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KAPITEL 4

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Nachdenklich wühle ich in meiner Kleidertruhe, während Luan neben mir mit einem meiner Schuhe spielt. Seine Wunden sind fast vollständig verheilt und mir wird bewusst, dass es schon bald Zeit wird, ihn wieder in die Wildnis zu entlassen. Außerdem ist mir aufgefallen, dass er ein gutes Stück gewachsen ist und einen Bewegungsdrang hat, den er in unserer Hütte nicht mehr stillen kann.

Schließlich habe ich die Kleidung für die kommende Nacht zusammengestellt: eine kurzärmelige Tunika, darüber ein ledernes Wams, sowie eine lange Hose und Stiefel, die bis zu meinen Knien reichen. Doch das wichtigste ist, dass die Klamotten vollkommen schwarz sind. Dadurch würde ich in der Dunkelheit perfekt getarnt sein und ich habe Nevya empfohlen, es mir gleichzutun.

Nachdenklich streiche ich über Luans Fell, welches dabei ist, den kindlichen Flaum zu verlieren. Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, ihn mit auf die geplante Patrouille zu nehmen, doch dann musste ich mir eingestehen, dass es viel zu gefährlich für ihn wäre. Dennoch wäre seine Anwesenheit sehr hilfreich, da Nevya und ich viel größere Kräfte hätten. Mittlerweile bin ich so an die Energie, die in seiner Anwesenheit durch meine Adern strömt, gewöhnt, dass ich mich ohne Luan völlig erschöpft fühle. Möglicherweise ist dies sogar einer der Gründe, warum es Clanmitgliedern verboten ist, ein Krafttier zu halten.

Ich drücke Luan ein letztes Mal an mich, ehe ich mich um-ziehe und dann leise die Leiter hinuntersteige. Meine Eltern sind noch mit Shivani unterwegs, also werde ich mich keiner Befragung unterziehen müssen.

Entschlossen ziehe ich mir den Gürtel mit der Halterung für meine Wurfmesser um und stecke nach kurzem Zögern noch den schwarzen Dolch dazu, den ich bei einem Tauschgeschäft mit Kyan erworben habe. Dafür wollte er lediglich eine Schale mit Beeren haben und in mir regt sich der Verdacht, dass er mir die Waffe auch ohne Gegenleistung geschenkt hätte.

Als ich einen Schritt nach draußen gehe, weht mir sofort ein unangenehm kalter Wind entgegen, der sicherlich aus den Bergen kommt. Am liebsten würde ich einen Schritt rückwärts in die warme Hütte machen, doch stattdessen straffe ich die Schultern und gehe entschlossenen Schrittes auf den Wald zu.

Obwohl der Abend noch nicht lange angebrochen ist, hat der Himmel bereits eine dunkelgraue Färbung angenommen. In der Luft liegt ein Unwetter, doch davon lasse ich mich nicht einschüchtern.

Geduldig warte ich bei der verabredeten Stelle am Waldrand auf Nevya. Bald schon sehe ich sie, ebenfalls völlig in Schwarz gekleidet, auf mich zukommen. Ich muss grinsen, als ich ihr schmollendes Gesicht sehe, denn normalerweise trägt sie Kleider in den buntesten Farben. Das hellbraune Haar hat sie zurückgebunden und ihre grünen Augen blicken mich erwartungsvoll an. »Bist du genauso aufgeregt wie ich?«, fragt sie mit geröteten Wangen und scheint es kaum erwarten zu können, endlich in den Wald zu gehen.

»Zuerst müssen wir einen todsicheren Plan festlegen«, erwidere ich mahnend. Ich fühle mich wie eine mutige Kriegerin, die dabei ist, auf eine wichtige Mission aufzubrechen. Was zumindest teilweise stimmt. »Wir müssen darauf achten, dass wir immer zusammenbleiben. Meine Wurfmesser können ohne deine Magie nicht viel gegen einen Unsterblichen ausrichten und auch du bist allein noch nicht stark genug.«

Nevya nickt eifrig. »Ich habe für den Notfall Pfeil und Bogen mitgenommen.« Sie deutet auf ihren Rücken, wo Köcher und Bogen hängen.

»Kannst du damit umgehen?«, frage ich erstaunt.

Bisher habe ich nie mitbekommen, dass sie sich für irgendetwas anderes als der Magie interessiert hat.

Beschämt senkt meine Freundin den Blick. »Ich habe hin und wieder heimlich geübt. Wenn mein Vater das erfahren würde, könnte ich mich auf großen Ärger gefasst machen.«

Ich weiß sofort, dass sie recht hat. Ich erinnere mich an das enttäuschte Gesicht des Schamanen, als seine Tochter wieder einmal bei einer Übung versagt hat. Dafür wird er umso erfreuter gewesen sein, dass Nevya in letzter Zeit so große Fortschritte gemacht hat, die vermutlich nur auf ihre Begeisterung über meinen Plan zurückzuführen ist.

