Читать книгу Granate oder Granatapfel, was hat der Schwarze in der Hand - Dany Laferriere - Страница 17

AMERIKA, WIR KOMMEN!

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Damals versuchte ich (keine Ahnung, wie dieser Ehrgeiz von mir Besitz ergreifen konnte) einen Roman zu schreiben und in Amerika zu überleben. Eines davon war zu viel. Du musst dich entscheiden, Alter. Doch ich wollte alles. Der beste Weg in den Untergang. Ich wollte den Roman, die Mädchen (die es seit der Moderne und der Erfindung der Schlankheitsdiäten gibt und auf die Männer reiferen Alters so scharf sind), den Alkohol und den Spaß. Alles, was mir zustand. Alles, was Amerika mir versprochen hatte. Ich weiß, Amerika hat einer Masse von Leuten sehr viel versprochen, aber mir sollte es alles einlösen. Ich war zornig, denn ich will mich nicht an der Nase herumführen lassen. Damals, Anfang der Achtzigerjahre (so lang ist das schon her!) wimmelten die Bars jeder nordamerikanischen Stadt von alten Hippies ohne Plan, schon ohne Plan, bevor sie Hippies wurden, von Afrikanern mit leerem Blick und immer einer Trommel am Ärmel – sie werden sich nie ändern, unabhängig von Ort und Zeit –, die Bars wimmelten von identitätssuchenden Antillanern, hungernden Dichterinnen, die sich von Luzernesamen und indischen Mythen ernährten, von hochaggressiven jungen Schwarzen Frauen, weil sie bei diesem verrückten Poker keine Chance hatten, denn die Schwarzen Männer interessierten sich nur für die Weißen Frauen und die Weißen Männer nur für Geld und Macht. Ich irrte spätnachts durch diese Mondlandschaft, wo die körperliche Begierde vollends jedes Gefühl ersetzt hat. Ich notierte alles. Ich schrieb in den Toiletten dieser schäbigen Bars. Ich führte bis in die frühen Morgenstunden Gespräche mit am Hungertuch nagenden Intellektuellen, arbeitslosen Schauspielerinnen, machtlosen Philosophen, schwindsüchtigen Dichterinnen, kurz, mit dem ganzen Gesocks der Underdogs. Zuweilen sprang ich auch ins kalte Wasser und wachte dann in einem unbekannten Bett neben einem Mädchen auf, das ich meiner Erinnerung nach nie getroffen hatte (gestern bin ich mit einem gelbhaarigen Feger nachhause gegangen und jetzt ist da diese gefärbte Blondine mit grünen Fingernägeln). Dabei nahm ich niemals Drogen. Gott hatte mir eine schallende, wohltönende, fröhliche und dazu ansteckende Lache geschenkt, ein Kinderlachen, das die Mädchen kirre machte. Sie wollten so gerne lachen und hatten damals so selten Gelegenheit dazu. Als ich nach Nordamerika auswanderte, hatte ich nichts in meinem alten Blechkoffer als diese Lache. Ein uraltes Erbstück. Bei mir zuhause wurde immer gelacht. Unser Haus bebte vom Lachen meines Großvaters. Nun lachte ich, trank Wein, vögelte mit der Wonne eines Kindes, das aus Versehen in einen Süßwarenladen eingesperrt wurde, und schrieb alles auf. Sobald das Mädchen auf die Toilette ging, kritzelte ich meine Notizen, auf der Bettkante, auf einer Ecke des Tischs, überall. Ich notierte mir einen Spruch, eine sinnliche Geste, ein schmerzliches Lächeln, irgendeine Einzelheit. Alles erregte mich. Ich notierte alles, was sich bewegte, und das hörte nie auf, glaube mir. Alles um mich herum, die Welt (das Mädchen, das Kleid auf dem Boden, mein zwischen dem Bettzeug versteckter Slip, der lange nackte Rücken auf dem Weg zur Stereoanlage, die Musik von Bob Marley), ich will sagen, mein Universum drehte sich in rasanter Geschwindigkeit. Warum sollte ich die fliehende Zeit, die wechselnden Mädchen, das immer wieder neue Begehren mit Worten festhalten? Ich stellte mir oft, den Kopf gegen die alte Remington 22 gepresst, diese quälenden Fragen. Bin ich der Griot dieses schäbigen Amerika, immer am Rande einer Überdosis, mit dem Gesicht an der Wand, in Handschellen und dazu zwei Polizisten im steifen Nacken? Dieses Amerika, das beim Leben noch einen Rabatt herausschlägt, das immer sein Geld zählt, das Amerika der Einwanderer, der Schwarzen, der völlig plan- und mittellosen Weißen Frauen? Das Amerika der leeren Blicke und des fahlen Morgengrauens? Am Ende