Читать книгу LUKE MAKEN - David Mauerhofer - Страница 12
Was soll ich bloß tun?
ОглавлениеLangsam stieg Professor Treb das Stiegenhaus hinauf. Er hatte absichtlich nicht den Fahrstuhl genommen, denn er war sich noch nicht ganz im Klaren, was er seinem Freund überhaupt erzählen sollte.
Schnaufend stieg er Stufe um Stufe nach oben. Jetzt bereute er es, dass er nicht den Fahrstuhl genommen hatte. Er verfluchte sich, dass er viel zu viel Zeit mit seinen Forschungen verbracht hatte, anstatt sich um seine Fitness zu kümmern. Der Schweiß rannte in Strömen von Professor Trebs Gesicht. Warum musste denn aber auch sein Freund in einem derart riesigen Hochhaus leben?
Halb in Gedanken vertieft, blieb er schlagartig stehen, wohnte sein Freund im 34. oder im 35. Stock? Er war total verwirrt. Nach kurzem Nachdenken nahm er den 34. Stock. Zum Glück, länger hätte er es nun wirklich nicht mehr ausgehalten. Er überlegte, ob er sich wohl in der Dusche seines Freundes frisch machen dürfte?
Irgendetwas kam ihm seltsam vor, war er nun doch im falschen Stock? Trotzdem ging er auf die sechste Tür zu. Ein Schauer durchfuhr ihn. Hatte er nicht gerade hinter sich einen Schatten vorbeihuschen sehen? Nein, wahrscheinlich hatte er schon Wahnvorstellungen. Das konnte man ihm aber wirklich nicht verübeln, nach all dem, was er heute schon erlebt hatte. Zur Eile getrieben, um nicht noch mehr Hirnspinnereien zu sehen, betätigte er schnell die Klingel.
Ding Dong.
Die Tür öffnete sich nicht. Er klingelte noch einmal.
Ding Dong.
Noch immer keine Antwort. Langsam wurde er unruhig. Blitzartig sah er wieder den Schatten. Dieses Mal war er aber näher. Pure Panik durchflutete ihn. Was sollte er bloß tun? Er war gefangen. Die einzigen Auswege waren die Treppe, die er gerade heraufgegangen war oder der Fahrstuhl, der sich zu seinem Entsetzen aber nach unten bewegte. Die beiden Fluchtmöglichkeiten waren ziemlich schlecht, außerdem war er mutterseelenallein.
Gerade hatte er sich dazu entschieden, um Hilfe zu schreien, als er eine Hand auf seinem Mund spürte. Von Entsetzen gepackt, versuchte er sich loszureißen, doch seine Hände wurden fest umklammert. Mit letzter Kraft versuchte er sich mit seinen Füßen zu befreien. Er hatte es fast geschafft, als ihn etwas Schweres am Kopf traf. Prompt fiel er in Ohnmacht.
Professor Treb schmeckte Blut. Er hatte fürchterliche Kopfschmerzen. Wo war er denn nochmal? Ach ja, er wollte seinen Freund besuchen und ihn um Hilfe bitten. Schlechte Idee! Noch etwas, was er auf seine Liste „Für Dinge, die er nicht noch einmal tun wollte“ schreiben musste. Mit dem heutigen Tage hatte sich seine Liste schon um fast das Doppelte verlängert. Aber er war wirklich dumm gewesen. Warum wollte er seinen Freund um halb zehn abends um einen Gefallen bitten? Würde er jemanden in seine Wohnung hinein lassen, der spätabends plötzlich vor seiner Tür auftaucht? Zu dumm auch, er hätte ihn zumindest mit seinem Handy anrufen sollen.