»Dann kann es wohl jetzt losgehen«, verkünde ich voller Tatendrang und mache die ersten Schritte in den Wald.

Es scheint mir, als hätte ich eine völlig neue Welt betreten und obwohl ich nahezu jeden Tag hier bin, verzaubert mich der Wald immer wieder aufs Neue. Inzwischen ist es fast vollkommen dunkel geworden und die ersten Glühwürmchen schwirren bereits um uns herum. Völlig lautlos bewegen wir uns über den weichen Boden und sind schon bald an die Stelle gelangt, wo ich dem Fremden aus dem Wald schon mehrmals begegnet bin. Ich spüre jedoch instinktiv, dass wir ihn hier nicht antreffen werden und gebe Nevya das Zeichen, weiterzugehen.

Das Adrenalin rauscht mir durch die Adern, obwohl ich mich in einer völlig vertrauten Umgebung befinde. Außerdem müssten noch zwei weitere Kriegergruppen unterwegs sein, da der Vorschlag, den Nevya bei dem Ratstreffen angesprochen hat, tatsächlich eingeführt wurde. Sollten wir also wirklich in Gefahr sein, und die Möglichkeit haben, nach Hilfe zu rufen, würde sicherlich bald schon jemand bei uns sein.

Mittlerweile stehen die Bäume so dicht beieinander, dass das Mondlicht immer schwächer durch das Geäst scheint. Irgendwann lässt Nevya eine kleine, rosafarbene Flamme in ihrer Hand aufleuchten, die unsere Umgebung etwas heller erscheinen lässt. Ich werfe ihr einen anerkennenden Blick zu, denn noch vor wenigen Wochen hätte sie es kaum geschafft, auch nur einen kleinen Funken zustande zu bringen.

Ich weiß, dass der Wald sich bald wieder lichten wird, da wir uns in Richtung Steppe bewegen. Doch ich bin mir sicher, dass hier der beste Ort wäre, um sich zu verstecken.

Bald schon habe ich das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden, und mir läuft ein eisiger Schauer über den Rücken.

Es kommt mir vor, als wären wir Beute, die von einem wilden

Tier beobachtet wird, welches nur noch auf den besten Augenblick für den Angriff wartet.

»Spürst du das auch?«, frage ich leise, doch meine Stimme kommt mir in der Stille viel zu laut vor.

»Ja«, haucht Nevya und ich kann hören, wie sich ihr Atem beschleunigt. Die Luft scheint sich plötzlich abzukühlen und ich friere in meiner viel zu dünnen Kleidung. Meine Hand wandert langsam zu den Wurfmessern und ich vertraue auf mein Gefühl, dass es nötig ist.

Plötzlich höre ich ein lautes Rascheln und im nächsten Moment einen spitzen Schrei. Ich wirbele herum und blicke in Nevyas bleiches Gesicht. Sie zittert am ganzen Körper und hebt dann langsam die Hand, um mit dem Finger auf eine Stelle hinter mir zu deuten. Schnell drehe ich mich wieder um und sehe wenige Schritte vor mir eine Gestalt in drohender Haltung stehen. In der Hand hält sie einen Dolch, dessen Klinge gefährlich im schwachen Licht blitzt.

Langsam kommt die Gestalt näher und ich erkenne wenig überrascht den unbekannten jungen Mann.

»Ich hätte dich töten sollen«, knurrt er und blickt mich mit einem kalten Blick an, dass ich innerlich zusammenzucke.

»Verschwinde!«, ruft Nevya mit panischer Stimme und lässt das Feuer in ihrer Hand etwas heller aufleuchten.

Der Mann verzieht jedoch keine Miene und starrt mich weiterhin hasserfüllt an.

»Was hast du in unserem Revier zu suchen?«, frage ich mit fester Stimme, die nicht zu der panischen Unruhe in meinem Inneren passt. »Ich denke, du kennst die Antwort«, entgegnet er spöttisch.

Langsam ziehe ich meine Messer und sein Blick huscht sofort dorthin. »Ich würde dir raten, mich nicht wütend zu machen«, sagt er finster und ballt seine leere Hand zu einer Faust.

Mir wird klar, dass es tatsächlich klüger wäre, ihn nicht anzugreifen und halte meine Waffen darum gesenkt. Nevya scheint hin und hergerissen zu sein, ob sie ihre Magie gegen den Fremden einsetzen sollte. »Lass es besser bleiben«, sage ich leise und hoffe, dass es die richtige Entscheidung ist.

