Читать книгу SIE FINDEN DICH. - Dankmar H. Isleib - Страница 8

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V

Montag. Masimba war schon den ganzen Tag lang aufgeregt. Er würde die wunderhübsche weiße Riesin aus Deutschland wiedersehen. Sie suchte zwar nach ihrem Liebsten, dennoch rechnete er sich eine Minichance bei Jutta aus. Vielleicht hatte er ja Glück und sie fand den Typen doch nicht ... Masimba war sich bewusst, dass er Schlechtes dachte. Das Karma würde ihn dafür bestrafen. Das heißt, es war schon geschehen. Er hatte heute einen riesigen Anschiss von seinem Professor für Ästhetik bekommen, weil er in der Vorlesung einfach nur alles verträumt hatte und die falschen Antworten gab. Konzentrationsschwäche: Jutta ...

»Wir sind hier auf der Michaelis School of Fine Art, Masimba! Nicht irgendwo in der Provinz! Du bist hier, um einen echten Künstler aus dir zu machen, nicht einen, der sich mit Schnitzereien für Touristen auf die Straße setzt, um ein paar Rand für einen Joint zu verdienen!«

Das ging Masimba sehr nahe. Er wollte der Beste sein. Nein, er musste es, auch, um der Lady aus Deutschland zu imponieren.

Montag.

Jutta war schon den ganzen Tag lang aufgeregt. Es bestand die Hoffnung, dass sie Franco finden könnte. Masimba ist ein feiner Kerl. Ich kann es gar nicht mehr erwarten ihn heute Abend zu treffen. Was mache ich nur mit dem Arsch in New York. Ich muss mich in zwei Stunden wieder bei ihm melden. Was sage ich, wie verhalte ich mich? Verrät mich meine gute Stimmung?

Sie ging viel zu früh zu dem Treffen mit Masimba. Jutta war schon beim dritten Tee, als Masimba endlich kam. Die Begrüßung der beiden? Verhalten, erotisch, unsicher der eine, aufgeregt, neugierig, nervös die andere.

»Sitzt du schon lange hier?«

Blöde Frage.

»Nee, ich bin auch gerade gekommen.«

Wer‘s glaubt, wird selig.

»Lass uns noch was essen gehen, bevor wir den Club unsicher machen, okay?«

Masimba hatte die Trinkgelder der letzten Tage gespart, damit er die Malerin einladen konnte. Sie gingen ein paar hundert Meter, Richtung Club. Auch in Kapstadt kann man auffallen. Das Pärchen machte definitiv Gebrauch davon. Jutta fühlte sich in der Nähe des Rastamans wohl. Er hatte eine positive Ausstrahlung, ebenfalls leuchtende Augen – nicht so sensationell wie die von Franco, aber immerhin ... –, war mindestens einen halben Meter größer als ihr geliebter Franco und er hatte den federnden Gang, wie ihn viele Afrikaner haben: rhythmisch, selbstbewusst – fast arrogant – und stark.

Raubkatzen.

Auch an seiner Seite konnte man sich als junge Frau geborgen fühlen. Jutta spürte das. Geborgenheit und Kraft. Das war es, was sie brauchte. Wenn sie nur jemanden finden würde, mit dem sie über ihre grausamen Erlebnisse der letzten Wochen in den USA sprechen konnte! Der Schock saß tief in ihr.

Masimba strahlte vor Glück nach innen. Wenn mich jetzt meine Kumpels sehen könnten! Nie zuvor hat einer von uns eine Granate wie die Deutsche an seiner Seite gehabt. Ich bin ein Glückskerl. Eigentlich will ich nicht teilen. Aber sollten wir Franco finden, werde ich dem vorschlagen, dass wir fifty-fifty machen. Eine Woche er, eine ich. Mal sehen, für wen sie sich dann irgendwann entscheidet ...

Masimba, der Träumer.

Sie saßen im Mini-Vorgarten eines simbabwischen Restaurants, das insgesamt nur fünf Tische hatte, davon einen für zwei Personen im Mini-Mini-Garten. Einer seiner weitläufigen Verwandten betrieb es und kochte ausschließlich Gerichte der Region des ehemaligen Rhodesiens. Masimba bestellte für beide Nhopi. Maisbrei mit Kürbis. Klingt einfach, ist einfach, schmeckt gut, da die Gewürze exotisch sind. Und es ist preiswert.

Studentengerecht.

Beide waren ihre Nervosität noch nicht losgeworden. Masimba bestellte Chibuku. Das ist ein zähflüssiges, milchiges Getränk. Das Bier seines Heimatlandes. Eigenartig im Geschmack und schnell Wirkung zeigend, wenn man es, wie Jutta und auch Masimba, selten, oder noch nie getrunken hatte.

Zunge lockern, Verklemmungen wegschieben. Mut fassen.

Um halb zwölf gingen sie in den Club, in dem der neue Jimi Hendrix spielte. Jutta war begeistert. Eine Band der Qualität hatte sie nicht erwartet. Spielfreude pur. Laut, sie fast erwürgend, der Sound, aber geil und unter die Haut gehend. Luftholen schwergemacht. Nach dem ersten Set kam der Gitarrist an den Tisch, an dem Jutta und Masimba standen.

»Hi Masimba. Willst du mich nicht der Grazie vorstellen? Von der Klasse gibt es selbst in Kapstadt nicht viele!«, machte er Jutta sofort unverhohlen an. Direkt auf den Punkt. Masimba gefiel das nicht, aber ganz Gentleman stellte er vor:

»Jutta, das ist Zane, das Adlerauge. Wie du selbst hören kannst, ein Genie auf der Gitarre. Zane, das ist Jutta aus Deutschland. Sie macht hier Ferien und kam zufällig bei mir in der Bar vorbei.«

»Jutta. What an unusual name!«

Und schon hing Zane, der sich für unwiderstehlich hielt, an Jutta, die rund zehn Zentimeter größer war als er. Attacke pur. Aber Zane musste bald wieder auf die Bühne, das zweiten Set abliefern. Er war sichtlich angefressen, denn er ahnte, dass Masimba sich schon an dem herrlichen Girl abarbeitete.

»Blöd gelaufen. Das ist der Typ, der mehr als verdächtig mit den Augen zuckte, als ich ihm das Bild von Franco zeigte. An den müssen wir uns halten. Wie, weiß ich noch nicht. Auch habe ich keine Lust, dich an ihn abzutreten, wenn du verstehst, was ich meine, Darling!«

Jutta musste schallend lachen. Es knisterte wider Erwarten auch bei ihr ein wenig.

