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KAPITEL 5

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Ich werde von einem starken Holpern geweckt und öffne sofort alarmiert die Augen.

»Das war bloß ein Stein«, antwortet Tyron mit leiser Stimme und blickt mich mit blitzenden Augen aus der Dunkelheit an.

»Die Sklavenhändler wollen dich nicht mehr lange schlafen lassen, also nutze die Zeit besser aus.«

Ich nicke matt und drehe mich auf die andere Seite. Doch ich schaffe es nicht mehr, erneut einzuschlafen.

»Ich kenne jetzt deinen Namen«, durchbreche ich lächelnd die Stille.

Tyron antwortet eine Weile nicht und ich befürchte, ihn wütend gemacht zu haben.

»Das wird dir nur leider nichts nützen«, antwortet er schließlich mit emotionsloser Stimme.

»Ich heiße Amisha.« Mein Lächeln hat sich in ein breites Grinsen verwandelt. »Es ist schließlich nur gerecht, wenn du als Entführer den Namen deiner Geisel kennst.«

»Vielen Dank, das weiß ich sehr zu schätzen«, erwidert er sarkastisch und ich kann hören, wie er sich auf seinem Platz bewegt. Ich kann wieder seinen Blick auf mir spüren und drehe mich in seine Richtung. Er schaut mich mit unergründlicher Miene an und diesmal bin ich die erste, die den Blick abwendet.

»Du bist wirklich ein seltsamer Mensch«, sagt er schließlich und dreht sich dann wieder von mir weg.

Ich spüre, wie ich erröte, und bin froh, dass es noch immer dunkel ist. Gleichzeitig frage ich mich, ob Tyron als Unsterblicher die Eigenschaft hat, auch in der Nacht ohne Schwierigkeiten sehen zu können. Das wichtigste ist jedoch, dass er nicht meine Gedanken lesen kann, denn die drehen sich im Moment nur um ihn.

Ich versuche verzweifelt, an etwas anderes zu denken und einen klaren Kopf für einen Fluchtplan zu bekommen. Auf gar keinen Fall darf ich die Tatsache vergessen, dass Tyron dabei ist, mich zum größten Feind aller vier Clans zu bringen. Nur mit großem Glück würde ich dort lebend wieder herauskommen.

Ich denke wieder einmal an den besten Freund meines Vaters, der in Morigans Festung sein Leben lassen musste. Meine Eltern wollten mir nie die ganze Geschichte erzählen, doch aus anderen Quellen habe ich erfahren, dass Elian sowohl die Hilfe von seinen Freunden, wie auch die Hilfe von Morigans Bruder Ayden hatte. Wie also sollte ich mich ganz auf mich allein gestellt aus dieser misslichen Lage befreien können?

»Warum tust du mir das an?«, frage ich mit erstickter Stimme in die Stille hinein.

Ich rechne nicht mit einer Antwort, doch nach einem Moment sagt Tyron leise: »Ich muss Morigan meine Treue beweisen. Ansonsten wird er mich zwingen, noch schlimmere Dinge zu tun.« »Noch schlimmer, als Krafttiere zu töten?« Ich werde immer wütender, bis mir die Bedeutung seiner Worte klar wird.

»Du meinst, du wirst einen Menschen töten müssen?« »Nicht nur einen, da bin ich mir ganz sicher. Morigan muss es nicht aussprechen, um es mir deutlich zu machen.« Seine Stimme trieft geradezu vor Bitterkeit und Verachtung.

»Aber um unsterblich zu werden, hast du diese Aufgabe doch auch schon auf dich genommen«, erwidere ich herausfordernd.

Mir wird klar, dass ich verzweifelt versuche, seine schlechten Seiten hervorzulocken. Ich rechne mit einer banalen Ausrede, oder dass er diese grausame Tat schönredet und freue mich fast schon darauf.

»Ich weiß«, sagt Tyron jedoch mit tonloser Stimme. »Und ich würde alles dafür geben, es nie wieder tun zu müssen.«

Ich möchte ihn fragen, wen er geopfert hat, was ihn dazu gebracht hat, und ob er dem Clan der Dämonenpferde treu ergeben ist. Doch stattdessen schweige ich und beschließe, das Gespräch zu beenden.