Ich beschließe, zuerst zu versuchen, mit ihm zu reden. »Hat Morigan dich geschickt?«

Er scheint über meine Frage überrascht zu sein und zögert einen Moment.

»Das geht dich nichts an«, sagt er schließlich.

Allmählich frustrieren mich seine knappen Antworten und ich muss mich beherrschen, ihn nicht doch anzugreifen. Seltsamerweise fühle ich keine Angst mehr, sondern nur Neugierde, und ich frage mich gleichzeitig, ob mein Verhalten leichtsinnig ist.

»Wir lassen nicht zu, dass du weitere Leoparden angreifst«, sage ich schließlich mit fester Stimme. »Es sind außer uns noch andere Patrouillen unterwegs. Sag deinem Anführer, dass die Clans sich die Angriffe nicht länger gefallen lassen.«

»Meinst du etwa, von euch Mädchen und ein paar Kriegern lasse ich mich abschrecken?«, fragt er gehässig und scheint die Worte geradezu auszuspucken. In seinen Augen flackern Gefühle auf, die ich nicht so Recht deuten kann. »Wenn ihr nicht getötet werden wollt, solltet ihr verschwinden.«

»Nein, das werden wir nicht«, mischt sich Nevya wieder ein.

Gerade, als ich ihr klar machen möchte, dass wir doch besser in Rückzug gehen sollten, formt sie das magische Feuer zu einer leuchtenden Kugel, die sie dann auf den Fremden zu schnellen lässt. Ich beobachte die Szene mit vor Überraschung geöffneten Mund, da ich nicht gedacht hätte, dass meine Freundin dazu in der Lage ist.

Der junge Mann wird durch die Kraft gegen einen Baum geschleudert, ist jedoch sofort wieder auf den Beinen. Voller Entsetzen sehe ich, wie er nach seinem Dolch greift und dann in einer unnatürlichen Geschwindigkeit auf Nevya zuläuft. Im letzten Moment kann ich sie wegziehen und stoße dem Mann meinen eigenen Dolch in den Rücken. Ich weiß, dass es ihn nicht tötet, denn mittlerweile bin ich mir sicher, dass er tatsächlich unsterblich ist. Doch es hat ihn immerhin für einen Moment aus dem Konzept gebracht.

Ich nutze die Gelegenheit und zerre Nevya eilig hinter mir her. So schnell wir können laufen wir durch den Wald und ich kann hören, dass der Mann die Verfolgung aufgenommen hat.

Obwohl ich mir bewusst bin, dass er uns vermutlich einholen wird, gebe ich die Hoffnung nicht auf und beschleunige mein Tempo noch weiter. Das häufige Ausdauertraining, welches von Clanmitgliedern erwartet wird, kommt mir und meiner Freundin zugute und obwohl wir in der Dunkelheit kaum etwas sehen können, schlängeln wir uns ohne Mühe an den Bäumen vorbei. Dann werde ich jedoch zu Boden gerissen und bin für einen Moment völlig blind.

»Lauf weiter!«, rufe ich meiner Freundin mit überschlagender Stimme zu. »Hol Hilfe!« Zu meiner Erleichterung hört sie auf meine Worte, wenn auch zögerlich. »Du sagst jetzt gar nichts mehr«, knurrt eine Stimme nahe meinem Ohr und im nächsten Moment wird alles schwarz.

Mühsam schlage ich die Augen auf und kann zu meiner Ver-wunderung den Boden unter mir sehen. Ich bewege mich auf und ab, was ein heftiges Pochen in meinem Kopf auslöst. Dann erst fällt mir auf, dass ich getragen werde, und schlage sofort wild um mich. Unsanft werde ich zu Boden gelassen und ich brauche einen Moment, um zu Atem zu kommen. Ein grimmiges Gesicht beugt sich über mich, ein Gesicht, das ich zuerst nicht erkenne. Schließlich wird mir jedoch bewusst, dass es das Gesicht des jungen Mannes ist, welches ich nun das erste Mal bei Tageslicht sehe.

Seine Haut ist bleich und das Haar wirkt auf dem ersten Blick schwarz, doch es schimmert rötlich im Sonnenlicht. Das merkwürdigste sind allerdings seine Augen und erst nachdem ich einen Moment hineingestarrt habe, fällt mir auf, woran es liegt. Während das eine Auge von einem strahlenden Blau ist, schimmert das andere in einem kalten, aber klaren Grau. Wieder einmal überkommt mich diese seltsame und völlig unangebrachte Faszination.

Der Mann wendet sich schließlich von mir ab und mir wird klar, dass ich ihn völlig schamlos angestarrt habe. Mir schießt die Röte ins Gesicht und ich möchte gerade etwas sagen, als der Mann anfängt, mir mit groben Bewegungen die Handgelenke zusammenzubinden.

