Читать книгу Alle fürs Klima - Deborah Weinbuch - Страница 10
Wir organisieren uns basisdemokratisch
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Annika (16) besucht die 11. Klasse eines Gymnasiums in einem Elbvorort. Auf den Hamburger Demos hält sie Reden und heizt per Megafon die Sprechgesänge an.
»Allen Menschen, die glauben, wir gingen zum Spaß auf die Straße, kann ich nur sagen: Das Thema ist absolut ernst. Wir haben Angst um unsere Zukunft.«
Schon vor Fridays for Future habe ich mich mit Politik beschäftigt, mit dem Schwerpunkt soziale Gerechtigkeit, was ja auch in die Klimapolitik hineinspielt. Allerdings hatte ich bis dato noch nichts gefunden, das mir voll unterstützenswert erschien. Dann ging ich im März 2019 zu einem Orga-Treffen von Fridays for Future und zur Demo am 15. März 2019. Seitdem bin ich voll eingestiegen und organisiere aktiv mit.
Einmal pro Woche treffen wir uns für drei bis fünf Stunden, manchmal auch länger. Wir arbeiten in Arbeitsgruppen (AGs). Wenn etwas spezifisch geplant werden muss, kommen hin und wieder Telefonkonferenzen dazu – etwa wenn man sich auf Bundesebene einbringt oder einen Workshop vorbereitet. Wie viel Zeit man investiert, ist flexibel und von der aktuellen individuellen Situation abhängig. Momentan investiere ich neben der Schule 30 bis 50 Stunden pro Woche in Fridays for Future. Allein ein Demotag beansprucht zehn Stunden und mehr. Jeder und jede kann mitmachen und sich so einbringen, wie er oder sie möchte. Wir schließen niemanden aus. Manchmal übernehme ich bei den Demos das Megafon: »What do we want?« – »Climate justice!« – »When do we want it?« – »Now!«
Diese Rolle ist für mich neu – auch, vor Tausenden von Menschen eine Motivationsrede zu halten wie beim europaweiten Streik am 24. Mai 2019. Zuvor hatte ich in einer anderen Rede schon einmal die Forderungen von Fridays for Future thematisiert, die damals gerade veröffentlicht worden waren. Beim ersten Mal war ich noch nervös. Aber inzwischen bin ich einfach nur davon beeindruckt, wie viele Menschen zu den Demos kommen und unsere Forderungen unterstützen. Nervös macht mich inzwischen nur noch die Frage, ob alles klappt mit der Demoplanung.
Allen Menschen, die glauben, wir gingen zum Spaß auf die Straße, kann ich nur sagen: Das Thema ist absolut ernst. Wir haben Angst um unsere Zukunft. Natürlich fließt da eine ganze Menge Energie in die Demos, und wir werden laut. Würden wir unsere Forderungen unzureichend nach außen tragen, könnte die Demo ungehört verhallen. Deshalb zeigen wir, dass wir wütend sind und dass wir es nicht akzeptieren, wenn die Klimapolitik so weitergeht wie bisher.
Fridays for Future empfinde ich persönlich als enorme Bereicherung. Man lernt neue Menschen aus verschiedenen Umfeldern kennen, die alle ihr Wissen und ihre Vorerfahrung einbringen. Wir lernen viel voneinander. Das betrifft die thematische, aber auch die praktische Ebene: Was gibt es bei einer Demoplanung zu beachten, wie werden Workshops durchgeführt?
Als Teil dieser Bewegung erleben wir hautnah, wie wir Aufmerksamkeit lenken und beispielsweise das wichtigste Thema der EU-Wahl setzen können. Wie lange es dann aber dauert, konkrete Maßnahmen und Gesetze auf den Weg zu bringen, das wird einem erst klar, wenn man mittendrin steckt.
Wir arbeiten basisdemokratisch. Jeder Mensch, der zu unserem Orgatreffen kommt, hat ein Stimmrecht und kann mitentscheiden, was passiert. Diese eine Stimme gilt für jeden, unabhängig davon, welche Position oder welches Amt diese Person gerade ausfüllt. Die Gesichter, die häufig in der Presse zu sehen sind, haben intern genauso viel zu sagen wie alle anderen auch. Es geht nur darum, dass sie für uns nach außen sprechen – sie geben nicht generell den Ton in der Bewegung an.
Welche AGs es genau gibt, unterscheidet sich etwas von Ortsgruppe zu Ortsgruppe. In Hamburg haben wir die Programm-AG, die Demos und andere Aktionen planen. Die Struktur-AG ist für die allgemeinen internen Abläufe zuständig: Wie organisieren sich die AGs, wie tauschen wir uns am besten aus? Sie planen auch die Orgatreffen und legen eine Tagesordnung fest. Die Tagesordnungspunkte kann dabei jeder einbringen und besprechen, sofern es sich im zeitlichen Rahmen hält. Eine sogenannte »Mobi-AG« kümmert sich um die Mobilisierung für die Demos, sie erstellt und verteilt beispielsweise Flyer. Dann gibt es noch die Studierenden-AG, die Fridays for Future noch mehr Präsenz an der Uni verschaffen möchte. Die Schul-AG nimmt dasselbe für die Schulen in Anspruch.
Wir bilden uns kontinuierlich und intensiv weiter. Tatsächlich ist unser Wissen in diesem Bereich geradezu explodiert. Immer wenn wir Fragen haben, können wir die Scientists for Future ansprechen, sie geben uns inhaltliche Tipps. Damit möglichst viele Menschen möglichst viel über den Themenkomplex ›Klima‹ lernen können, hat unsere Studi-AG zudem die ›Klima-Uni von unten‹ ins Leben gerufen. Studierende halten auf dem Hamburger Campus Workshops, zu denen alle herzlich eingeladen sind. In einem solchen Rahmen wurde beispielsweise extensiv über die CO2-Steuer diskutiert.
Damit wir effizient sind, ist unsere Tagesordnung bei jedem Treffen klar durchstrukturiert. Für die Einhaltung der Zeitfenster sorgen jeweils zwei ModeratorInnen. In den Arbeitsgruppen übernimmt immer mal wieder eine Person die Moderation. Natürlich gibt es auch Momente, in denen die Diskussionen ausarten oder vom Thema abweichen. Dann wird aber relativ schnell eingegriffen, weil wir einfach wissen: Die nächste Demo steht an, jetzt muss geplant werden.
Wir alle wissen ja, dass wir dieselben oder zumindest ähnliche Ziele verfolgen. Unser Anliegen ist es, die Bewegung voranzutreiben. Das verbindet ungemein. Weil wir so viel Zeit miteinander verbringen, lernen wir uns untereinander auch gut kennen. Das hilft zusätzlich, sich miteinander abzusprechen.
Freitags werden wir inzwischen immer mehr, und das macht mir Hoffnung. Meine größte Angst wäre, dass jetzt nicht oder zu träge gehandelt wird – und das, obwohl wir möglicherweise schon an einem Kipppunkt stehen. Grönland51 hat gerade an einem einzigen Tag zwei Milliarden Tonnen Eis verloren, was für so einen frühen Zeitpunkt im Jahr sehr ungewöhnlich ist. Der Gedanke, dass die Natur und ihre Lebensräume komplett zerstört werden und nie wieder so existieren können wie zuvor, macht mir unglaublich Angst. Auch die humanitären Krisen durch Kriege oder Hungersnöte machen mir große Angst – selbst wenn sie uns nicht direkt betreffen sollten.«