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Dezentral und hochkoordiniert: Fridays for Future entsteht

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»Ich habe gelernt, dass man niemals zu klein ist, um einen Unterschied zu machen.«2

Greta Thunberg

Klein und zart sitzt die 15-jährige Greta Thunberg am 20. August 2018 das erste Mal vor dem schwedischen Parlament. Auf dem weißen Pappschild hat sie schlicht »Skolstrejk för Klimatet« – »Schulstreik fürs Klima« geschrieben. Am nächsten Tag setzt sich eine 14-Jährige dazu. Als aber in den kommenden Wochen immer mehr Menschen hinzukommen, ist es Greta schon fast wieder zu viel. Sie weint und muss kurz weggehen, um sich zu sammeln. So viel Trubel kann für Menschen wie sie im autistischen Spektrum3 anstrengend sein. Aber ihre Mission ist Greta so wichtig, dass sie beschließt durchzuhalten. Sie kehrt zu ihrem Protest zurück.

Die ersten Tageszeitungen in verschiedenen Ländern berichten über ihren Protest. Weltweit sehen SchülerInnen, dass das Schulstreiken eine Option ist – und fragen sich: Was hat es mit der Klimakrise eigentlich genau auf sich? Diejenigen, die bereits in den Jugendgruppen etablierter Umweltschutzorganisationen aktiv sind, fragen sich: Könnte man diesen Protest auch größer aufziehen?

Nachdem Greta und ein paar andere SchülerInnen drei Wochen lang gestreikt haben, rufen sie den Freitag zum Streiktag aus.4 »Wir werden nun jeden Freitag vor dem schwedischen Parlament sitzen, bis Schweden auf einer Linie mit dem Pariser Abkommen ist«, sagt sie vor etwa 300 versammelten Menschen. Gleichzeitig ruft sie Menschen überall auf der Welt dazu auf, es ihnen gleichzutun – sei es vor dem Regierungssitz ihres jeweiligen Landes oder vor dem Rathaus ihrer Kommune.

In den darauffolgenden Monaten beginnen die ersten, diesem Aufruf in ihren jeweiligen Ländern Folge zu leisten. Der erste deutsche Fridays for Future-Streik findet am 7. Dezember in Bad Segeberg statt. Der zweite am 14. Dezember ist schon bundesweit in sieben Städten koordiniert und findet vor allem in Kiel, Hamburg und Berlin Beachtung.5

Am Tag vor den Streiks bildet sich eine erste sogenannte »Deli-Gruppe«: Delegierte, die jeweils für ihre Ortsgruppe in den bundesweiten Austausch gehen. In Kiel mobilisiert unter anderem Jakob Blasel, ein 18-jähriger Gymnasiast, der sich auch schon in der Greenpeace-Jugend und der Grünen Jugend engagiert. Er rechnet mit etwa 20 Leuten und hofft, in einer Randnotiz in der Zeitung zu erscheinen. Zusammen mit 500 SchülerInnen schafft es der Schülerstreik auf den Titel der Regionalzeitung. Jakob sagt: »Ich war überwältigt, als wir schon in der ersten Woche so viel Aufmerksamkeit für unser Zukunftsthema erhielten.«6

Julia Oepen aus Hamburg ist ebenfalls in der Greenpeace-Jugend aktiv und federführend an der ersten Koordination in Hamburg von Fridays for Future beteiligt. In Messenger-Kettenbriefen mit Links laden sie und ihre MitstreiterInnen zur Vernetzung ein. Als immer mehr dazuströmen, werden die örtlichen Organisations-Gruppen (Orga-Gruppen) ins Leben gerufen. »Die DemonstrantInnen kamen aus allen Ecken«, erzählt Julia. Einige hatten sich schon bei Umweltorganisationen wie beispielsweise dem BUND oder Plant for the Planet engagiert. Schnell entstehen durch den regen Austausch und die Zusammenarbeit ein intensives Wirgefühl und ein starker Zusammenhalt bei Fridays for Future.