»Ich rate dir, weiterhin den Mund zu halten«, sagt er finster und zieht mich dann unsanft auf die Füße. »Jetzt, wo du wieder laufen kannst, muss ich dich endlich nicht mehr tragen.«

Er befestigt noch ein Seil an meinen Fesseln und zieht mich dann hinter sich her. Ich möchte protestieren, doch ich weiß, dass es klüger wäre, mich an seine Anweisungen zu halten. Darum beschließe ich, zuerst die Lage zu analysieren. Als ich mich umblicke, bemerke ich, dass wir uns durch die Steppe bewegen und die Oase, in der sich das Hauptlager befindet, weit und breit nicht zu sehen ist. Zudem hat sich die Luft verändert. Sie wird drückender und ein leichter, unangenehmer Geruch ist darin wahrzunehmen. Dies kann nur bedeuten, dass wir uns auf die Grenze zur Einöde zubewegen.

Ich schaue an mir herunter und muss feststellen, dass sich meine Waffen nicht mehr an dem Gürtel befinden. Zudem lassen sich die Fesseln auch nach großen Bemühungen nicht lockern, sodass ich mir verzweifelt eingestehen muss, dass ich dem Mann völlig ausgeliefert bin. Sobald wir die Grenze erreichen, könnte ich auch auf meine Clankameraden nicht zählen und ich hoffe inständig, dass Nevya ihnen früh genug Bescheid sagen konnte.

Nachdem ich eine Zeit lang brav hinter dem Fremden herge-gangen bin, beschließe ich doch, mein Schweigen zu brechen.

»Du bringst mich zu Morigan, habe ich recht?«, frage ich finster, doch lange Zeit bekomme ich keine Antwort.

Dann bleibt der Mann jedoch stehen und dreht sich langsam zu mir um. »Das stimmt«, sagt er mit einem Lächeln, dass vollkommen falsch aussieht.

»Warum hast du mich nicht einfach getötet? Was bringt es Morigan, mich als Geisel zu halten? Ich bin nicht mal ein richtiges Clanmitglied!« Herausfordernd blicke ich ihn an und hoffe, dass er mit dieser Tatsache nicht gerechnet hat.

Dann wird mir jedoch bewusst, dass ich einen großen Fehler gemacht haben könnte. Wenn ich nichts wert bin, könnte er sich doch noch dafür entscheiden, mich einfach zu töten.

»Irgendeinen Vorteil wird es schon haben«, entgegnet er bloß schulterzuckend.

Ich werde aus diesem Mann einfach nicht schlau. Alles was er tut, wirkt auf mich völlig unvorhersehbar. Ich versuche schon die ganze Zeit mir fieberhaft einen Fluchtplan auszudenken, doch es will mir einfach nicht gelingen.

»Ich habe Kopfschmerzen und Durst«, murre ich nach einiger Zeit. Vielleicht könnte ich durch nerviges Verhalten mehr über seinen Charakter erfahren. Er bleibt jedoch ohne ein weiteres Wort stehen und reicht mir eine Trinkflasche. Ich leere sie mit wenigen, gierigen Schlucken und merke erst jetzt, wie ausgetrocknet ich war.

Während ich dem Mann die lederne Flasche zurückgebe, nutze ich die Gelegenheit, ihn noch einmal genauer in Augenschein zu nehmen. Obwohl er eindeutig mehrere Jahre älter als ich sein muss, hat sein Gesicht noch weiche Züge, die überhaupt nicht zu seinem Verhalten passen. Das Haar hängt ihm wirr in die Stirn.

Als er meinen Blick auffängt, verfinstert sich seine Miene.

»Hör auf, mich so anzustarren.«

»Was willst du sonst tun? Mich doch noch töten?«, entgegne ich provokant.

»Dann gehen wir die ganze Nacht ohne Pause durch. Und außerdem ohne Essen und Trinken.« Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, als er meinen empörten Blick bemerkt.

Er sieht in diesem Augenblick überhaupt nicht feindselig aus, doch dann ist dieser kurze Moment auch schon wieder vorbei. Er dreht mir erneut den Rücken zu und zerrt mich mit dem Seil hinter sich her.

Nachdenklich folge ich ihm und mir wird bewusst, dass er sich von der Vorstellung, die ich bisher von dem Clan der Dämonenpferde hatte, unterscheidet. Dann rufe ich mir jedoch ins Gedächtnis, dass er Luan angegriffen und vermutlich sogar andere Leoparden getötet hat.

