Читать книгу Kristallschädel - Dankmar H. Isleib - Страница 10

VI

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VANDIM Langholtz kam, wie fast immer, wenn ich ihn rief, allein. Gerade war es mir, gemeinsam mit Fanny, gelungen, Hermine aus ihrer Ohnmacht zurückzuholen. Fanny schien wirklich besorgt zu sein, denn er leckte den kleinen, runzligen, spillerigen Körper der einstigen Schönheit von Kopf bis Fuß ab. Herzzerreißend anzusehen. So hatte ich Fanny wirklich noch nie erlebt. Liebe geht eigenartige Wege. Mein riesiger Kampfhund schien echt besorgt zu sein. Lebte er nun das Märchen „Rotkäppchen und der böse Wolf“ aus oder dachte er an „Der Wolf und die sieben jungen Geißlein“ der Gebrüder Grimm oder glaubte er gar, Schneewittchen vor sich zu haben? Während ich noch versuchte, mir eine glaubhafte Story auszudenken, die ich Kommissar Langholtz auftischen konnte, schien Fanny seinen einseitigen Kampf mit dem blonden Hünen bereits abgehakt zu haben. Er konzentrierte sich mit geradezu zärtlicher Innigkeit auf die Wiederbelebung seiner Liebsten. Und als sie die Augen aufschlug, sah ich echte Tränen in den Augen meiner auch von mir geliebten Töle …

Was für ein Bild!

Und Hermine erst mal!

Nichts von Angst mehr zu spüren. Sie ratterte los wie eine Maxim Gun, das erste Maschinengewehr, das der amerikanische Engländer Hiram Maxim 1885 erfunden hatte und das heute 600 Schuss in der Minute abfeuern kann. Sie bellte mich an, als hätte ich ihr den Kristallschädel geklaut!

Unfassbar.

»Haben Sie die Einbrecher gekriegt? Warum sitzen Sie hier rum es geht um mein Geld meine Gesundheit ich habe Sie eingestellt« – sie sagte tatsächlich „eingestellt“ – »um mich zu beschützen verdammter Idiot und ich muss mich von Ihrem dämlichen Köter ablecken lassen Sie sind ein Arschloch Richter!«

Fanny war entsetzt. Er wandte sich augenblicklich von Hermine ab und stand jetzt aufgeplustert wie ein echter Tosa Inu neben ihr, so, dass ich befürchten musste, er könnte auch ihr den Hals umdrehen. Zweifelte er etwa an seiner Liebe zu Hermine? In dem Moment klingelte es auch schon. Langholtz. Super! Er kam zur richtigen Zeit. Ich hätte Hermine am liebsten gerade eine gescheuert! Und die Leiche lag noch immer im Eingang des Hexenhäuschens …

»Immer, wenn du mich anrufst, gibt es mindestens einen Toten! Wer ist denn das hier?«, fiel Vadim gleich mit der Tür ins Haus und das im wahrsten Sinne des Wortes über die Leiche, von der wir noch nicht wussten, wer sie war und weshalb der Fremde in das Haus der Hexe eindringen wollte.

»Guten Morgen, Vadim! „Schön dich zu sehen“, wäre heute leicht geprahlt. Siehst ja mein Dilemma! Der Typ ist hier eingebrochen. Fanny wollte mit ihm spielen und hat aus Versehen ein wenig heftig zugebissen. Klar, er fühlte sich durch den großen Mann mit der Eisenstange in der rechten Hand bedroht. Der hatte Sekunden vorher die Haustür ausgehebelt. Lass mich erst mal erklären, wo wir hier gerade sind und was die Sache interessant macht …«

Und ich klärte Langholtz über Hermine Doberman und meinen Job auf. Kluger Mann. Er begriff sehr schnell und hatte Verständnis für uns drei. Fanny hatte sich längst wieder neben die kleine Hermine gelegt, diesmal seinen Kopf noch mit leichter Verachtung von ihr abgewendet. Es bestand keine Gefahr, dass Hermine weitere Hämatome auf ihren muskellosen Oberschenkeln bekommen würde. Seine Liebe schien für den Moment etwas erkaltet zu sein.

