Читать книгу OMMYA - Freund und Feind - Dennis Blesinger - Страница 9

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»Ich soll wonach Ausschau halten?«

Der Unglaube stand deutlich auf Rebecca Schäfers Gesicht geschrieben, als sie René über den Monitor ihres Laptops hinweg anglotzte. Seit mehr als anderthalb Jahren war sie nun in die Geschehnisse von OMMYA in­tegriert, und nach ihren Erfahrungen mit dem Buch, Loki und Walhalla war sie die Letzte, die Zweifel an dem Wahrheitsgehalt irgendwelcher Mitteilungen hatte, die sie von René oder einem anderen Mitarbeiter der Abtei­lung bekam. Jedoch musste sie feststellen, dass es René mal wieder gelungen war, sie zu überraschen.

»Nach Orks«, antwortete René etwas ungeduldig. »Und bevor du fragst: Nein, wir wissen nicht genau, wo sie sich aufhalten, und auch nicht, um wie viele es sich handelt. Nicht allzu viele. Wahrscheinlich fünf oder so.«

»Na toll.« Der Monitor in Renés Büro zeigte Rebeccas Gesicht, wie sie sich umblickte. Sie hatten eine Vi­deoschaltung eingerichtet, jedoch saß Rebecca derzeit in ihrem Büro, was bedeutete, dass sich mehrere Kolle­gen in Hörweite befanden, die keine Ahnung davon hat­ten, dass sie neben ihrer Hauptbeschäftigung als Kom­missarin im Morddezernat auch noch die Funktion einer Verbindungsoffizierin inne hatte. Bisher hatten sie es geschafft, diese Tätigkeit geheim zu halten, jedoch hat­te René sich bisher auch nicht ohne Vorwarnung um acht Uhr morgens bei ihr gemeldet, wenn Hochbetrieb im Revier war.

»Okay. Ich formuliere meine Frage mal anders«, meinte sie, nachdem sie den Bildschirm ein wenig weggedreht hatte. »Wonach genau soll ich Ausschau hal­ten?«

»Ich kann es dir nicht wirklich sagen«, erklärte René unglücklich. »Solange es hell ist, werden die sich nicht zeigen.«

»Dir ist bewusst, dass ihr ein Sicherheitsproblem habt, oder?« In Rebeccas Augen war deutliche Genugtuung zu sehen. »Ihr braucht wirklich mal einen anständi­gen Plan B.«

Renés Miene verfinsterte sich für einen Augenblick, dann lächelte er humorlos. »Bitte halt einfach die Augen offen. Der Haufen wird sich bei Dämmerung wieder in Bewegung setzen. Wir wissen noch nicht, wo sie hin­wollen. Dazu müssen wir erst einmal ihren Aufenthaltsort bestimmen.«

»Du weißt, dass ich um 17 Uhr Feierabend habe, ja?«

»Was soll ich sagen? Das Leben ist hart.«

Der Blick von Rebecca verfinsterte sich für einen Augenblick, wich dann einem resignierten Ausdruck. »Großartig. Ich liebe Doppelschichten«, grummelte sie. Dann blickte sie wieder in die Kamera und ihr Blick zeigte, dass sie verstand, wie dringlich die Situation war. »Ich melde mich, wenn ich was höre«, sagte sie. »Mach keine Dummheiten, okay?«

»Ich? Niemals. Wo denkst du hin? Du kennst mich doch.«

»Ja. Das ist das Problem.« Lächelnd schüttelte sie den Kopf. »Ich melde mich. Bis dann.«

»Bis dann.«

Der Bildschirm erlosch. Es klopfte an der Tür, die ohne eine Antwort abzuwarten geöffnet wurde. Christophers Kopf erschien. René nickte ihm zu. Er musste an sich halten, nicht zu lachen. Christophers gesamter Kopf war von einer Bandage umgeben, die den Druck­verband und einen Eisbeutel am Hinterkopf fixierten. Sophia Simonsen hatte Christopher nur unter Protest aus der Krankenstation entlassen. Kopfverletzungen wa­ren tückisch. Die nächsten vierundzwanzig Stunden musste er sich jede volle Stunde einer kurzen Untersu­chung unterziehen, um auszuschließen, dass ein Blutge­fäß beschädigt worden war.

»Wir haben ein Problem«, erklärte Christopher missmutig, nachdem er sich gesetzt hatte.

»Ach was?«, meinte René erstaunt.

