»Winnfried, bitte kümmere dich um die Zahl Sieben. Sie hat eine entscheidende Bedeutung beim Aufbau des Kosmos und vielleicht gelingt es dir, ihre negativen Einflüsse auf uns zu entschlüsseln. Sicher wird sie auch etwas mit der Pandemie in Asien zu tun haben. Ich habe ein Gespräch aufgezeichnet, das dir einige wichtige Ansätze dazu gibt«, kam Alberto zurück zu den Wartenden und übergab FB/Winnfried einen Stick.

Als sich die Fünf am Abend wieder auf der Terrasse zum Dinner trafen, hatten sie alle ihre Hausaufgaben gemacht. So gut sie konnten, denn für Mika und Jonathan, wie auch Franco, war vieles von dem, was gerade auf sie einstürzte, völlig unerklärlich. Die Fünf hatten einen unterschiedlichen Wissensstand, eine unterschiedliche Ausbildung, andere Erfahrungen und verschiedene Ansätze sich mit der Katastrophe zu beschäftigen und über Lösungen nachzudenken. Das war gut so, dadurch war ihr Denken nicht genormt. Vielseitigkeit war gefragt, um der Pandemie irgendwie Herr zu werden.

»Der Verursacher der Katastrophe ist mit 90-prozentiger Sicherheit in Kapstadt zu finden. Eine Firma, die sich ´GrainBrain´ nennt und – das habe ich recherchiert – einem Gerry Bigson aus Bakersfield, Kalifornien, USA, gehört. Er hat sein Geld zum Aufbau seines Genforschungsinstitutes von einem Capital-Fonds bekommen, der in New York sitzt. Die haben ihm seinerzeit fünf Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt, ohne Bedingungen daran zu knüpfen. Er forscht mit seinem Team an der Entzifferung des menschlichen Genoms, der DNA-Helix. Mit seiner Tochtergesellschaft hier bei uns in Südafrika hat er sich auf die Manipulation von Saatgut spezialisiert«, begann Alberto das Gespräch, nachdem in den ersten Minuten nur Vogelstimmen und das Geklapper von Besteck und Geschirr zu hören waren. Alle in der kleinen Gemeinschaft schienen ausgesprochen angespannt zu sein.

FB legte seine Gabel zur Seite, öffnete sein MacBook Pro und begann seinen prägnanten Vortrag, von dem Franco, Mika und Jonathan völlig überrascht waren, da sie nicht wussten, dass es vor wenigen Stunden eine kurze Kommunikation zwischen Alberto und FB gegeben hatte: »Die Sieben ist eine mystische, heilige und göttliche Zahl, die in der Bibel und in den Mysterien immer wieder vorkommt. Da hat derjenige Recht, mit dem du vorhin gesprochen hast, Alberto. Wer immer das sein mag. Er weiß viel, viel mehr als wir ...«

FB unterbrach. War völlig in sich gekehrt.

Wirkte jetzt nicht wie ein pubertierender Jüngling mit nicht einmal 14 Jahren, sondern wie ein echter Herr in seinen allerbesten Jahren.

Winnfried von Löske halt.

Superb gebildet und weit vorausschauend.

»... Sie ist die Zahl der Vollendung, die Addition von 3 und 4, die Verbindung des Geistigen und der Materie. Wer den Weg der Mitte hier auf der Erde in Verbindung mit dem Spirituellen gehen kann, wird zum Meister des Lebens. Die Sieben ist auch die Zahl der Heilung. Bei den Juden kennt man den siebenarmigen Leuchter, die Menora. Weitere Beispiele, wo die Sieben überall auftaucht und von großer Wichtigkeit ist: 7 Weltwunder, 7 Erzengel, 7 Schöpfungstage, 7 Wochentage, 7 Farben des Regenbogens, 7 Siegel, 7 Chakren, 7 Grundtöne in der Musik, 7 Grundfarben, 7 Himmel, 7 Todsünden, 7 Imame, 7 Generationen zwischen der Geburt David und Christi, 7 Engel bei den Chaldäern, 7 Devas in der Heiligen Schrift, 7 Amschaspands bei den Persern, 7 Sephiroth in der hebräischen Kabbala, 7 Hüll- und Blütenblätter des Lotos, 7 Propheten, 7 Zwerge hinter den 7 Bergen, 7 Geißlein oder 7 Raben im Märchen.

Das ist alles kein Zufall.

Es ist das Gesetz des Kosmos.

Und die negativ gepolten Menschen auf der Erde haben die Sieben auch noch mit dem Teufel besetzt. 666 – die Zahl des Bösen. Der Apokalypse, des Teufels!