»Dann sollte ich wohl erst mal herausfinden, wer der Mann ist, der hier so unschön sein Leben beenden musste!« Dabei blickte Langholtz Fanny ziemlich vorwurfsvoll an und stellte sich endlich der Hausherrin vor.

Hermine war begeistert! Ein echter Kriminalkommissar! In ihrem Haus! Sie fing schon wieder zu flirten an, rollte mit den Augen wie Mata Hari, die exotische Nackttänzerin, die als Doppelspionin während des Ersten Weltkrieges von den Franzosen hingerichtet wurde. Hatte sie vor, ebenfalls aus dem Leben zu scheiden oder glaubte sie, dass sich auch Vadim Langholtz in sie verlieben oder sie als Spionin des LKA München einstellen könnte? Und schon griff sie sich wieder die Maxim Gun – die perfekt in die Zeit der Mata Hari passte – und begann mit ihrem Verbalfeuer Langholtz zu erschießen.

»Sie wissen nicht wer ich bin ich wills Ihnen sagen ich bin reich schön begehrt und dieser Arsch wollte mich bestehlen mindestens wenn er mich nicht auch vergewaltigen wollte bei blonden Hünen echten Ariern weiß man ja nie was die im Schilde führen das sind noch echte Kerle aber der hier na ich weiß nicht kennen Sie sich aus mit Kristallschädeln nein dachte ich mir den wollte der mir klauen dabei ist er schon gestohlen von wem das sollten Sie herausfinden und zwar sofort nehmen Sie die Leiche mit die passt nicht in mein Haus und jetzt machen Sie sich gefälligst an die Arbeit.«

600 Schuss in der Minute …

Langholtz war perplex, fühlte sich erschossen und stand noch immer im Eingang der ‚Villa‘ Doberman.

»Ich werde mein Team kommen lassen. Die nehmen die Leiche mit und können die Todesursache ermitteln. Mit ihrem Kristallschädel, Frau Doberman, habe ich nichts zu tun. Für Diebstahl ist bei uns eine andere Abteilung zuständig. Aber wenn Sie wollen, kann ich das für Sie einleiten.«

»Nein wo denken Sie hin Sie machen mich ganz konfus mit ihrem Geglotze wollen Sie mich flachlegen na ja Sie sehen ja gar nicht so übel aus vergessen Sie’s Sie können doch sowieso nichts bewegen möchte ich wetten und von den Schädeln verstehen sie ohnehin nichts na ja darum kümmert sich Herr Richter nicht wahr!?«

Wieder 200 Schuss abgefeuert.

Die Situation mit dem versuchten Einbruch schien sie doch mehr mitgenommen zu haben, als sie zugeben wollte.

Fanny schaute mit schrägen Blicken zwischen dem Maschinengewehr und Langholtz hin und her. Er war verunsichert. Wem sollte er glauben, was lief da ab, wollte Langholtz ihn etwa verhaften? Verteidigte seine Liebste ihn? So gut war sein Deutsch doch nicht, dass er genau verstand, was um ihn herum geschah.

Langholtz telefonierte, Fanny beruhigte sich wieder, Hermine Doberman – welch Wunder – streichelte den Riesenschädel meines im Moment leicht deppert wirkenden Schoßhundes und ich versuchte, Hermine aufzumuntern. Was für ein Morgen!

Kaum war das Team aus der Ettstraße mit der Leiche abgefahren – ich hatte in der Zwischenzeit einen Schreiner bestellt, der, oh Wunder!, sofort gekommen war und die Tür wieder notdürftig gerichtet hatte, damit Hermine wieder in Ruhe würde schlafen können –, da klingelte es erneut. Ich öffnete die noch etwas schwer gehende Tür und mich traf fast der Schlag. Vor mir stand eine echte Granate! Was für ein Anblick!

»Was machen Sie hier? Scheiße sollte ich Sie kennen? Ach nein ich bin Ines wo ist meine Großmutter lassen Sie mich rein verdammt noch mal Sie haben hier nichts zu suchen!«

Ein weiteres Maschinengewehr, eine Mini-Maxim-Gun aus dem 21. Jahrhundert, fegte über mich hinweg. Diese Frau war definitiv ein Produkt aus der Doberman-Familie!

