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KAPITEL 1 Die Schilddrüse

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Maria ist spät dran, sie muss den Bus noch erwischen, um zur Arbeit zu fahren. Es ist früh Winter geworden und gestern war es nicht allzu kalt, also schlüpft sie schnell in die Strickjacke (der Mantel ist noch ganz hinten im Schrank verstaut), schnappt sich ihre Handtasche und eilt aus der Tür. Sie ist kaum aus dem Haus, als ihr die Kälte in die Knochen kriecht. „Mir wird schon warm werden“, denkt sie und beschleunigt ihre Schritte. Doch es wird ihr nicht warm, und schon bald fühlen sich Hände und Füße wie Eisblöcke an. Der Grund? Eine Störung der Schilddrüse.

Die alten Griechen nannten das Organ thyreos, was Schild bedeutet, und dieser Name passt sehr gut. Die Schilddrüse, die sich über das Gebiet des Kehlkopfs erstreckt, hat nicht nur die Form, sondern auch die Funktion eines Schildes, weil sie bestimmt, wie schnell der Körper arbeitet. Ist einem kalt, „gibt sie Gas“ und sorgt für mehr Wärme. Hat man eine Virusinfektion, wirft sie das Immunsystem an. Ist man durch zu viele lange Arbeitstage gestresst, die nur mithilfe von Kaffee und Keksen zu meistern waren, dann bremst sie ab, damit man nicht völlig überdreht, und „holt“ einen langsam aber sicher wieder „herunter“ (manchmal sogar bis zum Stillstand).

Bei der Schilddrüse sollte man immer daran denken, dass sie auf die geringsten Veränderungen im Körper äußerst sensibel reagiert. Und das muss sie auch, denn das ist ihre Aufgabe. Wenn also ihre Funktion gestört ist, wie man das letztlich bei 27 Millionen Amerikanern1 annimmt, lautet die Frage nicht: „Wie kann ich erreichen, dass sie schnellstmöglich arbeitet?“, sondern: „Warum macht sie eine Vollbremsung und zieht gleichzeitig auch noch die Notbremse?“ Ist die Schilddrüse zu wenig aktiv, spricht man von einer Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion). Die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten dieser Störung sind der Leitfaden dieses Buches. (Manche Patienten, die an Hashimoto Thyreoiditis erkrankt sind, erleben immer wieder auch Phasen der Schilddrüsenüberfunktion.) Wir versuchen daher als Erstes zu verstehen, wie die Schilddrüse und ihre verschiedenen Hormone arbeiten, und warum Maria auf ihrem Weg zur Bushaltestelle so sehr fror. Die Schilddrüse ist leider eine der kompliziertesten hormonproduzierenden, oder wie der Fachmann sagt, endokrinen Drüsen in unserem Körper, und das ist wohl der Grund, warum ich ihre Funktionsweise an dieser Stelle näher erläutern möchte.


Wenn Maria an einem kalten Tag zu dünn angezogen ist, kühlt ihr Körper aus und meldet an die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse), die eine Art Lotse ist, dass das unangenehme Kältegefühl durch eine Erhöhung der Körperwärme korrigiert werden soll. Die Hypophyse schickt daraufhin eine Botschaft in Form von TSH (Thyreoidea-stimulierendem Hormon) an die Schilddrüse, damit diese ihre Aktivität erhöht und für Körperwärme sorgt. Die Schilddrüse reagiert mit der Ausschüttung (Sekretion) von Thyroxin (T4, wegen seiner vier Jodatome) und Trijodthyronin (T3, wegen seiner drei Jodatome). Die Schilddrüse schüttet hauptsächlich T4 aus, nur 7 % entfallen auf T3. Diese Schilddrüsenhormone „reisen“ dann mithilfe von Transportproteinen wie dem Thyroxin-bindenden Globulin (TBG), denen sie ihren Namen „gebundene Hormone“ verdanken, durch den Blutstrom. Lösen sie sich in den Zielzellen von ihrem Transporter, um ihre Aufgabe zu erfüllen, werden sie als „freie Hormone“ bezeichnet.

