Читать книгу Das Herz der Fotografie - David DuChemin - Страница 17

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Aber wäre es nicht viel einfacher, wenn wir einen objektiven Standard schaffen oder so tun könnten, als gäbe es ihn bereits? Natürlich! Wie befreiend wäre es, wenn wir uns die Last genommen würde, unserer Sichtweise folgen (oder sie überhaupt erst erkennen) zu müssen und darum zu ringen, die richtigen Dinge zum Ausdruck zu bringen, die richtigen Ideen zu erforschen und dem Motiv einen für uns selbst möglichst authentischen Ausdruck zu geben! Bei Ansel Adams und allen Heiligen, ja! Aber wären die Ergebnisse gut? Wären sie authentisch? Würden sie etwas Neues ausdrücken? Würden sie aufrütteln? Würden sie informieren? Würden sie uns dazu bringen, Fragen zu stellen? Wären sie mehr als reine Propaganda oder Imitation? Würden sie uns zum Lachen oder Weinen bringen? Wären es die Bilder, die wir uns noch schnell schnappen würden, während wir aus unserem brennenden Haus flüchten?

Wären dies nicht die besseren Fragen, um uns unsere eigene Arbeit zu erschließen? Würden wir mit solchen Fragen nicht eher herausfinden, ob wir etwas Wertvolles schaffen?

Genau so ist es. Allein die Existenz dieser Fragen spornt mich an, sie zu stellen und mich von ihnen leiten zu lassen. Sie ermutigen mich und helfen mir, neue fotografische Möglichkeiten zu entwickeln. Meine Arbeit wird eher durch diese unbequemen Fragen »gut« als durch die bloße Frage: »Ist das gut?«

Auf die Frage »Ist das gut?« kann ich zwei direkte Antworten geben: Ja und Nein. Keine von beiden hilft mir, Fotos zu machen, die meiner Sichtweise entsprechen, oder das zu schaffen, was ich mir erhoffe. Richtig – dieses Buch handelt davon, was ein gutes Foto ausmacht, was auch immer das bedeutet. Aber von nun an werde ich diesen Begriff nicht mehr verwenden. Ich werde diese Frage nicht mehr stellen. Aber ich werde andere Fragen stellen, die meiner Meinung nach wichtiger und hilfreicher sind, und ich werde auch Sie dazu ermutigen. Ich hoffe, dass wir alle dadurch stärkere Bilder fotografieren werden.

Ein Beispiel für eine wichtige, hilfreichere Frage lautet: Ist dieses Bild dynamisch? Wenn Sie sich Dynamik wünschen und die Antwort »ja« lautet, dann sind Sie auf dem richtigen Weg. Lautet sie »nein«, dann gibt es wenigstens eine logische Anschlussfrage: Was könnte dem Bild zu mehr Dynamik verhelfen? Und jetzt haben Sie einen Wegweiser. Wenn Sie wissen, was Sie mit Ihrem Bild erreichen wollen – zum Beispiel möchten Sie zeigen, wie ein bestimmter Vogel aussieht –, dann ist die Frage »Zeigt das Foto diesen bestimmten Vogel deutlich?« wichtiger als die Frage, ob das Foto »gut« ist. Andererseits liegt Ihnen möglicherweise gar nicht an einer einfachen Illustration des Vogels. Vielleicht möchten Sie eine Interpretation seines Flugs schaffen. Oder es geht einfach um Farbe und Bewegung – dann ergibt sich die Frage: Bringt dieses Foto Farbe und Bewegung optimal zum Ausdruck? Je nach Ihrer Antwort werden Sie unterschiedliche Techniken einsetzen, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen, und unterschiedliche Fragen stellen, um das fertige Bild zu beurteilen.

Ich möchte nicht wie ein Querulant wirken. Ich brauche bestimmt nicht den Ruf eines Provokateurs. Ich liebe dieses Handwerk und möchte darüber einfach in Begriffen schreiben, die uns helfen, es zu erlernen und auszuüben, damit es uns selbst mehr Befriedigung und dem Betrachter eine tiefere Erfahrung vermittelt. Ich hoffe, Sie verzeihen mir, falls ich mich hinreißen lasse und ab und zu über meine Meinung stolpere, statt auf Nummer sicher zu gehen oder Sie mit Allgemeinplätzen abzuspeisen – Sie sollen wissen, dass das in erster Linie aus den gerade genannten Gründen geschieht.

