Читать книгу SIE FINDEN DICH. - Dankmar H. Isleib - Страница 6

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III

Als Franco und Stella sich nach Stunden – es war inzwischen drei Uhr morgens – wieder zu der noch immer auf der Terrasse sitzenden und arbeitenden Gruppe gesellten, hatte FB die Gen-Firma völlig durchleuchtet. Jeder der dort tätigen Wissenschaftler und Angestellten hatte ein Dossier erhalten. Ebenso hatte FB sich die Mutterfirma, >Bigson Laboratories Bakersfield< – BLB –, vorgenommen und festgestellt, dass die einen Chef hatten, Gerry Bigson, der ein Monster war. Der Drucker lief heiß, denn er druckte für jeden in der kleinen verschworenen Gemeinschaft immer gleich eine Kopie seiner Recherchen aus. Allmählich bildete sich ein Gesamtbild, denn Bigson Laboratories hatte wiederum eine sehr stimmige Connection zu Mantonsa und die seit wenigen Tagen wiederum zu Weyer, einem deutschen Chemiekonzern, der Mantonsa gekauft hatte. Mantonsa wurde – genau wie BLB – von einer Bank finanziert, die der Familie gehörte, denen fast alles auf der Erde zu gehören schien und die einst ein auffälliges Schild an der Tür ihrer Bank hängen hatten. Inzwischen – das war ein Nebeneffekt von FBs Cyber-Angriffen auf BLB & Co. – hielt er auch die Liste der über 150 Nationalbanken in der Hand, die ebenfalls alle der Familie gehören ... Und FB stieß auf weitere Verbindungen, die ihn erneut seinen Schlachtruf in die Nacht schicken ließ. Ergebnis: Nachtruhe von tausenden von Tieren, von der Ameise über die Bemeise bis zum Elefanten, Nashorn, Büffel, Löwe und Leopard, Eichhörnchen und die überaus gefährlichen Faultiere, im Umkreis von hundert Kilometern gestört.

Für FB war klar, dass es sich in Indien um einen lange geplanten Angriff zur Vernichtung eines Großteils der Menschheit handelte. Und nachdem Franco, Alberto de Morrero, Bodyguard Jonathan Burger und der ahnungslose Mika Norman, der eigentlich nur Stella heilen wollte, das Dossier des Winnfried von Löske gelesen hatten, trat auf der Terrasse absolute Stille ein. Zu wahnsinnig und erschütternd waren die von FB aufgezeigten Tatsachen. FB war sich auch sicher, dass die Sieben bei der Gen-Manipulation, die für ihn zweifelsfrei der Auslöser der Menschenmassenvernichtung war, eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Er hatte sich natürlich auch in die wissenschaftlichen Arbeiten der Forscher bei GrainBrain eingehackt und war immer wieder auf das Fehlen der Sieben in der Struktur des Gens im Erbgut des Weizens gestoßen, der der Auslöser für die Katastrophe in Asien sein könnte.

Nur Stella saß, Händchen haltend, neben Franco und schien von all dem nichts mitzubekommen. Sie war verliebt. Ihre Umwelt schien völlig ausgeblendet zu sein.

»Jungs«, begann der Jüngste in der Runde seinen neuen Fast-Freunden mitzuteilen – ohne dass er sie gefragt hätte und ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass eine bildschöne junge Dame unter ihnen weilte, Stella, die eigentlich die Hauptperson der Runde war und alle in der Runde sehnsüchtig auf völlige Genesung des Weltstars hoffte – »ich habe vorhin meine Hacker-Kumpels eingeladen. Die brauchen wir hier, wenn wir die Welt retten wollen. Denn um nichts Geringeres scheint es ja zu gehen, oder sehe ich das falsch?«

Und FB lachte schon wieder so verdammt irre in die herrlich milde Nacht, dass man die Traubenernte auf IN VINO VERITAS in diesem Jahr nun endgültig vergessen konnte.

FB tickte ständig zwischen Wahnsinn und Genie.

