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MIT WUT IM HERZEN

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AIDS kommt nicht vom Sex, sondern vom Ekel vor dem Sex im Westen. Und wer zahlt heute die Zeche? Wieder die Dritte Welt. Die Erkenntnis hat sich noch nicht durchgesetzt, dass Sex die einzige sinnvolle Freizeitbeschäftigung der Armen ist. Auch in Nordamerika gibt es die Dritte Welt. Es sind die Ghettos, wie Ameisenhaufen, wo es von armen, analphabetischen Schwarzen wimmelt und wo die schwangeren Teenager manchmal Kokain (oder eher Crack!) mit Milchpulver verwechseln. Das Kind kommt blind, drogenabhängig und krank auf die Welt. Doch das bringt es nicht um, sondern eine Kugel in seinem Kopf an der Ecke 125. Straße und Broadway. In diesen Verhältnissen ist der Rap entstanden.

„Aber Rap ist doch Scheiße!“, sagte mir Kunta am Telefon.

„Nicht so schnell, Bruder.“

„Was denn sonst?“

„Der Rap hat den Zeitgeschmack auf die Dichtung gebracht … Seitdem die Typen aus dem Ghetto rappen, haben alle Kids aus den Armenvierteln weltweit angefangen, Reime zu schmieden.“

„Das nennst du Dichtung! Das ist doch eine vorübergehende Mode …“

„Das hat man schon beim Jazz gesagt.“

„Jazz ist was anderes …“

„So heißt es immer … Sobald etwas zum Klassiker wird, vergisst man, wie weit der Weg dahin war.“

„Was findest du selbst denn am Rap?“

„Ich persönlich gar nichts. Aber ich frage mich, warum diese Kids plötzlich anfangen, mit den Wörtern zu spielen.“

Stille am Ende der Leitung. Ein Punkt für mich. Aber nur einer.

„Mit dieser Wut“, fügte ich hinzu.

„Aber die ist doch nur gespielt. Sobald sie eine Platte haben, sind sie raus aus dem Elend.“

Wir lachten beide.

„Ich meine nicht die, sondern die Kids, die in überhitzten Kellern auftreten, auf Autofriedhöfen oder unbebautem Gelände … Früher drückten sie sich eher darin aus, dass sie das Auto des Nachbarn kaputtschlugen, etwas in Brand steckten oder einen Überfall auf den Eckladen verübten (nie weit genug von ihrem Zuhause, die Deppen!). Heute brandstiften sie mit Worten … Vielleicht ist das kein Fortschritt, aber mir gefällt es zu sehen, wie sie nach der treffendsten Beleidigung suchen …“

„Das ist doch hauptsächlich frauenfeindlicher Mist“, hielt mir Kunta entgegen. „Klar, wollen sie alle Bullen umbringen, aber was bringt das für sie? Es kommen doch immer wieder neue … Außerdem sind wir nicht mehr in den Sechzigerjahren. Der echte Feind ist nicht mehr der Bulle, sondern es sind die Banker von der Wall Street, die von ihren Glastürmen aus ein Land der Dritten Welt ins Elend stürzen können.“

„Stopp, Kunta, was soll ich dir antworten, wenn du mir meine eigenen Argumente entgegenhältst? Als würde ich mit mir selbst diskutieren.“

„Vielleicht stimmt das sogar …“

Er legte lachend auf.

Diskutiere ich mit mir selbst? Habe ich den Mann erfunden, um nicht allein zu sein? Der Scheck ist aber echt. Ehrlich gesagt, kommt mir die ganze Angelegenheit plötzlich verdächtig vor. Leute, von denen ich keine Ahnung hatte, rufen mich ausgerechnet in dem Moment an, als ich in einer schweren wirtschaftlichen Depression versinke, und bieten mir eine große Reportage über Amerika an. Ein Typ, den ich nicht kenne, hat meine Adressdaten an Leute gegeben, die ich noch weniger kenne. Norman Mailer haben sie auf Schritt und Tritt verfolgt. James Baldwin hing an der Abhöranlage. Die FBI-Akte von William Styron war ziemlich dick. Man muss aufpassen. Wie soll ich mich verhalten? Damit sie einen nicht erwischen, muss man unauffällig bleiben. Schlicht der sein, der man ist. Sie wollen immer deine Geheimnisse herausfinden. Schreib sie alle hin. Keine Geheimnisse, das ist mein intimstes Geheimnis. In jedem Fall haben wir in unserem Inneren einen verschlossenen Bereich, den auch der klügste Geheimagent (dieses Wort gefiel mir als Jugendlicher so sehr: Geheimagent!) niemals knacken wird. Und wenn ich beschließe, mich nicht in diese Höhle zu begeben? Sie unberührt zu lassen? Was ist mit einem Geheimnis, das keiner kennt? Wenn ich diesem Hang zum Zen weiter nachgebe, werde ich am Ende noch wie Salinger. Vielleicht lag eben darin seine Beziehung zu Amerika. In seiner Beziehung zum Geheimnis. Salinger enthüllt uns seine unsichtbare Seele und verbirgt das Sichtbare, den Körper. Im Grunde nur eine andere Art und Weise, seine Seele zu schützen. Er führt uns auf eine falsche Fährte. Und Amerika? Macht es vielleicht wie Salinger: zeigt eher den Körper als die Seele … Ich wehre mich gegen die Idee, diese Überlegungen kämen nur vom Bier. Ich halte sie für das Ergebnis einer langen, metaphysischen Suche.

Granate oder Granatapfel, was hat der Schwarze in der Hand

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