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Der Erste Weltkrieg und seine Auswirkungen

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Die nächste Herausforderung war der Erste Weltkrieg, an dem Hunderttausende Juden teilnahmen, die aber dennoch unerwünschte Bürger zweiter Klasse für das Regime blieben. Hartnäckig wurden ihnen kontinuierlich Heimat und grundlegende Bürgerrechte verwehrt, egal, wie tapfer sie für Russland kämpften. Der Journalist und Historiker N. P. Poletika betonte zu Recht, dass die Lage jüdischer Gemeinden im Königreich Polen, Litauen und anderen Gebieten der baltischen Staaten sowie im Grenzgebiet der Ukraine noch schwieriger war als für die restliche Bevölkerung der westlichen Gebiete des Russischen Reichs.

Neben den Schrecken des Kriegs und den Gräueltaten, die von den deutschen Truppen verübt wurden, kamen hier das Leid, die Verfolgung und die Gräueltaten des Militärs und der Zivilbehörden der russischen Monarchie hinzu. Poletika schrieb in seinen Erinnerungen: „In den ersten zwei Jahren des Kriegs waren die Zustände für die Juden besonders schmerzhaft und quälend. Ich wusste von jüdischen Flüchtlingen aus den Frontgebieten und von den Juden, mit denen ich befreundet war, von der Lage der Juden und ihren Ansichten zum Krieg.“20

Der Maler Marc Chagall, der von Witebsk nach Petrograd gezogen war, erinnerte sich daran, wie sich zu Kriegsausbruch im Zentrum der Stadt eine Bande von Raufbolden an Schießereien und Pogromen auf offener Straße beteiligte. Menschen wurden von den Brücken in den Fluss gestoßen. Chagall bezahlte beinahe selbst mit dem Leben, als er nachts mehreren bis an die Zähne bewaffneten Schlägern über den Weg lief, die wissen wollten, ob er „ein Judenschwein“ war oder nicht. Da sie ihm nach dem Leben trachteten, war Chagall gezwungen, zu lügen.21 Er schrieb weiter:

„Jeder weitere Rückschlag gab den Kommandanten der Armee, dem Großfürsten Nikolaj Nikolajewitsch, einen Grund für weitere Angriffe auf Juden. ‚In 24 Stunden vertreiben! Oder sie erschießen! Oder besser beides!‘ Die Deutschen rückten näher, und die jüdische Bevölkerung verließ das Gebiet, gab Städte und Schtetl auf.“22

Das Spektrum oppressiver Maßnahmen gegen Juden und Jüdinnen durch russische Herrschaft beinhaltete Vertreibungen und Zwangsumsiedelungen mit nur kurzer Ankündigung, verleumderische Bezichtigungen der „Spionage“ von Juden und deutschen Siedlern und Siedlerinnen, ein Verbot für Juden und Jüdinnen, ranghohe Stellungen innezuhaben, und Geiselnahmen von Juden und Jüdinnen unter Androhung von Hinrichtung im Falle von „Verrat“. An der Tagesordnung standen auch erniedrigende Hausdurchsuchungen und Durchsuchungen von Taubenställen und Untergrund-Telegrafen zum angeblichen Informationsaustausch mit dem Feind bzw. Durchsuchungen nach Signalen an ihn. Jüdischen Bürgern und Bürgerinnen war es verboten, als Ärzte/Ärztinnen und Pfleger/Pflegerinnen in Krankenhäusern und in Sanitätszügen oder anderen Berufen zu arbeiten, um ihre angebliche „Propaganda“ zu bekämpfen. Ranghohes medizinisches Personal wurde dafür eingesetzt, die wenigen Juden und Jüdinnen, die noch in solchen Berufen arbeiteten, zu überwachen.

Darüber hinaus wurde die jüdische Bevölkerung – Männer, Frauen, Alte und Kinder – in die Richtung des Feindes vertrieben, in den Westen, trotz der militärischen Gefahr.23 Die Invasion der russischen Armee Galiziens und anderer Gebiete Osteuropas ging einher mit Pogromen und wiederholten Erschießungen von Juden und Jüdinnen.24

Jüdische Wohlhabende und Rabbis wurden häufig als Geiseln in Konvois an die russischen Grenzen geschickt. Die Bevölkerung wurde gewarnt, dass für jeden russischen Soldaten, der von den Deutschen oder Österreichern getötet wurde, zwei jüdische Geiseln hingerichtet würden. Juden und Jüdinnen wurden der „Untreue“ und „Verleumdung“ gegenüber der ortsansässigen Bevölkerung zugunsten des Feindes beschuldigt. Ihnen wurde der Aufenthalt überall südlich von Jaroslawl verboten. Mutmaßliche „Spione“ wurden gehängt.

Diese Maßnahmen gingen Hand in Hand mit Geldstrafen von bis zu 4.000 Rubel und Haftstrafen von bis zu drei Monaten für den Umzug von einem Landkreis in den anderen. Jüdische Flüchtlinge, die versuchten, aus den westlichen Gebieten weiter ins Landesinnere zu gelangen, wurden gefangen und zurückgedrängt. Die willkürlichen Anschuldigungen des „Verrats“, bösartiger Provokation, Denunziationen und des Meineids führten zu Hinrichtungen jüdischer Geiseln, obwohl gerichtliche Ermittlungen die absolute Haltlosigkeit der Anschuldigen erwiesen.25 Die Listen der jüdischen Einheiten des Russischen Ordens des heiligen Georg wurden aus den Annalen entfernt, vernichtet und nie wieder abgedruckt.26 Auf diese Weise erweckte das zaristische Regime in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass es keine Helden unter den Juden gäbe.

Zwischen zwei Feuern

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