»Sahra und Hansen gehen die Aufzeichnungen durch«, führte Christopher aus, ohne auf Renés Sarkasmus einzugehen. »Wir wissen zwar, wann die Codes eingegeben wurden, aber die Aufnahmen auf den Ka­meras sind nicht zu gebrauchen. Entweder waren sie deaktiviert oder es stand wegen der Inventur irgendwas im Weg, so dass wir nicht sehen können, wer den Code eingegeben hat.« Mit einem Schulterzucken überreichte er René einige Ausdrucke.

René nahm sie stirnrunzelnd entgegen. Er hatte nicht vor, sich mehrere Seiten Protokolle durchzulesen, wenn von vorne herein klar war, dass sie nichts aussagen würden, das ihnen weiterhelfen konnte. Er war be­reits im Begriff, die Zettel auf den dritten Haufen seines Schreibtisches zu legen. Die Schütte, in der sich der be­treffende Haufen stapelte, befand sich neben 'Eingang' und 'Ausgang' und trug die Aufschrift 'Zeug'. Dann je­doch erregte etwas auf dem oberen Zettel seine Auf­merksamkeit. Langsam ließ er seinen Blick über die Sei­te wandern.

»Stimmt was nicht?«, erkundigte sich Christopher schließlich, nachdem René mehr als eine Minute auf den Zettel gestarrt hatte. Seines Wissens hatte sich sein Vorgesetzter zum letzten Mal derartig intensiv mit einem offiziellen Dokument befasst, als er eine fehlerhafte Gehaltsabrechnung erhalten hatte. Renés normales Verhalten gegenüber Papierkram war, ihn entweder zu ignorieren, bis er verloren ging, oder er drückte ihn Hansen aufs Auge.

»Kann man so sagen«, lautete schließlich die Antwort. »Du hast recht.« Er hob den Blick und blickte Chri­stopher an. »Wir haben ein Problem. Und ich glaube, mehr als eins.« Er drehte sich zu seinem Computer um. Einige Zeit lang tippte er stumm, dann erschien eine Lis­te auf dem Bildschirm, die er auf den großen Monitor projizierte. Eine Tabelle mit Zahlen und Buchstaben war zu sehen, und am Ende jeder Zeile stand ein Zeitstem­pel, komplett mit Datum, Stunde, Minute und Sekunde. René tippte erneut und der Monitor teilte sich. Eine ähnliche Tabelle erschien und rutschte auf die rechte Seite, während die erste Tabelle nach links wanderte.

»Die drei Codes, die verwendet wurden«, meinte er zu Christopher, der ihn nach wie vor fragend anblickte, »sind hier, hier und hier.« Er markierte die drei Zeilen auf der linken Liste. »Alle Terminals befinden sich in unterschiedlichen Räumen.« Er zeigte auf die betreffende Spalte der linken Liste. »Das hier«, meinte er und zeigte auf die rechte Seite des Bildschirms, »sind die Zeitstem­pel der einzelnen Türen. Die beiden Konsolen hier«, er tippte auf zwei der drei markierten Einträge, »kann man nacheinander bedienen, ohne eine Tür öffnen zu müs­sen.« Er besah sich den Zeitstempel. Man müsste sich ein wenig beeilen, aber es war möglich. »Die hier je­doch«, er zeigte auf den dritten Eintrag, »befindet sich hinter einer Tür. Und die ist nicht geöffnet worden.«

»Das ist Sahras Büro«, meinte Christopher nach einem Blick auf den Bildschirm. Er schüttelte den Kopf. »Da war niemand drin. Jochen und Sahra haben den Raum zusammen betreten und zusammen verlassen. Sahra hat die Tür aufgeschlossen. Und ich weiß, dass Sahra ein neues Schloss bekommen hat. Sie hat den Schlüssel in dem alten abgebrochen. Das war erst vor zwei Tagen.«

»Okay. Bei der Langfristigkeit der Planung, mit der wir es hier zu tun haben, haben die was anderes benutzt.« René dachte nach. Er wusste, dass die Kameras in den einzelnen Büros auf die Türen gerichtet waren und nicht auf die Schreibtische. Die Konsole, um die es ging, befand sich neben dem Schreibtisch an der Wand und somit erst recht außerhalb des Bildes.

»Und dann was? Haben die sich rein- und wieder rausgebeamt?« Christopher blickte seinen Vorgesetzten verwirrt an.

Die Tür des Büros öffnete sich erneut und Sophia Simonsen stand im Türrahmen, von wo aus sie Christopher einen zornigen Blick zuwarf.