»Halt mal, junge Frau! So geht es nicht«, versuchte ich die Granate aufzuhalten, aber sie schob mich einfach zur Seite und wurde erst durch Fanny gestoppt, der sich blitzartig vor ihr aufgebaut hatte und sie aus seinen großen, braunen Augen anschaute, als wolle er sich gleich wieder verlieben. Mit einer weiteren Maxim Gun hatte er nicht gerechnet und schien leicht verwirrt zu sein. Und dann hörte ich auch schon die krächzende Krähenstimme der Alten, die aus dem riesigen Wohnzimmer krähte: »Was willst du denn hier verdammt noch mal blöde Gesellschaft haut einfach alle ab und lasst mich in Ruhe!«

Freundliche Begrüßung. Lunchtime der besonderen Art.

»Ach, Omili, ich wollte nur mal wieder bei dir nach dem Rechten sehen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du Besuch hast«, flötete nun diese Ines mit sammetweicher Stimme Hermine an, ging zu ihr, beugte sich über sie und küsste die Krähe auf die geliftete Stirn, mir ihren verführerischen Hintern provozierend entgegenstreckend, sodass selbst Fanny der Speichel von seinen Lefzen triefte und er den Perserteppich leicht verunreinigte.

Richtig getippt, ein Enkelkind der Doberman. Deshalb die verblüffende Ähnlichkeit. Zufall oder Berechnung? Was sollte ich denken? An einem Tag, an dem nichts normal verlief, es schon eine Leiche gab, tauchte plötzlich die bildhübsche Enkelin der Doberman auf? Ihre Stimme verriet sie. Sie wissen ja, ich habe sensible Antennen für Stimmen und ihren unverwechselbaren Sound.

Ines war definitiv nicht gekommen, um zu fragen, wie es ihrer Großmutter geht! Da war ein ganz hinterhältiger Sound zu erkennen … Zumindest für mich. Achtung, Doktor, hier läuft was ab, was du noch nicht einordnen kannst. Pass nur gut auf. Und in der Tat …

Lunchtime. Ich hatte Hunger und sollte den unfreundlichen Ort schnellstens verlassen. Wenn da nicht der besondere Sound in der Stimme der jungen Schönheit gewesen wäre. Freundlich, einschmeichelnd, aber total unecht. Was wollte die Enkelin wirklich? Die war definitiv nicht gekommen, um ihrer Großmutter nur „Hallo“ zu sagen. Der Sound und die Art, wie sie die Alte ansprach, ließ es nicht zu, dass ich mich einfach so vom Acker machte. Fanny war eh abgeschrieben. Der hing bei den beiden Frauen rum, schaute von einer zu anderen und war merkwürdig still. Eigentlich wie immer, Hunde reden ja relativ wenig. Was fiel ihm auf? Hatte er das gleiche Gefühl, das ich nicht loswurde? Ines beschäftigte mich, obwohl es dafür keinen Grund zu geben schien. Ja, sie war eine echte Granate, eine, die jeden Moment explodieren konnte. Gefährlich. Auf jeden Fall machte sie mich an, dagegen waren die Versuche der Alten echter Muckefuck, wenn Sie wissen, was ich meine. Also den Kaffeeersatz der Nachkriegszeit aus Gerste oder Zichorie, den es überall gab, nachdem sich Hitler und Co. vom Acker gemacht und Deutschland als Trümmerfeld zurückgelassen hatten. Ines schlich die drei Schritte vor und zurück durch die riesige Villa und ich bemerkte, dass sie etwas suchte, was an der Wand zu hängen schien. Also eines der vielen Gemälde, die im Übermaß und unterschiedlicher Größe wie wild zusammengewürfelt die teuerste Tapete der Welt bildeten. Lückenlos. Hatte die Enkelin es darauf abgesehen oder war das alles nur Zufall, um ihre Nervosität zu verbergen und ich bildete mir das nur ein? Jetzt huschte ein kurzes Lächeln über ihr Gesicht, das dadurch noch reizvoller auf mich wirkte, weil es für einen Moment ehrlich zu sein schien. Ein Novum an der Person. Also noch mehr Vorsicht, Doktor!