Mir wird klar, dass es das Beste wäre, nichts mehr über den jungen Mann herauszufinden und ihn wieder als den grausamen Menschen zu sehen, der er ist. Obwohl ich einen unbändigen Drang verspüre, die Dunkelheit, die in ihm herrscht, zu verstehen.

Stattdessen wickele ich mich fest in die schmutzige Decke und erschaffe dadurch eine Barriere, die mich unüberwindbar von Tyron trennt.

Es kommt mir vor, als hätte ich bloß wenige Minuten geschlafen, als das Rattengesicht die schwere Plane zur Seite schlägt und mich mit barschem Ton auffordert, den Karren zu verlassen. Stöhnend strecke ich meine schmerzenden Glieder. Tyron beobachtet mich schweigend und mit abweisendem Blick. Ich muss mich dazu zwingen, ihm keine Beachtung zu schenken, um an ihm vorbei ins Freie zu klettern. Es ist noch immer dunkel und nicht mal ein rosiger Streifen am Horizont deutet darauf hin, dass bald ein neuer Tag beginnt. Es ist eiskalt und schon nach kurzer Zeit beginne ich, in meiner dünnen Kleidung zu frieren. In der geschützten Oase, in welcher sich unser Hauptlager und der Wald befinden, war es nachts um einiges wärmer als hier in der offenen Savanne. Ich weiß jedoch, dass es bei Tag wieder unerträglich heiß wird und ich mich dann nach der Frische der Nacht sehne.

Mittlerweile zittere ich unkontrolliert und ignoriere trotzig die hämischen Blicke, die mir die dick bekleideten Sklavenhändler zuwerfen. Tyron scheint nicht genau zu wissen, ob er mir helfen soll, doch irgendwann blickt er nur noch starr geradeaus und ignoriert mich völlig. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mit der Situation allein klar zu kommen und so beschließe ich, so viel Würde zu zeigen, wie nur möglich ist.

Dann endlich erscheint das erste schwache Glühen am Himmel und schon nach kurzer Zeit tasten sich auch die goldenen Strahlen der Sonne in die Dunkelheit. Es dauert nicht mehr lange, bis die Luft eine angenehmere Temperatur annimmt und mein unterkühlter Körper sich etwas aufwärmt. Der Gestank ist mittlerweile fast unerträglich geworden und ich bin mir sicher, dass die Grenze zur Einöde ganz nah ist.

Ich blicke mich niedergeschlagen um und halte nach Menschen Ausschau, die mir zur Hilfe eilen könnten. Doch weit und breit ist nichts weiter zu sehen als die sandigen Hügel der Savanne und vereinzelte Sträucher oder Kakteen. In mir breitet sich eine drückende Resignation aus, die jegliche Hoffnung auf Rettung vertreibt.

Plötzlich sehe ich, wie sich der Clankamerad von Tyron zurückfallen lässt, bis er sich mit mir auf einer Höhe befindet. Es kostet mich meine ganze Kraft, keine Beunruhigung zu zeigen und auch Tyron, der vor uns geht, wirft uns hin und wieder nervöse Blicke zu.

»Ich würde gerne wissen, aus welcher Familie du stammst.«

Die Stimme des Mannes klingt übertrieben schmeichelnd und weckt eine tiefe Abneigung in mir. »Bist du eine angehende Schamanin? Oder mit der Anführerin verwandt?«

Ich bin verunsichert und weiß nicht, ob ich lügen, oder die Wahrheit sagen sollte. Es scheint mir, als würden sich Tyrons Schultern bei dieser Frage versteifen. Schließlich entscheide ich mich für die am wenigsten riskanteste Antwort und lege mir die Worte sorgfältig zurecht.

»Ich bin eine Kriegerin und mir wird oft gesagt, dass ich es noch sehr weit schaffen werde.« Ich bemühe mich, meine Stimme stolz klingen zu lassen, damit der Mann denkt, dass ich sehr wertvoll für den Clan bin.