»Ich hatte mich doch wohl klar ausgedrückt, oder?«, fragte sie, wobei sie komplett ignorierte, dass sie offensichtlich gerade eine Besprechung störte. »Bis ich etwas anderes sage, bewegen Sie ihren Hintern jede Stunde in meinen Raum, damit ich mich davon überzeugen kann, dass Ihnen das Gehirn nicht anfängt zu bluten. Ist das klar? Ansonsten werde ich Sie sedieren und an ein Bett schnallen.«

René wandte den Blick von der Ärztin zu Christopher, der die Offizierin mit großen Augen und deutli­chem Schuldbewusstsein anblickte. Dann blickte Chri­stopher seinen Vorgesetzten hilfesuchend an.

»Es geht ihm gut«, meinte René und wandte sich wieder dem Monitor zu. Bevor er jedoch einen weiteren Laut hervorbringen konnte, fragte Sophia in einem gefährlich ruhigen Tonfall:

»Sind Sie Arzt?« René blickte die Frau erstaunt an.

»Nein.«

»Gut. Dann werde ich mich jetzt mal klar ausdrücken.« Sophia Simonsen betrat endgültig das Büro und schloss die Tür hinter sich. »Solange Sie keine medi­zinische Ausbildung hinter sich gebracht haben, werden Sie bitte keine weiteren Diagnosen erstellen, ist das klar? Das ist mein Job. Ihr Job ist es, dieses Irrenhaus zu leiten. Mir würde nicht im Traum einfallen, Ihnen zu sa­gen, wie Sie das zu machen haben, obwohl ich da ein bis zwei Vorschläge hätte. Ich erwarte die selbe Achtung vor meinem Beruf von Ihrer Seite aus.«

Das Funkeln in den Augen der Ärztin sprach dafür, dass sie jedes Wort genau so meinte, wie Sie es gesagt hatte. René überlegte einen Augenblick, die Diskussion fortzuführen. Statt dessen wandte er den Blick ab und sah Christopher an.

Ein aufmerksamer Beobachter hätte in Renés Gesicht mehrere Dinge erkannt. Keines davon war erfreulich und alle hatten sie mit der Person zu tun, von der er sich soeben abgewandt hatte. Leider war niemand Ent­sprechendes im Raum, da Christopher nach wie vor mit seinen Kopfschmerzen beschäftigt war.

»Du hast die Frau gehört.« Mit einem leichten Kopfnicken in ihre Richtung meinte René zu Sophia: »Sie ha­ben recht. Entschuldigung.« Er ignorierte den erstaunten Blick auf Christophers Gesicht ob der letzten Aussa­ge. »Wie lange brauchen Sie?«

»Ich hab mir schon gedacht, dass er sich hier irgendwo herum treibt. Ich habe alles dabei.« Sie holte eine kleine Taschenlampe hervor, machte ein paar Tests und nickte schließlich zufrieden. Als sie sich zum Gehen wandte, sagte René:

»Nein, bleiben Sie. Ich will etwas ausprobieren.«

Sophia blickte erst René, dann Christopher fragend an, nickte dann und wandte sich wieder den beiden Männern zu. René kramte derweil in seiner Schreibtischschublade herum und beförderte schließlich zwei der Klapphandys zutage, die zur Standardausrüstung je­des Mitarbeiters bei OMMYA gehörten. Wortlos reichte er beiden jeweils eines der Telefone und kritzelte etwas auf ein kleines Blatt Papier, danach wiederholte er die Prozedur mit einem zweiten Blatt. Sichtlich zufrieden reichte er den beiden Personen jeweils eines des Blät­ter.

»Was ist das?«, fragte Sophia, nachdem sie einen Blick auf die Zeile geworfen hatte, die zu sehen war. Zahlen wechselten sich scheinbar willkürlich mit Buchstaben ab. »Ein Passwort?«

»Ja und nein«, lautete die Antwort. »Das habe ich mir gerade ausgedacht. Aber von der Struktur und der Länge her stimmen die beiden Zeilen mit den Codes überein, die hier verwendet werden.« Er nickte in Richtung ihres Handys. »Los. Tippen. Und sagen Sie, wenn Sie fertig sind.«

René blickte auf seine Uhr und nickte den beiden verblüfften Personen aufmunternd zu. Nach einer Sekunde, die sie sich beide fragend angeschaut hatten, wandten sie sich zeitgleich ihren Telefonen zu und fingen an, die Zeichenfolge einzugeben.