»Wie wollen wir das angehen? Ich denke, ich beauftrage einen Privatdetektiv. Mich kennt er nun. So wollten wir das nicht, aber es war wohl nicht zu verhindern. Wenn er so gut im Bett ist, wie an seiner Gitarre ...«

»Vergiss es. Diese Typen können nicht treu sein! Musiker halt. Was meinst du, weshalb die Musik machen?«

»Sag es mir. Franco ist auch Musiker. Drummer. Aber er ist treu, wetten?«

»Okay, okay. Ich kenne da einen guten Mann, der den Job für dich erledigen könnte. Ihm kann man, glaube ich, vertrauen. Das sagt jedenfalls mein Boss in der Bar. Und der ist ein cooler Hund. Mit allen Wassern gewaschen. Soll ich den mal anrufen? Ich bestelle ihn hierher – wenn du willst.«

»Danke, Masimba. Du bist ein Schatz«, sagte Jutta und meinte es auch so.

Masimba ging kurz raus. Das Trio spielte gerade „All Along The Watchtower“: ... All along the watchtower / Princes kept the view / While all the women came and went / Barefoot servants, too / Outside in the cold distance / A wildcat did growl / Two riders were approaching / And the wind began to howl ...

Jutta war in Gedanken. Sie hatte sich heute nicht bei dem Ekel in New York gemeldet. Ihr war nicht danach. Sie wusste, dass man sie umbringen würde. Beide. Sie und Franco. Und vorher den Rest ihrer Familie. So oder so. Das hatte sie nach der übergroßen Angst, die sie in Joplin befallen hatte, nun in der Sonne Südafrikas endgültig kapiert. Es war ihr inzwischen auch schon egal. Warum sollte sie in ständiger Angst leben? Warum sollte sie den Verbrechern die Arbeit abnehmen? Franco finden. Warum eigentlich? Dann griff sie doch an ihr Amulett am Hals. Ihr täglicher Report war überfällig. Sie drückte den Aufnahmebutton und sprach in den apokalyptischen Lärm, den Jimi/Zane mit seinen Jungs machte:

»Ich bin in jeder Hinsicht einen großen Schritt vorangekommen. Wie, und in welcher Richtung, das sage ich nicht. Und ansonsten können Sie mich gehörig am Arsch lecken! Verstanden?! Ich werde niemanden bespitzeln und schon gar nicht jemanden an Sie ausliefern! Von mir aus bringen Sie den Rest meiner Familie um. Es ist mir egal. Scheißegal, verstehen Sie?! Franco kriegen Sie nicht! Das war mein letzter Report, Sie widerlicher kranker, alter Mann, Sie ...!«

Jetzt ging es ihr schon viel besser. Jutta musste das Joch loswerden. Viel zu lange hatte sie sich unter entsetzlichem Druck gefühlt.

Schluss mit der Gehirnwäsche.

Sie riss sich das Amulett vom Hals, das sie mit New York über GPS verband und zugleich ihre einseitige Sprachverbindung zu dem fiesen Typen war und schleuderte es in Richtung Bühne.

New York, Joplin! Ihr könnt mich mal!

Sie bestellte sich einen ziemlich harten Drink. Ein Glas für ausgewachsene Männer. Der Keeper staunte, wie sie den Hochprozentigen in einem Zug runterspülte.

Dann blickte sie wieder zur Tanzfläche – Konzerte liefen hier anders ab als in Europa – und stellte mit Genugtuung fest, dass ihr Amulett binnen Sekunden zum Spielball der Tanzenden geworden und mit Sicherheit schon völlig zerstört war ...

Sie bestellte sich einen zweiten und einen dritten Drink. Und als Masimba endlich wieder zu ihr kam, hatte sie gehörig einen sitzen und Masimba einen Typen bei sich, der verdächtig schräg aussah.

»Du willst mir jetzt nicht sagen, dass der Typ meinen Franco finden kann?«

Sie sagte es mit schwerer Zunge. Jutta hielt sich am leeren Cocktailglas fest und sah den kleinen, zerknautschten älteren Mann mit den Hasenzähnen an, als käme der direkt aus dem Urwald.

Der ist ja noch hässlicher als Franco! Mein Gott, was hat mir der miese Rastavogelstudentenmaler bloß angeschleppt!

»Das ist Jojowa. Der Beste, den du in Kapstadt finden kannst, Lady!«

Masimba war sauer.

»Okay, okay, war nicht so gemeint. Ich ziehe mein Angebot zurück. Ich werde mich jetzt mit Zane verabreden. Der kann mich durchvögeln und wird mir spätestens nach einer Stunde sagen, wo ich Franco finden kann, verlasst euch drauf, ihr miesen Erpresser!«

Jutta hatte eindeutig ein paar Umdrehungen zu viel intus.

Der kleine, nicht gerade wie George Clooney aussehende ältere Mann mit den Raffzähnen lächelte Jutta an, als wolle er sagen: Mädel, du bist einfach nur besoffen! Lass uns alles auf morgen verschieben. Sagte aber laut und deutlich, den Jimi-Hendrix-Ersatz mit schriller Stimme übertönend, ganz freundlich: »Ich finde ihn, verlassen Sie sich drauf, junge Frau. Sie zahlen mir heute 5000 Rand und den Rest von weiteren 15.000 Rand, wenn ich Ihnen morgen Abend den Herrn Mignello übergebe, einverstanden?«

»Morgen Abend. Morgen Abend! Dass ich nicht lache. Wie wollen Sie denn das anstellen, Sie gieriger Urwaldbote!«

Masimba war total unglücklich. Die Deutsche versaute ihm seine besten Kontakte. Er wusste über die Qualität des unscheinbaren Mannes, der die Fünfzig um mindestens fünfzehn bis fünfundzwanzig Jahre überschritten hatte.

»Ich komme mit, Herr Jojo, wa?!«

»Wohin wollen Sie denn, junge Frau?«

»Schluss jetzt, Jutta. Du bist abgefüllt. Nichts geht mehr. Ich bringe dich ins Hotel, du gibst Jojowa die Anzahlung und den Rest mache ich mit ihm aus, klar!?«

Masimba sprach ein Machtwort. Nahm Jutta am Oberarm, zog sie fest an sich, damit sie nicht ins Stolpern geriet und sie waren schon so gut wie draußen, als die Band gerade „Gypsy Eyes“ spielte: ... Well I realize that I’ve been hypnotized / I love your gypsy eyes / I love your gypsy eyes / I love your gypsy eyes / I love your gypsy eyes ...

In der Tat, Jutta hatte die wunderschönen Augen einer rassigen Zigeunerin. Und in ihrem Rausch sah sie bezaubernd aus. Ihr Rasta-Neu-Freund musste sich gewaltig zusammenreißen, sie nicht sofort zu küssen. Ihre Augen, den Hals, ihren Mund und alles andere Hervorstehende an der schwankenden Lady.