Zudem wird er diese Behauptung nicht so leicht nachprüfen können, als wenn ich gesagt hätte, dass ich eine wichtige Erbin wäre.

»Soso«, sagt er mit einem zufriedenen Lächeln und ich atme innerlich erleichtert auf. »Dann wird der Clan des schnellen Leoparden sehr unglücklich sein, dass er eine seiner besten Kriegerinnen verloren hat.«

Ich blicke erschrocken drein und hoffe, dass es überzeugend wirkt.

»Ich kann meinen Clan in diesen schwierigen Zeiten nicht im Stich lassen«, sage ich mit zitternder Stimme und lasse meine Augen glasig werden.

»Tyron, pass auf, dass sie dir nicht abhandenkommt. Da hast du einen besseren Fang gemacht, als ich dachte.« Er klopft seinem Clankameraden auf die Schulter und gesellt sich schließlich wieder zu den anderen Sklavenhändlern.

Ich seufze erleichtert und weiß, dass es richtig war, mich über meinem Wert zu verkaufen. Auch Tyron sieht wieder etwas entspannter aus, auch wenn er mich weiterhin ignoriert.

Obwohl ich einerseits erleichtert bin, schwingt doch eine Spur Enttäuschung mit. Es war wirklich faszinierend, mit ihm zu reden und die ganze Situation aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.

Zuerst male ich mir aus, wie ich Nevya von alldem erzähle, bis mir wieder schmerzlich bewusst wird, dass ich sie und meine Familie wohl nie wieder sehen werde.

Bald schon beginnt sich die Landschaft nach und nach zu ver-ändern. Einer der Sklavenhändler verkündet zufrieden, dass wir wohl am frühen Nachmittag die Grenze passieren werden und sie dann einen anderen Weg als Tyron einschlagen werden. Ich weiß nicht, ob ich bei dem Gedanken, wieder mit ihm allein zu sein, erleichtert sein, oder Unruhe verspüren soll.

Plötzlich reißt mich ein fernes Geräusch aus der Gedanken-welt. Auch die Männer scheinen es zu hören und halten aufmerksam inne. In ihren Augen ist Besorgnis zu lesen und als ich in der Ferne Menschen auf Pferden auf uns zu galoppieren sehe, blitzt wieder ein Funke Hoffnung in mir auf. Die Sklavenhändler tauschen beunruhigte Blicke, während Tyrons Clangefährte ein langes Schwert zückt. Tyron selbst dagegen wirkt einen Moment lang wie versteinert und packt mich dann fest am Arm. Ich protestiere, als er mich grob zu den Karren zerrt und hineinstößt. Mit Leibeskräften versuche ich, mich gegen ihn zu wehren, doch er ist sogar noch kräftiger, als ich ohnehin schon vermutet habe. Er klettert nach mir in den Karren und hält mir mit Gewalt den Mund zu.

»Wenn du einen Laut machst, wirst du es bereuen«, zischt er in mein Ohr und zückt mit der freien Hand einen Dolch.

Mit großen Augen starre ich auf die blitzende Klinge und fühle mich wieder an unser zweites Zusammentreffen im Wald zurückversetzt. Obwohl ich ihn für ungefährlicher halte, als er sich gibt, kann ich nicht darauf vertrauen, dass er im Notfall kein Gebrauch von seiner Waffe macht.

Mittlerweile sind die Reiter so nah, dass das Geräusch der Hufen auch im Karren zu hören ist und ich kann die barsche Stimme von dem unsterblichen Mann hören, der den Sklavenhändlern hektische Befehle erteilt.

Schließlich verstummt die donnernde Geräuschkulisse und ich kann die feindselige Stimme eines jungen Mannes hören.

