Читать книгу Kristallschädel - Dankmar H. Isleib - Страница 13

IX

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SOLLTE es in dem Nest wirklich einige Kriminelle geben? Idyllisch lag der kleine Ort da. Immerhin hatte Münchsmünster eine Kirche und gegenüberliegend die einzige Bank in der Gemeinde. Als ich eintraf, stand der Audi vom Langholtz schon vor der Tür der Bank. Also gingen wir, Fanny und ich, direkt rein. Da saßen sie, der Bankboss, der gleichzeitig sein einziger Angestellter zu sein schien, und Vadim. Man muss schon eine ausgesprochene Koryphäe sein, um als Studierter und Adliger hier zu versauern oder aber etwas ganz anderes vorhaben. Als ich auf ihn zuging und diesem Arnim von Radebusch in die Augen sah, wusste ich, dass sein Job bei der Bank nur eine Nebentätigkeit war und ich ahnte zugleich, dass er der Boss der Gang sein dürfte, die mit fetten Harleys durch die bayerischen Lande tuckert! Verschlagener Blick, der mich mit seinen strahlend blauen Augen ganz kurz abschätzte, während Langholtz ihm sagte, dass ich ein Mann des LKA sei. Was definitiv nicht mehr stimmte. Also hatte auch er den Banker durchschaut? Von Radebusch, Anfang/Mitte fünfzig, von robuster Statur, durchtrainiert, viel zu elegant für das Nest gekleidet und auffallend nervös. Was hatte der Typ zu verbergen? Und wie er auf Fanny blickte, da war mir auch klar, dass die keine Freunde werden würden. Der hasste Hunde, definitiv. Und was wunderte es mich: Die große Sympathie beruhte auf Gegenseitigkeit … Fanny übersah den Dorfsnob ganz einfach, ging zu seinem Freund Vadim und ließ sich von dem hinter den Ohren kraulen.

Mit genialem Spürsinn abgecheckt. Die Lage war klar. Ob mir mein Gefühl recht geben würde, müsste Vadim mit einer Halteranfrage abklären. Ich wollte in dem Moment nur eines wissen: Wer in dem Nest fährt alles eine Harley Davidson? Dann hätte ich schon einen Teil meiner mir von Hermine gestellten Aufgaben gelöst und der Zufall, besser, der Tod des Einbrechers, hätte mich gleich auf die richtige Fährte geführt und ich hätte die Meute von vor zwanzig Jahren identifiziert, die der kleinen Hermine ihre Schätze abjagen wollte. Und es noch immer versucht. Schon jetzt war ich mir ziemlich sicher, dass sich der Trip in die Provinz gelohnt hatte. Das Gespräch zwischen Kommissar Langholtz und dem von Radebusch plätscherte dahin. Taktik? Ich konnte Vadims Vorgehen noch nicht einschätzen. Natürlich kannte von Radebusch den Toten nur flüchtig – „wie man sich halt kennt, wenn man im gleichen Ort wohnt“. Ansonsten hätten sie keine Gemeinsamkeiten und auch sonst … München, aha, nein, zu der Stadt hätte er keinen besonderen Bezug. Eher zu Ingolstadt und Nürnberg. Die Fragen von Langholtz waren auch so allgemein gestellt, dass er gleich in den Dorfkrug hätte gehen können, um dort ein Schnitzel mit Pommes zu verdrücken. Die Pommes hätten ihm mehr erzählt.

Und ja, nachdem wir Radebusch und die Bank verlassen hatten, gingen wir tatsächlich in den Dorfkrug. Von unserem Tisch hatten wir den Eingang der Bank bestens im Blick. Kaum saßen wir und ich wollte für Fanny ein paar Fleischpflanzerl ordern, da kam schon von Radebusch, verschloss seine Bank – und das um 14:52 Uhr –, schwang sich, wie es mir schien, äußerst nervös und gehetzt, in seinen BMW und fuhr ein wenig zu zügig die einzige Straße in den Ort hinein. Wohin wollte er?

