Читать книгу OMMYA - Freund und Feind - Dennis Blesinger - Страница 10

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»Hab ich was verpasst?« Jochens Stimme klang munter wie immer, als er das Büro betrat, allerdings war seinem Blick anzumerken, dass er sich nicht ganz sicher war, wie dick oder dünn das Eis war, das er mit dem Öffnen der Tür betreten hatte. Das und die Schatten unter seinen Augen verrieten, dass nicht alles eitel Sonnenschein war, auch wenn sein Verhalten das Gegenteil zum Aus­druck brachte. Jochen hatte einige Jahre gebraucht, um sich damit abzufinden, von fast allen Leuten als 'positi­ver Mensch' oder gar als 'Sonnenschein' wahrgenom­men zu werden. Er selbst wusste es besser, allerdings sah er keinen Sinn darin, seine zuweilen düsteren Ge­danken ohne guten Grund an die Außenwelt weiterzu­geben, wo es bereits genug Gedanken dieser Art gab. Entsprechend hatte er sich mit dem Klischee, das ihm aufgedrückt worden war, im Laufe der Zeit angefreun­det und es sich zur Angewohnheit gemacht, die Öffent­lichkeit oder vielmehr seine Umgebung mit einem heite­ren Ausdruck auf dem Gesicht zu begrüßen. Es half au­ßerdem, die regelmäßigen Krisen, die er, wie sie alle hier, jeden Tag zu bewältigen hatte, besser zu verarbei­teten. Ein Lächeln konnte das wie auch immer geartete Gegenüber oftmals mehr verunsichern als ein grimmig-böser Blick, so sehr er auch dem momentanen Gefühlszustand entsprechen mochte.

Es gab nicht viele Menschen, die diese Fassade durchschauten, und René gehörte zu der kleinen Gruppe. Diese Einsicht beruhte jedoch auf Gegenseitigkeit. Jochen war es als seltene Ausnahme gelungen, seinen Vorgesetzten, Kollegen und auch Freund wie ein Bilder­buch lesen zu können. Die Bilder waren nicht immer be­sonders bunt und freundlich und hätten – wären sie je­mals gedruckt worden – oftmals als Vorlage für FSK18-Filme dienen können, aber Jochen hatte gelernt, hinter diese Kulisse zu blicken. Im Moment zeigte ihm diese Kulisse, dass René eine Menge Dinge Sorgen bereiteten. Als Christopher ihm von den verspiegelten Fenstern be­richtet hatte, war er zu dem Entschluss gekommen, dass es an der Zeit war, seinem Job als Stellvertreter und ers­tem Offizier nachzukommen. René war ein ausgezeich­neter Leiter und hatte die Fähigkeit, eine Abteilung der Größe von OMMYA rein nach Bauchgefühl zu leiten, aber irgendwo hatte auch diese Fähigkeit ihre Grenzen.

René gab ein Grummeln von sich, bevor er antwortete. »Ich habe Sophia auf den Topf gesetzt. Irgendwann ist mal Schluss.«

»Was hat sie getan?«

»Sie hat mich als inkompetent hingestellt, ohne es wirklich zu sagen.« Er schüttelte den Kopf, als Jochen zu einer Erwiderung ansetzte. »Das an sich ist nicht das Problem, aber sie hat es nicht unter vier Augen getan.«

Jochen unterdrückte ein Lächeln. Keiner hier wäre so dumm, sich auf die Seite des Verbindungsoffiziers zu schlagen, völlig egal, wie schlimm die Dinge standen. Allerdings war das Thema des Verbindungsoffiziers schon seit langem ein wunder Punkt bei OMMYA, spätestens seit Sebastian Siefert. »Wer war denn dabei?«, erkun­digte er sich aus reiner Neugier.