Dies soll ein zutiefst menschliches Buch werden, das in Ihnen nachklingt und Sie anspornt, ganz persönliche Bilder zu schaffen, die nicht nur auf Ihrem technischen Können basieren. Ein solches Buch kann nur gelingen, wenn der Autor aus seinem eigenen Herzen schreibt – und deshalb muss ich riskieren, dass Sie anderer Ansicht sind. Das begrüße ich. In der Kunst geht es nicht um Konsens. Wenn dieses Buch Fragen aufwirft, auf die Sie andere Antworten finden als ich, dann habe ich etwas Wertvolles geleistet.

Natürlich schreibt jeder Autor aus seiner eigenen Perspektive, und ich bin da keine Ausnahme. Ich kann nur über Dinge schreiben, von denen ich etwas verstehe. Wie meine anderen Bücher soll auch dieses keine enzyklopädische und erschöpfende Darstellung meiner Gedanken sein, sondern ein Versuch, diese auszuloten und greifbar zu machen und zu fragen, ob sie uns zu stärkeren Fotos verhelfen können. Vielleicht hilft uns dieser Diskurs auch, Bilder anders zu interpretieren, und bietet uns damit auch die Möglichkeit, die Welt auf andere Weise zu sehen.

Die Liste der Faktoren und Elemente, die ein Bild in uns nachklingen lassen, ist endlos. Zweifellos werde ich einige oder sogar viele davon übersehen. Manche werde ich falsch interpretieren. Aber ich werde mein Möglichstes tun, keine Vorschriften zu machen und keine absoluten Behauptungen aufzustellen, denn wie alle Kunst ist auch die Fotografie zutiefst menschlich und unterliegt sämtlichen Nuancierungen, Besonderheiten, Möglichkeiten, Ecken und Kanten, die uns selbst ausmachen. Ich habe gelernt, alle Vorschriften und Verallgemeinerungen mit Argwohn zu betrachten. Es ist nicht wichtig, dass wir über ein umfangreiches Regelwerk verfügen, sondern dass wir im Gespräch bleiben. Jeder von uns beschäftigt sich mit unserem Handwerk und unserer Kunst auf unterschiedliche Weise und aus unterschiedlichen Gründen, aber von größter Wichtigkeit sind die grundlegende Auseinandersetzung mit unseren inneren Anliegen und mit den Fotos, die wir schaffen und die wir überzeugend finden.

Unser Blick auf die Welt ist einzigartig und unterscheidet uns von allen anderen, und die Fotografie bietet uns die Möglichkeit, diese Sichtweise zu vertiefen und sie anderen zu vermitteln oder auszudrücken. Manche sehen das Wunder, andere das Unrecht, wieder andere die Schönheit. Manche sehen Fragen und Geschichten und neue Informationen. Das endgültige Foto ist jedoch eine zweidimensionale Sache, auf die wir reagieren; und diese zweidimensionale Sache müssen wir erforschen, wenn sie zu einem stärkeren Ausdrucksmittel werden soll. Ganz klar die Kamera wird das nicht automatisch für uns erledigen.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Seiten nichts zu bieten haben, was nicht schon von anderen und bestimmt klügeren Menschen gesagt worden wäre. Schließlich gibt es bei den Grundlagen dieses Handwerks nichts wirklich Neues. Aber ich hoffe, dass ich diese Gedanken auf neue und vielleicht leichter verständliche Weise ausdrücken kann. Denken wir daran, dass diese Ideen nicht etwa deshalb gültig oder wichtig sind oder sich auf unsere Fotografie auswirken, weil sie neu sind. Es geht darum, was wir mit diesen Ideen machen. Auf diesen Seiten werden Sie kein Geheimrezept finden. Wenn sie Ihnen aber eine neue Möglichkeiten bieten können, Ihr Handwerk zu betrachten, zu hinterfragen oder sich ihm zu nähern, dann liegen noch viele Wunder vor Ihnen.

Das Herz der Fotografie

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