Читать книгу Schilddrüsenunterfunktion und Hashimoto anders behandeln - Datis Kharrazian - Страница 8

Einführung

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Obwohl Lea erst Anfang 40 war, fürchtete sie um ihr Leben; sie war überzeugt davon, dass sie kurz vor einem Herzinfarkt stand. Manchmal schlug ihr Herz so heftig und schnell, dass sie glaubte, es würde ihr gleich aus der Brust springen, und sie versicherte, sie könne es unter der Haut schlagen sehen. Dieses rasende Herz belastete die Lungen so sehr, dass sie zu schmerzen begannen. Wenn Lea einen dieser Anfälle hatte, konnte sie kaum einen Hügel oder eine Treppe hinaufgehen. Obwohl sie sich erschöpft fühlte, hielt das Herzrasen sie unter einer Hochspannung, die ihr Angst machte und sie nachts lange wach hielt.

Zu anderen Zeiten fühlte sich Lea hingegen, als bewege sie sich unter Wasser – eine bleierne Müdigkeit hatte sie unerbittlich im Griff, drückte auf ihre Glieder und auf den Kopf. Sie bekam eine heisere Stimme, als das Gewebe um ihren Kehlkopf druckempfindlich wurde, und sie fror ständig. Obwohl Lea nach der Geburt ihrer ersten drei Kinder problemlos wieder ihr ursprüngliches Gewicht erreichte, blähte sich ihr Körper nach der Geburt des vierten Kindes unaufhörlich auf. Ihre geschwollenen Augen und das aufgedunsene Gesicht machten ihr schwer zu schaffen, und so überrascht es nicht, dass sie auch mit einer chronischen Depression zu kämpfen hatte.

Lea konsultierte mehrere Ärzte, ließ zahlreiche kardiovaskuläre Untersuchungen über sich ergehen, und musste sich schließlich sagen lassen, es sei alles in Ordnung. Auch naturheilkundlich orientierte Kardiologen kamen zum selben Ergebnis. Schließlich schlug ihr eine Freundin vor, sich auf Hashimoto Thyreoiditis testen zu lassen, eine Autoimmunkrankheit, die die Schilddrüse zerstört, und der Bluttest war tatsächlich positiv. „Großartig!“, dachte sie. „Jetzt, wo ich weiß, was mit mir los ist, wird mir endlich jemand helfen können!“ Ein Arzt verschrieb ihr Schilddrüsenhormone, mit deren Hilfe ihre Hormonwerte sich rasch normalisierten. Zuerst schien es, als würden sich Leas Symptome dauerhaft bessern, doch dann kehrten sie langsam wieder: Das Gewicht stagnierte und die chronische Müdigkeit war wieder da. Ebenso ihre furchterregenden Beschwerden, wenn sie glaubte, ihr Herz würde aus der Brust springen. „Was ist da los?“, fragte Lea ihren Arzt. „Warum habe ich immer noch Beschwerden, wenn meine Schilddrüsenwerte doch in Ordnung sind?“

Obwohl die schmetterlingsförmige Schilddrüse weniger als 30 g wiegt, macht sie im komplizierten Zusammenspiel der menschlichen Physiologie eine Respekt einflößende Figur. Sie treibt die Energieproduktion an – sie steuert die Geschwindigkeit, mit der das geschieht, hält die Körpertemperatur konstant, unterstützt das kindliche Wachstum und nimmt grundlegenden Einfluss auf die chemischen Abläufe im Gehirn, die Stimmungen und Emotionen beeinflussen. Sieht man die Schilddrüsenfunktion als Bestandteil der intelligenten Matrix unseres menschlichen Körpers, und berücksichtigt man dabei das Immunsystem, das hormonelle Gleichgewicht und sogar die Gehirnfunktion, kann man sehr leicht erkennen, warum es – wie in diesem Buch dargestellt –, nur logisch ist, sich mit dem ganzen Körper zu beschäftigen, wenn man der Schilddrüse helfen will.