Genau in diesem Zeitraum spielt sich die 24. UN-Klimakonferenz in Kattowitz ab (2. bis 15. Dezember), die an und für sich eine eher trockene Berichterstattung abwirft. Und das, obwohl der mediale Aufschrei zum 1,5-Grad-Sonderbericht des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) noch nicht ganz verhallt ist. Die Schülerstreiks verleihen dem Ganzen Lebendigkeit und erinnern daran, dass es sich bei den Verhandlungen nicht bloß um Papierkram dreht.

Diplomatisches Herumeiern ist Greta Thunberg fremd. Sie sagt genau das, was sie denkt. Extrem fokussiert hat sie sich bis ins letzte Detail ihres Spezialinteresses – dem Klima – eingearbeitet. Dass es für eine solche Konzentration kein Asperger braucht, zeigen in den kommenden Monaten Tausende von SchülerInnen und StudentInnen, die sich selbst beinahe in Lichtgeschwindigkeit auf den neuesten Stand der Wissenschaft bringen. Indes mobilisiert Greta über Twitter und weitere soziale Medien und sagt: »Ich sehe die Dinge schwarz und weiß. Es gibt keine Graustufen, wenn es ums Überleben geht.«7 Das sitzt.

Am Klimagipfel in Kattowitz nimmt Luisa Neubauer, damals noch 22 Jahre alt, als Jugenddeligierte8 der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen teil. Dort trifft sie Greta Thunberg. Luisa weiß: Wenn sie als Studentin ein paar Vorlesungen sausen lässt, bringt das keine Schlagzeilen. Aber sie verfügt über große Organisationskraft und schafft es, binnen weniger Wochen zehntausend TeilnehmerInnen für eine Demonstration am 25. Januar in Berlin zu mobilisieren – natürlich mithilfe vieler anderer engagierter junger Menschen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier wird von Luisa und ihren MitstreiterInnen Jakob Blasel und Carla Reemtsma zum Gespräch eingeladen. Als er inmitten der aufgebrachten Masse steht, wird er bei den Worten an einen Mitarbeiter gefilmt: »Das war eine Scheißidee!« Das Video wird zehntausendfach im Internet geklickt.9

Für den 15. März 2019 ruft Fridays for Future, zu diesem Zeitpunkt schon in Hunderten Ortsgruppen strukturiert und blendend vernetzt, zum ersten globalen Streik auf. Mit Erfolg: In 98 Ländern gehen die Menschen für das Klima auf die Straße, insgesamt bis zu 1,8 Millionen.10 Allein in Deutschland demonstrieren 300.000.11 An diesem Tag versucht das Institut für Protest- und Bewegungsforschung zu erfassen, wer da eigentlich protestiert.12 Seine Umfrage zeigt: Ein Großteil der Fridays sind junge, gebildete Menschen, die sich neu politisieren. Rund 30 Prozent nehmen zum ersten Mal an einer Demo teil. Die Mobilisierung findet großteils über FreundInnen statt. Knapp 58 Prozent der Befragten sind weiblich. In den Städten Amsterdam, Florenz, Warschau oder Wien stellen die Mädchen und Frauen sogar 70 Prozent der Protestierenden.13 ForscherInnen um Piotr Kocyba von der TU Chemnitz vermuten als Hintergrund für dieses Phänomen die starken weiblichen »Führungsfiguren«, zu denen mittlerweile auch Luisa Neubauer gehört, die über Pressearbeit für Fridays for Future eine starke mediale Präsenz erhält.

Drei Tage vor dem ersten globalen Streik, also am 12. März 2019, erhalten die SchülerInnen offizielle Unterstützung von den Scientists for Future. Sie stärken den jungen Menschen mit einer Bundespressekonferenz den Rücken – und mit einer Stellungnahme, bei der bis dato 12.000, später über 26.800 Wissenschaftler unterzeichnet haben. Dort heißt es:

»Zurzeit demonstrieren regelmäßig viele junge Menschen für Klimaschutz und den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erklären wir auf Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse: Diese Anliegen sind berechtigt und gut begründet. Die derzeitigen Maßnahmen zum Klima-, Arten-, Wald-, Meeres- und Bodenschutz reichen bei Weitem nicht aus. (…) Die jungen Menschen fordern zu Recht, dass sich unsere Gesellschaft ohne weiteres Zögern auf Nachhaltigkeit ausrichtet. Ohne tief greifenden und konsequenten Wandel ist ihre Zukunft in Gefahr.«14