Meine Verwirrung wird von Hass abgelöst und ich versuche wieder einmal vergeblich, die Fesseln zu lösen. Doch irgendwann verlassen mich die Kräfte und ich muss meine letzte Energie dazu verwenden, auf den Beinen zu bleiben. Sicherlich steht mir noch ein langer, unerträglicher Weg bevor.

Am Horizont ist die Sonne bereits dabei, zu verglühen, während wir uns noch immer durch die weite Steppe bewegen. Ich kann meine Füße nicht mehr spüren, was zumindest angenehmer ist als der furchtbare Schmerz, den ich die vorherigen Stunden ertragen musste.

Erst als die Nacht vollkommen eingebrochen ist, bleibt mein Entführer endlich stehen. Erschöpft lasse ich mich in den Sand plumpsen und schaffe es daraufhin eine Ewigkeit nicht, mich zu rühren. Nur am Rande bekomme ich mit, dass der junge Mann seine lederne Tasche öffnet und ein paar Lebensmittel herausholt.

Ich drehe schwach den Kopf in seine Richtung und mir wird erst jetzt bewusst, dass das Essen für mich sein muss. Mit unergründlicher Miene reicht er mir ein Stück Brot und sofort greife ich gierig danach.

»Nicht zu schnell essen«, sagt er mit monotoner Stimme und ich blicke ihn überrascht an. Warum kümmert ihn so etwas? Er weicht meinem Blick aus und schaut mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen in die Ferne. »Möchtest du mir deinen Namen verraten?«, frage ich in die Stille hinein und nun ist er es, der mich überrascht anblickt.

»Warum interessiert dich das?«

Ich zucke mit den Schultern. »Darf ich etwa nicht wissen, wie mein Entführer heißt?« Einen Moment lang sieht er mich schweigend an, ehe er antwortet: »Nein. Das ist nicht von Belang.« Ich seufze innerlich und verschlinge dann die Reste des Brotes. Mein Ehrgeiz, mehr über diesen undurchschaubaren Mann herauszufinden, ist geweckt und so beschließe ich, nicht locker zu lassen.

»Stammst du vom Clan des großen Adlers? Vor kurzem habe ich einen Krieger aus diesem Clan kennengelernt, sein Name ist Kyan. Seid ihr euch schonmal begegnet?«

Für einen kurzen Moment scheint in seinen Augen eine Emotion aufzublitzen, doch ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich mir das vielleicht bloß eingebildet habe.

Da Morigan seinen Clan nach dem berühmten Kampf mit Ayden komplett neu aufbauen musste, sind die meisten seiner Anhänger noch nicht lange dabei. Deswegen ist die Möglichkeit groß, dass mein Entführer die meisten Mitglieder seines ehemaligen Clans noch kennt.

Es könnte sogar sein, dass er erst vor wenigen Jahren beschlossen hat, unsterblich zu werden und er darum noch einen gewissen Bezug zu seiner Vergangenheit hat. Ich habe schon oft Geschichten darüber gehört, dass die Menschlichkeit eines Unsterblichen Jahr für Jahr immer weiter schwindet. Darum besteht Morigan angeblich vor allen am Anfang darauf, dass seine neu erworbenen Anhänger ihre Treue zu ihm beweisen.

Das Töten von Krafttieren könnte meiner Meinung nach dazugehören und in mir flackert fast so etwas wie Mitleid für diesen Mann auf. Was ist ihm im Leben widerfahren, dass er diesen Weg gewählt hat? Musste er eine ähnliche oder sogar noch schlimmere Geschichte erleben wie ich?

Während die meisten anderen Mitglieder der Clans einen blinden Hass auf die Unsterblichen hegen, habe ich mir schon oft Gedanken über die Hintergründe gemacht. Es gab sogar Tage, an denen ich so verbittert war, dass ich ihr Handeln fast nachvollziehen konnte. Dennoch bin auch ich der Meinung, dass viele ihrer Taten unverzeihlich sind.

Wie verlockend es auch wäre, endlich kein Außenseiter mehr zu sein, so würde ich niemals die Clans auf solch grausame Weise verraten.

»Du solltest schlafen«, durchbricht mein Entführer plötzlich die Stille. »Morgen steht dir ein anstrengender Tag bevor.«

Ich nicke schweigend und versuche dann vergeblich, eine gemütliche Schlafposition zu finden, während der junge Mann mit geübten Bewegungen ein Feuer entfacht. Erst jetzt fällt mir auf, wie kalt es geworden ist und wundere mich abermals über die Fürsorge meines Entführers. Obwohl er ansonsten kühl und abweisend ist, kann ich unter der Fassade noch etwas anderes erkennen.

Schläfrig blicke ich in die wärmenden Flammen, bis meine Augen immer schwerer werden und ich schließlich in einen tiefen, erlösenden Schlaf versinke.

