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1) Der Blick durch die Pistole

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Die Entwicklung der James-Bond-Filme im Laufe der Jahre und Jahrzehnte ist offensichtlich.

„James Bond jagt Dr. No“ (1962) startet mit dem „Gun-Barrel“ oder „Through the Barrel“, dem Blick durch einen Pistolenlauf, der auf den vorbeigehenden James Bond gerichtet ist. Dieser Anfang, als dessen Erfinder Titeldesigner Maurice Binder2 gilt, sollte zum Markenzeichen aller offiziellen James-Bond-Filme werden.

Sam Mendes3, Regisseur von „Skyfall“ (2012) meinte, die gesamten James-Bond-Filme seien „eine Welt von Eröffnungssequenzen“.

Im Jahre 1954 kündigte ein Sprecher mit „Live from Television City in Hollywood“ die James-Bond-TV-Version „Casino Royale“ zu Beginn der Sendung „Climex!“ an, und die Kamera fuhr auf das Objektiv einer anderen Kamera zu. Dann verschmelzen die Übergänge, und der Betrachter glaubt, sich im langen Lauf des Objektivs zu befinden. Die Ähnlichkeit zu Binders „Gun-Barrel“ drängt sich auf.

„Barry Nelson4“ erscheint als Schriftzug, und eine Überblendung im Hintergrund lässt noch einmal den Objektivgang entlangfahren. Dann öffnet sich eine Blende, und die Namen der anderen Mitwirkenden sind zu sehen. Dann folgt, was man fast als Pre-Title-Sequenz bezeichnen kann: William Ludigan bereitet den Zuschauer mit einem Kartenschlitten für Bakkarat in der Hand auf das Kommende vor. Diese knappen anderthalb Minuten enthalten mehr, als man auf den ersten Blick wahrnimmt.

Eine andere Erklärung, wodurch Binder sich möglicherweise hat inspirieren lassen, bietet Ian Flemings5 Roman „Moonraker“ von 1953. Mit der Passage: „It was like being inside the polished barrel of a huge gun. From the floor, forty feet below, rose circular walls of polished metal near the top of which he and Drax clung like two flies. Up through the centre of the shaft, which was about thirty feet wide, soared a pencil of glistening chromium, whose point, tapering to a needle-sharp antenna, seemed to graze the roof twenty feet above their heads“ beschreibt er James Bonds Eindruck, als er die „Mondblitz-Rakete“ auf der Abschussrampe bestaunt. In der Übersetzung wurde daraus: „Es war, als befände man sich im Inneren eines gigantischen Gewehrlaufs.“ Und weiter: „Vom Boden, der zwölf Meter tief unter ihnen lag, erhob sich die runde Wandung aus spiegelglattem Metall, an der er und Drax hoch oben auf ihrer Galerie wie zwei Fliegen klebten. In der Mitte des Schachts, der ungefähr zehn Meter breit war, ragte ein Projektil aus glitzerndem Chrom, dessen Spitze, die in einer nadeldünnen Antenne auslief, das Dach über ihnen durchbohren zu wollen schien.“

Maurice Binder starb im April 1991 an einem Krebsleiden und nahm das Geheimnis, wodurch er sich hatte inspirieren lassen, mit ins Grab.

„Casino Royale“ (1954) klärt auch, wer wirklich der erste James Bond war: Barry Nelson - nicht etwa Sean Connery6, wie fast immer behauptet wird. Einer der großen Irrtümer in der Welt des 007.


Und Connery war auch nicht der erste James Bond auf der Kinoleinwand, denn Connery spielte zwar 007 im ersten Bond-Kinofilm „James Bond jagt Dr. No“ (1962), doch zeigt Maurice Binders „Gun-Barrel“ zu Beginn den Stuntman Bob Simmons7, der als Double engagiert wurde. Connery war also „nur“ Nummer 3.

Binders Pistolenlauf änderte sich im Laufe der Jahre leicht, auch wenn der Grundablauf immer gleich blieb: Ein wandernder Kreis auf schwarzem Grund fängt den vorbeigehenden, scheinbar nichts ahnenden James Bond ein. Der Agent geht von rechts nach links, während der Pistolenlauf ihm folgt. Blitzschnell dreht sich Bond herum und schießt mit seiner Walther PPK bzw. P99 in Richtung Pistolenlauf. Blut läuft vom oberen Bildrand, der Pistolenlauf beginnt zu wackeln und verschwindet meist am unteren Bildrand. Das ist die Überleitung zur Pre-Title-Sequenz.