Gewissermaßen ist es ein Schuss vor den Bug solcher Leute, die gerade versuchen abzuwiegeln – wie FDP-Chef Christian Lindner, der nur zwei Tage zuvor in der Bild am Sonntag verlauten lässt, das Ganze sei doch eher eine Sache für Profis.15 So kontert Volker Quaschning, einer der präsentierenden Scientists for Future und Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin: »Wir sind die Profis und sagen: Die junge Generation hat recht.«16

Die Fridays beweisen auch rasch selbst, dass sie ihre Anliegen ernsthaft erarbeitet haben. Am 8. April 2019 präsentieren vier VertreterInnen offiziell ihre Forderungen und laden dazu ins Berliner Naturkundemuseum ein. Symbolträchtig wählen sie den Sauriersaal als Kulisse für die Pressekonferenz. Vor dem 13 Meter hohen Skelett eines Brachiosaurus erklärt Sebastian Grieme (siehe Interview Seite 27 ff.): »Wir haben durch unser Handeln das sechste große Artensterben in der Geschichte dieses Planeten ausgelöst. Das Ergebnis des fünften sieht man hier hinter uns.«17

Das sind die Forderungen von Fridays for Future (Text von der Website)

Wir fordern die Einhaltung der Ziele des Pariser Abkommens und des 1,5-Grad-Ziels.

Explizit fordern wir für Deutschland:

 Netto-Null 2035

 Kohleausstieg bis 2030

 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung bis 2035

Entscheidend für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels ist, die Treibhausgasemissionen so schnell wie möglich stark zu reduzieren.

Deshalb fordern wir bis Ende 2019:

 Das Ende der Subventionen für fossile Energieträger

 1/4 der Kohlekraft abschalten

 Eine Steuer auf alle Treibhausgasemissionen. Der Preis für den Ausstoß von Treibhausgasen muss schnell so hoch werden wie die Kosten, die dadurch uns und zukünftigen Generationen entstehen. Laut UBA sind das 180 Euro pro Tonne CO2.

Die präsentierten Forderungen haben sie im Vorfeld in Zusammenarbeit mit zahlreichen WissenschaftlerInnen erstellt. Das zeichnet die Klima­bewegung 2019 aus. Es wird sachlich argumentiert, immer mit Bezug auf die Forschung. Dass hier jemand »schrullig« sei oder in vermeintlichen Fantasiewelten lebe, kann beileibe niemand behaupten.

»Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.«

Molière 18

Fridays for Future fordert die Politik dazu auf, ein Klimaschutzgesetz zu verabschieden, dass auf der 1,5-Grad-Grenze (siehe Seite 80 ff.) beruht. Die planetaren Grenzen sind zu respektieren und die Klimagerechtigkeit zum Leitbild zu machen. »Entscheidungen, die zu Lasten ärmerer Regionen und künftiger Generationen getroffen werden, sind inakzeptabel«, schreiben sie auf ihrer Webseite. Auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene erwarten die jungen Menschen sofortige Initiativen, um die Klimakrise einzudämmen. Dabei betonen sie, dass sämtliche Maßnahmen sozial gerecht erfolgen müssen. Zudem erinnern sie an Artikel 20a des Grundgesetzes19 und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.20

Während die deutsche Presselandschaft sich weit mehr mit der Frage auseinandersetzt, ob Schüler überhaupt streiken dürften, statt sich ihren Forderungen zu widmen, formieren sich bereits im Februar 2019 die ersten Parents for Future: ein freier Zusammenschluss von Eltern, die das Engagement ihrer Kinder nicht nur gutheißen, sondern aktiv unterstützen. Zu Beginn herrscht Unsicherheit: Dürfen wir als Erwachsene bei den Schüler-Demos mitlaufen? Vielleicht separat zum Schluss als »Parents-Block«, der den Kindern symbolisch den Rücken stärkt? Dieser Gedanke weicht schnell der Praxis, da vor allem jüngere Kinder und Eltern automatisch auf Großveranstaltungen zusammenbleiben. Während einige andere Erwachsene sich echauffieren, freuen sich viele Kinder und Jugendliche über die zusätzliche Unterstützung. Schnell finden einige Parents auch regelmäßige Aufgaben, etwa weil es bei den Demonstrationen noch Bedarf an Ordnern gibt – oder weil freitäglich um sechs Uhr morgens beim Aufbau der Bühne für die Schlusskundgebung noch Hilfe benötigt wird.