»Vadim, deine Fragestunde war entweder sehr clever oder für Anfänger. Entscheide dich?«

»Der kennt den Toten, Achim Mäzler, sehr viel besser, als er es uns weismachen wollte. Sein Gesicht wurde mehr als blass, als ich ihm sagte, dass Mäzler tot ist. Das war der Grund, mein Gespräch belanglos dahinplätschern zu lassen.«

»Und ich muss dich bitten, gleich mal eine Abfrage zu starten, wie viele Harley Davidson in Münchsmünster zugelassen sind und auf welche Personen. Ich habe da einen Verdacht. Wenn der sich bestätigt, dann haben wir die ganze Gang, die schon vor zwanzig Jahren Hermine Doberman Nazibeute verkaufen wollte, und dann wären wir auf einer heißen Spur, die weit über den „Unfall mit Todesfolge“, durch Fanny verursacht, hinausgehen dürfte!«

»Das ist ein Anruf. Lass ihn mich tätigen. Vielleicht wissen wir dann auch, wohin der Banker so eilig wollte …«

Auch Vadim hatte also dessen Bankflucht mitbekommen.

Guter Bulle.

»Aha, so so. Und das sind alle? Keinen vergessen? Nein? Danke. Bis morgen!«

Langholtz legte, anscheinend zufrieden, sein Handy zur Seite. Für ihn kamen ein Schnitzel mit Pommes, für mich eine Bratwurst mit Kartoffelsalat und für Fanny ein Dutzend Fleischpflanzerl. Der fraß in einer Geschwindigkeit, unglaublich! Ich hatte nicht mal die Gabel in der Hand, da waren die Pflanzerl schon vertilgt! Vadim schnitt sich sein Schnitzel zurecht und sagte dann zwischen zwei Bissen: »Arnim von Radebusch, Achim Mäzler, Norbert Köterich, Harry Röckeschmid, Gernfried Klabau und Wilhelm Wanderbausch – das sind die einzigen, die in dem Nest Harleys angemeldet haben. Sechs! Bingo! Du scheinst hellseherische Kräfte zu haben, Doktor. Achim Mäzler. Der Tote. Das kann kein Zufall sein und der Bankboss ist definitiv gerade unterwegs, um seine Harley-Gang zu warnen. Schätze, die Harley-Typen gehören alle zusammen. Deshalb der hektische Aufbruch. Wir sind in ein Wespennest getreten. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, womit sich die Herren beschäftigen … Ich besorge uns nur noch schnell die Adressen der Typen. «

Und schon hing er wieder am Handy, das Schnitzel wurde kalt, Fanny war selig, Nachschlag!

»Fahren wir zu Harry Röckeschmid. Ich glaube, der von Radebusch ist zu dem gefahren. Röckeschmid wohnt keine zwei Kilometer von der Bank entfernt und die Richtung stimmt. Das sagte mir gerade unser Technikfreak in der Ettstraße und auch, dass dieser Röckeschmid eine Immobilienagentur betreibt. Ich habe da so eine Ahnung …«

Fanny war ganz aufgeregt. Er hoffte wohl wieder darauf, einem der Kerle den Hals durchbeißen zu können. Kampfhunde haben auch eine eigenartige Moral, ehrlich!

Vadim Langholtz hatte längst angebissen. Ihn interessierten zwar keine Kristallschädel, aber die Harley-Gang, die hatte es ihm angetan. Und der Mann war gut, hatte einen Instinkt, wie ihn nur die besten Bullen des Landes haben. Bevor er nach München kam, hatte er in Berlin mal eine Harley-Gang ausgehoben. Eine syrische Großfamilie, die mit allem gehandelt hatte, was Frischgeld einbrachte. Mädchen, Gold, Zigaretten, Schutzgelderpressung, Drogen. Elf männliche Mitglieder des Clans, alle zu langen Haftstrafen mit anschließender Ausweisung aus Deutschland, hatte er hinter Gitter gebracht und auch wenn er nicht darüber sprach, ging ich davon aus, dass er sich deshalb hatte nach München versetzen lassen, um den Typen aus dem Weg zu gehen. Langholtz wusste, wie gefährlich die aus dem Knast heraus agieren konnten. Auch dafür war die Justizanstalt Tegel leider bekannt und Vadim wollte noch ein paar Jährchen leben …

Langholtz hielt vor einem recht neu aussehenden Haus, besser gesagt, einer ziemlich überdimensionierten Villa, die in dem kleinen Ort wirklich auffallen musste. Und was soll ich sagen? Vor dem Garagentor stand der BMW des Bankdirektors und im Eingang eine nigelnagelneue Fat Boy, Harley Davidsons meistverkaufte Maschine aus der Softail-Reihe, mit dem Milwaukee-Eight-Motor 114 ci. Ein Hammerteil!

