Читать книгу SIE FINDEN DICH. - Dankmar H. Isleib - Страница 5
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Jutta saß wieder einmal, wie jeden Tag, auf dem großen Balkon ihres wunderschönen Hotelzimmers. Der Blick auf die Bucht von Kapstadt versöhnte sie für einen klitzekleinen Moment. Ein zaghaftes Lächeln huschte über ihr trauriges, abgespanntes Gesicht. Auf ihrem schönen Antlitz hatten sich zwischen den Augenbrauen nicht nur kleine Sorgenfalten gebildet, ihre Haut war grau. Trotz der Sonne. Grau. Jutta traute sich nicht mehr in den Spiegel zu schauen.
So soll ich aussehen, mit gerade mal 25 Jahren? Das bin doch nicht ich, ging es ihr jeden Morgen wieder durch den Kopf. Sie konnte ihr Schicksal nicht begreifen. Blieb in ihrer Lethargie stecken.
Was habe ich falsch gemacht? Was habe ich verbrochen, dass ich so gedemütigt werde? Dass ein wildfremder Mensch, dessen Namen ich nicht einmal weiß, mich zwingen kann, meinen geliebten Franco auszuhorchen und ihn letztlich umzubringen? Um nichts Anderes geht es doch dem Scheusal aus New York. Nein, nein, nein! Ich werde ihn austricksen. Niemals werde ich es zulassen, dass dem kleinen hässlichhübschen Italiener auch nur ein einziges Haar gekrümmt wird! Ich bringe doch den Menschen nicht um, den ich am meisten liebe!
Jutta raffte sich endlich dazu auf aktiv zu werden, nachdem sie mindestens eine Stunde einfach nur in die Luft geschaut hatte. Sie zog sich an. Jeans, blauweiße Bluse, knallgelbe Ballerinas, passend zu ihrem knallgelben Rucksack. Wenigstens äußerlich wollte sie fröhlich wirken. Sie verließ das Hotel und schlenderte in Richtung Innenstadt. Einen Plan hatte sie nicht. Wo sollte sie die Suche beginnen? Hotels abklappern würde nichts bringen. Obwohl ...
Ja, ich werde zuerst einmal alle guten Hotels ansteuern. Mich einfach dumm stellen und sagen, dass ich mit Franco Mignello verabredet bin. Dann schauen die in ihre Buchung und sagen „Moment bitte, ich verbinde“, oder „sorry, den haben wir hier nicht“. Es wird eine Wahnsinnsarbeit werden, aber so muss ich das machen. Vielleicht habe ich ja Glück. Am Telefon bringt die Suche nichts. Niemand gibt mir Auskunft, das kenne ich schon.
Sie ging in das erstbeste Reisebüro und fragte nach einer Hotelliste der Stadt. Die war mit Sicherheit genauer, als wenn sie die Hotels googelte. Wozu war sie denn aus der Branche?! Dann setzte sie sich in das nebenan liegende Café und studierte den Plan mit den Hotels. Sie legte sich eine Route zurecht und wusste nun wenigstens schon, wie sie einen Schritt weiterkommen könnte. Vielleicht hatte sie das Glück auf ihrer Seite. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, denn der Druck des Fieslings aus New York lastete schwer auf ihr. Sie müsste ihm heute wieder eine Nachricht auf das kleine Ding sprechen, das für sie das hässlichste Schmuckstück war, das sie je gesehen hatte und das sie seit Joplin um den Hals trug. Denn wenn sie sich nicht meldete, drohte der Geheimnisvolle, sie sofort töten zu lassen ...
Sie hatte in der Innenstadt allein vierhundertdreiundzwanzig Hotels gefunden. In ganz Kapstadt mit den Außenbezirken waren es sogar weit über 900 Hotels! Das war selbst Jutta nicht bekannt gewesen.
Kapstadt – Urlaubermetropole.
Da sie glaubte, in etwa zu wissen, wie Franco tickt, nahm sie sich erst einmal die schönen, kleinen Boutique-Hotels vor. Immerhin ‚nur‘ 89 an der Zahl. Das würde schon fast eine Woche Zeit in Anspruch nehmen. Denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie mehr als fünfzehn oder ein paar mehr Hotels pro Tag schaffen würde. Ihr Mut verließ sie – bei der Sisyphus-Aufgabe! Sie bestellte sich noch einen Cappuccino. Dann sprach sie dem Kotzbrocken in New York noch eine kurze Message auf den ihr wie ein Collier um den Hals hängenden elektronischen Mühlstein, der Tonnen wog, und machte sich auf den Weg zum ersten Hotel. Es lag nur dreihundert Meter vom Café entfernt.
Nichts.
Niemand kannte dort seinen Namen.
»Wie soll der heißen? Franco Mignello? Nein, junge Frau, der hat bei uns nicht eingecheckt!«
Ab zum nächsten.
Wieder nichts.
Nach dem neunten Hotel und einem neunfachen „nein“ war es bereits späterer Nachmittag. Rushhour und Feierabend. Fröhliche Gesichter, wohin Jutta auch blickte und ihr war nur zum Heulen.