Ich werde von einem seltsamen, beklommenen Gefühl geweckt und öffne verwirrt die Augen. Der junge Mann steht wenige

Schritte von mir entfernt und hat noch nicht gemerkt, dass ich wach bin. Ich muss einen Schrei unterdrücken, als ich ein dunkles Wesen entdecke, welches lautlos um ihn herumschleicht. Es besteht bloß aus schwarzem Nebel und hat keine feste Form.

»Verschwinde«, knurrt mein Entführer und macht einen energischen Schritt auf das Wesen zu. »Ich hatte dir befohlen, dass du Abstand hältst.« Das Wesen weicht zurück und es scheint mir so, als würden zwei leuchtend rote Augen aufblitzen. Ich kann die Welle von Hass, die von diesem Ungetüm ausgeht, mit jeder Faser meines Körpers spüren, und ohne, dass ich es kontrollieren kann, beschleunigt sich mein Atem.

Plötzlich blicken diese unnatürlich roten Augen in meine Richtung und ich bemerke entsetzt, dass sich das Wesen auf mich zubewegt. Nun ist es mir völlig egal, ob ich meinen Entführer verärgere und springe so schnell, wie es meine gefesselten Hände erlauben, auf.

Ich taumele einige unsichere Schritte nach hinten, um Abstand zwischen mich und dieser furchtbaren Kreatur zu bringen. Dann sehe ich auf einmal, wie mein Entführer zu mir läuft und sich schützend vor mich stellt. Er brüllt dem Wesen ein paar harte Worte in einer seltsamen, mir unbekannten Sprache entgegen und wiederholt sie solange, bis sich die Kreatur immer weiter von uns entfernt.

Schließlich weicht sie so weit zurück, dass sie eins mit der Dunkelheit wird. Der junge Mann keucht schwer und ich kann sehen, dass seine Hände zittern.

»Was war das?«, bringe ich entsetzt hervor und versuche, mich wieder zu beruhigen. »Das war mein Schatten«, antwortet er mit finsterer Stimme. »Oder genauer gesagt der Dämon, der darauf wartet, meine Seele vollkommen verschlingen zu können.« Im ersten Moment weiß ich nicht, was ich darauf antworten soll, denn bei allen Geschichten, die ich je über den Clan der Dämonenpferde gehört habe, kam so etwas nicht vor.

»Das ist entsetzlich«, sage ich schließlich mit leiser Stimme und weiß selbst, wie lahm diese Worte klingen.

Der junge Mann lacht freudlos auf. »Das gehört leider dazu.

Die Tatsache war mir von Anfang an bewusst.«

Dann scheint ihm wieder einzufallen, dass ich eigentlich seine Geisel bin und wendet sich schnell von mir ab. Er stochert mit einem Stock in der Glut herum, bis wieder eine kleine Flamme entsteht.

»Leg dich schlafen«, befiehlt er mit kalter Stimme und setzt sich so hin, dass ich sein Gesicht nicht erkennen kann. Doch ich könnte schwören, dass ein Hauch von Wehmut in seinen Zügen liegt.

Ich werde bereits vor Sonnenaufgang durch ein unbeholfenes Rütteln an meiner Schulter geweckt und die Müdigkeit legt sich bleischwer über mich.

»Kann ich nicht noch ein bisschen liegen bleiben?«, murmele ich im Halbschlaf, bis mir mit einem Schlag bewusst wird, dass ich mich nicht zuhause in meinem Bett befinde.

Sofort setze ich mich auf und blicke geradewegs in ein spöttisch dreinblickendes Augenpaar.

»Ich bestimme hier die Regeln.« Obwohl seine Stimme hart klingt, kann ich eine Spur Belustigung mitschwingen hören.

»Ich fühle mich furchtbar«, stöhne ich und reibe mir den noch immer schmerzenden Kopf. Auch nachdem ich etwas zu Essen und Trinken bekommen habe, geht es mir nicht viel besser. »Mehr kann ich dir nicht helfen«, sagt mein Entführer schulterzuckend und zieht mich dann erbarmungslos mit sich.

Der Gestank, welcher aus der Einöde zu uns zieht, wird immer intensiver, aber noch befinden wir uns im Revier meines Clans. Noch habe ich die Hoffnung, dass die Krieger nach mir suchen, doch es kommt mir immer unwahrscheinlicher vor.

In diesem Teil des Reviers befinden sich keine Nebenlager mehr, da sich niemand längere Zeit in der Nähe der Grenze zur Einöde aufhalten möchte. Zudem sind in diesem Teil viele Sklavenhändler unterwegs, die zu Morigan unterwegs sind. Der grausame Anführer vom Clan der Dämonenpferde ist dafür bekannt, dass er seine Sklaven bis zum Tod schuften lässt und daher häufig Frischfleisch benötigt.