»Fertig.« Sophia hielt ihr Telefon hoch. Keine zwei Sekunden später tat Christopher es ihr gleich. René blickte auf seine Uhr und nickte.

»Deutlich unter fünfzehn Sekunden«, meinte er. »Nicht übel, wenn man bedenkt, dass du wahrscheinlich alles doppelt siehst und unsere Frau Doktor nicht besonders vertraut mit den Passwörtern hier ist.«

»Hatte das irgendeinen Sinn?«, fragte die Ärztin, wobei ihr Blick und ihr Tonfall klar zum Ausdruck brachten, dass die Antwort definitiv 'Nein' lautete.

»Sie werden lachen. Ja.« Dem Lächeln, das René zeigte, fehlte jede Form von Humor, und auch Freundlichkeit suchte man vergebens, wenn man sich die Mühe machte, seine Augen zu betrachten, während er die Ärztin anfunkelte.

»Die Konsolen haben eine Sicherheitsschaltung. Wenn man den Code eingibt, muss er innerhalb von dreißig Sekunden beendet worden sein, oder es gibt eine interne Alarmmeldung.« Er zeigte auf den Monitor an der Wand. »Die letzten Einträge in jeder Spalte besagen, wie lange der Eingabevorgang gedauert hat.«

»Was passiert, wenn man sich vertippt?«

»Gar nichts. Zumindest nicht beim ersten Mal. Nach der dritten Falscheingabe allerdings wird der Zugang zu der Konsole gesperrt und die Sicherheitsabteilung tritt auf den Plan. In jedem Fall erhält der Leiter der Wachmannschaft – in unserem Fall Honk – eine Meldung, wenn der Code falsch oder zu langsam eingegeben wor­den ist.« Erneut drehte er sich zum Monitor und mar­kierte die drei Zeilen.

»Sechsundzwanzig Sekunden?«, fragte Christopher schließlich. »So lange habe ich an meinem ersten Tag nicht gebraucht. War der betrunken?«

»Vielleicht sehr nervös«, überlegte René.

Ein Blick zu Sophia machte deutlich, dass sie ihre fortwährende Anwesenheit hier als unproduktiv betrachtete. Darüber hinaus hatte die Spannung, die zwi­schen ihr und René in der Luft gelegen hatte, keinen Hauch an Intensität verloren.

»Kann ich dann wieder zurück an meine Arbeit, oder haben Sie noch was zu tippen für mich?«

Renés Lächeln wurde noch eine Spur breiter und noch humorfreier, sofern dies überhaupt noch möglich war. Betont langsam drehte er sich zu Christopher um, der mittlerweile, trotz seines Zustandes, die Spannung spürte, die im Raum herrschte.

»Würdest du uns einen Gefallen tun und uns mal kurz alleine lassen?«, fragte René Christopher, ohne sein starres Lächeln aufzugeben. Christophers Blick wanderte kurz von René zu Sophia, dann nickte er der Offizierin leicht zu und verließ wortlos den Raum.

Kaum dass sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, beugte sich René über seinen Schreibtisch und betätigte einen kleinen Knopf an der Unterseite der Tischplatte. Der Effekt war unspektakulär, zumindest von innen. Von außen betrachtet flackerte die Fensterfront des Büros kurz auf und verwandelte sich dann in eine Spiegelfront, die die Insassen des Büros vor den Blicken der restlichen Belegschaft schützte. René hatte diese Maß­nahme bisher erst ein paar Mal getroffen, meistens, wenn er sich nach durchgearbeiteten Nächten umgezo­gen hatte. Es war nicht sein Stil, den Vorgesetzten her­aushängen zu lassen und seine Mitarbeiter zu überwa­chen, während er keine Lust zum Arbeiten hatte und im Internet spielte. Auf der anderen Seite gab es Gelegen­heiten, die seiner Meinung nach ein wenig Privatsphäre erforderten.

Er setzte sich auf den Rand seines Schreibtisches und blickte Sophia Simonsen einige Sekunden lang an. Als er anfing zu sprechen, war das Lächeln auch von seinem Mund verschwunden.

