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ОглавлениеDas Auto hielt am Straßenrand, die Scheinwerfer erloschen. Nichts an der Gegend wies auf etwas Ungewöhnliches hin. Einfamilienhäuser mit den dazugehörigen Zäunen, Hecken und mehr oder weniger gepflegten Gärten säumten die Straße und vermittelten den Eindruck einer ruhigen und soliden Wohngegend der gehobenen Mittelklasse.
Die Türen des Wagens öffneten sich und zwei Frauen und ein Mann stiegen aus. Die kleinste und jüngste der drei Personen blickte sich nervös um, als ob sie damit rechnete, dass ihnen jemand gefolgt war.
»Entspann dich«, sagte die ältere Frau und legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Keiner weiß, dass wir hier sind. Wir sind zurück, bevor jemand merkt, dass du weg warst.«
»Hmmm.« Es klang nicht wirklich überzeugt. Jedoch beließ sie es dabei und folgte den beiden anderen, die bereits zielstrebig auf ein etwas abseits stehendes Haus zugingen. Äußerlich unterschied es sich kaum von den anderen, wenn es vielleicht auch weniger aufgehübscht und der allgemeine Zustand etwas mehr heruntergekommen war als der Rest der Häuser in der Gegend. Durch die Fenster waren Lichter zu sehen, die darauf hindeuteten, dass jemand zuhause war. Sie beeilte sich, zu den beiden aufzuschließen. Der schwarze Samtumhang flatterte ihr um die Beine. Insgeheim kam sie sich ein wenig albern vor in ihrer Aufmachung. Allerdings war der Umhang ein Geschenk und eines, wie sie fand, dem Anlass würdig.
»Das wird super«, meinte die ältere Frau. »Du wirst sehen.«
»Hmmm.« Trotz des skeptischen Tons war die junge Frau nervös. Dies würde es sein! Kein Kinderkram mehr hiernach. Nach heute Abend würden ihre beiden dämlichen Geschwister einsehen müssen, dass sie eine vollwertige Magierin war. Sie freute sich schon darauf, Marcs Gesichtsausdruck zu sehen.
»Was passiert heute eigentlich genau?«, fragte sie.
»Eine Séance«, lautete die Antwort. »Wir treten in Kontakt mit der Zwischenwelt.«
Nadja erinnerte sich daran, wie Marc und Vanessa über den Kontakt mit Geistern dachten. Als sie das Ouija-Board der Familie vor einem Jahr zufällig in einer Kiste entdeckt hatte, hatte Marc es sofort an sich genommen und auf dem Dachboden eingeschlossen. Vanessa hatte versucht, ihr zu erklären, wie gefährlich der Kontakt mit anderen Ebenen, wie zum Beispiel der Geisterwelt war, doch Nadjas Meinung nach waren die beiden einfach der Meinung, dass sie zu jung war für solche Übungen. Wenn doch nur ihre Eltern noch da wären. Die hätten mit Sicherheit nicht so reagiert. Ihre Eltern hätten ihr erklärt, was es mit Beschwörungen und Geistern auf sich hatte.
»Ist das sicher?«, fragte sie dennoch. Ein kleiner Teil von ihr war immer noch nicht völlig davon überzeugt, dass sie das Richtige tat. Wenn Marc oder Vanessa hiervon erführen, würden sie ihr beide den Kopf abreißen. Die ältere Frau lachte gutmütig.
»Nadja.« Sie drehte sich um und blickte die junge Frau mit einem beruhigenden Lächeln im Gesicht an. »Habe ich dich in den letzten sechs Monaten einmal in eine Situation gebracht, in der du in Gefahr warst?«
Nadja schüttelte den Kopf und blickte beschämt zu Boden. Erneutes Lachen erklang und Nadjas Kopf wurde sanft angehoben, so dass sie sich wieder anblickten.
»Alles ist gut. Samael ist eine Koryphäe auf dem Gebiet und wir haben alles an Sicherheitsmaßnahmen getroffen, was möglich ist.« Sie lächelte. »Wir wollen doch nicht, dass unserer kleinen Hexe bei ihrer Initiierung etwas zustößt, oder?«
Nadja blickte erst sie, dann den jungen Mann an, der neben ihr stand und ihr ebenfalls lächelnd zunickte. Sie schüttelte energisch den Kopf und nickte dann ebenfalls. Dies war das, weshalb sie hier waren, oder? Heute Nacht würde sie zu einer richtigen Hexe werden. Nach heute Nacht würde sie keine großen Geschwister mehr brauchen, die nicht erkannten, dass sie längst über den Punkt der magisch begabten kleinen Schwester hinausgewachsen war. Sie nickte ein letztes Mal entschlossen und schritt dann zielstrebig zwischen ihren Begleitern einher in Richtung Haus.