Masimba rief ein Taxi für das ungleiche Trio. Im Hotel wunderte sich der Nachtportier ebenso wie der Taxifahrer zuvor. Links der Rastaman, rechts der gereifte Zwerg mit den Nagezähnen, in der Mitte der wunderhübsche Hotelgast, den Zwerg um mindestens drei Köpfe überragend.

Während der Detektiv die Szene des ungleichen Paares beobachtete und ruhig im eleganten Sessel ihrer Suite wartete, brachte Masimba die Bohnenstange ins Bett. Ein schwieriger Akt. Jetzt hatten die Umdrehungen gewonnen. Ab ins Bad. Kotzen, dann unter die Dusche. Eine so schöne, so weiße, so strahlende Frau mit einer absolut hammerstarken Figur hatte der junge Mann aus Simbabwe noch nie gesehen. Schon gar nicht nackt. Er war von ihren Tattoos fast ebenso fasziniert wie von ihrem Körper und hätte sie nicht nur auf der Stelle gerne vernascht, sondern zuallererst gemalt.

Rubens, Rembrandt, Buonarroti, Matisse, Picasso, Schiele – wie gut hatten die das ...

Der Verliebte fand in Juttas Handtasche genügend Geld, um die Anzahlung an Jojowa zu leisten ...

»Du weißt, was du zu tun hast, Jojowa.«

»Keine Angst, ich werde ihn finden.«

Das ungleiche Pärchen, Kunststudent Masimba Mamango-Rastaman und Detektiv Mr. Jojowa Hasenzahn-Graukopf, verließen das Hotel, nachdem sie sicher waren, dass Jutta ohne Zwischenfall ihren Rausch ausschlafen konnte. Dem Nachtportier drückte Masimba 500 Rand in die Hand ...

»Bitte ruf mich an, wenn die Lady aus der 332 morgen das Haus verlässt, ja?«

»Klar, Masimba. Ich warte, bis sie wach ist.«

Jetzt mussten sich die zwei Männer beeilen, um zum Club zurückzukommen, bevor Zane mit einer Braut für die Nacht den Schuppen verließ. Acht Minuten später hatte sie das Taxi wieder dort abgesetzt. Das zweite Set war abgefeiert, Zugaben ebenfalls. Die ersten Gäste verließen schwerhörig, angeschlagen und doch glücklich den Laden. Zane und seine Jungs waren erste Sahne und der Abend hatte sich gelohnt.

Während Jojowa mit seiner antiken Vespa draußen in der Dunkelheit auf Zane wartete, ging Masimba wieder rein. Zane putzte gerade seine Gitarren. Saiten sind empfindlich und im Schweißdunst des Clubs muss man sie sorgfältig abtrocknen, sonst rosten sie über Nacht. An seiner Seite eine ziemlich durchgeknallte Person. Dem Aussehen nach Holländerin, oder Schwedin. Sie machte Zane an, als sei er wirklich Jimi Hendrix. Es war klar, die würden gemeinsam den Club verlassen. Leichte Arbeit für Jojowa, denn Zane hatte seine Augen nur noch auf ihren spitzen, großen Titten, so wie ihre Augen auf seiner Hasenpfote hingen, wie sie einst Mick Jagger zum Anbaggern in der Hose hatte.

»Wo hast du denn deine Riesin gelassen? Die braucht doch Betreuung – oder kriegst du deinen Rhythm-Stick nicht mehr ausbalanciert?!«

Zane war arrogant. Aber genau das gefiel Masimba, denn dann war seine Aufmerksamkeit noch mehr geschwächt.

»Lass gut sein. Zane. Bist ein toller Gitarrist, hast aber sonst wohl mehr in der Hose als in deiner Birne, oder ...?«

Die Schwedin oder Dänin, Holländerin oder was auch immer grinste und griff genau dahin, wo man die Hasenpfote vermuten konnte. Doch sie gehörte keinem Hasen. Die, die sie griff, war angewachsen.

Ein Prachtexemplar.

»Ich komm‘ bald wieder vorbei. Dann zeichne ich dich, einverstanden? Kannst mir als Akt Modell stehen, wenn der so ist, wie er zu sein scheint, dein Rhythm-Stick!«

Das passte alles. Masimba war überzeugt, dass Jojowa, den er überhaupt nicht wahrgenommen hatte, den Typen von Jutta finden würde.

Jojowa folgte dem frisch gekürten Pärchen. Auf dem Weg zu ihm oder ihr erlebte der Knautschkopf einen halben Porno. Nein, stimmt nicht: einen kompletten. Zane schien nicht müde zu werden. Er ging mit seiner Errungenschaft zuerst zum Hafen. An einem Pfahl, der mit einem Tau ein Schiff mittlerer Größe festhielt, pfählte er die Blondine. Er spießte sie auf und Jojowa konnte bestätigen, dass er keine Hasenpfote in seiner engen Jeans hatte. Die erste Nummer der Nacht. Zane war in seinem Element, die Blonde war selig. Auf zu einem Schuppen, der die ganze Nacht lang auf hatte. Jojowa musste draußen warten. Er gehörte definitiv nicht zu der Klientel, die der Türsteher reinließ. Alles über Dreißig hatte keine Chance an ihm vorbeizukommen. Schon gar nicht Männer.

Es wurde über dem Tafelberg schon leicht hell, als die beiden den Club verließen. Direkt nach Hause? No Chance. Diesmal besorgte er es der Blondine von hinten. Legte sie über eine Parkbank und der nächste Porno war fällig. Der dunkle Riesenstab und ein fülliges, weißblasses Hinterteil.

Der hat Ausdauer bei seinem Job wie ich bei meinem. Aber ich bin noch besser!, zischte Jojowa sich selbst an. Er drehte sich eine Tüte, bediente seinen Flammenwerfer und zog den verdächtig nach Dope riechenden Rauch genüsslich ein. Ansonsten war Jojowa unsichtbar wie sein rostiger Motorroller.

Er war das Warten gewöhnt.

Zu ihr ins Hotel oder zu ihm? Jojowa hatte Glück. Auf der Strand Street angelten sie sich ein Taxi. Ihr Schatten – natürlich fuhr Jojowa ohne Licht – war dicht hinter dem Taxi. Eine ziemlich lange Fahrt zur Kipling Rd. Kein Hotel. Die Bude des Gitarristen. Wieder warten. Schon an der Haustür hatte er seinen Stab wieder in ihre Hand gegeben ...

Um 06:47 stand die Blondine vor der Tür. Heulend. Jojowa konnte keine Rücksicht darauf nehmen. Das Licht im zweiten Stock ging aus.

Er war auf Zane fokussiert.

Wieder warten.