In „James Bond 007 jagt Dr. No“ (1962), „Liebesgrüße aus Moskau“ (1963) und „Goldfinger“ (1964) blieben die Aufnahmen unverändert.8

Roger Moore erklärte, dass man diese Sequenz nicht bei jedem Film erneuerte, weil es schwierig war, die „Gun-Barrel“-Aufnahmen zu drehen. Und dies, obwohl Moore erst ab 1973 Bond war.

Binders zweite „Gun-Barrel“-Sequenz entstand für „Feuerball“ (1965), dem vierten offiziellen James-Bond-Film. Nun ist es wirklich Sean Connery, der als erste Person zu sehen ist. Die Aufnahme wurde bei „Man lebt nur zweimal“ (1967) und als Connery nach seiner ersten Bond-Pause für „Diamantenfieber“ (1971) zurückkehrte, gezeigt.

Zwischendurch spielte George Lazenby9 Bond in „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ (1969). Lazenby bewegt sich beim Herumwirbeln kontrolliert auf sein rechtes Knie. Dass 007 vor seinem Publikum auf die Knie ging, war niemals wieder in einer „Gun-Barrel“-Sequenz zu sehen. Neben den erwähnenswerten zusätzlichen Lichteffekten, die sich an der Innenseite des Gun-Barrels zeigen, gibt es eine weitere Besonderheit: Lazenby wird vom Blut, das den Pistolenlauf herunterläuft, verdeckt. Und so hält sich seit „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ hartnäckig das Gerücht, George Lazenby werde deshalb vom Blut „ausgelöscht“, weil man ihn im nächsten Bond-Film nicht wieder als Darsteller haben wollte. Bondfans schmunzeln über diese Theorie, dennoch ist sie noch heute in angesehenen Kinozeitschriften zu lesen.

Aufgrund der sich ändernden Mode verzichtete man bei Roger Moores10 Einstand als 007 in „Leben und sterben lassen“ (1973) auf den Hut. Seine erste Pistolenlaufszene wurde schließlich in „Der Mann mit dem goldenen Colt“ (1974) mit blauen Farbtönen leicht verändert.

[no image in epub file]Timothy Dalton winkt seinen Fans bei der Premiere von Stirb an einem anderen Tag (2002)

Nach der Trennung der Bond-Produzenten Harry Saltzman11 und Albert R. Broccoli12 im Jahre 1975 beschloss Broccoli, 007 im Alleingang zu produzieren. Für „Der Spion, der mich liebte“ (1977) drehte Roger Moore eine neue „Gun-Barrel-Sequenz“; diesmal in Schlaghosen, in denen er bis „Im Angesicht des Todes“ (1985), seinem letzten Bondfilm, viermal gezeigt wurde.

Mit dem neuen Darsteller Timothy Dalton13 wechselte auch wieder die Gun-Barrel-Sequenz. Maurice Binder schuf mit Dalton eine Version für „Der Hauch des Todes“ (1987) und „Lizenz zum Töten“ (1989).14

Nach Binders Tod 1991 wurde Daniel „Danny“ Kleinman dessen Nachfolger, weil sein Musikvideo zu „Licence to Kill“, mit Gladys Knight15 fast selbst als Titelvorspann hätte Verwendung finden können.

Mit Pierce Brosnans16 Einführung in „GoldenEye“ (1995) gab Kleinman dem „Gun-Barrel“ durch wandernde Schatten und Spiegelungen eine neue Dimension, die in den kommenden zwei Filmen unverändert blieb.

[no image in epub file]Bei der Premiere von „Stirb an einem anderen Tag“ (2002) hat Pierce Brosnan noch gut lachen. Hier mit seiner Frau, der Jounalistin Keely Shaye Smith

In „Stirb an einem anderen Tag“ (2002) sah man schließlich das Projektil, das aus Bonds Waffe abgefeuert wurde. Pierce Brosnan meinte nach den Dreharbeiten zu diesem Film, er würde die Gun-Barrel-Sequenz gerne noch einmal drehen, auch wenn sich diese Aufnahmen nach seiner Erfahrung sehr schwierig gestaltet hatten. Doch „Stirb an einem anderen Tag“ war Brosnans Abschiedsvorstellung als 007.17