Der einzige, der in diesem Moment schnallte, dass Winnfried von Löske eine Show abzog, war Franco. Der kannte ihn inzwischen besser. Das erwachsene Kind aus Wiesbaden hatte einen ätzenden britischen Humor, der in Soho zu Hause zu sein schien, so schräg war er.

»Bald treffen hier meine echten Freunde ein. Ihr müsst euch erst noch dazu qualifizieren. Dich, Stella, nehme ich mal aus. Du bist eine begnadete Musikerin und hast die Pflicht tolle Songs zu schreiben und auf Tour zu gehen, wenn das nach diesem Angriff der Illuminaten auf unseren wunderschönen Planeten noch möglich ist. Die Menschen brauchen dich und deine Stimme!«

Dabei schaute er die New Yorker Schönheit mit den Augen eines um die Liebe wissenden Dreißigjährigen an, ohne Stella dabei anzumachen.

Ein irgendwie unwirkliches Bild:

Magersüchtiger dreizehnjähriger Headbanger trifft auf außergewöhnlichen Weltstar, der zur Zeit nicht weiß, wer er ist, aber unendlich viel Sexappeal hat ...

Wow!

»Auf noch etwas müsst ihr euch gefasst machen: Ein mittlerer Kindergarten fällt übermorgen ein. Mein CC-Team. Die kommen aus den unterschiedlichsten Ecken. Ich habe versucht es so zu timen, dass sie in etwa um die gleiche Zeit am Cape Town International Airport ankommen. Damit du, Alberto, mit deinen Jungs nicht ständig zum Flughafen rasen musst. Ihr wollt wissen, wer kommt? Da ich als der Jüngste der Chef der Cyber-Cracks bin, kenne ich die Typen, kein Problem:

Mah´ma aus Tibet ist mit fünfzehn Jahren nach mir der Jüngste unter uns Männern. Ein Genie. Ihr werdet sehen. War übrigens nicht so ganz einfach den aus Lhasa rauszuschleusen. Innerhalb von Stunden brauchte der einen Pass, der ihn als 19-jährigen Japaner ausweist, plus Visum plus Flugticket plus – na ja, das geht euch nichts an. Ist jedenfalls gelungen.

Dann kommt Maite aus Argentinien. Die ist immerhin schon vierzehn Jahre alt. Die jüngste Frau in meiner Cyber-Bande. Wäre mein Typ, aber viel zu jung für mich ... Geht in Buenos Aires auf eine Sonderschule. Für besonders Begabte und sieht aus wie Selena Gomez. Nur viel hübscher. Könnte deine Tochter sein, Alberto!

Und dann kommen noch Brian aus San Francisco und seine Freundin Wendy aus London. Beide sind angeblich schon 18. Also in meinen Augen echte Senioren. Die sind seit Menschengedenken ein Liebespaar. Vermutlich schon seit der Zeit vor Adam und Eva. Brian studiert an der San Francisco State University am College of Business, wie man die Welt verbessern kann, und Wendy an der Londoner Brunel Universität Computer Science. Beide werden als Hochbegabte schon im nächsten Jahr fertig und ihren MBA oder BS gemacht haben.

Alle zusammen sind wir echt geile Hacker und ohne arrogant zu sein, glaube ich, dass es keine besseren weltweit gibt. Wir haben den Vorteil, wir arbeiten als Team, als Schwarm, als ein großes Molekül. Aufgebaut aus einem einzigen Element:

Wahrhaftigkeit!

Fünf Atome aus Radikalen, Ionen, ionischen Addukten. Wenn ihr versteht, was ich meine. Was der eine nicht kann, übernimmt wortlos der andere. Wir fünf arbeiten schon seit ein paar Jahren zusammen. Ich habe mit Neun angefangen.