Der Roller war vollgetankt, etliche Joints hatten den Detektiv wachgehalten und ein paar Bierchen hatte er sich auch gegönnt. Gegenüber dem Hauseingang von Zanes ziemlich heruntergekommenen Haus war eine Imbissbude. Jojowa deckte sich ein. 09:11 kam der Gitarrist aus der Tür. Er sah ziemlich abgefuckt aus. Musiker halt. Drei Gitarrenkoffer schleppte er und legte sie behutsam auf den Rücksitz der alten Karre. Ein grüner Subaru Leone von 1980. Keine zwanzig Meter von Jojowa entfernt. Der Gitarrist drehte die Fenster runter – es war schon verdammt schwül –, aus den Boxen drang Jimi Hendrix, was sonst, und gab Gas.

Der Unsichtbare hing an Zane wie eine Klette. Eine lange Strecke. Raus aus der Stadt Richtung Osten, an Stellenbosch vorbei ab in die Berge. Jojowa hatte alle Mühe, mit seiner alten Schleuder der fast so alten Karre des Gitarristen zu folgen. Der war leichtsinnig. Er rechnete mit seinem durchgevögelten Schädel sicher nicht damit, dass er von einem älteren Mann auf einem Motorroller verfolgt werden würde.

Naturschutzgebiet.

Ein Tor, ein Schild: IN VINO VERITAS. Keine Chance zu folgen. Der riesige Weinberg inmitten von Jonkershoek glich einer Festung.

Der rosarote rostige Roller rollte am Tor vorbei. Dann setzte die Zündung aus. Er musste halten. Jojowa machte sich seine Gedanken. Er hatte noch nie etwas davon gehört, dass es hier in den Bergen ein Recordingstudio geben sollte. Drei Meter hoher Zaun soweit das Auge reichte. Am Eingang zum Weingut Kameras; ein riesiges Tor rollte lautlos zur Seite. Der Subaru war bekannt. Der Wachposten in Uniform und mit einer MP vor dem Bauch winkte dem Gitarristen zu. Was macht ein Musiker mit Gitarren im Gepäck auf einem Weingut? Warum wird ein Weingut – er kannte die Produkte, die er sich nicht leisten konnte – bewacht wie die Diamanten von De Beers? In dem alten Graukopf machten die ebenfalls grauen Zellen Lärm. Verbindungen wurden hin und her geschaltet. Tack, tack. Tack, tack.

Das macht doch alles keinen Sinn! Ein Weingut. Ja, die machen hier tollen Wein. Aber Kameras, ein riesiger Zaun, soweit man blicken konnte, das Tor, der bewaffnete Pförtner?

Jojowas Interesse war geweckt. Damit hatte er nicht gerechnet. Aber er wäre nicht ein ausgefuchster Hund, wenn er keine Lösung finden würde.

Er umrundete das halbe Weingut. Überall das gleiche Bild: vorzüglicher, hoher Zaun, stabil und verzinkt und Kameras. Dann bemerkte er die Drohnen. Sie flogen, fast lautlos, das Gelände in regelmäßigen Abständen ab. Jojowa fasste einen Entschluss und fuhr zum Eingang zurück.

»Hi, ich suche dringend einen Job. Braucht ihr hier noch Leute für die Weinlese oder so? Ich kann im Grunde alles machen, du verstehst, Kumpel, oder?«

»Du bist zu alt, Kumpel! Verpiss dich, okay?!«

»Warum bist du zu einem alten Mann so unfreundlich? Dir geht es doch gut. Hast einen Job. Noch dazu in Uniform. Wer ist denn euer Chef? Gibt es hier einen Boss, mit dem ich mal sprechen kann, einen Verwalter oder sowas ähnliches?«

Jojowa ließ nicht locker. Der Wachposten mit seiner BXP Submachine Gun, einem echten Mördergerät, entwickelt und hergestellt von der Milkor Ltd in Südafrika, südlich von Pretoria, dachte wohl an seinen alten Vater, als er ziemlich von oben herab sagte:

»Komm morgen früh um acht Uhr wieder, alter Mann. Vielleicht kann ich was für dich tun!«

Jojowa bedankte sich artig, setzte sich auf seinen Roller und fuhr Richtung Norden, immer weiter in das Naturschutzgebiet hinein. Er wollte nun genau wissen, wie groß das Gelände war.

Weingut. Dass ich nicht lache. Das ist doch eine Tarnung!

Aber der Detektiv täuschte sich. Was nicht oft passierte. Ziemlich weit vom Haupteingang entfernt, etwa zwei Meilen, wurde er eines Besseren belehrt. Er kam an eine lichte Stelle, ein weiteres Tor und er sah LKWs mit Fässern. Eindeutig Weinfässer. Arbeiter, die Fracht aufluden. Kisten mit Wein, Gabelstapler, Gelächter. Dann öffnete sich das Tor und drei große LKWs verließen das Gut. Belieferten vermutlich Kunden in Kapstadt oder fuhren zum Flughafen, vielleicht auch zum Hafen. Ehe sich das Tor wieder geschlossen hatte, war er mit seinem kleinen Roller schon an den Lastern vorbei im Inneren der Umzäunung. Aber er kam keine zehn Meter, da war er schon von Uniformierten mit Maschinenpistolen der gleichen südafrikanischen Marke BXP umzingelt.

Sie zerrten ihn von seinem betagten Roller.

»Was willst du hier, Alter? Das ist ein Privatgelände. Da hast du nichts verloren!«, herrschte ihn ein muskelbepackter Mann an.

»Ach Jungs, ich suche einen Job. Und da ich gerade sah, dass hier Wein verladen wurde, habe ich gedacht, ich kann mal anfragen. Meine Frau ist seit Jahren schwer krank, sie hat Drüsenkrebs und ich kriege doch nirgends mehr einen Job. Außer vielleicht hier auf dem Weingut. Ich kann alles machen, einfach alles!«, bettelte Jojowa die Uniformierten an.

Er hatte Glück. Der Anführer der Aufpasser war gnädig mit ihm.

»Na gut. Lass dein rostiges Teil hier stehen und komm mal mit. Vielleicht lässt sich was für dich machen.«

Er fasste den kleinen runzligen Graukopf hart am Arm und brachte ihn in das Gebäude, in dem die Verwaltung zu sein schien.

»Chef, der braucht ‘nen Job. Seine Frau ist krank. Haben wir was für den?«, fragte der Muskelprotz einen Weißen, den der clevere Detektiv sofort als ehemaligen Geheimdienstler identifizierte. Diese Typen waren ihm geläufig. Hatte er doch selbst mal bei einem solchen Verein für die Briten gearbeitet.