Nach Vorbild der Fridays organisieren sich auch die Parents in Ortsgruppen – etwa 200 gibt es in Deutschland, die sich untereinander und in einer »Bundes-Orga« miteinander vernetzen. Über die Diskussionsgruppen der Messenger-Chats findet ein reger Austausch statt.21 Auch andere unterstützende Netzwerke finden rasch zueinander, unter anderem die Artists (siehe Seite 138 ff.) und die Teachers for Future (siehe Seite 47 ff.). Sie alle bekunden ihre Solidarität mit den jungen Menschen.

Luisa Neubauers Rede bei der RWE-Hauptversammlung am 3. Mai 2019 bringt viel Beachtung. Das Rederecht hatten ihr die »Kritischen Aktionäre« überlassen.22 Unerschrocken tritt sie um kurz nach zwölf ans Rednerpult und liest den Aktionären die Leviten. »Was die Weltgemeinschaft gerade mit dem Planeten anrichtet, wird eines Tages als größtes politisches Versagen unserer Zeit beschrieben werden«, sagt sie mit ruhiger Bestimmtheit. Die Tatsache, dass die Aktionäre an der vermeidbaren Zerstörung verdienen, benennt sie als »größten Skandal«.23 »Kein Konzern in Europa trägt mehr Verantwortung für die Klimakrise als RWE«, so Luisa. Für ein paar Cent Rendite würden die Anteilseigner ihre Verantwortung verkaufen, kritisiert sie.

Die Fridays haben jeden Grund, auf die älteren Generationen wütend zu sein. Denn zumindest »irgendwie« haben wir seit 30 Jahren gewusst, dass wir ein Problem verursachen. Deshalb lautet eine häufig geäußerte Frage: »Warum habt ihr alle kollektiv nichts getan?!«

Natürlich gab es immer schon Menschen, die zäh für den Umwelt- und Klimaschutz gekämpft haben. Zu diesen zähle ich mich auch. Wir rannten quasi ständig gegen die Wand, rappelten uns auf und versuchten es wieder – und kamen auch mit Gänsefußschritten voran. Um einen Felsbrocken ins Rollen zu bringen, braucht es eine enorme Kraft zum Anschub. Wir haben uns bemüht, aber genug war das nicht.

Vermutlich spielte eine Rolle, dass der Weltklimarat zwar 1990 den ersten Sachstandsbericht herausgab, der die Erderwärmung als menschenverursacht identifizierte, auch wenn dies schon rund 100 Jahre vermutet worden war.24 Seine Warnungen erreichten jedoch im Vergleich zu 2018 deutlich verhaltener die Öffentlichkeit. Das Papier reichte zwar aus, um die Grundlage der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen zu bilden. In meinem persönlichen Umfeld kam jedoch nur an (auf welcher Basis auch immer), dass möglicherweise der Meeresspiegel um ein paar Zentimeter steigen könnte. Erst 1997 mit Verhandlung des Kyoto-Protokolls wurde auch dem Otto Normalbürger deutlicher, dass wir Emissionen begrenzen müssen. Weil dies der Emissionshandel übernehmen sollte, wirkte die Sache auch gleich wieder geregelt. 2007 hieß es, die weltweiten Emissionen müssten bis 2015 stabilisiert werden. Auch das klingt in Laien-Ohren nicht wirklich alarmierend. Freilich, PhysikerInnen wie Angela Merkel verstanden die Implikationen. Wer jedoch nicht hauptberuflich in einem klimaassoziierten Wissenschaftszweig arbeitete oder in der Politik oder sich in aktivistischen Kreisen herumtrieb, bekam im Wesentlichen mit: Die »Klimakanzlerin« kümmert sich. Damals forderte sie beim G8-Gipfel, der weltweite Ausstoß an Treibhausgasen solle bis 2050 um mindestens 50 Prozent sinken.25