»Sie ist vierzehn verdammt, deshalb!«
Marc wandte sich ab und rollte frustriert mit den Augen. Er wusste, dass er diese Diskussion verlieren würde, schlicht und ergreifend, weil Vanessa recht hatte.
»Ja, genau«, stimmte Vanessa ihm zu. »Sie ist vierzehn. Nicht vier. Wann soll sie denn damit anfangen? Wenn sie zwanzig ist?«
»Nein. Natürlich nicht. Ich hatte an fünfundzwanzig gedacht.« Er stand auf und ging in Richtung Küche.
»Marc!«
Vanessa folgte ihrem Bruder. Sie hatte diese Diskussion in der Vergangenheit bereits mehrfach angestoßen, dieses Mal würde sie jedoch hartnäckig bleiben. Sie wusste, dass Marc keine Lust hatte, dieses Thema weiterzuverfolgen, speziell nach der Unterhaltung, die sie beide mit Nadja geführt hatten, als sie aus der Schule gekommen war. Das Krachen der Tür, mit dem ihre kleine Schwester die Diskussion beendet hatte, ließ darauf schließen, dass sie wenigstens 12 Stunden lang in ihrem Zimmer bleiben und schmollen würde.
Sicher, streng genommen hatte Marc das letzte Wort, was die Ausbildung von Nadja betraf, und sei es nur, weil er damals offiziell zu Nadjas Vormund ernannt worden war und nicht Vanessa. Allerdings hatten sie sich vor langer Zeit stillschweigend darauf geeinigt, dass beide gleichberechtigt an der Erziehung ihrer kleinen Schwester teilhaben würden, sowohl, was den weltlichen Aspekt anging, als auch den magischen.
Wären ihre Eltern am Leben gewesen, hätte sich die ganze Sache natürlich erheblich einfacher gestaltet. Nadja wäre mit vier magisch begabten Personen aufgewachsen und ihre Eltern hätten das Nesthäkchen der Familie ebenso behutsam an das Thema herangeführt, wie sie es bei Marc und Vanessa getan hatten, sobald sich die Begabung bemerkbar gemacht hätte. Aber diesen Luxus hatten sie nicht. Ihre Eltern waren vor knapp vier Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. In den vergangenen vier Jahren hatten Marc und Vanessa sich um Nadjas Erziehung gekümmert, wohl wissend, dass dieser Tag irgendwann kommen würde.
»Marc!«
Vanessa nahm sich einen Stuhl und ließ sich ihrem Bruder gegenüber nieder, der missmutig sein Glas anstarrte.
»Marc, wir müssen etwas unternehmen. Wie lange willst du denn warten?«
»Bis sie sich ein bisschen stabilisiert hat«, knurrte er Vanessa an. Er begann an den Fingern abzuzählen. »Sie ist sprunghaft, sie ist unzuverlässig, sie macht sich nicht die leisesten Gedanken darüber, was ihre Handlungen für Folgen haben werden … «
»Ich weiß. Sie ist vierzehn. Sie ist voll in der Pubertät. Was erwartest du denn? Das ist ein ganz normales Verhalten für jemanden in ihrem Alter.«
»Toll«, meinte Marc sarkastisch. »Und so jemanden willst du darin ausbilden, mit dem Universum zu interagieren? Mit anderen Ebenen und mit Kräften, die ihre und unsere Umgebung in Schutt und Asche legen können?«
Vanessa spürte instinktiv, dass sie gewonnen hatte. Der Anblick von Marc, der sorgenvoll Löcher in die Luft starrte, ließ diesen Erfolg jedoch nichtig erscheinen.
»Wovor hast du eigentlich so eine Angst?«, fragte sie sanft. Marc blickte auf und all die Zweifel, die in ihm schlummerten, waren in seinem Blick zu sehen, zumindest für Vanessa. Er schüttelte mit dem Kopf.