Sam Gilmore musterte ihn genauso, wie auch Jojowa das von seinen Ausbildern beim britischen GCHQ vor vielen, vielen Jahren gelernt hatte ...

»Wer sind Sie, wie kommen Sie auf das Gelände und was wollen Sie von uns?!«

»Das Tor war offen. Ich bin mit meinem Roller reingefahren. Meine Frau ist schwer krank und ich dachte, ich kann hier einen Job finden. Und wenn es nur für ein paar Stunden täglich ist.«

Sam Gilmore überlegte.

»Was können Sie denn, Mann?«

»Ich habe schon so gut wie alles in meinem Leben gemacht. Egal. Ich bin nicht wählerisch und wenn ich ein paar Rand dazuverdienen kann ...«

»Okay. Können Sie gleich hierbleiben?«

»Natürlich, Chef! Sie wissen gar nicht, wie dankbar ich Ihnen bin!«

»Weinfässer können Sie nicht schleppen, aber wie wäre es in der Küche? Wir haben Gäste und könnten da Hilfe gebrauchen, einverstanden?«

»Natürlich, Chef! Danke, danke!«

»Sagen Sie Sam zu mir.«

»Ich bin Jojowa. Nochmals danke!«

»Lassen Sie den Roller hier stehen. Ich nehme Sie mit zum Haupthaus. Sie werden gecheckt, Meister. Haben Sie Papiere bei sich?«

»Aber natürlich, Chef, eh, Sam!«

»Und noch was: Über das, was Sie hier sehen und hören, kein Wort zu niemandem. Dafür werden Sie auch gut bezahlt werden. Hier probt ein Star inkognito! Ist das klar?«

»Ich habe nur meine kranke Frau, Sie können sich darauf verlassen, Sam!«

Geschafft.

Nach einer Leibesvisitation, neuen (Küchen)-Klamotten, die man ihm gab, dem Einbehalt seiner Papiere, die Sam Gilmore sofort über einen Bekannten im Polizeipräsidium von Stellenbosch prüfen ließ, geleitete ihn der Verwalter des Gutes in die Küche zu seinen neuen Kollegen.

Gemüse vorbereiten, abwaschen, schälen, Botengänge innerhalb des riesigen Hauses. Arbeit ohne Ende aber gutes Essen, das auf jeden Fall. Der Koch und seine drei Frauen, die ihm beim Zubereiten halfen, waren sehr freundlich zu Jojowa.

»Bring das mal gleich in die Halle. Die brauchen immer Snacks ohne Ende«, wurde Jojowa angewiesen und schon hatte er ein riesiges Tablett mit leckerem Fingerfood auf den Händen.

»Wohin? Wenn du mir das auch noch sagst ...?«

»Nach rechts, wenn du rauskommst. Dann siehst du schon die blaue Halle. Da probt die Band. Das ist für die Musiker.«

Jojowa schleppte das Tablett mit Freuden die rund zweihundert Meter zu der Halle. Erst als er direkt davorstand, hörte er leise Musik.

Das ist es also. Hier probt irgendein Superstar ganz im Geheimen für eine Tournee. Das muss es sein. Perfekt schallisoliert. Deshalb der Aufwand. Ist doch wohl aber übertrieben, selbst wenn Michael Jackson wieder auferstanden wäre, oder?, ging es ihm durch den Kopf, als er versuchte, mit dem Tablett in der Hand durch die Schallschleusen zu kommen.

Drei Türen.

Geschafft. Höllenlärm.

Schlimmer noch als in dem Club letzte Nacht. Eine riesige Band bei der Probe. Die Musik war nicht sein Ding. Aber Job ist Job. Er brachte die Snacks direkt zur Bühne. Fotografierte alle mit den Augen. Zane erkannte er als Einzigen. Nur zwei Weiße in der Band. Einer von denen muss es sein. Der Keyboarder unterbrach:

»Franco, können wir ab Takt 16 noch mal anfangen. Da ist bei den Bläsern was schief. Ich glaube, es ging von der Posaune aus.«

Auftrag erfüllt, Lady. Ich habe ihn! Franco. Sommersprossiger Krauskopf. Quirlig, klein und mit Augen, die man nicht vergisst. Der Drummer der Band. Ich habe ihn! Glück. Masimba, du hast Glück! Der Gitarrist hat dich in seiner Arroganz letzte Nacht im Club übersehen.

Jojowa stellte das Tablett auf die Bühnenkante.

»Guten Appetit, Jungs!«

Und schon war er wieder verschwunden. Der kleine alte Mann mit den Hasenzähnen und der eigenwilligen Perücke ...

Sein Arbeitstag war noch lang. Die Bewohner des Weinguts waren gefräßig. Tausend Wünsche mussten erfüllt werden. Und so viele Kinder dort ... Es war bereits stockdunkel, als er mit seinem Roller endlich ziemlich müde auf dem Heimweg durch die Berge nach Kapstadt fuhr.

Sam war sich in diesem Moment bewusstgeworden, dass er einen Riesenfehler gemacht hatte. Er stellte einfach einen wildfremden alten Mann ein! Der hatte ihn an seinen verstorbenen Vater erinnert. Gilmore, du bist zu einem unaufmerksamen Weichei mutiert! Solch Fehler darf dir nie wieder unterlaufen ...!

Weisenfeld wurde abwechselnd blass und dann wieder hochrot. So rot wie das Schild, dass der einstige Kaufmann in Frankfurt vor seiner Wechselstube hatte, um sein Geschäft anzupreisen. Gerade hatte er die Nachricht von Jutta Spengler, der ekligen, attraktiven deutschen Nutte, die er auf Franco Mignello angesetzt hatte, abgehört. Dass sie ihn so hintergeht, damit hätte Weisenfeld nicht gerechnet. Er war der festen Überzeugung gewesen, dass die Gehirnwäsche ausreichend gewesen wäre. Sie hatte in den letzten Jahren immer bestens funktioniert. Nicht einer der auf diese Weise behandelten und umgedrehten, ihm hörigen Personen, hatte sich jemals noch widersetzt. Er griff, völlig außer sich, zum Hörer.

»Sie ist in Kapstadt. Finden, beobachten und auslöschen, nachdem sie Sie zu Mignello geführt hat. Alle beide auslöschen! Sie weiß, wo er sich aufhält. Der Auftrag hat Vorrang.

Vor allem!

Haben Sie mich verstanden? Stellen Sie sich, wenn nötig, eine Armee zusammen! Ich erwarte in exakt achtundvierzig Stunden Meldung über den Vollzug des Auftrages!«

Wutentbrannt legte Weisenfeld auf. Vom eleganten Büro seiner Kanzlei, das er von seinem ehemaligen und von ihm entsorgten Partner Delgado übernommen hatte, schaute er direkt auf das Waldorf Astoria. Dort spiegelte sich gerade die Sonne wider, die ihn blendete. Er verfluchte die Sonne, das Waldorf Astoria, alles!

