Читать книгу Das Herz der Fotografie - David DuChemin - Страница 21

3 Der Fotograf ist gut

Оглавление

Wir fotografieren alle aus unterschiedlichen Gründen. Einer dieser Gründe ist in der Tat die Suche nach Anerkennung oder die Kommunikation einer Idee für ein größeres Publikum (etwa in einem kommerziellen oder werblichen Kontext). Ich möchte mir deshalb etwas Zeit nehmen und die Idee untersuchen, dass der Fotograf sein erstes und wichtigstes Publikum sein muss. Anders ausgedrückt: Wir müssen selbst bestimmen, warum wir ein Foto machen und ob es seinem Zweck gerecht wird. Noch einfacher: Wir alleine müssen entscheiden, ob es »gut« ist, auch wenn ich dieses Wort lieber vermeiden würde.

In diesem Buch geht es nicht um die geschäftlichen Aspekte der Fotografie. Aber wenn Sie beruflich fotografieren und keine eigene Sichtweise und Handschrift haben, ist Ihre Fähigkeit zur Benutzung einer Kamera der einzige Grund, aus dem man sich für eine Zusammenarbeit mit Ihnen interessieren könnte. Und wenn es Ihnen bisher noch nicht klar war, werden Sie bald mit der Erkenntnis konfrontiert sein, dass der Verkauf einer Dienstleistung, wie z. B. die Fähigkeit, eine Kamera zu benutzen, keine Grundlage für die Berufsfotografie ist. Möchten Sie in diesem Bereich erfolgreich sein und nicht mit anderen konkurrieren müssen, müssen Sie sich als Marke profilieren und Ihre Sichtweise und Ihre eigene Handschrift verkaufen. Das bedeutet, dass Ihre Bilder zuerst Ihnen selbst gefallen müssen – sie müssen zunächst Ihrer eigenen Sichtweise auf die Welt, Ihren eigenen Vorlieben und Ihrer eigenen Bereitschaft entsprechen, ein Publikum zu finden, das diese Sichtweise teilt. Nur auf dieser Grundlage werden Sie von Creative Directors und anderen Auftraggebern gebucht – und nicht etwa aufgrund der Bereitschaft, Ihre eigene Sichtweise und Stimme zu riskieren, um sich als bloßer Kameramann bzw. bloße Kamerafrau zu verkaufen.

Wenn Sie Ihrem Publikum gerecht werden und Ihre Vision nicht gefährden wollen, dann müssen Sie selbst zu diesem ersten und wichtigsten Publikum werden. Andernfalls werden Sie den Rest Ihrer fotografischen Tage damit verbringen, Tausenden von bewegten Zielen nachzujagen. Alle werden ihre eigenen Vorlieben und Neigungen haben, alle werden Ihnen nahelegen, mit Ihrer Arbeit eine andere Richtung einzuschlagen – dass Farbbilder besser seien als die Schwarzweißfotos, die Sie lieben, dass Sie Porträts statt Landschaften machen oder dass Sie mit diesen völlig unverständlichen Mehrfachbelichtungen aufhören sollten. Wenn Sie die Masse entscheiden lassen, wird Ihre Arbeit nie scharf genug, fröhlich genug, ernst genug oder ausgefallen genug sein. Sie wird zu spielerisch, zu düster, zu emotional, zu selbstbezogen sein – oder irgendein anderer von hundert Vorwürfen wird zutreffen, wobei jedoch alle mehr mit dem Geschmack anderer als mit Ihrem Werk selbst zu tun haben.

Bedeutet das, dass wir nicht auf andere hören sollten? Nein, natürlich nicht. Aber wir sollten uns diejenigen, auf die wir hören, gut aussuchen. Und noch sorgfältiger sollten wir mit Aussagen dieser Leute sein und mit den Veränderungen, die sie uns vorschlagen. Suchen Sie sich am Anfang Menschen, von denen Sie lernen können, deren Arbeit Sie respektieren, die sich Ihre Hoffnungen in Bezug auf Ihre Fotografie anhören. Menschen, die Ihnen helfen, die nächsten Schritte zu unternehmen und ein Werk zu schaffen, das diesen Hoffnungen entspricht und nicht nur eine Kopie ist, die die Welt nicht braucht.

Dieses Kapitel kreist um die Frage: »Ist es mein eigenes Werk?« Sie ist nicht einfach zu beantworten, bzw. eine Antwort ist unmöglich, wenn Sie nicht zuvor ein Gefühl dafür entwickelt haben, was die Frage überhaupt bedeutet. Introspektion fällt nicht jedem leicht. Ich glaube, je ehrlicher Sie sich selbst und Ihre Wünsche betrachten, desto stärker wird Ihre Fotografie werden. Aber wenn das zu viel verlangt ist, dann sollten Sie eventuell konkretere Fragen stellen, die sich leichter beantworten lassen:

 Zu welchen Fotografien fühlen Sie sich von Natur aus hingezogen? Wenn Sie sich in den nächsten Jahren nur die Arbeiten von zehn Fotografen anschauen dürften – welche wären das und warum haben ihre Arbeiten diese Wirkung auf Sie?