Langsam nahm er ein Gesicht über sich wahr. Das hämische Grinsen eines Jungen kam ihm entgegen. Noch immer fühlte er, dass er blutete. Nur wo, konnte er nicht feststellen. Ihm tat alles weh. Unbemerkt versuchte er seine Hände und Füße zu bewegen. Es waren zwar enorme Qualen, aber gebrochen schienen sie nicht zu sein. Beunruhigt stellte er fest, dass sein Kopf blutete. Augenblicklich bemerkte er auch, dass der Boden voller Glasscherben war. Bedachtsam versuchte er, sich aufzustützen. Als der Junge das bemerkte, trat er ihm gehässig gegen den Bauch. Übelkeit überkam ihm, dennoch konnte er sein Erbrechen zurückhalten. Er würde sich von diesem Teufelsbraten nicht unterkriegen lassen. Allerdings griff der Junge flink mit seinen Händen in seine Jackentaschen und wühlte darin herum. Sooft hatte Professor Treb in Zeitungen gelesen, wie Menschen überfallen worden waren und sich bei dem Überfall nicht gewehrt hatten. Damals hatte er sich darüber stark gewundert, wie man sich bei so einem Vorfall nicht verteidigen konnte. Nun aber, wo er selbst ausgeraubt wurde, musste er feststellen, dass er unter Schock stand und sich deshalb kaum bewegen konnte. Lag es an seinen Nerven? Nach wenigen Sekunden nahm der Junge vergnügt die Brieftasche aus Professor Trebs Jacke heraus, steckte sie in seine Hosentaschen und spuckte ihn an. Angeekelt wischte sich Professor Treb mit seiner linken Hand die Spucke aus dem Gesicht. Momentan sah er wahrscheinlich aus wie ein Zombie. Seine Augen, sein Gesicht und sein Kopf waren blutverschmiert.
Als er abermals den Jungen anstarrte, er war vielleicht fünfzehn, höchstens siebzehn Jahre alt, begannen die Augen des Jungen zu glänzen. Ein fürchterlicher Schauer durchzog Professor Trebs Körper, als sich der Junge nach unten beugte. Vorsichtig, um nicht vom Blut bekleckst zu werden, kniete sich der Junge vor Professor Treb nieder. Um sich ein wenig an den Jungen zu rächen, versuchte Professor Treb Blut in seinem Mundraum zu sammeln. Ein widerlicher eiserner Geschmack begann sich dort auszubreiten. Zur selben Zeit, als Professor Treb spürte, dass der Junge ihm seine Armbanduhr abnehmen wollte, nahm er allen Mut zusammen und spuckte ihm die Blut-Spucke-Mischung in dessen Gesicht. Er war sich sicher, dieses verblüffte Gesicht würde sich für immer und ewig in seinem Gedächtnis einbrennen. Allerdings hatte der Junge es wirklich verdient. Einen Mann einfach so brutal niederzuschlagen und ihn dann auch noch auszurauben, war ja schon der Hammer. Aber auch noch die Uhr stehlen zu wollen, die er als Hochzeitsgeschenk von seiner Frau bekommen hatte, brachte das Fass zum Überlaufen. Allerdings bereute er seine Tat sogleich, denn der Junge war durch diesen Vorfall nicht gerade höflicher geworden.
Professor Treb betrachtete den Jungen jetzt genauer. Vielleicht könnte die Polizei anhand seiner Beschreibungen wenigstens ein gutes Phantombild erstellen.
Der Junge trug einen grauen Kapuzenpullover, der jedoch seine Haare verdeckte. Sein Gesicht war zuvor mit einem Tuch verdeckt gewesen. Jetzt konnte er ein braun-gebranntes Gesicht und braune Augen erkennen. Aber am meisten fiel ihm eine kleine Narbe auf, die sich von seiner linken Augenbraue entlang zog. Zwar war sie nicht besonders groß, aber ein genauer Betrachter konnte sie eindeutig erkennen.
Als der Junge bemerkte, dass er ihn beobachtete, schnauzte er sein Opfer an:
»Was gaffst du denn so beschissen, Opa!? Bist wohl zu gut davongekommen! Warte, das haben wir gleich.«
Augenblicklich spürte Professor Treb einen festen Tritt gegen seine Weichteile. Durch den Schmerz wurde er erneut ohnmächtig.