Nach Angaben der American Association of Clinical Endocrinologists (etwa: „Amerikanische Vereinigung klinischer Endokrinologen“) leiden mehr als 27 Millionen Amerikaner unter einer Funktionsstörung der Schilddrüse, doch bei mehr als der Hälfte wird diese Diagnose nicht gestellt. Bei den diagnostizierten Fällen von Unterfunktion handelt es sich ebenfalls in mehr als der Hälfte aller Fälle um eine Autoimmunstörung, die sogenannte Hashimoto Thyreoiditis, bei der das Immunsystem das Schilddrüsengewebe angreift und zerstört. Nur allzu oft wird gar nicht danach gefragt, warum die Schilddrüse aufhört zu arbeiten. Schilddrüsensymptome sind wie der Mensch auf dem Rollfeld des Flughafens, der mit ausladenden Armbewegungen und leuchtend orangefarbenen Kellen in der Hand winkt – und hofft, dass die Maschine den richtigen Kurs hält. Heutzutage wird die Schilddrüse sowohl von der Schul- als auch von der Alternativmedizin oft wie der Bestandteil eines Autos behandelt, das einfach ersetzt oder geschmiert werden muss. Schilddrüsenhormone stehen hierfür bei vielen Ärzten in der Gunst ganz oben; sie werden mit dem Versprechen verschrieben, dass sie zahlreiche Symptome mit einem Schlag beseitigen. Doch diese Vorgehensweise ignoriert die eigentliche Ursache des Problems: Eine gestörte Immunfunktion, ein schlechter Blutzuckerstoffwechsel, Darminfektionen, Nebennierenprobleme und Hormonschwankungen können beispielsweise die Schilddrüsenfunktion erheblich schwächen. Schilddrüsenhormone können zwar die Werte im Blut wieder in den normalen Bereich bringen, sie setzen aber nicht an der eigentlichen Ursache an, die zur Schwächung der Schilddrüsenfunktion führte. Durch die Medikamente mag es manchen Menschen besser gehen, doch bei vielen anderen ist diese Besserung, wenn überhaupt, nur von kurzer Dauer – selbst wenn die Ergebnisse der Blutuntersuchungen normal ausfallen.

Man sollte viel eher fragen, was die Schwächung der Schilddrüse über den ganzen Körper aussagt und von diesem Punkt aus fortfahren. Ich kümmere mich um die Ursachen, die in erster Linie für die nachlassende Funktion verantwortlich sind, und stelle fest, dass ich entweder für die Schilddrüse selbst gar nichts tun muss oder dass sie nur über ein paar Monate einer Basistherapie mit Kräutern oder einer Ernährungsumstellung bedarf. Was zu den Symptomen der Unterfunktion geführt hat, erfordert jedoch wahrscheinlich eine Veränderung der Lebensweise oder eine dauerhafte Unterstützung durch die Ernährung. Anders gesagt: Was wäre wohl klüger, wenn das Kontrolllicht für den Motor in Ihrem Auto aufleuchtet: den Motor durchsehen lassen oder das Lämpchen entfernen? Nicht zu fragen, was die Schilddrüsensymptome sagen wollen und Schilddrüsenhormone zu verschreiben, ist, als würden Sie einfach das Kontrolllämpchen entfernen. Als ich in meiner Praxis damit begann, mich mit den der Unterfunktion zugrunde liegenden Ursachen zu beschäftigen, besserten sich bei meinen Patienten nicht nur die Symptome, sondern sie wurden vielmehr wirklich gesund.

In Leas Fall normalisierte sich der TSH-Wert (Schilddrüsen-stimulierendes Hormon) zwar wieder, doch die Schilddrüse selbst blieb angeschwollen und entzündet, und Lea litt weiter an Herzrasen, Schlaflosigkeit und einer lähmenden Müdigkeit. Nach vielen Jahren der Einnahme von Schilddrüsenhormonen kam Lea schließlich zu mir. Im ersten Schritt dämpften wir ihre Immunreaktion und bremsten deren Angriff auf ihre Schilddrüse. Wenn das Immunsystem „hochfährt“, zerstört es das Schilddrüsengewebe und setzt eine Flut von stoffwechselanregenden Schilddrüsenhormonen in den Blutstrom frei, die für die Herzsymptome und Angstzustände verantwortlich sind. Lässt der Angriff nach, versetzt die geschwächte Schilddrüse den Körper wieder in einen hypothyreoiden Zustand von Müdigkeit und Depression (es kommt zur Unterfunktion). Bei Lea kommt erschwerend hinzu, dass sie – wie viele berufstätige Mütter –, lange ein gestresstes und aufreibendes Leben geführt und sich größtenteils von billigen, leicht zuzubereitenden Weizenprodukten schlecht ernährt hatte. Wie bei den meisten, wenn nicht sogar allen Hashimoto-Patienten, verschlimmert sich die Krankheit durch Weizen und andere glutenhaltige Nahrungsmittel.

Unter meiner Leitung war sie bereit, ihre Schilddrüse zu unterstützen und setzte sich engagiert mit mehreren grundlegenden Themen ihres Lebensstils auseinander. Davon wird in diesem Buch noch die Rede sein. So verzichtete sie zum Beispiel auf einige ihrer Lieblingsgerichte und nahm täglich Nahrungsergänzungen und Kräuterpräparate zu sich. Innerhalb weniger Wochen, in denen sie meine Empfehlungen berücksichtigte, besserten sich die meisten ihrer Symptome, und heute hat Lea normale Hormonwerte, ohne dass sie Medikamente einnehmen muss.