»Wir suchen ein Mädchen aus unserem Clan. Sie wurde von einem Mitglied vom Clan der Dämonenpferde entführt und wir vermuten, dass auch die Sklavenhändler etwas damit zu tun haben. Wenn ihr sie also in eurer Gewalt habt, so lasst sie sofort frei, sonst werdet ihr unser Revier nicht lebend verlassen.« Ich bewege mich unruhig auf meinem Platz und das Herz schlägt wie wild gegen meinen Brustkorb. Doch ich wage es nicht, ein Geräusch von mir zu geben und meine Clankameraden auf mich aufmerksam zu machen. Meine einzige Hoffnung ist, dass sie darauf bestehen, den Karren zu inspizieren.

»Wir haben im Moment keine Ware dabei«, höre ich die spöttische Stimme des Unsterblichen.

In mir steigt Ekel auf, als mir klar wird, dass er mit Ware nur Sklaven meinen kann. »Du bist doch auch ein Unsterblicher«, höre ich wieder die wütende Stimme des jungen Mannes.

Plötzlich wird mir klar, dass es sich um Ashok handeln muss und ich frage mich, was ihn dazu verleitet hat, bei der Ret-tungsmission teilzunehmen. Vermutlich ging es ihm dabei bloß darum, den Ruhm zu ernten, wenn mich die Gruppe lebend wieder nach Hause bringt.

Ich horche erschrocken auf, als ich auch Nevyas Stimme vernehme.

»Er ist es nicht«, sagt sie niedergeschlagen. »Es war zwar dunkel, aber ich konnte erkennen, dass er schwarze Haare hatte und auch etwas größer war.«

»Die Kleine hat recht«, sagt der unsterbliche Mann herablassend. »Wir haben mit dieser Sache nichts zu tun. Die Mitglieder eures Clans sind ohnehin nicht als Sklaven geeignet. Sie sind schwächlich und würden keinen Tag mit schwerer Arbeit aushalten.«

Ich kann hören, wie Ashok dem Mann wüste Beschimp-fungen entgegenwirft.

»Nun verlasst unser Territorium«, sagt er voller Verachtung.

»Ich will euch Abschaum hier nie wieder sehen.« Meine Hoffnung sinkt und meine Augen füllen sich mit Tränen. Sie laufen mir heiß die Wangen herunter und ich könnte schwören, dass Tyron seinen Griff ein wenig lockert, als er es bemerkt.

»Wartet!« Ich horche auf, als ich wieder Nevyas feste Stimme vernehme. »Wir sollten noch in dem Wagen nachsehen.«

»Dort befindet sich nichts weiter als ein paar Lumpen und Vorräte«, knurrt der Unsterbliche. »Wir haben einen strikten Zeitplan und müssen noch vor Einbruch des nächsten Morgens in der Stadt ankommen.« »Sie hat recht«, mischt sich nun ein anderer Krieger ein, dessen Stimme ich erkenne, weil er in unserem Clan sehr angesehen ist. »Wir müssen den Wagen kontrollieren.«

Ich kann spüren, wie sich Tyrons Körper versteift. Die Hand, in der er den Dolch hält, beginnt zu zittern und langsam hebt er sie an meine Kehle. Mein Atem beschleunigt sich und ich presse fest die Augen zusammen. Ich bettle meine Clankameraden im Stillen an, die Suche aufzugeben und mich meinem Schicksal zu überlassen.

Auf einmal kann ich hören, wie draußen ein hektischer Trubel beginnt. Das ohrenbetäubende Klirren von sich kreuzenden Klingen lässt mich zusammenzucken, woraufhin sich Tyrons Griff noch weiter verfestigt. Ich kann seinen rasenden Herzschlag an meinem Rücken spüren und ich frage mich am Rande, wie das bei einem Unsterblichen sein kann.

Plötzlich wird die Plane des Karrens zurückgezogen und ich sehe geradewegs in Ashoks weit aufgerissenen Augen, als er mich entdeckt.

»Keinen Schritt weiter«, knurrt Tyron und drückt die Klinge noch etwas fester gegen meinen Hals. »Verschwindet einfach«, presse ich hervor. »Ich bin so oder so verloren, also bringt euch nicht wegen mir in Gefahr.« Mir wird klar, wie töricht meine Hoffnung auf Rettung war. »Ich habe meiner Mutter versprochen, dass ich dich zurückhole.« Seine Stimme klingt jedoch verunsichert und ich weiß schon jetzt, dass er einen Rückzieher machen wird.