Ich muss mir was Besseres einfallen lassen. So komme ich nie ans Ziel.
Resigniert.
Ihr rannen Tränen über das Gesicht. Jutta war nahe daran sich vor den nächsten Bus zu schmeißen.
Aus, vorbei. Liebster – das schaffe ich nicht! Wie soll ich dich nur finden?!
Erschöpft vom Misserfolg, weniger von den paar Kilometern, die sie durch die lebendige Stadt gelaufen war als von ihrer Angst, Franco nicht retten zu können, schlich sie mehr, als sie lief. Sie setzte sich auf die Terrasse einer kleinen Bar.
Der Kellner: sympathischer Typ. Ein riesiger Schlaks, Rastamähne bis zum Hintern, coole Jeans, Flipflops in Neongelb, sich mit ihrer Fußbekleidung ätzend beißend, und ein leicht abgehobenes Grinsen im Gesicht.
Dauerhaft.
»Du siehst scheiße aus, wenn ich mir die Bemerkung gestatten darf, Lady«, kam er an ihren Tisch. »Du brauchst keinen Kaffee, du brauchst was zum Aufmuntern, klar?!«
Sekunden später stellte er der verzweifelt aussehenden Miss AfricameetsEurope ein Cocktailglas mit einer braunen Flüssigkeit hin, die nicht dazu führte, dass sich ihr trauriger Gesichtsausdruck in ein Lächeln verwandelte.
»Trink das.«
Wieder das unverschämte, anziehende Grinsen des Rastaman, der noch um einige Zentimeter größer war als die deutsche Riesin mit ihren gefühlten Zweimetersiebenunddreißig.
Jutta gehorchte widerwillig. Aber schon während des vorsichtigen Trinkens hellte sich ihr wunderschönes, leider ätzend graues, Gesicht auf. Sie strahlte, wie wenn sich der Himmel nach einem heftigen Gewitterguss auftut und die Sonne durch die Wolken blinzelt. Es kam sofort Farbe auf ihre Wangen.
»Was ist das für ein Zeug?«, war das Erste, was aus Juttas Lippen strömte, seit sie hier saß.
»Ein Rezept meiner Großmutter. Was da drin ist, willst du nicht wissen. Aber die Wirkung ist genial, Süße!«
Auch nach Anmachsprüchen war Jutta nicht. Dennoch musste sie sein aufdringliches Grinsen ungewollt erwidern. Der Mix aus Kräutern einer Schamanin und Alkohol ließ nichts Anderes zu.
»Vielleicht kannst du mir ja helfen. Ich suche eine bestimmte Person«.
In der Sekunde kam ihr die Idee, dass sie ja Franco zeichnen könnte ...
»Hast du mal ein Blatt Papier und einen Stift?«
»Bin schon unterwegs, Lady!«
Jutta zeichnete Franco. So, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Es wurde ein wildes, liebevolles, aussagekräftiges Bild. Die Augen! Der Typ mit der Rastamähne vergaß seinen Job. Setzte sich zu Jutta. Als sein Chef fluchend nach draußen kam, um ihm mitzuteilen, dass er gefeuert sei, wenn er nicht augenblicklich die zahlreichen Gäste bedienen würde, grinste der nur noch unverschämter:
»Mann, du siehst, dass ich gerade Lebenshilfe leiste und einer jungen Dame bewundernd zuschaue. Die malt besser als meine Tante Kate Gottgens, wenn dir der Name was sagt, du Ignorant!«
Und schon stand der Barbesitzer, ein grauhaariger Mittfünfziger, hinter Jutta und schaute ihr auch über die Schulter.
»Willst du bei mir ausstellen, Misses,« fragte er die verzweifelte Schönheit und erhielt keine Antwort. Jutta war in ihr Werk vertieft und schon schossen wieder Tränen aus ihren Augen.
»Das ist genial, Lady. Ich weiß nicht, ob einer meiner Kumpels den Typen erkennt, doch das, was du gerade gezeichnet hast, ist großartig. Ich verstehe noch zu wenig von dem, was du machst, aber ...«
Rastaman und Bartender waren begeistert.
Der Rastaman hatte sogar einen Namen:
»Nenn mich einfach Masimba. Ich komme aus Zimbabwe, studiere Kunst an der Michaelis School of Fine Art hier in Kapstadt und verdiene mir die nötige Kohle mit diesem Scheißjob bei dem Typen, der hinter dir steht. Aber der Job macht mir sogar Spaß. Besonders heute. Mein Glückstag, ´ne Malerin!«
»Das ist fantastisch. Ich danke dir. Ich bin Jutta und komme aus Deutschland«, stellte sich die traurige Malerin vor.
»Komm in zwei Tagen wieder. Ich bin ab mittags da. In der Zwischenzeit frage ich meine Freunde. Morgen geht nicht. Da habe ich an der Uni zu tun. Klar?!«
Jutta war selig. Ein erster Ansatzpunkt, obwohl noch nichts geschehen war.