»Christopher. Aber darum geht’s nicht. Es geht ums Prinzip.«

»Sei vorsichtig mit der Frau«, meinte Jochen, plötzlich wieder ernst. »Die kann uns ganz fürchterlich ans Knie treten.«

»Ich weiß. Das Problem ist … ich glaube, sie würde hier hervorragend reinpassen, wenn sie nur mal dieses dämliche Militärdenken ablegen würde.«

»Was willst du erwarten?«, fragte Jochen. »Wir sind das Militär.«

»Nur weil wir eine militärische Einheit sind, heißt das nicht, dass wir unser Hirn ausschalten müssen.« Die beiden Männer schwiegen sich eine Zeitlang an, dann zuck­te René mit den Schultern. »Egal«, meinte er. »Das ist jetzt gerade unser kleinstes Problem.«

»Wir wären dann übrigens so weit, um die Leute zu befragen.« Jochen setzte sich auf seinen Sessel und warf René einen zweifelnden Blick zu. »Glaubst du wirklich, dass, wer auch immer hierfür verantwortlich ist, es einfach zugibt?«

»Nein. Zumindest nicht, wenn wir nicht die richtigen Fragen stellen. Wie spät ist es?«

Wie auf ein Stichwort flackerte der Bildschirm des Büros auf und das Gesicht von Rebecca erschien. Dem Hintergrund nach zu urteilen, befand sie sich in einer kleinen Kammer.

»Hi«, meldete sie sich. »Ich hoffe, ich störe gerade bei irgendwas Wichtigem.« Sie nickte Jochen zu, der das Nicken lächelnd erwiderte.

»Ja. Sozusagen«, meinte René schmunzelnd.

»Gut. Ich lasse gerade meine Frühstückspause hierfür draufgehen.«

»Wo bist du?«, fragte René.

»Im Kopierraum. Ist die einzige Tür, die sich von innen abschließen lässt. Ich bin die Meldungen von gestern Nacht durchgegangen.« Sie tippte ein wenig auf der Tastatur, woraufhin eine kleine Liste auf dem Bildschirm in Renés Büro erschien. »Ich weiß nicht, ob es mit euren Vermissten zusammenhängt, aber es ist das einzig Merkwürdige gewesen, das sich gestern Nacht er­geben hat.« Während René und Jochen die Einträge der Liste ansahen, redete sie weiter. »Es hat ein paar Ein­brüche gegeben. Nichts Aufregendes, aber einer war komisch. Ein kleiner Kiosk ist aufgebrochen worden.«

René las sich die Adresse des betreffenden Eintrages durch und runzelte die Stirn. Der Kiosk, eigentlich eher ein kleiner Stand, der nach Feierabend abgeschlossen wurde, lag mitten in einem Gewerbegebiet im südlichen Teil der Stadt und verkaufte vorwiegend belegte Brötchen, Zigaretten und Kaffee an die Arbeiter der Gegend.

»Was ist daran so ungewöhnlich?«, fragte er. »Ich kann mir vorstellen, dass das Ding öfter mal aufgebrochen wird.«

»Ja.« Rebecca nickte. »Allerdings werden normalerweise der Alkohol und die Zigaretten geklaut. Gestern allerdings bestand die Beute in vier Kartons Schokorie­geln, sowie drei Sixpacks halbe Liter Wasserflaschen. Den Kollegen zufolge war der Besitzer ein wenig ver­wirrt, um es mal vorsichtig auszudrücken, als er die In­ventur gemacht hat.«

Das Schweigen im Büro hatte eine besondere Qualität. Auch wenn Jochen nicht derjenige von ihnen beiden war, der nach seinem Bauchgefühl handelte, so war bei­den Männern bewusst, dass sie es hier mit dem zu tun hatten, worauf sie gewartet hatten.

»Äh, hallo?«, fragte Rebecca, die sich nicht sicher zu sein schien, ob das Bild eingefroren war. Schließlich löste sich René aus seiner Denkstarre.

»Super«, meinte er mit einem unnatürlichen Lächeln auf dem Gesicht. »Wann war das?«

»Irgendwann zwischen zwei und sechs Uhr morgens.«

René tippte auf seinem PC, schließlich erschien eine Karte der Umgebung auf dem Bildschirm. »Nein, nicht um sechs«, meinte er währenddessen. »Um sechs haben die sich versteckt.«

»Ihr wisst, wo sie sind?«

»Nein. Irgendwo, wo es Bäume gibt. Mehr haben wir nicht rausfinden können. Hier.«

Die Karte erschien zeitgleich auf dem großen Bildschirm und auch auf dem Laptop, den Rebecca in den Händen hielt. Zwei rote Punkte waren darauf zu sehen. Einer dort, wo sich das Gebäude befand, unter dem sich die Zentrale von OMMYA lag, der andere markierte die Stelle, an der der Kiosk stand.