Alle haben hohe ethische Ansprüche und Franco weiß in etwa, was wir machen und können. Die Clique brauche ich hier. Das werdet ihr verstehen und Alberto: Du musst vermutlich anbauen ...«

»Amigo. Das ist kein Problem. Die bringen wir alle mit dir zusammen im größten der Gästehäuser unter und Stella, ihre Mutter und Franco bleiben bei mir im Haupthaus, okay?«

»Ja, das lässt sich einrichten.«

Der Tag erwachte bereits wieder, als Alberto, FB, Franco, Mika und Jonathan ins Bett gingen. Stella hatte sich schon eher verabschiedet, nicht ohne ihren Liebsten, Franco, ohne Hemmungen mit Küssen fast völlig aufgefressen zu haben. FB schaute die beiden an, als sei er versehentlich in einem Porno gelandet, obwohl die Liebesbekundungen völlig harmlos waren.

Jeder hatte seine Aufgaben erhalten. Selbst Alberto folgte den Anweisungen FBs, ohne auch nur darüber nachzudenken, dass ihm, dem gestandenen Professor, ein Dreizehnjähriger diese erteilt.

– Jonathan war ab sofort für die Sicherheit der Bewohner des Weingutes verantwortlich und würde dabei vom Schwager Alberto, Sam Gilmore, dem Ex-Agenten des britischen GCHQ, unterstützt werden. Ihre Aufgabe war es, einen Abwehrriegel um das Weingut herum aufzubauen, der effektiver als der Schutz des Pentagons sein müsse.

– Mika wurde von Winnfried von Löske als Seelsorger der Mannschaft eingesetzt. Musik heilt. Musik gibt Kraft. Musik hellt die Stimmung der Seele auf. Mika war in seinem Element und nahm, still lächelnd, den ihm zugedachten Job gerne an. Er würde für alle die richtigen Musikprogramme zusammenstellen. Dass Stella bei seiner Arbeit nach wie vor im Mittelpunkt stehen würde, verstand sich von selbst.

– FB bestimmte Franco zu seinem persönlichen Assistenten und Berater. Seinen genialen Geist und sein generalistisches Denken brauchte der Headbanger jetzt wie die Luft zum Atmen. Die beiden tickten auf ziemlich ähnlicher Wellenlänge.

– Alberto bekam den Job des Elder Statesman, des Vaters, Oberfreundes und des Regulativs, der eventuelle Fehler seiner Kinder erkennt und sofort eingreift.

– Und die übermorgen eintreffenden Maite, Mah‘ma, Brian und Wendy würden ausschließlich FB unterstellt werden. Sie würden versuchen Programme zur Bewältigung der Krise zu entwickeln.

– Von nun an, so hatte es FB für sich beschlossen, wird es FB nicht mehr geben. Nur noch Winnfried von Löske. Schluss mit seinem Schrei „Fuck Bingoooo!“

»Zukünftig bitte nur noch Winnfried, klar?! Auch nicht Winnie oder so‘n Scheiß, oder Herr Baron von Löske, einfach Winnfried!«, bat er im liebenswerten Befehlston die Älteren. Auch in ihm hatte ein rigoroser Wandel stattgefunden.

Ein letztes Mal lachte FB irre in die sich verabschiedende Nacht.

Kurz und bellend, augenzwinkernd.

Was für ein Typ!

Die Truppe bedauerte, das Abgefahrene an FB nicht mehr erleben zu dürfen, dafür aber von heute an das Erwachsenwerden ihres Jüngsten zu begleiten ...

Der Rastaman Masimba blickte immer wieder verzückt auf die Zeichnung, die Jutta gemacht hatte. Seinen Kellnerjob hatte er für heute beendet und war nach Hause gefahren. Mit dem Fahrrad. In Kapstadt nicht ungefährlich. Er wohnte mit drei Kommilitonen in einer WG. Alles Studenten der Kunsthochschule. Masimba saß seit einer Stunde in der gemeinsamen Wohnküche und bastelte an dem Porträt, das die Deutsche angefertigt hatte. Auf dem Weg zur WG hatte er schnell noch ein Dutzend Kopien von der Zeichnung machen lassen. Natürlich erkannte er die wahnsinnige Begabung des ausgelaugt erscheinenden, doch wunderschönen Riesenbabys und es reizte ihn, aus der Schwarzweißskizze mehr zu machen. Die Augen des Typen, den sie suchte, waren einfach unglaublich. Er spielte mit Aquarellfarben und als seine Kumpels von ihren Nachmittagsvorlesungen eintrafen, hatte er schon ein halbes Dutzend Blätter verfremdet. Jetzt war der Gesuchte, Franco Mignello, sehr lebendig geworden. Intuitiv hatte auch Masimba mit seinen Farben den Charakter des Wuschelkopfes richtig getroffen. Ein echtes Kunstwerk war entstanden und die einhellige Meinung seiner WG-Bande:

»Great!!«

»Wer ist das, Masimba?«

»Der wird gesucht. Von einer Weißen, die so schön ist, dass ich geblendet bin! Es ist ihr Typ. Den vermisst sie. Er soll in Kapstadt sein. Wenn ihr eine Idee habt, wie wir sie finden können, helft mir bitte!«

»Ist die Malerin? Das ist fantastisch, was sie skizziert hat. Diese Augen! Und deine Interpretationen – die müssen wir unbedingt zu nächsten Ausstellung einreichen. Das hat was, echt!«, ereiferte sich Kato, sein bester Freund an der Uni.

»Okay. Lass uns mit dem Verteilen der Bilder in der Szene anfangen. So wie der Typ aussieht, ist er einer von uns. Der muss doch zu finden sein, wenn er wirklich in-town ist!«

Kapstadt schläft nicht. Als sich die WG nach einem gemeinsamen Essen – es gab Chakalaka (Tomaten, Karotten, Paprika, gebackene Bohnen, Chilischoten, Weißkohl und gewürzt mit Knoblauch, Curry, Ingwer und Koriander, dazu Brot), gut und billig – auf den Weg in die angesagten Clubs, Bars und Restaurants machte, kannte jeder von ihnen die Story des Tages um Jutta und den charismatischen Typen, der verlorengegangen zu sein schien. Alle hatten eine Kopie und sie schwärmten sternförmig in die pulsierende Szene aus.

Es war längst nach Mitternacht, als Masimba in einem Live-Club abhing. Bis jetzt hatten weder er noch seine Studienkumpels den Italiener gefunden. Die eingehenden SMS‘ waren ernüchternd. Niemand schien ihn zu kennen. In dem Club, in dem Masimba ein Bier trank, spielten drei Jungs, die er kannte. Gitarre, Bass, Drums. Jimi Hendrix-Cover. „Voodoo Child“: ... Well, I stand up next to a mountain / And I chop it down with the edge of my hand / Well, I stand up next to a mountain / Chop it down with the edge of my hand / Well, I pick up all the pieces and make an island / Might even raise just a little sand / Cause I’m a voodoo child / Lord knows I’m a voodoo child ...

Pause. Kaum Beifall, obwohl die Jungs sehr gut waren.

»Hey Zane! Wie geht‘s dir. Ich habe dich lange nicht mehr gesehen!«, begann Masimba das Gespräch mit dem Gitarristen.

»Ja, kann sein, Mann. Wir proben zurzeit viel. Ich möchte mit den Jungs auf Tour gehen, weißt du? Wir brauchen noch ‘n Plakat. Kannst dich ja mal reinhängen. Dann wirst du berühmt wie wir ...«

»Schaust cool aus, Mann. Geiler Style. Ist bei dir der Wohlstand ausgebrochen?«

»Lass sein, Masimba. Noch ein Set. Dann sind wir für heute durch. Gibt‘s was Besonderes, weil du mich so anmachst? Was willst du?«

Genervter Gitarrero.

»Wenn du mich so fragst, Zane, nee. Eigentlich nicht. Aber ich suche für eine echte Lady den Typen hier. Ist er dir in den letzten Wochen vielleicht schon mal untergekommen?«

Masimba schob Zane, dem Gitarristen, der fast besser als die Legende Hendrix war, die kolorierte Zeichnung über den Tresen, an dem sie beide saßen.