Obwohl die Schilddrüse nur wenig T3 ausschüttet, ist es das tonangebende und aktivste Hormon, das der Körper nutzen kann. Das heißt, dass T4 größtenteils in T3 umgewandelt werden muss. Das geschieht hauptsächlich in der Leber, aber auch in verschiedenen anderen Körperzellen, zum Beispiel im Herzen, in den Muskeln und in den Nerven. Mithilfe des Enzyms Tetrajodthyronin-5'-Deiodinase wird in diesen Zellen ein Jodatom aus T4 entfernt – so entsteht T3. Interessant ist, dass der Körper nur etwa 60 Prozent des insgesamt von der Schilddrüse ausgeschütteten T4 nutzt. Ein geringer Teil wird zu reversem T3 (rT3) umgewandelt, einer inaktiven Form, die der Körper nicht nutzen kann. Weitere 20 Prozent werden im Darm aktiv, vorausgesetzt, es sind ausreichend gesunde Darmbakterien vorhanden. Das heißt also, die normale Aktivität der Schilddrüsenhormone hängt zu 20 Prozent davon ab, ob die Darmflora intakt ist. Berücksichtigt man das, kann man auch verstehen, warum die einfache Einnahme eines Antibiotikums, das der gesamten Darmflora – der physiologischen wie der pathologischen – den Garaus macht, die Aktivität der Schilddrüse dämpfen kann.

In Marias Fall arbeitet einer der „Lieferwege“ für die Schilddrüsenhormone nicht richtig, daher kann ihr Körper nicht genügend Wärme erzeugen. Nehmen wir aber nun trotzdem an, dass jeder Schritt auf diesem Weg funktioniert: Die Hypophyse, die auf das kalte Wetter reagiert, sendet TSH an die Schilddrüse. Die Schilddrüse schüttet T4 und T3 aus, die, an entsprechende Proteine gebunden, im Blut zur Leber und zu anderen Zellen transportiert werden, wo T4 zu T3 umgewandelt wird. T3 gelangt in die Zellkerne, wo es Gene an- oder abschaltet und die Aktivitäten der Zelle steuert. Bei Maria gehört dazu die Erzeugung von Energie, um ihre Körpertemperatur zu erhöhen.

Das ist ein ganz logischer Ablauf, den Sie sich nicht merken müssen, da die wichtigen Stationen immer wieder vorkommen, wenn wir die vielen Störfälle besprechen, die es auf diesem Weg geben kann. Nehmen wir an, Maria geht zum Arzt, beklagt sich über Verstopfung, Energieverlust und die Tatsache, dass sie oft friert – aber ihre Schilddrüsenwerte sind alle normal. Nun wird ihr geraten, mehr zu trinken, auf ausreichenden Schlaf zu achten und weiterhin einen Schal, Handschuhe und Wollsocken zu tragen, auch wenn es draußen nicht so kalt ist. Ein Alternativszenario könnte sein, dass laut Blutuntersuchung ihre Schilddrüsenfunktion zu schwach ist, und ihr Arzt verschreibt ihr Hormone. Es geht ihr sofort großartig, doch nach ein paar Monaten kehren die Symptome zurück, obwohl die Tests einen normalen Hormonspiegel ausweisen. Oder es geht ihr überhaupt nicht besser, obwohl sie Hormone einnimmt. Ihre Symptome verschlimmern sich natürlich, und der Arzt rät ihr dringend, sich mehr zu bewegen und über die Einnahme eines Antidepressivums nachzudenken. Was aber, wenn ihre Symptome daher kommen, dass ihr Körper selbst die Schilddrüse angreift, wenn sie also unter einer Autoimmunerkrankung leidet? Können Schilddrüsenhormone und Antidepressiva etwas für die Funktion des Immunsystems tun? Die alles entscheidende Frage wurde nämlich leider nicht gestellt: Warum arbeitet Marias Schilddrüse nicht mehr normal? Und darum geht es in diesem Buch. Da die Funktion der Schilddrüse so viele Facetten hat, sollten wir sie uns im Detail ansehen.

Schilddrüsenunterfunktion und Hashimoto anders behandeln

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