»Ich weiß, dass ich gesagt habe, dass die militärischen Vorschriften hier nicht allzu streng genommen werden«, begann er. »Salutieren geht mir auf den Geist und ich bin auch der Meinung, jeder Mensch sollte sein Hirn anstellen, wenn es darum geht, Befehle zu befol­gen. Allerdings… « Er stand auf und ging auf die Ärztin zu, die ihm aufmerksam, jedoch augenscheinlich gelang­weilt zugehört hatte. Dies änderte sich, während René die kurze Distanz zwischen ihnen überbrückte. Weniger als zehn Zentimeter trennten die beiden, als er zum Ste­hen kam, und der Blick in seinen Augen hatte nun eine klare Botschaft. Sophia Simonsen war seit mehr als zehn Jahren beim Militär und hatte entsprechend genug Erfahrungen mit Vorgesetzten gesammelt, um zu erken­nen, wann eine Maßregelung bevor stand. Ein kleines Lämpchen in ihrem Gedächtnis ging an und beleuchtete das Wort 'Generalmajor' in einem unfreundlichen grel­len Schein.

»Sollten Sie sich mir gegenüber noch einmal so verhalten, wenn außer uns beiden noch jemand im Raum ist, dann werde ich Ihnen den Arsch so weit aufreißen, dass Sie für den Rest Ihres Lebens einen Katheter brau­chen werden, um aufs Klo zu gehen. Ist das klar?«

René glaubte, das leichte Zucken der rechten Hand sehen zu können, und musste sich ein Grinsen verkneifen, als die Hand nach diesem kurzen Reflex weiter hin­ter dem Rücken der Ärztin verharrte. Noch während des steifen Nickens, das erfolgte, fuhr er fort, jetzt jedoch in einem deutlich neutraleren Tonfall:

»Es gibt einige Menschen auf dieser Welt, denen ich mein Leben ohne mit der Wimper zu zucken anvertrauen würde. Fast alle diese Personen befinden sich jen­seits dieses Büros.« Er nickte kurz in Richtung Fenster, auf deren anderer Seite eine Menge Leute reges Inter­esse an dem Innenleben des kleinen Büros zu entwi­ckeln begannen, das ihnen – anders als sonst – vorent­halten wurde.

»Sie hingegen«, fuhr er fort, »sind kein Teil dieser Gruppe. Noch nicht. Und ich weiß nicht, ob es jemals so weit kommen wird.« Er wandte sich ab. Er war sich sicher, dass er seinen Standpunkt deutlich gemacht hatte und wollte nicht, dass die Frau einen komplett falschen Eindruck von ihm erhielt. Er genoss es nicht, Untergebe­ne zu maßregeln.

»Ich bin kein Fan dieser Verbindungsoffizier-Regelung«, erklärte er, während er sich wieder gegen seinen Schreibtisch lehnte. »Das ist auch der Grund, warum wir uns hier fast alle mit dem Vornamen ansprechen. Der Job hier bringt ein Vertrauensverhältnis mit sich, das ein 'Herr Keppler' oder gar 'Herr General' ein wenig albern wirken lässt. Nichtsdestotrotz haben wir hier eine Be­fehlskette, unabhängig vom Militär. Das einzige Glied in dieser Kette, das regelmäßig erneuert wird und ebenso regelmäßig zu Unregelmäßigkeiten führt, ist der Verbindungsoffizier, der uns irgendwann aufoktroyiert wur­de.« Er gab ein abfälliges Schnauben von sich. »Die Hälf­te der Leute, die man uns geschickt hat, war nicht zu ge­brauchen, und der letzte Typ war eine mittlere Katastrophe.« Er machte eine Pause und atmete tief durch. Dann blickte er die Stabsärztin an, wie sie nach wie vor steif wie ein Brett da stand und den Worten ihres Vor­gesetzten lauschte, ohne ihn dabei anzublicken, wie es üblich war, wenn man von seinem vorgesetzten Offizier getadelt wurde.

»Ich glaube, dass Sie das Potenzial haben, Teil dieser Gruppe werden zu können, aber bis das soweit ist, tun Sie sich, mir und allen anderen einen Gefallen und tun Sie einfach so, als ob ich ihr Vorgesetzter wäre. Okay? Und damit wir uns nicht missverstehen. Was ich eben gesagt habe, meinte ich so. Jede einzelne Silbe.« Er wartete einige Sekunden, bis ihm klar wurde, dass sich an der starren Haltung der Offizierin, sowohl ihrer körperlichen als auch der geistigen, nichts ändern würde, ohne dass er ihr eine Ohrfeige geben würde. Er seufzte innerlich, ließ sich bei den folgenden Worten jedoch nichts davon anmerken.

»Sie können dann wegtreten.«

Die Blicke der beiden trafen sich und weniger als fünf Sekunden später schloss René müde die Augen – Augenblicke, nachdem die Tür sich von außen geschlossen hatte.

OMMYA - Freund und Feind

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