Zufall, Irrtum oder Glück?

Zanes Augen leuchteten für den Bruchteil einer Sekunde auf. Erschrocken oder neugierig? Auf jeden Fall so auffällig, dass Masimba, der es gewohnt war, genau zu beobachten – dass hatten ihm seine Professoren als Erstes beigebracht – etwas in den Augen des arroganten Musikers hatte leuchten sehen, das ihm sagte, dass Zane den Gesuchten kennt.

Tausendprozentig!

Irrtum ausgeschlossen.

Zufall und Glück!

»Arbeitest du jetzt für die SSA (State Security Agency, ein südafrikanischer Geheimdienst), du Pfeife?!«

Unsicher-bösartiger Sound in der Stimme:

»Ich mache keine Spitzeldienste.«

Stand auf, drückte die Kippe aus und schlurfte wieder zur Bühne. Seine Kollegen warteten schon. Das zweite Set begann mit „Hey Joe“.

Masimba war happy.

Er glaubte fest daran, dass Zane M‘Mababa, der müde Supergitarrist des Trios, den Typen mit den strahlenden Augen kennt. Darauf würde er sein geliebtes Fahrrad, ein Hercules aus dem Jahr 1922, verwetten.

Winnfried, du arbeitest zu viel!«, begrüßte Franco das erwachsene Kind am frühen Nachmittag des nächsten Tages, als der ehemalige FB mit tiefliegenden, von starken Ringen der Müdigkeit abgegrenzten Augen zur Terrasse des Haupthauses kam, wo die anderen schon beim Lunch saßen.

»Sorry. Ich habe durchgemacht. Mir ging so vieles durch den Kopf und ich hatte keine Zeit zum Schlafen. Was ist passiert? Habt ihr schon neue Meldungen aus Indien? Dazu bin ich gar nicht gekommen ...«, entschuldigte sich Winnfried bei seinen Neufreunden, denen er nun vollends vertraute. Dazu hatte er sich in der Nacht durchgerungen, denn anders konnte er nicht arbeiten.

Alberto saß nachdenklich an der Stirnseite des Tisches. Sein Blick war voll von Trauer und Unverständnis.

»Wir können nur auf unsere eigenen Mutmaßungen bauen. Demnach sterben in Indien noch immer täglich mehr als fünf Millionen Menschen. Es ist eine totale Nachrichtensperre in Kraft. Weltweit. Die Macht, so etwas anzuordnen, haben nur wenige Menschen. Ich habe mich mit Franco ausgetauscht und auch Jonathan und Mika mit einbezogen. Wir sind der Ansicht, dass nur du uns weiterhelfen kannst, Winnfried.«

»Ich habe schon mal angefangen, am Grundübel zu arbeiten. Das ist nicht leicht, aber zumindest ist es mir in den letzten Stunden gelungen, BLB in Kalifornien auszuschalten und auch deren Tochter GrainBrain hier in Kapstadt. Endgültig können wir das auf Dauer programmieren, ohne dass diese Verbrecherfirmen noch eine Chance erhalten, die Erde weiterhin zu verpesten, wenn meine Clique morgen angekommen ist. Das ist eine Menge Holz, das kann ich euch sagen. Die haben Verschlüsselungstechniken, die sind vom Allerfeinsten. Aber: Zurzeit haben beide Firmen eine Störung auf ihren Systemen, die sie erst mal für die nächsten ein, zwei Wochen beschäftigen wird. Und bis dahin haben wir eine Lösung gefunden, die perversen Gentechnologien vom Markt zu nehmen. Franco weiß, dass wir es schon in einem anderen Zusammenhang im IT-Bereich geschafft haben.«