 Haben die Arbeiten dieser zehn Fotografen etwas gemeinsam, das auf Ihre eigenen Vorlieben schließen lässt? Fotografieren Sie alle in Schwarzweiß? Erforschen sie bestimmte Motive oder Themen? Erkennen Sie Ähnlichkeiten mit Ihren besten Arbeiten, Ihren eigenen Fotos, die Sie selbst am stärksten finden?

 Blicken Sie auf Ihre Fotos der letzten Jahre zurück – welche Gemeinsamkeiten erkennen Sie in den besten dieser Arbeiten?

 Gibt es Themen oder Ideen, die sich im Rückblick auf Ihre eigene Arbeit wiederholen? Erscheinen sie Ihnen immer noch relevant oder wichtig? Gibt es Dinge, die ungesagt geblieben sind und die Sie Ihrer Meinung nach erforschen oder ausdrücken müssen?

Was auch immer Sie durch die obigen Fragen über sich selbst herausfinden: Denken Sie daran, dass Ihre Fotografien ein Mittel sind, um etwas zum Ausdruck zu bringen, und dass es in der Fotografie nicht an besseren Werkzeugen mangelt, sondern an authentischen Botschaften. An Ehrlichkeit. Diese Absicht, diese Sichtweise bezeichne ich oft als »Vision«. Und anstatt mehr über die Idee der Vision zu schreiben, möchte ich Sie bitten, sich eine andere Frage zu stellen: Was möchte ich mit diesem Foto erreichen?

Ihre Antwort wird sich von Bild zu Bild unterscheiden, und sie wird sich von meiner Antwort unterscheiden. Inzwischen ist hoffentlich wirklich klar, dass Sie derjenige sind, der entscheiden muss, ob Ihr Bild gelungen ist oder nicht. Wenn Sie mir das Foto zeigen, werde ich entscheiden, ob es bei mir ankommt, aber das ist eine ganz andere Sache als die Frage, ob es gelungen oder »gut« ist.

Vor ein paar Hundert Wörtern habe ich den Begriff »optimaler Ausdruck eines Motivs« verwendet. Darauf gehe ich im nächsten Kapitel näher ein, aber es gibt noch eine weitere Frage, die wir uns stellen müssen: Wer darf entscheiden, was der optimale Ausdruck eines Motivs ist? Und wer entscheidet, was das wahre Motiv ist? Kurze Antwort: Sie. Nur Sie selbst können entscheiden, was so wichtig ist, dass Sie Ihr Objektiv darauf richten. Nur Sie selbst können entscheiden, was Sie über dieses Ding oder diese Idee sagen wollen, und nur Sie können die Entscheidungen treffen, mit denen Sie Ihre Gedanken zu diesem Motiv oder Ihre Sichtweise bestmöglich zum Ausdruck bringen.

Darum geht es in diesem Buch, und ich werde mit Leib und Seele dafür kämpfen, dass Sie am Ende mit einer neuen Entschlossenheit Bilder schaffen, die unmissverständlich Ihre eigenen sind, die nicht nur Ihre technischen Entscheidungen in den kreativen Prozess einbringen, sondern auch Ihre Seele, Ihre Neugier, Ihre Gefühle und Ihre Ansichten. Jedes Foto wirkt in beide Richtungen. Ich hoffe, dass Sie sich in Ihren Fotografien immer stärker offenbaren und dass Ihre Präsenz darin – Ihr eigener Fingerabdruck – zum Maßstab wird, an dem Sie (zumindest zunächst) den Erfolg Ihrer Bilder messen.

Wofür ich in diesem Buch nicht plädiere, ist eine fotografische Beliebigkeit, bei der wir einfach das machen, was wir wollen, und in den anspruchsvolleren Phasen des künstlerischen Wachstums in unserem Handwerk und als Künstler auf die Nase fallen. Ich plädiere nicht für einen kindischen Malbuch-Ansatz (obwohl es, wenn Sie das glücklich macht, Schlimmeres auf der Welt gibt). Ich möchte vielmehr, dass Sie herausfinden, was Sie erreichen möchten, damit Sie die besten Werkzeuge und die stärkste Kombination verschiedener Techniken wählen können und Ihre Arbeiten auf realistische und persönliche Weise beurteilen können.

Ich möchte Ihnen keine Antworten geben, die meistens zu einer Erwachsenenversion von Malen-nach-Zahlen führen. Ich möchte Ihnen Fragen stellen, die Sie auf Möglichkeiten stoßen. Ich habe Ihnen bereits einige gestellt, aber später werde ich noch konkreter auf diese Fragen eingehen und Sie gleichzeitig daran erinnern, dass sich die Antworten ändern, wenn Sie sich als Person weiterentwickeln und sich Ihre Fähigkeiten entfalten. Und obgleich Sie für vielfältige Anregungen offen bleiben, werden die Antworten immer am besten von Ihnen selbst kommen. Nichts kann jemals authentisch sein, wenn wir anderen nur über die Schulter schauen.

Das Herz der Fotografie

Подняться наверх