»Ist die Kreatur von letzter Nacht immer noch in unserer Nähe?«, frage ich mit leichtem Unbehagen.

Der junge Mann, der einige Schritte vor mir geht, zögert einen Moment, ehe er antwortet.

»Immer. Darum nannte ich den Dämon meinen Schatten.«

Seine Stimme klingt dabei so finster, dass ich mich abermals frage, warum er dann dieses Schicksal gewählt hat.

Doch ich hake nicht weiter nach, da er mir unmissverständ-lich klar gemacht hat, dass ich nichts aus ihm herausbekomme.

Plötzlich bleibt er ruckartig stehen und gibt mir ein Zeichen, still zu bleiben. Ich lausche angestrengt, aber ich kann außer dem Rauschen des Windes, der über den sandigen Boden streicht, nichts hören.

Dann vernehme ich jedoch ganz leise das Geräusch von Stimmen, die sich in unsere Richtung bewegen. Mein Entführer zieht angestrengt die Augenbrauen zusammen und scheint unschlüssig zu sein, wie er am besten reagieren sollte. Dann zerrt er mich in eine Mulde und drückt mich fest auf den Boden. Seine unmittelbare Nähe macht mich nervös und ich blicke vorsichtig zu ihm auf.

»Wehe, du machst auch nur einen Laut«, knurrt er und scheint zu überlegen, ob er mir besser den Mund zu halten sollte. Ich nicke schnell und hoffe gleichzeitig, dass es sich bei den Personen um Mitglieder meines Clans handelt. Vorsichtig lugt mein Entführer über den Rand der Mulde, ohne den Griff an meinen Armen zu lockern. Die Stimmen kommen immer näher und irgendwann atmet der junge Mann erleichtert auf.

Dennoch bleibt er weiterhin geduckt und scheint nicht darauf aus zu sein, die Menschen auf uns aufmerksam zu machen.

»Was ist denn los?«, flüstere ich und ernte sofort einen bösen Blick. »Glaube mir, du willst nicht, dass die Sklavenhändler uns entdecken.«

Ich blicke ihn erschrocken an und bin froh, dass er die Männer nicht auf uns aufmerksam macht. Auch wenn ich mich gleichzeitig frage, was für Nachteile er dadurch hätte. An seinem nervösen Gesichtsausdruck und dem beständigen Nähern der Stimmen kann ich erkennen, dass wir nicht mehr lange unentdeckt bleiben werden.

Wenige Schritte von uns entfernt bleiben die Sklavenhändler scheinbar stehen.

»Wer ist da?«, ruft eine barsche Männerstimme.

Mein Entführer seufzt leise und klettert dann aus unserem Versteck. Ich hingegen ducke mich noch weiter hinein, auch wenn es wohl nicht lange etwas bringen wird.

»Tyron, was machst du denn hier?«, ruft die Männerstimme überrascht. Obwohl ich vor Angst wie gelähmt bin, triumphiert ein kleiner Teil in mir, dass ich nun endlich seinen Namen kenne.

»Ich bin auf einer Mission von Morigan«, erwidert mein Entführer mit kühler Stimme. Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass er versucht, die Sklavenhändler loszuwerden.

»Ist da noch jemand?«, fragt dann jedoch eine neue Stimme und im nächsten Moment höre ich Schritte, die sich meinem Versteck nähern. Vorsichtig blicke ich nach oben und schaue geradewegs in das Gesicht eines hageren Mannes mit rattenähnlichen Zügen. Als er mich erblickt, verzieht sich sein Mund zu einem Grinsen, wodurch zwei lange, gelbliche Schneidezähne entblößt werden.

»Wen haben wir denn hier?«, fragt er mit schleimiger Stimme und greift nach meinem Arm. Im nächsten Moment wird der Mann jedoch grob zur Seite gestoßen.

»Sie ist meine Gefangene«, höre ich Tyrons finstere Stimme.

»Ihr rührt sie nicht an.« Er zieht mich aus der Mulde hinaus und stellt sich schützend vor mich. »Sie ist eine wertvolle Geisel und es ist meine Aufgabe, sie unversehrt zu Morigan zu bringen.« Ich starre ihn überrascht an. Er hat gerade eindeutig zu meinen Gunsten gelogen.