Manche Ärzte und auch Patienten möchten vielleicht sofort mit einer Schilddrüsentherapie beginnen. Schließlich klingt es viel einfacher, nur eine Tablette einzunehmen, anstatt sein Leben in größerem Stil zu ändern. Meine Empfehlungen zur Verbesserung des Gesundheitszustandes sind nicht immer „leichte Kost“ und sie zeitigen selten schnelle Erfolge. Daher bitte ich die Patienten, sich mindestens sechs Monate lang auf meine Vorschläge einzulassen. (Wer nicht so viel Geduld hat, kommt in der Regel ein Jahr später wieder, nachdem er andere Methoden ausprobiert hat.)

Wir beginnen damit, den Blutzuckerspiegel meiner Patienten mit diesem nützlichen Tipp ins Gleichgewicht bringen: Wenn sie nach einer Mahlzeit müde sind oder Verlangen nach Zucker haben, haben sie schlicht mehr Kohlenhydrate zu sich genommen, als ihr System überhaupt verarbeiten kann. Leiden sie unter einer fortgeschrittenen Insulinresistenz, gilt es, nach einem eigens dafür konzipierten Plan regelmäßig zu fasten und gleichzeitig Nahrungsergänzungspräparate einzunehmen, die den Blutzucker stabilisieren. Ich verschreibe auch eine Kur zur Darmsanierung, bei der unter anderem Nahrungsmittel gemieden werden, die das Immunsystem immer wieder überreagieren lassen. Es überrascht nicht, dass es sich dabei oft um genau das handelt, was sie am liebsten essen: Nudeln, Brot, Eis und Eier. In manchen Fällen verordne ich auch weitere Tests, um nach Infektionen durch Parasiten oder Bakterien zu suchen. Viele Menschen leiden auch unter einer leichten Nebennierenschwäche, und darum kümmere ich mich ebenfalls.

Eine Hypothyreose (Unterfunktion der Schilddrüse) ist keine Standarddiagnose, und während das Ersetzen von Schilddrüsenhormonen für manche Menschen genau richtig ist, richten sie bei anderen wiederum großes Unheil an. Wäre Leas Schilddrüsenunterfunktion zum Beispiel durch eine Nebennierenschwäche oder die Einnahme der Antibabypille verursacht, wären Schilddrüsenhormone nicht nur die falsche Entscheidung gewesen, sie hätten ihren Zustand wahrscheinlich sogar noch verschlechtert.

Im ersten Kapitel stelle ich Ihnen daher die Schilddrüse vor, wie sie als Organ funktioniert und warum es so wichtig ist, sie richtig zu unterstützen. Im zweiten und dritten Kapitel skizziere ich die Mechanismen, die der Hashimoto Thyreoiditis zugrunde liegen, und wie man an der richtigen Stelle ansetzen kann. Das setzt natürlich voraus, dass man das Immunsystem versteht und unterstützt. Wenn Ärzte Hashimoto, eine Autoimmunerkrankung, mit Schilddrüsenhormonen behandeln, bleiben die Symptome oft bestehen, weil das zugrunde liegende Problem nicht berücksichtigt wird – die allmähliche Zerstörung der Schilddrüse.

Im vierten Kapitel bestimme ich sechs Grundmuster von Funktionsstörungen der Schilddrüse mithilfe von Blutuntersuchungen – und nur eines spricht auf Schilddrüsenhormone positiv an. Liegt ein anderes Muster vor, werden die Patienten oft allein gelassen, ihnen wird gesagt, ihre Depressionen, Benommenheit, Verstopfung, Müdigkeit oder ihr Haarausfall hätten andere Ursachen. Habe ich den richtigen Grundtypen bestimmt, gilt es, die entsprechenden Strategien zu befolgen, um ein „schilddrüsengesundes“ Leben zu führen, und ich ergänze diese gegebenenfalls um die im neunten Kapitel beschriebenen fortgeschritteneren, auf das Gehirn bezogenen Konzepte. Im zehnten Kapitel erweitere ich die sechs Grundtypen der Schilddrüsenunterfunktion auf insgesamt zweiundzwanzig Muster.

In den vergangenen zehn Jahren habe ich Tausende von amerikanischen Ärzten in den Grundlagen des Umgangs mit Hormonstörungen, einschließlich Hypothyreose und Hashimoto, unterwiesen. Seit mehr als zehn Jahren behandle ich Patienten wie Lea und habe mich immer mehr darauf spezialisiert, in die Behandlung von Autoimmunerkrankungen, einschließlich Hashimoto, Ernährungsempfehlungen zu integrieren.

Ich habe jeden verfügbaren Labortest unter die Lupe genommen und diejenigen ermittelt, die die besten Ergebnisse für meine Patienten liefern. Als Berater der Nahrungsergänzungsmittel herstellenden Industrie habe ich zur Entwicklung einer Linie von Kräuter- und Nahrungssupplementen beigetragen, die ich in meiner Praxis einsetze. Den steigenden Teilnehmerzahlen in meinen Seminaren und den Reaktionen der teilnehmenden Ärzte nach zu beurteilen, ist mein Ansatz stimmig.

Schilddrüsenunterfunktion und Hashimoto anders behandeln

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