»Hör auf deine Freundin«, sagt Tyron drohend. »Es ist egal, ob ihr es schafft, die Sklavenhändler zu besiegen. Wir sind zwei Unsterbliche, also habt ihr nicht die geringste Chance.« Ashok blickt verunsichert zwischen mir und Tyron hin und her. Ich bringe ein leichtes Nicken zustande und reiße mich zusammen, um nicht wieder in Tränen auszubrechen. Ashoks Miene wird wieder entschlossen und er verdeckt den Eingang mit der Plane.

»Sie ist nicht da«, kann ich seine laute Stimme über die Geräusche des Kampfes hinweg hören.

Sofort wird es wieder still.

»Warum wollten sie dann nicht, dass wir im Wagen nachschauen?«, kann ich die skeptische Stimme eines anderen Mannes hören.

Mein Körper verkrampft sich und ich hoffe inständig, dass Ashok eine gute Ausrede einfällt. Einen Moment lang herrscht bloß drückendes Schweigen.

»Dort liegen dutzende Leichen von Sklaven übereinandergestapelt«, presst er schließlich hervor und ich bewundere ihn insgeheim für diese spontane Lüge. Nun wird sicherlich niemand mehr einen Blick in den Karren werfen wollen. Ich kann das laute Schluchzen von Nevya hören und schließlich Ashoks Befehl zum Rückzug. Als sich das Donnern der Hufen wieder entfernt, fange ich unkontrolliert an zu weinen.

»Es ist besser so«, sagt Tyron knapp und lockert seinen Griff. Er macht ein überraschtes Geräusch, als ich mein Gesicht in seiner Schulter vergrabe und den Stoff seines Gewandes mit heißen Tränen durchtränke. Dennoch lässt er es eine Weile zu, bis er mich vorsichtig von sich löst.

»Du solltest keine Schwäche zeigen.« Obwohl seine Stimme frei von jeglichen Emotionen ist, wirken diese Worte tröstend.

»Du hast recht«, sage ich ein wenig zittrig und wische mir energisch mit dem Ärmel meiner Tunika durch das Gesicht.

Im nächsten Moment wird auch schon die Plane beiseite geschlagen und ich wende schnell den Blick ab, um mein gerötetes Gesicht zu verbergen.

»Das war eine schlaue Entscheidung von dir, kleine Kriegerin«, sagt das Rattengesicht mit einem hämischen Grinsen.

»Wir haben entschieden, dass ihr euch bis zu der Grenze im Karren aufhalten solltet, nur um sicherzugehen.«

Mit einem letzten schmierigen Lächeln entfernt er sich und so sind wir wieder allein in der Dunkelheit. Erneut bekomme ich dieses nervöse Gefühl, welches ich schon öfters in Tyrons Anwesenheit hatte. Das Schweigen legt sich drückend über uns und ich möchte es am liebsten durchbrechen, doch mir fällt einfach nichts ein, was ich sagen könnte.

Irgendwann rückt Tyron von mir weg und lehnt sich gegen die hölzerne Wand. Ich kann sehen, dass ihn etwas beschäftigt, doch ich kann mich nicht überwinden, ihn danach zu fragen.

Schließlich entscheide ich mich dafür, mich ein wenig aus-zuruhen, da sicherlich schon bald wieder ein langer Marsch vor mir liegt. Es wird sich wohl nur noch um wenige Stunden handeln, bis sich die Wege von uns und den Sklavenhändlern wieder trennen. Wenn ich nur an das lange Gehen denke, fangen meine Füße wieder an zu schmerzen und so fällt es mich nicht schwer, meinen Körper endlich zu entspannen.

Immer wieder geht mir der Zwischenfall mit meinen Clankameraden durch den Kopf. Obwohl ich es zutiefst bedauere, dass sie mich nicht retten konnten, bereue ich meine Entscheidung, sie weggeschickt zu haben, nicht.

