Читать книгу Magische Bande - Dennis Blesinger - Страница 10
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ОглавлениеMarc hatte eine Menge Blut in seinem Leben gesehen. Das ließ sich nicht verhindern, wenn man zwei kleinere Geschwister hatte, die beide bis zum Alter von zehn Jahren eine Gabe dafür hatten, mindestens einmal die Woche mit verschiedensten Schürf- und Schnittwunden daherzukommen. Da er als Kind selbst regelmäßig von seinen Eltern verarztet worden war, hatte er bei seinen kleineren Geschwistern später regelmäßig assistiert.
Die Menge an Blut, die sich auf dem Boden des Kellers befand, hätte jedoch ausgereicht, um alle Bandagen, die sie zuhause hatten, zwei Mal vollzusaugen. Plus einige Handtücher. Jedoch war es nicht der metallene Blutgeruch, der ihm langsam Kopfschmerzen verursachte, sondern die schiere Boshaftigkeit dieses Ortes. War das Wohnzimmer Beweis genug gewesen, dass hier Schwarze Magie ausgeübt wurde, so konnte hier selbst jemand wie Sven, der keinerlei aktive magische Fähigkeiten hatte, die Schwingungen aufnehmen, die den Raum durchfluteten.
Schritte erklangen hinter ihnen und Vanessa kam langsam sie Treppe hinunter, bleich im Gesicht und immer blasser werdend, je weiter sie die Treppe hinunter schritt. Marc wusste, wie sehr ihr das hier zu schaffen machen musste. So wie andere Leute Narben hatten, die juckten, wenn sich das Wetter änderte, so bekam Vanessa Kopfschmerzen, wenn Schwarze Magie im Spiel war.
»Wie geht es ihr?«, fragte Marc, um Vanessa von ihrer jetzigen Umgebung abzulenken. Vanessa schüttelte den Kopf.
»Sie ist okay. Bisschen durch den Wind. Aber okay.« Sie blickte sich in dem Raum um und warf suchende Blicke durch das Dämmerlicht. Schließlich schüttelte sie den Kopf.
»Was immer hier war, ist weg. Das sind nur noch die Nachschwingungen.«
»Wofür ich sehr dankbar bin.«
Jetzt, nachdem Vanessa offiziell die Entwarnung gegeben hatte, fingen sie an, den Raum langsam aber sicher zu durchschreiten, auf der Suche nach Hinweisen, was genau sich hier während der letzten Stunde abgespielt hatte. Mehrere Leichen lagen im Raum verteilt, alle waren verstümmelt worden. Das Blut bildete große Pfützen um die Körper herum. Sowohl Marc als auch Sven unterließen es, nach Lebenszeichen zu suchen. Auf dem Boden mussten mindestens zehn Liter Blut liegen. Kein Mensch hätte dies überleben können. Darüber hinaus schüttelte Vanessa den Kopf. Nichts Lebendiges befand sich in diesem Raum.
Die Wände des Raumes waren mit schweren Samtvorhängen behangen, auf denen vage Symbole zu erkennen waren. Die Beleuchtung bestand aus mehreren Kerzen, die flackerndes Licht verbreiteten, was es schwierig machte, Einzelheiten zu erkennen. An der einen Wand waren die Überreste eines Holztisches zu sehen. Dort, wo er gestanden hatte, waren Zeichen, Pentagramme und einander überschneidende Symbole zu erkennen, von denen Marc allerdings spontan nicht wusste, welchen Zweck sie hatten. Es konnte sich um einen Bannkreis handeln, jedoch war es auch möglich, dass sie das genaue Gegenteil darstellten. Solange das Blut einen Teil davon bedeckte, war schwierig, Genaues zu sagen.
»Irgendwas stimmt hier nicht.«
Die Äußerung stammte von Sven, nachdem er die erkennbaren Symbole auf dem Boden und die Linie, die sie miteinander verband, abgeschritten hatte und dort stand, wo Samael gesessen hatte. Er schaute auf den Boden und blickte ein letztes Mal hin und her.
»Der Kreis ist nicht geschlossen«, meinte er schließlich auf die fragenden Blicke der beiden hin.
Bei ihm angekommen, sahen sie, was er meinte. Die Spur der Zeichen, die den Kreis bildeten, wies an zwei Stellen jeweils eine kleine Lücke auf. Der Anordnung der Möbel im Raumes nach zu urteilen, oder vielmehr von dem, was davon übrig war, hatte sich zwischen den beiden Lücken einer der Stühle befunden. Dies war mehr als ungewöhnlich, wenn man sich die akribische Arbeit des restlichen Kreises anguckte. Wenn man es genau nahm, lautete die einzig logische Erklärung Absicht.
»Was zum Teufel ist hier passiert?«
»Und wer hat hier gesessen?«
»Ich weiß es nicht! Da war … « Mit von Tränen überströmtem Gesicht blickte Nadja ihre beiden Geschwister an. Sie hatten sich für den Augenblick von Sven getrennt, der immer noch unten war und herauszufinden versuchte, was die einzelnen Symbole bedeuteten. Anfangs hatte Marc vorgehabt, Sven Gesellschaft zu leisten, aber der Anblick von Nadja, die zitternd und weinend auf dem Fußboden hockte, schaffte es, seine Wut zumindest für den Augenblick beiseite zu schieben.