»Ja, das kann ich bestätigen«, antwortete Franco, ohne näher darauf einzugehen. Er war verzweifelt und gleichzeitig wahnsinnig motiviert das Chaos irgendwie abzuwenden, denn er ging davon aus, dass nicht nur Indien betroffen bleibt, sondern große Teile der Menschheit auf der gesamten Erde vernichtet werden sollen. Franco wirkte angestrengt. Das lag daran, dass er ebenso kaum geschlafen hatte, da er mit der Ausarbeitung einer Logistik beschäftigt war, wie man die Toten irgendwie noch würdevoll in das Jenseits verabschieden könne. Er wusste, dass das nicht möglich war und dennoch beschäftigte es ihn massiv. Noch dazu, weil er es auf dem indischen Kontinent mit anderen Bräuchen und Riten zu tun hatte. Der Hinduismus ging mit Toten ganz anders um als das Christentum. Dazu kamen die vielen Moslems, die wiederum andere Beerdigungen vorsehen. Wie würde das alles zu bewältigen sein, wenn ...

»Mangwanani shumba!«, begrüßte Masimba Jutta. Wie locker verabredet, kam sie am Morgen des übernächsten Tages wieder in die kleine Bar, in der der Kunststudent seine Studiengebühren verdiente.

»Was heißt das, Masimba?«, fragte die heute schon wieder viel besser aussehende Malerin den Rastaman, der sie anstrahlte, als sei sie die zweite Sonne.

»Das heißt „Guten Morgen, Löwin!“ in meiner Heimatsprache Shona. Ich sehe mit Freuden, dass du wieder du bist und zum Kämpfen bereit. Das ist gut so, musikana!«

»Halt, ich bin keine Musikerin, ich bin Malerin«, erwiderte Jutta.

Masimba lachte ... »“Musikana“ heißt in unserer Sprache Mädchen und nicht Musikerin!«

»Ach so, in deinen Augen bin ich ein Mädchen?! Heiratet ihr hier nicht schon mit Vierzehn? Dann bin ich doch schon eine ältere Frau ...«

Jutta gefiel der Masimba. Er hatte etwas Fröhliches, Optimistisches an sich und das baute sie auf.

»Ich bringe dir jetzt den besten Kaffee der Stadt – sagt zumindest mein Chef –, musikana, und dann setze ich mich kurz zu dir ...«

Jutta schaute dem fantastisch aussehenden Typen mit dem Kennerblick einer von der Malerei besessenen Expertin hinterher und ihr Tag ließ sich schon viel besser an als die Wochen zuvor. Jutta fand allmählich ins Leben zurück. Wenn da nicht dieser verdammte alte, widerliche, perverse Typ in New York wäre, der ihr unendlich viel Angst machte und sie völlig im Griff hatte.

Masimba kam mit einem Tablett zurück, auf dem nicht nur ein herrlich duftender Kaffee stand, sondern ein Frühstück, das Juttas Sinne total anregte. Ja, sie verspürte endlich wieder so etwas wie Hunger und griff zu, bevor Masimba die liebevoll zubereiteten Köstlichkeiten absetzen konnte.

»Jutta, ich denke, wir haben deinen Typen so gut wie gefunden«, überfiel er voller Stolz die Frau, in die er sich auf der Stelle verlieben könnte. Aber er war zu schüchtern. Große Klappe und viel dahinter – nur nicht in Sachen Liebe. Er kam aus einem Dorf, nördlich der Hauptstadt Simbabwes, Harare, und seine Eltern legten großen Wert darauf, dass er sich Frauen gegenüber wie ein Gentleman zu verhalten habe. Sie waren es auch, die ihn zur Malerei gebracht hatten, denn sie erklärten ihm mit schlüssigen Argumenten, dass das Schönste vom Schönen auf der Erde eine schöne Frau ist. So wie seine Mutter noch immer eine wunderschöne Frau war. Und die Weiße aus Deutschland, Jutta, war definitiv als schön zu bezeichnen. Masimba hatte große Ehrfurcht gegenüber der Schöpfung. Schon in den ersten Monaten an der Kunsthochschule lernte er, Schönheit auch rein sachlich beurteilen zu können. Der Goldene Schnitt war für ihn das Allergrößte. Die Schöpfung hatte Unglaubliches geleistet. Die Harmonie der Grenzen gehörte definitiv zu den Wundern Gottes.