In der Theosophie der Kabbala geht man von den Sieben Ebenen des Seins aus:

1. Atmische, atomare, monadische Welt,

2. Buddhi,

3. Kausalwelt,

4. Mentalwelt (Manas),

5. Astralwelt,

6. Welt der Bildekräfte,

7. Physische Welt.«

FB schaffte sich während der Erläuterung der 7 und seine anfangs seriöse, angenehme, weiche, sonore Stimme wurde nun doch immer schriller. Franco kannte das schon. Es gipfelte regelmäßig in seinem Schlachtruf „Fuck, Bingoooo!“ – und zwar so schrill und laut, dass Fenster platzen konnten ...

»Freunde, ich bin noch nicht fertig. Wir müssen ja erst die Zusammenhänge erkennen. Dann erst wird ein Schuh daraus. Und ich kann euch sagen, Franco, Alberto, Jonathan und Mika – das sieht verdammt nicht gut aus. Wir haben es mit einem Obersuperarschloch zu tun, der uns das alles aufbürdet, was die Menschheit in diesen Zeiten zu ertragen hat. Aber, das kann ich euch sagen, wenn man das erkannt hat, gibt es auch eine Gegenkraft. Daran muss ich noch arbeiten. Fuck!«

FB verstummte nur ganz kurz, um Luft zu holen. Das Essen war der Clique inzwischen vergangen. Schon setzte Winnfried von Löske wieder an:

»Was hat noch entscheidenden Einfluss auf unser Leben auf der Erde? Die sieben Strahlen als kosmische Energieträger. Da gibt es die 3 Haupt- oder Aspektstrahlen:

1. Der Strahl des Willens und der Macht,

2. Der Strahl der Liebe-Weisheit,

3. Der Strahl der aktiven Intelligenz.

Und dann sind da noch die vier Neben- und Attributsstrahlen.

4. Der Strahl der Harmonie durch Konflikt,

5. Der Strahl des konkreten Wissens,

6. Der Strahl des Idealismus und der Hingabe,

7. Der Strahl der zeremoniellen Ordnung und der Magie.

Wir sind wieder bei der kosmisch so wichtigen Zahl Sieben. Ihr seht, der Kosmos weiß, was er tut. Aber das wissen natürlich auch die Eingeweihten. Davon gibt es nur wenige. Die Masse Mensch ist zu ignorant und wird aus kühlem Grunde dumm gehalten. Ja, dumm. Es sind die großen Geheimnisse! Aber man kann sie, wenn man nicht ganz dämlich ist, zusammentragen. Mit meinen Programmen als kleiner Hacker ist es mir möglich gewesen.«

Jetzt grinste FB verschmitzt wie ein Schuljunge, der dem Lehrer einen großen Streich gespielt hat. Er ließ seinen Heavy-Metal-Kopf kreisen, wie es Headbanger in höchster Verzückung tun, wenn die „Eagles of Death Metal“ mit „Save A Prayer“ abfeiern, und griff zu seinem Glas mit frisch gepressten Himbeersaft.

Franco kannte ja schon die großartigen Fähigkeiten von Winnfried von Löske, dem 13-jährigen Superkid. Für Alberto, Jonathan und Mika war das völlig neu und man sah ihnen an, dass sie aus dem Staunen nicht herauskamen.

»Jetzt muss ich nur noch herausfinden, was die Ärsche vorhaben«, setzte FB mit nun wieder schriller Stimme fort. Wolln die nu, dass nur noch 70 Millionen Menschen auf dem Planeten Erde übrigbleiben, oder 700 Millionen. Weiß noch nich. Die Sieben spielt, soviel ist hundertprozentig sicher, eine entscheidende Rolle. Ihr verfluchten Bastarde! Das ist abgewichst! Und: Wir befinden uns in einem numerologisch wichtigen Jahr. Das passiert nich ohne Grund genau jetzt!«

Wen er mit ´Bastarde´ meinte, ob seine vier Mitstreiter in der Abendsonne des Jonkershoek Nature Reservate oder ‚die‘, von denen FB in Andeutungen sprach, war zurzeit noch unklar. Franco wusste, dass es keinen Sinn machen würde bei FB nachzuhaken. Das erwachsene Hackerkind war längst wieder in seine eigene, für ´Normalos´ unerreichbare Welt eingetaucht und zudem schweigsam wie ein Grab, wenn es noch nichts von seinem frisch angereicherten Wissen preisgeben wollte.

Franco rief Alberto, Jonathan und Mika mit den Augen zum Schweigen auf. Sie verstanden ihn.

Keine Fragen.