Sie schien etwas entdeckt zu haben. Was? Warum? Wofür? Ich versuchte sie abzulenken. Wollte selbst sehen, worauf sie noch scharf war – also außer auf meine blauen Augen, meinen unwiderstehlichen Body und meine zuweilen unterschätzte Intelligenz …

»Machen Sie doch Ihrer Großmutter mal einen Kaffee. Sie kann was gebrauchen nach den Aufregungen am frühen Morgen!«, herrschte ich sie ziemlich unfreundlich an.

«Was für eine Aufregung?« Die Unschuld vom Lande.

»Scheiß Kaffee. Damit kriegen Sie mich nicht, Daniel! Ich brauche was Besseres!« Und schon ging Hermine – Fanny wich keinen Millimeter von ihrer Seite – zu der Vitrine, auf der etliche Schnapsflaschen, alles Gin, standen, um sich schon wieder einen ordentlichen Schluck zu genehmigen. Diesmal pur. Hurra, Sto Gramm war gestern, die Russen kommen …

»Kindchen ich wurde überfallen heute Nacht und vorhin gleich noch mal und wenn mein Beschützer der Herr Richter ein sehr sympathischer Privatdetektiv nicht sofort gekommen wäre dann würde ich definitiv jetzt nicht mehr leben denn die Drecksäcke wollten mich definitiv killen Kindchen so sieht es aus und du fragst nach „Aufregung“ ich bin doch keine zwanzig mehr so wie du siehst toll aus Kindchen aber du bist wie immer viel zu sexy angezogen da brauchst du dich doch nicht wundern wenn die Kerle bei deinem Anblick nur ans Ficken denken!«

Schon wieder wurde Hermine so vulgär, dass sich Fanny beschämt von ihr abwandte. Das war des Guten zu viel für meine sensible Hundeseele.

»Jetzt machen Sie ihr schon einen Kaffee, bitte!«

»Wenn Sie denn meinen …?« Tänzelnd wie ein Go-Go-Girl bei der Arbeit an der Stange, im Mini-Look, wie er heute in den Clubs angesagt ist, also schmaler Gürtel als Rock und hautenges Oberteil, dazu weiße Turnschuhe und jede Menge Ketten an den Armen und Fußfesseln, schob sie ihren aufreizenden Körper in Richtung Miniküche. Für mich Zeit, nach dem Bild zu suchen, dass sie fixiert hatte. Klein, unscheinbar. Mehr eine Skizze als ein Gemälde. Paul Klee. Die Signatur war deutlich zu erkennen. Klatschmohn, bunt, ein Aquarell. Schönheit zu erkennen, liegt im Auge des Betrachters. Aha. Das Bild schien Ines im Blick zu haben. Was wollte sie damit? Mein geschultes Auge, gepaart mit meinem Verstand, sagte mir nichts Gutes. Dazu die Stimme! Als sie mit einer Tasse Kaffee zurückkam – mich hatte sie geflissentlich übergangen –, ratterte schon wieder die Maxim Gun. Hermine war nicht zu stoppen. Jetzt wollte sie wissen, warum ihre Enkelin wirklich gekommen sei.

»Verarsch mich nicht Kindchen ich kenne dich zu gut was willst du von mir du warst ein halbes Jahr nicht hier und ausgerechnet heute wo ich gleich mehrfach angegriffen wurde kommst du zufällig reingeschneit einfach so das nehme ich dir nicht ab Kindchen wenn du denkst du kannst hier was klauen vergiss es einfach wie du siehst habe ich jetzt einen Beschützer dem entgeht nichts.«

Und ich merkte, dass Ines wieder mehrmals den Klee anschaute. Heimlich, aber für mich auffällig. Ich hatte mich nicht getäuscht. Der war der Grund, ihre Großmutter zu besuchen. Schlechtes Timing.

Kristallschädel

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