»Was soll das heißen, Masimba?!«

Jutta geriet augenblicklich in einen positiven Schockzustand.

»Na ja, so einfach ist es nicht. Aber ich habe gestern einen Musiker getroffen, der hatte ein absolut verräterisches Zucken in seinen Augen als ich ihm das Bild von deinem Typen zeigte. Gesagt hat er nichts.«

Und wie Masimba das sagte, legte er das von ihm vollendete Bild von Franco Mignello auf den Tisch, dass Jutta die Gabel, mit der sie gerade eine Mangoscheibe aufgabeln wollte, aus der Hand fiel.

Klirr.

»Franco! Das ist Franco! Kennst du ihn, hast du mich belogen?! Ja, du musst ihn kennen!« Jutta war außer sich. Sie hatte dem studierenden Kellner eine Skizze in Schwarzweiß übergeben. Jetzt erhielt sie ein Kunstwerk zurück, das ihren Franco so klar und unmissverständlich zeigte, dass es für sie keinen Zweifel daran geben konnte, dass der Rastaman ihn kennen muss! Selbst die Farbe seiner Haare stimmte, natürlich die der intensiven Augen.

»Nein. Nur so, wie du ihn skizziert und beschrieben hast, konnte er auf Grund der unwahrscheinlichen Augen aussehen. Nicht anders. Ich habe einfach ein bisschen rumexperimentiert und so, wie er jetzt vor dir liegt, kann er nur der sein, den du suchst. Was Anderes passt nicht zu seinen bemerkenswerten Augen, musikana!«

»Du bist ein Genie, Masimba! Das ist ohne Zweifel der junge Mann, den ich suche!«

Jutta rannen literweise Tränen aus dem Gesicht. Wieder bahnte sich eine Katastrophe an, wie einst in Miami Beach. Die Überflutung Kapstadts war nur noch eine Frage der Zeit ...

Masimba holte Jutta wieder seinen Spezialdrink, den er ihr schon vorgestern serviert hatte. Und siehe da: Die Schleusen für das Absondern von salzigem Wasser schlossen sich.

»Was heißt das „... so gut wie gefunden ...“?«

»So, wie ich es sagte. So gut wie. Deine von mir aufgepeppte Skizze von dem Typen habe ich meinen Mitkommilitonen gegeben. Wir wohnen zu viert in einer WG, alles Kunststudenten. Wir machten uns noch am gleichen Abend nach deinem Besuch hier in der Bar auf die Suche. Wir waren erfolglos. Dann ging ich vor lauter Frust noch auf einen Absacker in einen Laden, in dem hin und wieder eine Jimi-Hendrix-Coverband spielt. Die haben einen Gitarristen, der sensationell ist. Und dem zeigte ich nach einem Set bei einem Bier genau dieses Bild. Er sagte nichts, aber seine Augen zuckten verdammt noch mal verräterisch. Ich bin überzeugt, dass er deinen Franco kennt. An den musst du dich hängen. Klar?«

Bevor Jutta vor Freude wieder zu Heulen anfangen konnte, lief Masimba blitzschnell in die Bar an die Bar. Mixte ihr noch einmal das verschärfte Gesöff und servierte es ihr mit seinem ekelhaft sympathischen Grinsen, so dass Jutta nun auch endlich lächelte.

»Wie können wir den treffen?«

»Geduld, Lady. Der spielt erst am nächsten Montag wieder ab Mitternacht in dem Club. Ich weiß nicht, wo er wohnt. Keine Chance. Übe dich bitte in Geduld. Die haben wir hier in Afrika seit die Kolonialmächte über uns hergefallen sind. Wir gehen am Montag da hin, versprochen. Und dann sehen wir, wie wir weitermachen, okay?«

Jutta streichelte die Fotokopie von Franco so zärtlich, dass es dem Rastaman ganz anders wurde.

Wäre ich doch der, den sie sucht, ging es durch seinen verfilzten Schädel.

SIE FINDEN DICH.

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