»Komm, lass uns die frontal angreifen. Wir wissen zwar nicht, was die spielen, aber wir wollen zumindest mitspielen dürfen.« Vadim war gierig, die Crew auszuhebeln, das merkte ich. »Wir spielen das langweilige Spiel guter Bulle, böser Bulle. Du gibst den Bösen, Doktor, ich den Guten und Fanny, dein Schoßhündchen, wird uns dabei helfen!«

Klar, wir hatten nichts Konkretes in der Hand, aber das nervöse Aufbrechen des Bankers sagte uns beiden, dass die Dreck am Stecken hatten.

Ein völlig unauffälliges, riesiges, goldenes Türschild: „Harry & Elfriede Röckeschmid“. Bingo! Der Immobilientycoon des Nestes! Das hatte die Ettstraße Vadim gesagt. Mister Protz und seine Hausputzbesamerin. Falls noch was zwischen den beiden lief. Jetzt brauchten wir nur noch auf den Busch zu klopfen, um die Wespen aus ihrem Nest zu scheuchen, denn einen echten Anhaltspunkt hatten wir ja nicht, um einzugreifen. Also mussten wir auf gut Glück operieren.

»Richter, Kommissar Langholtz, mein Partner. Wir müssen kurz mit Ihrem Mann sprechen!«, überfiel ich die Frau, die uns die Tür öffnete; Anfang Mitte vierzig, langweilig aussehend und nicht gerade so, als ob ihr Göttergatte sie noch jeden zweiten Abend freiwillig beglücken wollte. Ich ging davon aus, dass sie Elfriede Röckeschmid sei.

»Harry, kommst du mal!«, brüllte sie mit kreischender Stimme ins Haus – das hätte man auch bequem auf dem Münchener Hauptbahnhof gehört! Und schon stand ein Typ in der Tür, der genau meinen Vorstellungen von der Gang entsprach. Cowboystiefel, schwarz, Lederhose, schwarz, T-Shirt, schwarz. Muskelberge und eine Tätowierung auf der Außenfläche der rechten Hand. Klein, aber auffällig. Eight Ball. Die schwarze Acht weist ihren Träger in erster Linie nicht als großen Billard-Spieler aus, sondern steht symbolisch für Risikobereitschaft und Schicksal. Wer Billard spielt, ist sich des Risikos bewusst, jederzeit zu verlieren, wenn er vorzeitig die Schwarze versenkt … Ein Rock’n‘Roll-Tattoo, das in Rockerkreisen seit mehr als 40 Jahren angesagt war. Das Zeichen bestimmter Gangs, die eben nicht nur spielen wollen, sondern Risiken eingehen. Röckeschmid gehörte definitiv zu den Harley-Freaks.

»Was wollen Sie?«, blaffte der mich mit kerniger Stimme an. Extra laut, wie seine Frau, vermutlich, um den Banker zu warnen? Fragt sich, wovor hatten die Angst?

»Ich bin Polizist und habe vergessen, Herrn von Radebusch was zu fragen« – und schon stand auch der Banker in der Eingangstür der Villa, wirkte erschrocken auf mich, um nicht zu sagen, verängstigt –, so Vadim ganz ruhig und freundlich. »Ach, was ich Sie noch fragen wollte, wo waren Sie eigentlich letzte Nacht, so morgens um halb vier, Herr von Radebusch?«

»Was geht Sie das an, wo ich meine Nächte verbringe?!« Nicht mehr so freundlich, wie noch vor wenigen Minuten in der Bank. Wespennest.