»Irgendwas ist erschienen«, erzählte sie weiter. »Ich weiß nicht, was. Dann ist das Ding in ihn rein und … « Sie wandte den Kopf ansatzweise zu dem, was von Samael übrig war.
»Bitte? Der hat noch gelebt?«
Marc blickte seine Schwester entsetzt an, nachdem er realisiert hatte, was ihre Worte bedeuteten. Es war eine Sache, einem Dämon den Schädel einzuschlagen, eine völlig andere, einen Menschen den Schädel bis zur Unkenntlichkeit zu zertrümmern. Er wandte sich an Vanessa, die die Überreste ebenso konsterniert anblickte wie er.
»Ich denke, das war kein Mensch?«, fragte er sie.
»Ich … « Sie schüttelte den Kopf. »Das ging alles so schnell. Entschuldigung. Ich hab nur … da war nichts … «
Marc hob die Hand und schüttelte entschuldigend den Kopf. »Nein. Du musst dich nicht entschuldigen. Das ist nicht … oh verdammt.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann erhob sich Vanessa und schritt langsam auf die Leiche zu und ging neben ihr in die Hocke. Ein leises Stöhnen entfuhr ihr.
»Was ist?«, fragte Marc alarmiert.
»Was hattest du gesagt, wie der Kerl hieß?«
»Samael«, antwortete Nadja nach einer Sekunde, als sie merkte, dass die Frage an sie gerichtet gewesen war. »Ich – «
»Ich glaube, ich kenne ihn. Oder kannte.«
»Was?«
»Samael … « Sie überlegte einen Moment, bis das geistige Bild einer Person Form annahm. »Radwoski. Samael Radowski. Hat mal versucht, was bei mir zu kaufen.«
»Und?«
»Ich habe ihm Ladenverbot erteilt. Beziehungsweise ihn gar nicht erst über die Türschwelle gelassen. Krank bis auf die Knochen, wenn ihr mich fragt.«
»Können … können wir nicht einfach zur Polizei gehen?«
Marc blickte Nadja an, als ob sie den Verstand verloren hatte.
»Zur Polizei?«, fragte er. Dann stand er auf, packte Nadja beim Arm und zerrte sie hinter sich her, bis sie ebenfalls neben der Leiche standen. Er hob die Pfanne auf und hielt sie Nadja vor die Nase.
»Fein. Gehen wir zu Polizei und erklären denen das hier!«
Nadja blickte die blutverschmierte Pfanne an, von der sich gerade ein kleines Stück Hirnmasse löste und mit einem Platschen auf dem Boden landete. Dann wandte sie sich ab, setzte sich und atmete tief ein und aus, offenbar damit beschäftigt, den Brechreiz unter Kontrolle zu bringen. Schließlich erhob sich Vanessa und meinte: »Die gute Nachricht ist: Was auch immer das war, es ist weg. Frag mich allerdings bitte nicht, wohin.«
»Und die schlechte Nachricht ist, dass es wiederkommen wird.«
Alle drei Geschwister wandten sich zu Sven um, der mit blassem Gesicht in der Tür stand.
»Ich weiß nicht einmal halbwegs, was dieser Vollirre da beschworen hat. Dazu muss ich die Symbole mit meinen Aufzeichnungen zuhause abgleichen. Ich bin mir aber so weit sicher, dass ich sagen kann, dass es nicht endgültig weg ist.«
»Scheiße!«
»Gibt es was, was wir dagegen machen können?«, fragte Vanessa.
Sven überlegte eine Weile, dann nickte er.
»Wir müssen die Sachen, die für das Ritual verwendet wurden, vernichten. Solange irgendwas von dem Zeug da ist, wirkt es quasi als Anker und als Leuchtfeuer, für … was auch immer.«
»Was willst du machen, das Haus anzünden?«, fragte Marc halb ernst, halb belustigt.
»Das wäre das Beste«, meinte Sven trocken.
»Das könnte auf die anderen Häuser übergreifen«, wandte Vanessa ein. »Nein. Wir lassen alles, was nicht niet- und nagelfest ist, mitgehen und verbrennen es irgendwo, wo es nicht auffällt.
Sven nickte und blickte auf die Leiche. »Inklusive dem da.«
»Was? Warum das denn?«, wollte Vanessa wissen. »Der hat keinen Kopf mehr!«
»Ich möchte nicht darauf wetten, dass das so bleibt.«
»Oh.«
»Okay«, meinte Marc kopfschüttelnd. »Ich glaube, wir brauchen ein paar Säcke.«
»Und 'ne Schaufel.«
Marc blickte Vanessa konsterniert an. Aber sie war, wenn es für Außenstehende auch selten den Eindruck machte, immer schon die Pragmatischere von ihnen beiden gewesen. Ohne sie hätte er jetzt wahrscheinlich nicht nur Nadja die Leviten gelesen, sondern irgendetwas völlig Überhastetes getan, wie das Haus wirklich anzustecken. Er nickte ihr zu und machte sich an die Arbeit.