Bisher ist nur von „GoldenEye“ bekannt, dass man die Aufnahmen der Gun-Barrel-Sequenz wiederholen musste, nachdem man sie schon gedreht hatte, weil Produzent Michael G. Wilson18 mit den ersten Aufnahmen nicht einverstanden war. Sie zeigen 007, wie er im alten Stil die freie Hand beim Herumwirbeln zum Balancehalten herausnimmt, doch das erschien Wilson nicht mehr zeitgemäß. So beauftragte er den Regisseur Martin Campbell19, die Gun-Barrel-Sequenz mit Brosnan neu zu drehen. Man machte die Aufnahmen am selben Tag, als man auch Einstellungen der Szene wiederholte, in der 007 Xenia Onatopp im Auto einen Nackenschlag verpasst. Diese Aufnahmen wiederum wurden deshalb wiederholt, weil man wegen der beantragten Freigabe des Films ab 12 Jahren eine etwas „entschärfte“ Version benötigte. In der neuen Gun-Barrel-Sequenz von „GoldenEye“ ist Brosnans Bewegung glatter und wirkt echter. Seine freie Hand hängt nun locker nach unten. Wer die ursprünglichen Aufnahmen für „GoldenEye“ machte, ist nicht genau geklärt, man vermutet aber, dass es Daniel Kleinman war. Wie die Gun-Barrel-Sequenz mit James Bonds Leben zusammenhängt, zeigte schließlich „Casino Royale“ (2006) mit Daniel Craig20. Bond kämpft einen Kampf auf Leben und Tod, und als er glaubt, er habe sich seines brutalen Feindes Mr. Fisher (Daud Shah) entledigt, wirbelt dieser plötzlich mit einer Waffe in der Hand herum und will Bond erschießen. Der Agent reagiert blitzschnell und schießt seinerseits: Man sieht die Geburt der Gun-Barrel-Sequenz.

Das Geheimnis, durch welchen Pistolenlauf der Zuschauer blickt, ist gelüftet: Es ist die Waffe der Figur Fisher.

Nur in zwei Filmen leitet die Gun-Barrel-Sequenz direkt in den Titelvorspann über: in „Casino Royale“ und in „James Bond 007 jagt Dr. No“ (1962); im letztgenannten aus stilistischen Gründen, weil die Reihenfolge „Gun-Barrel - Pre-Title-Sequenz - Titelvorspann - Hauptfilm“ erst ab „Liebesgrüße aus Moskau“ (1963) festgelegt wurde.

Seit 1962 steht „Blick durch die Pistole“ für den Auftakt eines James-Bond-Films. Der Zuschauer weiß, was ihn erwartet, der Wiedererkennungswert ist hoch, man freut sich auf eine furiose „Pre-Title-Sequenz“.

Eine Ausnahme bildet „Ein Quantum Trost“ (2008). Hier bekommt der Zuschauer das Gun-Barrel-Motiv erst am Ende des Films zu sehen. Die Abfolge „Pre-Titel-Sequenz - Titelvorspann - Hauptfilm - Gun-Barrel“ ergibt sich daraus, dass das Gun-Barrel von „Casino Royale“ und der „zweite Teil“ „Ein Quantum Trost“ den Rahmen für den Handlungsstrang bilden, der die Vesper-Lynd-Affäre, ihren Tod und Bonds Rache als Hauptthema hat. Daniel Craig drehte die Bond-Gun-Barrel für „Ein Quantum Trost“ neu. Sie kommt den ursprünglichen Gun-Barrels näher als die aus „Casino Royale“.

Eine Anspielung auf die Gun-Barrel-Sequenz in „James Bond 007 jagt Dr. No“ bietet der Film „Ein Quantum Trost“. Hier wird ein roter Kreis im Titelvorspann zweimal in Anlehnung daran eingesetzt und führt den Betrachter schließlich zu den Namen von Judi Dench und Barbara Broccoli21.

„Skyfall“ (2012), der einzige 007-Film, der mit einer missglückten Mission für Bond beginnt, zeigt die 2012 neu gedrehte Gun-Barrel-Sequenz ebenso wie „Ein Quantum Trost“ am Ende des Films, nachdem James Bond das Büro des neuen M betreten hat und dieser ihn für neue Aufträge einplant. Sam Mendes hielt es für eine ungünstige Doppelung, wenn seine Pre-Title-Sequenz so beginnt, dass 007 im Bild auftaucht, eine Waffe zieht und diese fast auf den Zuschauer richtet und schon die Gun-Barrel-Sequenz zuvor denselben Ablauf hat. Also setzte er die Gun-Barrel-Sequenz ans Ende des Films. Seine Version mit den unscharfen Umrissen von Bond, der auf den Betrachter zugeht und die Waffe zieht, nannte Mendes „eine andere Version des Gun-Barrels“. Er sprach auch von einer Umkehrung, denn Adeles Song zu „Skyfall“ am Anfang des Films beginnt mit der Textzeile „This is the end...“, und am Schluss des Films ist der typische Anfang zu sehen.

James Bond für Besserwisser

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