Die Vernichtung in Indien lief prächtig an. Warum versagte er im Detail? Ja, es war eine Privatfehde. Aber es war auch mehr als das. Der Italiener. Eine Gefahr. Nicht zu unterschätzen. Bisher hatte der sich geschickt zur Wehr gesetzt, hatte ihn, den großen Weisenfeld, mehrfach ausgetrickst, daran gehindert, die Henderson zu pulverisieren.

Jetzt diese Spengler.

Wie konnte sich eine Schlampe, eine deutsche Arierhure, seinen Befehlen dermaßen widersetzen? Es war ein Spiel. Sein perverses Spiel. Es ist immer eine persönliche Sache. Und es geht um Macht und Sexualität.

Immer geht es nur darum.

Weisenfeld war besessen von Macht. Deshalb verging er sich auch an Kindern und Babys. Macht. Armselige Macht. Jetzt brauchte Weisenfeld wieder Material. Er wusste, wo er es bekam, um seinen perversen Trieb zu befriedigen.

Die hätten mir doch zwei, drei Babys aus Indien schicken können. Ja, das muss ich veranlassen. Die Hautfarbe. Interessant. Bin gespannt, ob die auch so blass werden wie die Niggerkinder, wenn sie am Verenden sind ...

Es war spät, als Jojowa in Kapstadt ankam. Er fuhr direkt in die Bar, in der Masimba arbeitete und hatte Glück: Der putzte noch Gläser und war dabei die letzten Gäste zu verscheuchen.

»Ich habe ihn. Mach mir bitte mal einen Grand Pink Mojito. Den brauche ich jetzt.«

»Ich wusste, du bist der Beste. Wie hast du den Typen so schnell gefunden, sag an?«

»Ich erzähle alles nur einmal«, weigerte sich der Detektiv.

Masimba war glücklich und betrübt zugleich. Er konnte Jutta gegenüber prahlen, aber gleichzeitig hieß das ja auch, dass die ihren Liebsten wiederhaben würde und er völlig abgemeldet sein würde. Der Stolz, es geschafft zu haben, überwog.

»Lass uns in ihr Hotel gehen. Wir werden sie wecken müssen, schätze ich mal.«

Jojowa war müde. Mit einem Tag wie dem gerade zu Ende gegangenen, hatte er nicht gerechnet. Aber er war erfolgreich gewesen. Der alte Detektiv trank eilig seinen Grand Pink Mojito aus, der ihm wirklich gut schmeckte, und sie machten sich auf den Weg zum Hotel.

Jutta schlief nicht.

Sie saß einsam an der Hotelbar und hatte den ganzen Tag, den ihr immer länger vorkommenden Abend und die halbe Nacht mit ziemlich angespanntem Kopf auf den Rastaman und den Hasenzahn gewartet. Nervös, aufgeregt. Zufrieden, unzufrieden. Mit trübem, sehr nachdenklichem Gesicht.

Ich habe richtig gehandelt. Ich musste dem Typen in New York die rote Karte zeigen. Wie kann mich jemand dazu zwingen einen anderen Menschen umzubringen! Der Widerling hat schon meine halbe Familie auf dem Gewissen! Wie konnte ich überhaupt nur mit dem Gedanken spielen. Angst. Na, dann müssen sie eben den ganzen restlichen Spengler-Clan auch noch auslöschen. Dann sind wir wenigstens alle weg! Ich liebe Franco. Basta! Ein Leben ohne ihn? Nicht vorstellbar.

Als sie die beiden Männer kommen sah, hellte sich ihre Miene wieder auf. Das Grau wich aus ihrem Gesicht und als der Große und der Kleine vor ihr standen, strahlte sie, dass der Große eine Sonnenbrille brauchte, so geblendet fühlte er sich, und der Kleine einen weiteren Cocktail, um nicht auf falsche Gedanken zu kommen. Oder war es umgekehrt?

»Lady, die restlichen Fünfzehntausend waren gut angelegt. Ich habe ihn. Wie versprochen. Mit ein paar Stunden Verspätung!«

Jutta konnte ihr Glück nicht fassen. Nach der durchlebten Odyssee der letzten Wochen ...

»Der Gitarrist ist halt ein Musiker. Scharf auf Frauen und jede Vorsicht außer Acht lassend. Ich bin mir sicher, dass der von seinem Boss gehörig welche auf die Mütze bekommt«, begann Jojowa seinen Report.

»Das Camp, in dem der mit vielen anderen Musikern probt, ist ein Hochsicherheitstrakt. Eigentlich ist es ein Weingut und gehört einem Engländer mit spanischem Namen. Es liegt im Nationalpark von Jonkershoek, nahe Stellenbosch. Aber das sagt Ihnen nichts, junge Dame. Es sind von hier aus rund fünfzig Kilometer in die Weinberge. Alles, was ich dort angetroffen habe, brachte und bringt mich sehr zum Nachdenken. Das interessiert Sie vermutlich nicht, aber es gehört zu der Story. Sie müssen begreifen, Jutta, dass es nicht so einfach sein wird, den jungen Mann zu treffen. Die Band, die Verwaltung des Weinguts und ein halber Kindergarten mit, so viel wie ich gesehen habe, fünf blutjungen Boys und Girls, leben dort streng bewacht. Ein luxuriöses Lager, in das man nicht einfach so reinkommt und das auch niemand ohne zig Kontrollen verlassen kann. Ein Hochsicherheitstrakt. Das ist der Eindruck meines ersten Tages.

Das Gute: Der Typ, den Sie suchen, Franco Mignello, spielt in der Band. Er ist der Schlagzeuger. Schätze, genau der ist es, den Sie meinen, oder? Ich kann Ihnen keinen Beweis vorlegen, denn als ich mich dort als Tagelöhner, der auf der Suche nach einem Job ist, vorstellte, wurde ich verdammt noch mal sehr gründlich gefilzt. Und zwar so, wie es nur Profis machen. Natürlich war ich darauf vorbereitet. Deshalb hatte ich mein betagtes Handy schon im Büro gelassen. Sonst hätte ich den Rotschopf fotografieren können. Der Verwalter dort oben ist ein ehemaliger Mann des britischen Geheimdienstes. Er führt ein strenges Regiment. Nur weil ich selbst in meiner Jugend vom britischen Geheimdienst, dem GCHQ, in der Öffentlichkeit fälschlich immer nur als MI6 bekannt, ausgebildet wurde, konnte ich das richtig einschätzen.«

Jojowa war in seinem Element. Konzentriert und immer sofort auf den Punkt kommend. Jutta hing an seinen Lippen und war froh, dass Masimba sich nicht geirrt hatte.