Meine vorherige Hoffnung war töricht, dem bin ich mir nun bewusst. Ich hätte es niemals zulassen können, dass meine Clankameraden, und vor allem meine beste Freundin, ihr Leben für mich aufs Spiel setzen.

Endlich, bei Einbruch des Abends, ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Sklavenhändler einen anderen Weg einschlagen. Tyrons Clankamerad wirft ihm noch einen letzten warnenden Blick zu, ehe auch er sich entfernt.

Zum ersten Mal sehe ich sein Dämonenpferd, welches lauernd um ihn herumstreift. Im Gegensatz zu Tyron scheint der Mann es jedoch zu genießen. Ich unterdrücke bei diesem Anblick ein Schaudern und lasse unwillkürlich den Blick über die Gegend hinter uns schweifen, auf der Suche nach Tyrons soge-nannten Schatten.

Für einen Moment scheint es mir, als würde ich eine formlose, schwarze Gestalt auf der Kuppe eines entfernten Hügels erkennen, doch die untergehende Sonne blendet mich zu sehr, um es genauer sehen zu können.

Als die Sklavenhändler endlich vollends verschwunden sind, atme ich erleichtert aus und auch Tyrons finsterer Blick klärt sich kurze Zeit später ein wenig. Mittlerweile haben wir jedoch die Grenze zu Morigans Revier überquert, sodass sich eine andere Art von Beklommenheit in mir ausbreitet. Der Gestank des grünlichen Rauches, der aus vereinzelten Ritzen im trockenen Boden aufsteigt, nimmt zu.

Als die Nacht einbricht, deutet Tyron auf eine große Vertie-fung im Boden. »Hier schlagen wir unser Lager auf. Ich habe eine Decke von den Sklavenhändlern mitgehen lassen. Es war die sauberste, die ich finden konnte.« Obwohl sein Gesicht keinerlei Emotionen ausdrückt, freue ich mich sehr über seine Fürsorge und werfe ihm ein unsicheres Lächeln zu. Er erwidert es nicht und reicht mir nur stumm die dünne Decke, die er in seiner ledernen Tasche verstaut hatte. Dann zieht er zu meiner Erleichterung auch einen Apfel heraus. Gierig beiße ich hinein und habe ihn in wenigen Augenblicken samt Kerngehäuse aufgegessen.

Zu meinem Erstaunen reicht er mir noch ein Stück Brot und ich nehme es dankbar entgegen. Ich kann spüren, wie meine Kräfte allmählich zurückkehren und ich mich das erste Mal seit der Entführung einigermaßen wohl fühle.

Ich weiß instinktiv, dass ich mich für diese Nettigkeiten nicht zu überschwänglich bedanken sollte, denn Tyron scheint sich selbst nicht wirklich sicher zu sein, warum er all dies für mich macht. Er könnte mich genauso gut tagelang hungern lassen und mir keine Pause gönnen. Also belasse ich es dabei, mich stumm in die Decke zu wickeln, während er dabei ist, ein Feuer zu entfachen.

Die Flammen lassen groteske Schatten über sein Gesicht tanzen und ich erwische mich wieder einmal dabei, wie ich ihn anstarre. »Wir werden schon übermorgen bei Morigans Festung ankommen«, sagt er plötzlich in die Stille hinein und wirft mir einen unergründlichen Blick zu. »Was wird dort mit mir passieren?«, frage ich und spüre dabei seltsamerweise kaum Furcht.

»Ich weiß es nicht«, erwidert Tyron nach kurzem Zögern.

»Vermutlich wird er dich gefangen nehmen und darauf hoffen, dass er deinen Clan auf irgendeine Art erpressen kann.«

»Was ist, wenn er herausfindet, dass ich nicht mal reinblütig bin?«

Seine Kiefermuskeln spannen sich an und er schaut mich mit einem seltsamen Blick aus seinen ungewöhnlichen Augen an. »Ich werde dafür sorgen, dass er es nicht erfährt«, sagt er schließlich.