» Ich verstehe, wenn ich ehrlich bin, überwiegend gar nichts «, mischte sich nun Franco ein. » Ich brauche Nachhilfe. Aber das muss nicht jetzt sein. Wichtig ist doch nur, dass wir irgendeinen Zugang zu dem Monsterverbrechen finden, um ...«

Franco konnte seinen Satz nicht beenden, denn in der Sekunde kam Stella zu den Männern – wenn man FB schon als solchen bezeichnen wollte –, die alle sehr bedrückt aussahen. Als sensibles Wesen merkte sie natürlich sofort, dass etwas nicht stimmte. In den letzten Tagen, seit sie sich ihrer Liebe zu Franco bewusst geworden war und sie sich beide fast um den Verstand gevögelt hatten, hatte sich vieles in ihr verändert. Sie war auf eine nicht zu erklärende Weise noch sensibler geworden. Ihre Antennen waren auf Empfang ausgefahren; leider konnten sie noch immer nicht richtig in ihr Inneres, auch nicht klar in die Außenwelt blicken.

»Komme ich ungelegen«, fragte sie mit zuckersüßer Stimme in die Stille und Alberto, Franco, Jonathan, Mika und FB schauten sie erstaunt, liebevoll und zugleich fragend an.

»Stella, du kommst nie ungelegen! Du bist unsere Sonne, mehr noch als die da oben!«, schaltete sich sofort Alberto de Morrero ein und zeigte auf den Stern, durch den Leben auf der Erde möglich ist. Er war der Hausherr, der Älteste in der Runde und wollte jede Aufregung vermeiden. Waren sie doch alle froh, dass es ihrem Superstar insgesamt schon wieder recht gut zu gehen schien. Mika stand auf und bat Stella zu sich an seine Seite. Das entpuppte sich als – hilfreicher – Fehler, den aber keiner voraussehen konnte. Mika hatte auf einen Block, der vor ihm lag, groß und fett in Graffiti-Design ´GrainBrain´ gekritzelt und daneben einen menschlichen Kopf gezeichnet, aus dem Getreidehalme zu wachsen schienen. Das sah Stella natürlich.

»Was habt ihr mit Hugh zu tun?!«, entfuhr es Stella, die einen ziemlich roten Kopf bekam.

»Mit wem bitte«, fragte Franco Stella.

»Ach, den kennt ihr nicht. Das ist ein Typ, den ich bei meinem Ausflug in die Nachtwelt von Kapstadt kennenlernte. Nichts von Wichtigkeit. Habt ihr mir nachspioniert? Der arbeitet nämlich bei dieser Firma, die du, Mika, da gemalt hast. GrainBrain. Wie kommt ihr auf die? Ihr macht doch hier in Wein, Alberto! Was wollt ihr von denen? Was ist da los? Ihr schaut alle so bedrückt. Was ist denn passiert?! Ist der Typ gestorben, ihr Spione?!«

Stella war hellhörig geworden. Nach ihrer unglaublichen Liebesnacht mit Franco war Stella wie ausgewechselt. Sie war in allen Belangen der Gegenwart wieder völlig klar im Kopf. Aber da war der Filmriss. Ihr vorheriges Leben als Weltstar schien ausgelöscht zu sein. Auch ihr Ausflug vom Weingut nach Kapstadt war nur äußerst lückenhaft in ihrem zerfledderten Gedächtnis hängengeblieben. „Hugh“ – ??? – schien eine Begegnung gewesen zu sein, die auf die vergangene Woche zu datieren war.

Vielleicht.

Für die Menschen in ihrer Umgebung, allen voran ihrer Mutter, war es entsetzlich mit ansehen zu müssen, welch große Defizite Stella in ihrer Erinnerung hatte. Ja, sie hatte Sarah als ihre Mutter erkannt. Immerhin. Zwischen Müttern und ihren Kindern gibt es eine besondere Verbindung. Das war immer so und wird auch für ewig so bleiben. Dadurch hoffte SAHE, die tolle Malerin aus New York, irgendwann wieder kompletten Zugang zu ihrer Tochter zu finden, aber sicher war sie sich nicht. Denn wenn Sarah/SAHE Stella auf ihrem iPad Gemälde von sich zeigte, reagierte Stella so gut wie gar nicht. „Ach, das ist aber hübsch“, sagte sie vielleicht zu ihrer Mutter, gar nicht wahrnehmend, dass es das künstlerische Werk ihrer Mutter war. Ihr war nicht einmal bewusst, dass sie einen Bruder hatte, Aaron, der ermordet worden war.

Welcher Bruder?