»Was dort vorgeht, weiß ich nicht. Ich kann nur sagen, es probt eine sehr professionelle Band mit sehr guten Musikern verschiedener Nationalitäten und Farben. Was die halben Kinder dort machen, konnte ich noch nicht rausbekommen. Wenn ihr mich fragt: Die verfolgen eine Mission. Die leben in einem Gästehaus völlig zurückgezogen, reden kaum, treten als Schwarm auf, sehen hochintelligent aus und bekommen eine sehr merkwürdige, auf die jeweilige Person individuell zugeschnittene Ernährung. Die paar Wortfetzen, die ich aufgeschnappt habe, lassen mich vermuten, dass sie irgendwie in der Forschung tätig sind. Für mich sprachen sie in Hieroglyphen, redeten von einer kosmischen Zahl, die auf irgendetwas Wichtiges Einfluss hat, brachen aber ab, als ich in ihre Nähe kam, um ihnen das Abendessen zu servieren. Ach so: Ich arbeite dort in der Küche als Hilfskoch. Mache die Arbeiten, die keiner machen will.«

»Wie kann ich Ihnen danken, Jojowa? Das ist einfach fantastisch!«

Jutta kullerten schon wieder dicke Tränen der Freude aus den Augen. Eine neue Flut war zu erwarten ...

»So. Hier die Adresse. Da können Sie Ihren Freund Franco finden.«

Der Detektiv schob Jutta einen Zettel rüber. Auch die Telefonnummer von IN VINO VERITAS war mit dabei und eine ziemlich fantastisch aussehende Skizze des Weinguts.

»Danke. Das ist mehr, als ich erwartet habe. Sie sind mein rettender Engel, Jojowa!«

Nun strahlte Jutta, dass selbst zwei dunkel getönte Sonnenbrillen nicht reichten, um der Leuchtkraft ihrer Augen zu entgehen.

»Und wie geht’s jetzt weiter?«, wollte Masimba wissen, der sich bisher bescheiden zurückgehalten hatte.

»Na ja, ich muss in wenigen Stunden wieder zurück zu meiner Arbeit. Will sehen, was ich noch alles an hilfreichen Informationen besorgen kann, Masimba. Der Verwalter, ein gewisser Sam Gilmore, ist ein Fuchs. Das auch für Sie, Jutta, wenn Sie vorhaben sollten, dort einfach hinzufahren und nach Franco zu fragen. Das wird so nicht funktionieren.«

»Danke, Jojowa!«

»Ich werde versuchen herauszubekommen, was es mit dem Weingut und der dort probenden Band auf sich hat«, schaltete sich noch einmal Jojowa ein, während Jutta bereits verzückt und völlig entrückt in einer anderen Welt zu sein schien. Sie träumte vermutlich schon von einem Wiedersehen mit Franco ...

Wood war total angepisst. Als ob er nicht schon mit dem Scheiß in Indien genug an der Backe hatte. Jetzt sollte er auch noch sofort und gleich und am liebsten vorgestern Jutta Spengler finden und beseitigen, wenn es nach Weisenfeld ging! Als ob Kapstadt nur ein Dorf mit fünfzig Einwohnern wäre!

Was stellt der sich vor. Weisenfeld. Du drehst am Rad. Ja, ich will aufsteigen. Ja, ich will einen einflussreichen Hochgrad bekommen. Vielleicht irgendwann ein Großdruide werden ... Ja, ich mache alles dafür. Das ist nicht die Frage. Aber wie soll ich mich zerteilen? Wie soll ich die Frau finden!

Weisenfeld hatte ihm ein Foto von der jungen Frau auf sein Handy geschickt, die er suchen und töten sollte. Joe Wood war jetzt schon scharf auf sie.

Bevor ich die kille, muss ich sie ficken! Die ist ja fast noch heißer als Stella Henderson, die ich auch noch vernichten muss wie die ganze Brut, die irgendwo in den Bergen bei Jonkershoek haust. Dreimal hat mich Stella Henderson schon ausgetrickst. Mehr als genug. Ich habe einfach zu viel um die Ohren. Das wird es sein. Ich muss mir dringend eine kleine Armee aufbauen. Wie? Hier in Südafrika? Unauffällig? Der Staat ist doch besser kontrolliert, als dass das die Südafrikaner und der Rest der Menschheit je glauben würden. Südafrika. Ein wichtiges Land. Das war das Erste, was ich von denen lernte, die mich heute gängeln und zu deren Elite ich gehören möchte. Ja, ich brauche eine kleine Armee. Ich muss mir hier Helfer suchen. Alleine komme ich nicht weiter. Aber wem kann ich vertrauen? Ich traue mir ja selbst kaum, geschweige denn der Bande um Weisenfeld, dem Rat der Dreizehn. Die würden mich wegblasen wie ein Staubkorn, wenn ich nicht nützlich für sie wäre. Noch. Betonung auf noch. Ich gebe mich keinen Illusionen hin. Deshalb: Ich muss aufsteigen. Bis ich soweit bin, dass die Illuminaten nicht mehr ohne mich können, muss ich kämpfen. Ich muss Gas geben. Die Situation verschärft sich mit jedem Tag. Weltweit. Die Illuminaten gegen den Rest der Welt. Das heißt, unendliche Geldmacht von ein paar Großgangstern gegen mehr als sieben Milliarden Ameisen. Können die Ameisen uns zertreten? Es wird ein harter Kampf werden. Das ahne ich. Aber ich will dazugehören, auch wenn mir der Weisenfeld stark auf den Sack geht!

Wood dachte sich in Rage.

Allmählich wuchs ihm die Sache über den Kopf. Zu viel für einen einzelnen Agenten der DEA, der eigentlich in Rom auf den Vatikan aufpassen soll und darauf, dass der Rauschgifthandel in Europa unter Kontrolle bleibt und sich keine Mafiagruppen in den lukrativen Handel einschleusen, die die DEA nicht kontrolliert.

Doch am wichtigsten blieben seine Kontakte nach New York. Zu Weisenfeld und den anderen Großdruiden.

Als Jojowa nur wenige Stunden nach dem Treffen mit Jutta wieder am Hochsicherheitsweingut IN VINO VERITAS ankam, müde, ausgelaugt, grüßte auch ihn der Wachposten am Haupteingang freundlich.

Was ist geschehen, dass die mich plötzlich akzeptieren. Ich bin doch ein Eindringling, ein Fremder. Jetzt begrüßt der mich freundlich und wedelt mit der MP. Jojowa, du musst höllisch aufpassen ...

Zu spät.