Überrascht schaue ich ihn an. »Warum?«, ist das einzige, was ich hervorbringe.

Doch er antwortet mir nicht und blickt emotionslos in die Flammen.

Irgendwann scheint er es sich aber doch anders zu überlegen.

»Es ist noch nicht lange her, dass ich unsterblich geworden bin.

Gerade einmal drei Jahre. Leider lässt mich ein Menschenleben noch nicht kalt.«

»Das ist doch gut«, sage ich heftiger als geplant.

»Eben nicht, es bringt mich bloß in Schwierigkeiten. Außerdem habe ich auch meine Ziele, wofür ich Morigans Wohlwollen gewinnen muss.«

Ich schlucke schwer und traue mich nicht zu fragen, was für Ziele er meint.

»Schlaf jetzt endlich«, sagt er in einem brüsken Tonfall und sofort kommt es mir wieder so vor, als wäre er Welten von mir entfernt. Mit gemischten Gefühlen schließe ich die Augen und versuche, seine Anwesenheit zu ignorieren. Selbst als ich wieder dieses beklommene Gefühl verspüre, dass sich Tyrons Schatten in unserer Nähe aufhält, kneife ich trotzig die Augen zusammen. Dennoch scheint es mir nahezu unmöglich zu sein, einzuschlafen, trotz dieser lähmenden Schwere, die schon den ganzen Tag von mir Besitz ergriffen hat.

Also beschließe ich nach einer Weile, an eine schöne Erinnerung in meiner Vergangenheit zu denken. Es ist erschreckend, dass mir nichts einfällt, denn jedem Erlebnis haftet ein bitterer Beigeschmack an. Schließlich entscheide ich mich für die Reise zum Clan des großen Adlers, die ich vor Jahren mit meinen Eltern unternommen habe, auch wenn der Grund dafür alles andere als schön war. Und so schicke ich meinen Geist in die Vergangenheit und gebe mich völlig der Erinnerung hin.

Es war einer der schlimmsten Sommer in meinem Leben, denn seit Shivani zu ihrer Mission aufgebrochen ist, haben sich die Verspottungen meiner Altersgenossen noch verschlimmert. Im Gegensatz zu Shivani konnten meine Eltern jedoch wenig dagegen ausrichten, da sie im Grunde die Quelle des Übels waren. Die meiste Zeit verbrachte ich bloß eingebunkert in meinem Zimmer und wollte nichts und niemanden sehen. Irgendwann waren meine Eltern so verzweifelt, dass sie sich an die Anführerin richteten und sie anflehten, etwas zu unternehmen. Sie grübelte lange über dieses Problem nach und entschied, dass es das Beste wäre, wenn wir eine Zeitlang Abstand von diesen Feindseligkeiten bekommen würden.

In der Zwischenzeit würde sie im Clan neue Regeln aufstellen, um den Frieden in den eigenen Reihen wiederherzustellen. Erst als wir das Hauptlager hinter uns gelassen hatten, merkte ich, wie mir

eine große Last von den Schultern fiel. Mit jedem Tag wurde ich fröhlicher und als wir endlich die Grenze zum Hochgebirge passierten, wurde ich von ungebändigter Freude durchströmt. Auch meine Eltern waren in deutlich besserer Stimmung, obwohl meine Mutter ihren Clan über alles liebte.

Alles kam mir so riesig vor. Die Berge, die Seen und vor allem die großen Adler fand ich so faszinierend, dass ich stundenlang nur gestaunt habe.

Als wir die Höhle des Hauptlagers erreichten, wurden wir sofort herzlich empfangen, obwohl die Mitglieder vom Clan des großen Adlers als sehr verschlossen galten. Doch ich fühlte mich sofort wohl und fand nach kurzer Zeit sogar Freunde.