Doch auch das Verständnis der Wissenschaft musste sich noch weiter verbessern. Klare Erwärmungsgrenzen, in Grad Celsius formuliert, wurden erst 2015 für die breite Öffentlichkeit greifbar. So war es vorher schwieriger, klare politische Forderungen zu treffen, auch wenn einige es schon taten – eben die besonders Sicherheitsbewussten und sozial Engagierten, denn über verheerende Auswirkungen der Klimakrise sprach man vor allem im Kontext der armen Länder. So mangelte es hierzulande in gewisser Weise an persönlicher Betroffenheit.

Wenn die Fridays for Future also nun mit Tanzdemos, Kleidertauschpartys oder Poetry Slams ihren Frust in positive Energie umwandeln, ist das angesichts des Versagens der älteren Generation beachtlich besonnen. Eine Ursache – keine Entschuldigung – ist jedoch, dass die nötige Klarheit erst noch gewonnen wurde. Die nötigen Zahlen, Daten, Fakten fehlten uns, die das Unglück bereits erahnten, als starke Argumentationsgrundlage.

Deutschland wird seine Klimaschutzziele für 2020 deutlich verfehlen, wie aus dem Klimaschutzbericht 2018 hervorgeht.26 Statt 40 Prozent weniger Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 werden es wohl nur 32 Prozent sein. Die Lücke solle so schnell wie möglich geschlossen werden, lässt die Bundesregierung verlauten.27 Derart schwammige Versprechen reichen den Fridays nicht – und den anderen For Future-VertreterInnen ebenfalls nicht. 2019 ist das letzte Jahr, von dem aus wir noch die Klimaneutralität im Jahr 2035 erreichen können. Voraussetzung dafür sind ambitionierte Maßnahmen, betont Volker Quaschning im Interview mit dem Wirtschaftsforum.28 Jeder verschluderte Monat geht mit rasant steigenden negativen Konsequenzen einher. 2019 ist ein Schlüsseljahr für die Zukunft.

Umso erschreckender, dass die CO2-Emissionen aus dem Energie­sektor weltweit 2018 ein historisches Hoch von 33,1 Gigatonnen erreichten.29 Dieses Problem lässt sich nur politisch lösen. Vor den Europawahlen besetzen also Dutzende Fridays aus verschiedenen Ländern den Vorplatz des Europaparlaments in Brüssel.30 Am Freitag vor den Europawahlen, also am 24. Mai 2019, gelingt ihnen eine weitere enorme Mobilisierung: 2300 Schulstreiks finden in 130 Ländern statt.31

Unter #VoteClimate rufen sie dazu auf, die Europawahlen zu Klimawahlen zu machen.32 Mit Erfolg: »Gerupfte Volksparteien, grüne Gewinner« titelt SPIEGEL ONLINE.33 Mit über 20 Prozent haben die Grünen ihr letztes Ergebnis der Europawahlen 2014 beinahe verdoppelt.

Die Fridays sind zum Antreiber der Politik geworden. Sie machen ihre Hausaufgaben. Durch das politische Klima, das sie geschaffen haben, ist ein echter Aufbruch nun möglich. Halbherzig wird sich nun niemand mehr durchmogeln können. Die Fridays for Future beobachten mit Argusaugen jede politische Bewegung und kommentieren diese lautstark. Aber auch sie werden scharf beobachtet.