Ich sehe, dass Tyron merklich zusammenzuckt, als sich ein weiterer Mann dazu gesellt. Er hat rotblonde Haare, schneeweiße Haut und hellgrüne Augen. Mir wird klar, dass er wie ein Mitglied vom Clan des weißen Hirsches aussieht und vermutlich zu den Anhängern Morigans gehört. »Tyron, was für eine Überraschung, dich hier zu sehen.« Seine Stimme klingt so eisig, dass sich trotz der heißen Luft um uns herum eine Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitet. »Solltest du nicht eigentlich einer anderen Tätigkeit nachgehen?«

Mein Entführer schweigt eine Weile und ich kann sehen, wie sich seine Hände zu Fäusten ballen.

»Ich habe meine Aufgabe bereits erledigt und die Gelegenheit, das Mädchen als Geisel zu nehmen, war zu günstig, um sie zu ignorieren.«

Lange Zeit blicken sich die beiden Männer bloß mit unbe-wegter Miene an und es kommt mir vor wie ein stilles Kräfte-messen. Schließlich nickt der fremde Mann, wenn auch mit wenig Überzeugung, und wendet sich wieder den Sklavenhändlern zu. »Wir begleiten die beiden eine Weile. Schließlich müssen wir erstmal in die gleiche Richtung.« Tyron scheint mit diesem Beschluss nicht zufrieden zu sein und ich danke ihm im Stillen dafür.

»Wohin seid ihr unterwegs?«, fragt er.

»In die nächste Stadt an der Grenze zu Morigans Revier«, antwortet das Rattengesicht und sein Blick wandert wieder zu mir. Ein gieriger Ausdruck erscheint auf seinem Gesicht und ich mache unwillkürlich einen Schritt zurück. »Das heißt, wir bleiben bis morgen in eurer Gesellschaft«, fügt er an mich gewandt mit einem widerlichen Unterton in der Stimme hinzu.

Für einen Moment kommt es mir so vor, als würde Tyron sich nur mit Mühe verkneifen, auf den Mann loszugehen, doch schließlich zuckt er nur desinteressiert mit den Schultern.

»Dann lasst uns den Weg fortsetzen.«

Er geht am Ende der Gruppe, die etwa aus einem Dutzend Männern besteht und zieht mich hinter sich her. Hin und wieder dreht sich einer der Sklavenhändler zu uns und wirft mir anzügliche Blicke zu. Der Clankamerad von Tyron hingegen mustert uns mit zusammengekniffenen Augen und scheint zu versuchen, die Lage einzuschätzen. Ich bin mir sicher, dass er Tyrons Lüge nicht glaubt und nur darauf wartet, dass dieser einen Fehler macht. Darum gebe ich mir die größte Mühe, einen leidenden Gesichtsausdruck aufzusetzen, der darauf schließen lässt, dass Tyron mich nicht gut behandelt. Er wiederum hat einen selbstgefälligen Blick aufgesetzt und zerrt mich noch unsanfter hinter sich her als sonst.

Die Stimmung ist drückend und lässt mich noch unwohler fühlen als ohnehin schon. Es gibt so viele Fragen, die mir auf der Zunge brennen, die ich in der Anwesenheit der Sklavenhändler jedoch nicht ansprechen kann.

So geht es den ganzen Tag weiter, bis meine Füße völlig wund gelaufen sind, denn wir haben keine einzige Pause gemacht. Die Sklavenhändler hingegen wechselten sich damit ab, ein Nickerchen auf dem Karren zu halten, der von einem gewaltigen Pferd neben uns hergezogen wird.

Irgendwann fallen mir vor Müdigkeit die Augen zu und ich muss meine ganze Kraft aufwenden, um nicht im Gehen einzuschlafen.

»Die Kleine braucht Schlaf«, höre ich schließlich Tyron mit barscher Stimme sagen. »Ich habe keine Lust, sie die ganze Nacht hinter mir her zu ziehen.«

Die Gruppe bleibt stehen und begutachtet mich argwöhnisch. Vor allem der Blick des anderen Unsterblichen gefällt mir nicht. »Dann gewähren wir ihr ein paar Stunden«, sagt dieser schließlich und beäugt mich finster.

»Ich werde sie im Auge behalten«, meldet sich Tyron zu Wort und zerrt mich dann unsanft zum Karren.

Ich klettere mit meinen letzten Kräften hinein und lasse mich erschöpft in die stinkenden Decken fallen. Doch mir ist es mittlerweile egal, worauf ich liege, solange ich mich endlich ausruhen kann.

Am Rande bekomme ich mit, wie Tyron ebenfalls in den Karren steigt und sich dicht neben mich hinsetzt. Obwohl ich mich bereits im Halbschlaf befinde, breitet sich ein gleichzeitig wohliges und nervösen Gefühl in mir aus. Auch wenn ich die Augen geschlossen habe, kann ich noch lange Zeit seinen Blick auf mir spüren.

Die Clans der Wildnis - Amisha

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