Kaum war er auf dem Gelände, wurde der Knautschkopf von drei weiteren schwer bewaffneten Uniformierten umzingelt. Sie legten ihm Handschellen an und brachten ihn zum Haus des Verwalters.

»Raus mit der Sprache, Mr. Jojowa Bakate, ehemaliger Chief-Lieutenant der SAP, was wollen Sie hier?! Sie waren der Leiter von Desk D, der Abteilung, die die Doppelagenten Südafrikas betreute. Ausgebildet bei meinem ehemaligen Verein. Ich dachte es mir doch. Sie waren nie sauber, sie sind es nicht und wenn Sie jemals noch unsere Festung verlassen sollten, dann sicher nur in einem Blechsarg!«

Sam Gilmore war richtig sauer. Dass ausgerechnet er auf den kleinen Mann reingefallen war! Der hatte ihn fies ausgetrickst. Das war dem ehemaligen Oberst des GCHQ seit seiner Abdankung nicht passiert und im Dienst schon gar nicht.

»Ich kann Ihnen sagen, Sam, was ich hier wollte. Aber Sie werden es mir ohnehin nicht glauben. Also lassen wir das.«

»Reden Sie, Mann, sonst werfe ich Sie sofort den Hunden vor. Die sind immer hungrig!«

Sam Gilmore musste davon ausgehen, dass ‚die‘ den kleinen hässlichen Ex-Agenten eingeschleust hatten. Die erste große Angriffswelle hatten sie noch abwehren können. Seitdem hatte man fieberhaft aufgerüstet. Den Zaun verbessert, über 100 neue Kameras angebracht, zwei Dutzend Drohnen kontrollierten das Gut. Sie hatten rund einhundert gut bezahlte Söldner eingestellt, die IN VINO VERITAS bewachten.

»Lassen wir die Spielchen, Sam! Sie wollten doch gestern noch, dass ich Sie so anrede, nicht wahr?«

Jojowa gewann wieder die Oberhand, denn er war sich sicher, dass der Verwalter nichts gegen ihn vorbringen konnte. Übrigens hatte er heute früh, bevor er nach Jonkershoek aufbrach, auf die Schnelle einen alten Kumpel aufgesucht, der noch immer bei der SAPS (South African Police Service) tätig war und dem gesagt, was er zu tun habe, falls er sich bis morgen Abend 22:00 nicht wieder bei ihm melden würde.

»Also, was machen Sie hier?«, insistierte Gilmore.

»Ich weiß nicht, weshalb Sie um das nicht gerade kleine Weingut Zäune ziehen, die nicht nur jedem normalen Dieb trotzen, sondern einem professionellen Angriff. Zumindest der ersten Welle. Weshalb Sie zusätzliche Kameras installiert haben, Drohnen das Objekt bewachen und bewaffnete Posten patrouillieren, die mit modernsten Waffen ausgerüstet sind. So wertvoll kann keine Weintraube sein. Erzählen Sie mir keinen Mist. Ich bin von Ihren Leuten ausgebildet worden. Die Ausbildung war gut, sehr gut sogar!«

Sam Gilmore saß seinem Ex-Kollegen gegenüber und schwieg. Was sollte er auch sagen? Ihre Feinde würden nicht einen abgehalfterten, alten Ex-Geheimdienstler einsetzen. Es sei denn, um eben als Küchenschabe auszuspionieren, was es alles auf de Morreros Weingut sonst noch zu essen gibt.

Jojowa bemerkte Sam Gilmores für Sekundenbruchteile aufblitzende Unsicherheit. Er war ja selbst ein alter Fuchs und versuchte es mit der Wahrheit:

»Ich bin von einer Klientin beauftragt worden ihren Liebhaber zu finden. Eine reine Lovestory also. Nicht mehr und nicht weniger. Es fing ganz harmlos an mit einer Skizze. Ein junger Typ wurde gesucht. Die wurde in der Szene, downtown, rumgereicht. Wir wurden fündig. Ein Mitglied der Band sagte nichts. Das ist die Wahrheit. Aber seine Augen verrieten ihn. Der arme Kerl kann nichts dafür, dass er den von mir Gesuchten verriet. Er ist Musiker und kein ausgebildeter G-Man. Um die Story abzukürzen: Gestern brachte ich der Rockband Essen. Im Auftrag Ihres Küchenchefs. Der, den ich im Auftrag der Lady suchte, saß am Schlagzeug. Definitiv.«

Schweigen auf beiden Seiten.

»Nun fangen Sie was damit an oder auch nicht. Das ist mir egal. Ich kann Ihnen nur sagen, und das ist ernst gemeint, wenn ich mich bis morgen Abend um 22:00 bei meinem Kontaktmann in Kapstadt nicht gemeldet habe, können Sie Ihren Saftladen hier dichtmachen. Darauf mein britisch-afrikanisches Agenten-Ehrenwort. Was das wert ist, können Sie am besten einschätzen. Der Laden hier wird ausgeräuchert, so schnell können Sie gar nicht bis zehn zählen!«

In der grauen Zentrale des alten Mannes sprühten nur so die Funken; Synapsen waren in Bewegung und verknüpften sich neu.

Gilmore sagte noch immer nichts. Was der Alte sagte, klang plausibel. Aber ist es nicht immer so, dass Agenten gute Legenden und Storys parat haben, wenn sie mal gefasst werden sollten? Er musste diesen Jojowa Bakate überwachen und härter anfassen. Zu viel stand auf dem Spiel. Der Angriff auf das Weingut seines Schwagers, um an Stella und Co. zu kommen, war zu massiv und zu exakt militärisch geführt worden, als dass er sich einen Fehler erlauben konnte.

Ich muss dringend Alberto, Franco, Jonathan Burger und Winnfried von Löske zu Rate ziehen. Wir sind schließlich keine Mörder. Aber wenn der Eindringling zu denen gehört, die meine Familie, unsere Freunde und Gäste töten wollen, dann muss der Mann aus dem Weg geräumt werden. Ich kann den nirgends mehr hingehen lassen.

»Nehmt ihn mit. Nach unten. Und: nicht eine Sekunde aus den Augen lassen. Erneute Leibesvisitation, gründlich bitte. Gebt ihm Wasser und etwas zu essen und legt ihm zusätzlich die Fußfesseln an. Gebt ihm Küchenklamotten. Darin fühlt er sich wohl. Seine Sachen legt in mein Büro«, wies Gilmore die Uniformierten an. Seine Leute. Er war sich zu 200 Prozent sicher, dass er ihnen vertrauen konnte.

Sam Gilmore verließ den Raum, ging direkt ins Haupthaus zu Alberto de Morrero.

»Bitte, rufe sofort Franco, Winnfried und Jonathan zusammen. Wir müssen reden.«

SIE FINDEN DICH.

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