»Das sind fast zwanzig Kilometer Luftlinie.« Rebeccas Stimme klang respektvoll. »In weniger als vier Stunden. Bist du sicher, dass es eure Leute sind?«

»Nicht hundertprozentig, aber ziemlich.«

»Warum Schokoriegel? Das ergibt doch keinen Sinn.«

»Es hat nicht geregnet.«

René blickte Jochen perplex an. Er befand sich damit in guter Gesellschaft. Im Gegensatz zu Rebecca ahnte er jedoch, worauf Jochen hinaus wollte.

»Es hat seit über zwei Wochen nicht geregnet«, erklärte Jochen. »Die brauchen Wasser. Normalerweise würden sie aus einem Fluss oder irgendwelchen Pfützen trinken, aber die Gegend ist ziemlich trocken. Und Flüsse oder Bäche gibt es im südlichen Teil der Stadt sehr selten. Die Schokoriegel sind wahrscheinlich eher ein Bonus.«

»Super«, meinte René in Richtung des Bildschirms. »Ich danke dir. Halt die Augen offen.«

Ein Klopfen ertönte auf Rebeccas Seite der Leitung. Sie verdrehte die Augen. »Unglaublich«, meinte sie. »Monatelang kopiert hier keiner was. Was für ein Timing. Ich muss Schluss machen. Ich melde mich, wenn ich was habe.« Sie zwinkerte René und Jochen zu und beendete die Verbindung.

»Und jetzt?«, fragte Jochen. René blickte auf die Uhr. Es war halb elf.

»Ich würde vorschlagen, dass wir uns mal aufs Ohr hauen.«

»Was? Also nicht, dass ich was dagegen hätte«, erwiderte Jochen. Er hatte wie fast alle hier weniger als drei Stunden geschlafen, als Christopher sie angerufen hatte. »Aber ich dachte, du wolltest die Leute befragen.«

René schüttelte den Kopf. »Jein«, meinte er. »Noch nicht. Das bringt nichts, solange wir so im Dunkeln tappen. Erst mal müssen wir wissen, wo die hinwollen. Dann können wir bessere Rückschlüsse ziehen und auch die richtigen Fragen stellen.«

»Hast du eine Ahnung?«

Renés Schweigen sagte mehr aus als eine wortreiche Erklärung. Sein Blick wanderte im Raum umher, bis er schließlich wieder bei Jochen angelangt war.

»Eher ein Gefühl«, lautete schließlich sein ruhiger Kommentar.

»Eines, das du teilen möchtest?«

»Nicht wirklich. Dafür ist es noch zu früh.«

Jochen nickte und gab damit zu verstehen, dass das Thema bis auf weiteres zu den Akten gelegt worden war. Wenn René den Zeitpunkt für gekommen hielt, würde er etwas sagen.

»Hau dich hin«, meinte René. »Ich empfehle Dornröschens Bett, falls da noch keiner drin liegt. Sollte mitt­lerweile frisch bezogen sein.« René hatte mehr als eine Nacht in dem Bett verbracht, wenn es mal wieder spät geworden war und er keine Lust mehr gehabt hatte, mitten in der Nacht quer durch die Stadt zu fahren. Er war sich nicht sicher, wie eine Matratze nach mehreren Jahrzehnten Benutzung noch so bequem sein konnte, hatte sich aber abgewöhnt, allzu viel über solche Dinge nachzudenken. »Ich bleib hier, falls Rebecca sich mel­det. Allerdings glaube ich nicht, dass über den Tag viel passieren wird. Stell dir den Wecker auf in vier Stunden. Und sag den anderen Bescheid.« Mit 'den anderen' wa­ren Sahra, Christopher, Hansen und alle anderen ge­meint, die offiziell gerade nicht zum Dienst eingeteilt waren. Alle würden die Ruhe brauchen können.

Jochen nickte und erhob sich. Im Türrahmen blieb er stehen. »Gedenkst du auch, die Augen zuzumachen, oder muss ich Sophia holen, damit sie dir ein Schlafmittel verabreicht?«

René grinste, justierte seinen Sessel neu, bis die Rückenlehne praktisch horizontal stand. Dann öffnete er eine der Schubladen seines Schreibtisches und holte ein kleines Kissen, sowie eine dünne Decke hervor.

»Hast du in dem Schreibtisch auch was, das mit der Arbeit zusammenhängt?«, fragte Jochen spaßeshalber. Er kannte die Antwort.

»Gute Nacht«, lautete Renés Antwort, während er es sich bequem machte.


OMMYA - Freund und Feind

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