Bei der aktuellen Band glaubte sie, es sei ihre alte Band. Sie redete die Musiker ständig mit falschen Namen an. Die, die ihr noch irgendwie unbewusst im Gedächtnis geblieben waren. Für Franco war es schwer, ihre großen Aussetzer zu akzeptieren. Sie hatte alle Songs im Kopf, aber sie konnte sich nicht erinnern, dass sie sie geschrieben hatte.

So ging das durch alle Lebensbereiche.

Stelle lebte im Jetzt und Heute.

Dresden?

Tote Mädchen?

Nichts!

Ausgelöscht.

Aber sie erinnerte sich sofort an die Nacht mit Hugh Tellerman, den versoffenen, verzweifelten Genforscher, und seine Verbindung zu GrainBrain. Zwar wusste sie nicht explizit, was in der Nacht geschehen war, aber es war in ihrem Gehirn etwas abgespeichert worden, was sie unter positiv für sich eingeordnet hatte. Sie hatte etwas Schönes erlebt. Deshalb war sie auch rot geworden, als sie GrainBrain-Hugh als Mini-Graffiti gesehen hatte, was Franco nicht entgangen war. Dadurch sagte ihr ihr Unterbewusstsein, das der gezeichnete Mann definitiv Hugh Sowieso sein müsste.

Auch ihr Verhältnis zu Franco war widersprüchlich. Mal ging sie an ihm vorbei, nickte nur mit dem Kopf, dann wieder sprang sie ihn förmlich an und fraß ihn mit Küssen auf. Hielt seine Hand, drückte sie dermaßen intensiv, dass Franco vor Freude Tränen über sein sommersprossiges Gesicht liefen.

Stella – eine Frau in zwei Welten.

Zugänglich, aber auch verschlossene Türen.

»Stella, bitte, wer ist „Hugh“?«

Franco war aufgestanden, hatte sich hinter sie gestellt, seine Arme um ihre Schultern gelegt und nun sah er auch die Skizze von Mika. GrainBrain schien der Schlüssel zu sein.

Doch wer war Hugh ...?

»Mit Hugh habe ich ein paar Sachen getrunken. In einem geilen Musikschuppen. Der Typ stand an der Bar. Ich glaube, wir haben uns auch unterhalten.«

Stella kramte in ihrem Gedächtnis. Fünf Augenpaare waren auf sie gerichtet und sie konnten es förmlich rattern sehen, besser – hören.

Mit sanfter Stimme fragte FB:

»Stella, hat dieser Hugh was mit GrainBrain zu tun? Ist es das? Kennst du seinen Nachnamen?«

»Weiß ich nicht«, antwortete Stella, stand auf, nahm Franco an die Hand und lief mit ihm in den Weinberg.

Filmriss.

FB wäre nicht FB, wenn er nicht sofort kombiniert hätte. Schon hing er über seinem Laptop und durchforstete GrainBrain im Zusammenhang mit einem „Hugh“. Natürlich nicht über das öffentliche Internet. Er ging davon aus, dass er da nicht fündig werden würde. FB hatte sein eigenes Darknet im Darknet. Er hackte sich direkt bei GrainBrain ein. Nicht auf die Homepage, sondern in das interne Netz der Firma. Das dauerte keine zwei Minuten. Schlecht gesichert, die Bude, sagte er zu sich. Das Glück war auf seiner Seite. Es gab in der Firma einen Professor Hugh Tellerman. Die einzige Person, die „Hugh“ mit Vornamen hieß. Und schon ertönte sein Schlachtruf, durch den er in der Hackerszene berühmt geworden war:

»Fuck! Bingooo!!«

Die Freunde erschraken sich, die Weinreben hielten sich die Ohren zu und wurden trotzdem in einer Umgebung von fünf Meilen schocksauer ...

»Geschafft!«

Nun wieder ganz Winnfried von Löske, nicht FB, berichtete er seinen Kumpels:

»Es gibt nur einen Hugh bei GrainBrain. Der ist der leitende Spezialist im Bereich der Gentechnologie der Firma. Professor. Ursprünglich aus New York.«

Und nun betete er in Windeseile die gesamte Karriere des Hugh Tellerman runter. Sachlich, prägnant und wohlformuliert mit sonorer Stimme, die nicht zu einem 13-jährigen passte. Aufmerksam hörten Alberto und Mika zu. Allmählich konnten sie sich das Puzzle aufbauen. Es fehlten noch einige Teile, aber das große Bild war jetzt schon klar:

Es gab eine gewaltige Macht, die die Erde in ihren Festen erschüttern wollte ...

SIE FINDEN DICH.

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