»Es gab letzte Nacht in München einen Einbruch und ich denke, dass Sie involviert waren, Herr von Radebusch!«, schaltete ich mich nun wieder ein. »Und da wir gerade dabei sind, Sie sind Harry Röckeschmid, ein Freund des Herrn von Radebusch, nehme ich an?«

Der bullige Typ wirkte verängstigt. Muskelberg mit Muffensausen. Darauf stehe ich. Fanny hatte sich vor ihm aufgebaut und war mindestens so groß wie der Röckeschmid ohne Rock. Röckeschmids Augen flirrten umher. Mal auf von Radebusch gerichtet, fragend, dann zu mir, dann zu Fanny und dann zu Vadim. Sum, sum. Hin und her. Wespennest. Die Frage war nur, was die beiden Herren vor der Münchsmünsteraner Gesellschaft zu verbergen hatten. Wir tappten ja noch im Dunkeln. Also einfach mal was abfeuern:

»Es gab da vor zwanzig Jahren ein Ereignis, das bis heute nicht endgültig aufgeklärt ist. Zufällig am gleichen Ort in München, an dem auch vorletzte Nacht wieder eingebrochen wurde. Von Achim Mäzler, Ihrem Freund, ich nehme an, dass er auch Ihrer beider Freund ist!? Das Ereignis hatte mit einer Harley-Gang zu tun und wie ich sehe, fahren Sie auch eine, Herr Röckeschmid. Ich gehe mal davon aus, dass die Karre auf Ihrem Grundstück Ihnen gehört!«

Bei dem Wort „Karre“ sah ich ihn förmlich kotzen. Die herrliche Fat Boy als „Karre“ zu bezeichnen, ging ihm voll auf die Nüsse! Fanny, der schlaue Kerl, ließ von dem Muskelberg ab und trottete ziemlich lässig zu der Fat Boy, so, als ob er dort etwas erschnüffeln könnte. Cleverer Bursche.

»Fahren Sie vielleicht rein zufällig auch eine Harley Davidson, Herr von Radebusch? Haben Sie vielleicht auch noch weitere Freunde im Ort, die Harleys fahren, so wie den Mäzler, der auch Harley-Fan war?«, fragte ich scheinheilig den Banker, »und das vielleicht auch schon ein paar Jahre, so wie Herr Röckeschmid? Sie wissen doch, leugnen lohnt sich nicht, wir können jederzeit eine Halterabfrage machen und dann wissen wir, was Sie vor zwanzig Jahren an Maschinen gefahren haben.« Ein spontaner Einfall. Ich ärgerte mich ein wenig, dass ich nicht gleich darauf gekommen war. Sein „Ja“ verschluckte von Radebusch fast und sah mich völlig verängstigt an, obwohl ich ja nur eine harmlose Frage gestellt hatte. Wespennest, sum, sum. Nun hatte ich zwei großartige Stützen der Münchsmünsteraner Gesellschaft bei den Eiern. Fehlten nur noch die restlichen drei! Aber auch die würden aus ihren Nestern kommen. Der vierte der Sechser-Gruppe würde nicht mehr plaudern können. »Vadim, komm, das bringt nichts mehr. Die Herren sind sauber. Ich glaube, wir sind auf einem Irrweg. Es gibt auch Zufälle und die sollten wir als ordentliche Beamte respektieren. Sorry, meine Herren, mein Kollege war etwas voreilig«, wandte ich mich nun zum echten Kommissar. »Fanny, komm, mein Guter, wir fahren wieder!«

Aber Fanny weigerte sich. Er saß vor der Harley von Röckeschmid, als ob in den Seitentaschen mindestens Haschisch, wenn nicht Kokain kiloweise zu finden seien. Ich sah in die unruhigen Augen der beiden Herren und wusste, dass sie etwas zu verbergen hatten. Nur was?

»Schöne Taschen, aus witterungs- und UV-beständigem 600D Polyester und genarbtem Kunstleder gefertigt, aber die gibt es auch aus echtem Leder! Sollten Sie sich gönnen, meine Herren!« Warf ich den Männern zu und wir machten uns vom Acker. Selbst Fanny schloss sich uns widerwillig an, nicht ohne den Röckeschmid mit fletschenden Zähnen zu verabschieden. Für heute gab es hier nichts mehr zu holen … Was für ein langweiliger Nachmittag!

Kristallschädel

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