schrieb ich den verfluchten Roman und Amerika war gezwungen, was mich betraf, wenigstens einen Teil seiner Versprechungen zu halten. Ich weiß, einigen gibt Amerika im Überfluss, wohingegen den übrigen auch noch das letzte Stückchen Schwarzbrot aus der verkrampften Faust gerissen wird, mir wurde immerhin ein Drittel der Schulden zurückgezahlt. Viele werden diese Naivität belächeln, aber ich schwöre, für meine Gemütsverfassung ist es sehr wichtig, an diesen Sieg zu glauben und sei er noch so klein. Ein Drittelsieg. So vielen anderen bleibt Amerika alles schuldig. Beispielsweise bei der Jugend aus der Dritten Welt hat Amerika eine immense Rechnung offen. Hier ist nicht die Rede von den historischen Schulden (die Sklaverei, die Plünderung der Humanressourcen, die Verschuldung der armen Länder et cetera), sondern von den sexuellen Schulden. Was uns die Zeitschriften, Plakate, Film und Fernsehen nicht alles versprochen haben … Amerika, das sind reiche Jagdgründe, hämmerten sie uns ein, kommt und jagt die verlockendste Beute (die jungen Amerikanerinnen mit den langen Beinen, rosa Mündern und dem verächtlichen Lächeln), kommt, pflückt die wilden Früchte des Gelobten Landes. Amerika, eine Hündin, deren Fell unter euren Liebkosungen zittert, sie wartet nur auf euch, ihr jungen Männer aus der Dritten Welt. Diese Rufe wurden bis in die hintersten Winkel des Planeten vernommen, bis zu den Blauen Reitern in der Wüste. Das globale Dorf. Amerikanisches Fern sehen mitten in der Sahara. Alle machten sich auf nach Westen. Und jedes Mal mussten sich die Neuankömmlinge anhören: „Tut uns leid, das Fest ist gerade vorbei.“ Ich sah das traurige Lächeln des alten, noch wackeren Beduinen (erinnert euch, Brüder, an die alten Böcke im Alten Testament), der sein Kamel verkauft hatte, um beim Fest dabei zu sein. In der winzigen Bar an der Avenue du Parc traf ich sie alle. Bis zum Beginn der nächsten Fiesta, das sagte der Arbeitsvermittler unerschütterlich, müssen Sie arbeiten. In Amerika gibt es Arbeit für alle (noch so ein Lockmittel, Bruder). Schön reingefallen. Arbeit? Dafür war der Beduine nicht hergekommen. Er war durch die Wüste gewandert und über das Meer gereist, weil man ihm gesagt hatte, in Amerika sei Vögeln gratis und reichlich. Da haben Sie was falsch verstanden! Was denn? In allen Liedern, Romanen, amerikanischen Filmen der Fünfzigerjahre geht es nur um Sex und Sie behaupten, wir hätten was falsch verstanden? Was war an dieser reißerischen Sexualität, an dieser Masse nackter Leiber denn misszuverstehen, an diesem Beharren auf dem Intimsten, an dieser Hitze von Hollywood? Auch bei uns in der Wüste haben wir modernste Fernsehgeräte … Wir empfangen Amerika. Glückwunsch zur Qualität der Bilder! Auch in der Sahara ohne Störung. Abends setzen wir uns in unser von der Mattscheibe erleuchtetes Zelt und schauen euch zu. Zuzusehen, was ihr so treibt, bereitet uns Freude. Immer ist da ein lachendes junges Mädchen an einem Strand. Gleich darauf überfällt es ein blonder Kerl. Das Mädchen entwindet sich, er verfolgt sie ins Wasser. Sie wehrt sich. Er umarmt sie leidenschaftlich und sie gehen senkrecht unter. Jeden Abend dasselbe Menü, mit leichten Verbesserungen. Das Meer ist noch blauer, das Mädchen noch blonder und der junge Mann noch muskulöser. Es wird ein Leben dargestellt, das uns leichter vorkommt. Das ist es: ein leichtes Leben. All diese Brüste, diese Hintern, diese Zähne, dieses Lachen wirken sich am Ende auf unsere Libido aus. Leuchtet Ihnen das ein? Deshalb sind wir nach Amerika gekommen und ihr wagt zu behaupten, wir hätten was falsch verstanden? Ich wiederhole die Frage, was sollten wir denn verstehen? Nachdem ihr uns verrückt gemacht habt vor Begierde, seht ihr jetzt vor euch die lange Schlange von Männern (bei uns gehen nur die Männer auf Abenteuer) mit einem Ständer, unersättlichem Appetit, bereit zum Krieg der Geschlechter und der Rassen. Wir gehen bis ans Ende, America.

Granate oder Granatapfel, was hat der Schwarze in der Hand

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