Mit etwas Bangen erwartet beispielsweise die Öffentlichkeit den internationalen Protest in Aachen am 21. Juni 2019.34 Denn dort, am Rande des rheinischen Braunkohlereviers, benennen die Fridays »Ende Gelände« als Partner der Klimaproteste. »Ende Gelände« ist dafür bekannt, Gleise zu blockieren. Zudem sind vielen Menschen noch die Bilder des vergangenen Oktobers in lebhafter Erinnerung, als es bei Protesten im Hambacher Forst zu Zusammenstößen von Kohlegegnern und der Polizei gekommen ist.35 Die Polizei Aachen verschickt sogar im Vorfeld Briefe an die umliegenden Schulen, die mahnen, sich nicht mit in die Kuhle zu begeben. Dabei hatten die Fridays dazu überhaupt nicht aufgerufen. SchülerInnen in illegale Situationen zu schicken, liegt ihnen fern.36 Trotz der großen Teilnehmerzahlen verzeichnen die Fridays for Future-Demonstrationen bisher keine größeren Zwischenfälle – auch nicht in Aachen, wo schließlich 40.000 Menschen teilnehmen37; auch wenn sich bei einer Weggabelung einige Hundert abspalten, um den Weg nach Garzweiler einzuschlagen.38

Von Hong Kong über New York bis Kuala Lumpur – die Klimastreiks haben den Globus erfasst und haben einen tief greifenden Effekt auf die Kinder und Jugendlichen. Sie lernen, den Status quo in Zweifel zu ziehen, sie erfahren Selbstwirksamkeit und Verhandlungsmöglichkeiten. Sie bringen sich ein und lassen sich nicht in eine »Opferrolle« pressen. Sie denken aktiv über die Gestaltung der Welt nach und agieren hochkooperativ. Gezielt üben sie sich im friedlichen Miteinander, beispielsweise durch das Einhalten der gewaltfreien Kommunikation. Eine solche Basis für Entwicklung kann die Welt insgesamt nur sicherer und gesünder machen.

Greta Thunberg wird als »Ikone« und »geistige Führerin« der Klima­bewegung gefeiert39 – von Außenstehenden, denn innerhalb der Bewegung ist klar, dass sie voll von bemerkenswerten Charakteren ist. Greta selbst macht sich nichts aus dem Trubel um ihre Person. Sie sagt: »Ich sehe mich nicht als Anführerin, sondern als Aktivistin, die anderen eine Protestform zeigt.«40 Stolz sei sie nicht auf das, was sie geschafft habe. Sie sehe es als ihre Pflicht. Zudem betont sie immer wieder, dass die Kraft des Protestes in der Masse liegt, also bei allen Menschen, die an den Demonstrationen teilnehmen. Gleichwohl erkennt Greta das Potenzial und die Verantwortung der ihr zugesprochenen Rolle und nimmt sie an.

Ihre Rede in Kattowitz wird hunderttausendfach im Netz abgerufen.41 Dort sagt sie den berühmten Satz: »Ich habe gelernt, dass man nie zu klein ist, um einen Unterschied zu machen.« Bei ihrer Rede vor dem Europaparlament kämpft sie mit den Tränen, als sie über das Artensterben und die Zerstörung der Natur spricht.42 In ihrer Rede beim Weltwirtschaftsforum in Davos äußert sie die legendären Sätze: »Ich will eure Hoffnung nicht. Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag fühle. Ich will, dass ihr handelt, als würde das Haus brennen. Weil es so ist.«43

Trotz ihres häufigen »Schuleschwänzens« während der neunten Klasse erhält Greta ein Zeugnis mit der besten Note in 14 von 17 Fächern. In den anderen drei Fächern bekommt sie die zweitbeste Note.44 Derweil hat Greta angekündigt, nach der neunten Klasse ein »Sabbatical« einzulegen und ein Jahr lang nicht zur Schule zu gehen. Das ist problemlos möglich, weil die Schulpflicht in Schweden nach neun Jahren endet. Nach einem Jahr möchte sie zurückkehren und die Oberstufe absolvieren. Bis dahin will sie sich allerdings voll und ganz dem Kampf gegen die Klimakrise widmen.45 Im September 2019 wird sie am Klimagipfel der Vereinten Nationen in New York teilnehmen, im Dezember 2019 an der Weltklimakonferenz in Santiago de Chile.46 Zusammen mit Fridays for Future hat Greta Thunberg den Amnesty-Menschenrechtspreis erhalten,47 die Universität Mons in Belgien hat angekündigt, ihr im Oktober 2019 einen Ehrendoktor für ihre Standhaftigkeit und Aufrichtigkeit zu verleihen.48

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