Am liebsten wäre ich für immer dortgeblieben, aber ich wusste, dass irgendwann der Tag der Rückkehr kommen würde. Aber eines Nachts passierte etwas Seltsames. Eine Gruppe von Kriegern kam aus einem der Nebenlager und irgendetwas war vorgefallen, von dem ich und meine Familie nichts erfahren durften. Bald schon sagte uns der Anführer mit Bedauern, dass es wohl Zeit wäre, zu unserem eigenen Clan zurückzukehren.

Die letzte Nacht verbrachte ich damit, traurig durch die endlosen Gänge zu wandern und mir dabei vorzustellen, wie es wäre, in diesen Höhlen zu leben.

Plötzlich hörte ich ein ersticktes Schluchzen und wusste nicht, ob ich nicht lieber umkehren sollte. Nach einiger Zeit entdeckte ich einen Mann, fast noch im Alter eines Jungen, der seinen Kopf gegen die steinerne Wand gelehnt hatte und am ganzen Körper zitterte.

Ich konnte sein Gesicht nicht gut erkennen, da der Gang nur sehr schwach beleuchtet war, und wagte es nicht, näher zu gehen.

»Alles in Ordnung?«, traute ich mich schließlich zögerlich

zu fragen. Der junge Mann blickte erschrocken auf und wischte sich hektisch die Tränen aus dem Gesicht. Er wirkte gehetzt und noch etwas anderes kam mir an ihm seltsam vor.

Dieser Blick, diese Augen…

Ich setze mich sofort kerzengerade auf und brauche lange Zeit, um meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Er war es! Ich bin mir völlig sicher, dass es Tyron gewesen ist.

Ich blicke verwirrt zu ihm und er schaut mit einem seltsamen Ausdruck zurück. »Du hast dich also erinnert.« Es ist eine Fest-stellung und ich frage mich, wie er es erahnen konnte. »Du warst das in der Höhle«, presse ich hervor und merke, wie sich ein Frösteln in meinem Körper ausbreitet. Wieso kam er mir bis jetzt nicht bekannt vor? »Was ist damals passiert?«, frage ich.

Tyron blickt mich mit einem fast traurigen Gesichtsausdruck an. »Hast du keine Gerüchte gehört?«

Ich überlege fieberhaft und versuche mich an irgendetwas zu erinnern. Plötzlich kommt mir ein Gespräch meiner Eltern in den Sinn, welches ich eigentlich nicht mithören sollte.

»Angeblich hat ein Mann einen Clankameraden umgebracht. Aber ist das wirklich wahr?«

Tyron schließt für einen Moment die Augen und atmet schwer, fast so, als hätte er einen langen Sprint hinter sich. Es scheint ihn größte Anstrengung zu kosten, mir zu antworten.

»Ja und nein. Es klingt wie Mord, aber das war es nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Es war ein schrecklicher Unfall, aber die Leute glauben, was sie glauben wollen.«

»Du warst das«, sage ich leise und muss die Tränen zurückhalten. In meinem Hals bildet sich ein dicker Kloß und ich muss wieder an dieses verzweifelte Gesicht von Tyron denken, als ich ihm in den Gängen begegnet bin. »Ja«, sagt er knapp und blickt mit einem starren Ausdruck zu Boden. »Wenn man einmal einen gewissen Ruf hat, wird man ihn nie wieder los.«

»Bist du deswegen zu Morigan gegangen? Hat dich dein Clan verstoßen?«

Tyrons Blick ist so finster, dass ich die Frage sofort bereue.

Ich weiß, dass ich damit wohl zu weit gegangen bin.

»Hör auf, mich auszufragen und leg dich wieder hin«, sagt er barsch. Ich weiß, dass es keinen Sinn hat, ihm zu widersprechen und befolge schweigend seinen Befehl. Erst als ich ihm den Rücken zugedreht habe, erlaube ich mir, den Tränen freien Lauf zu lassen.

Plötzlich kommen mir all meine Probleme lächerlich vor und ich schäme mich schon fast dafür, deswegen immer so verbittert zu sein.

Doch ich weiß auch, dass es immer jemanden gibt, der ein schlimmeres Schicksal als man selbst hat.

Die Clans der Wildnis - Amisha

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