»Ich wünschte nur, Nimi und Paps wären hier.«
»Das soll ein Witz sein, ja?«, fragte Vanessa ehrlich erstaunt. Es war selten, dass Marc sich auf ihre Eltern bezog. Ihr Tod war nun beinahe fünf Jahre her und auch wenn Vanessa wusste, dass Marc die beiden ebenso vermisste wie sie selbst und auch Nadja, so hätte sie nicht vermutet, dass ihr großer Bruder sich immer noch nach einer Stütze sehnte, wenn es um die Erziehung der Kleinsten in der Familie ging.
»Marc, du bist ein guter Lehrer«, meinte sie vehement. »Du bringst alles mit, was es dazu braucht. Wir kriegen das schon hin.«
»Das sagst du so einfach.« Marc warf einen Blick in Richtung Decke. »Die hört ja nicht einmal darauf, wenn wir ihr sagen, dass sie ins Bett gehen soll. Von Partys möchte ich gar nicht erst anfangen.«
»Ich darf dich daran erinnern, dass die letzte Ausbildung, die du geleitet hast, ziemlich gut gelaufen ist?«
Marc blickte seine Schwester zweifelnd an. Sicher, als ihre Eltern gestorben waren, war Vanessa siebzehn gewesen und im Grunde bereits vollständig ausgebildet. Er hatte nichts anderes zu tun gehabt, als die bereits vorhandenen Ansätze zu verfeinern. Darüber hinaus hatte sich Vanessa bereits mit zwölf dafür entschieden, eine Kräuterhexe zu werden, etwas, das Marc völlig abging. Alles, was sie auf diesem Gebiet wusste, hatte sie von ihren Eltern gelernt oder sich selbst beigebracht.
»Ja«, räumte er ein. »Aber du warst auch nicht so eine Pest damals.«
Vanessa lachte laut. »Oh doch, das war ich. Du hast es nur nicht mitbekommen.« Sie wurde wieder ernst. »Du weißt, dass ich recht habe«, meinte sie schließlich. »Und ohne dich schaffe ich das nicht.«
Eine Weile saßen sie sich schweigend gegenüber, während Marc versuchte, das Lächeln auf seinem Gesicht zu unterdrücken. Er hatte in der Sekunde, in der die Diskussion begonnen hatte, gewusst, dass er sie verlieren würde.
»Okay.«
Ein kleines Wort hatte selten zu einer derartigen Reaktion geführt. Das Grinsen drohte, Marcs Meinung nach, Vanessas Kopf zu halbieren, als sie aufsprang und ihm um den Hals fiel.
»Oh, das wird super!«, meinte sie freudestrahlend, als sie schließlich von ihm abließ und in der Küche um die eigene Achse wirbelte. Sie setzte sich wieder, dieses Mal neben ihren Bruder.
»Das wird ihr gut tun, du wirst sehen. Sie wird endlich das Gefühl haben, dazuzugehören.«
Marc blickte seine Schwester skeptisch an. Seiner Meinung nach war Nadja, auch wenn er sie wirklich lieb hatte, noch nicht reif für einen derartigen Schritt. Aber Vanessa hatte recht. Sie mussten mit der Ausbildung beginnen. Wenn sie es nicht taten, würde die kleine Göre es auf eigene Faust tun. Nadja war ein Mensch, der Beschränkungen nur eine gewisse Zeit lang befolgte. Dass sie sich früher oder später über diese Beschränkungen hinwegsetzen würde, war beiden klar. Die Frage war nicht ob, sondern wann dies passieren würde.
»Ich wünschte nur, wir könnten so lange warten, bis sie sich ein wenig gefestigt hat.«
»Ach!« Vanessa wischte den Einwand mit einer Handbewegung beiseite. Sie überlegte. »Was meinst du, sollten wir Sven anrufen?«
»Unbedingt.«
Sven war ein Freund der Familie, der ebenfalls aus einer magischen Familie stammte. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit hatte er jedoch nie die Fähigkeit entwickelt, das Potenzial, das ihm innewohnte, aktiv zu nutzen. Als im Alter von achtzehn Jahren klar war, dass Sven der Einzige seiner Familie war, der keinerlei paranormale Fähigkeiten haben würde, hatte er dies ruhig und gefasst akzeptiert und sich stattdessen auf den theoretischen Zweig dieser Disziplin verlegt. Mittlerweile war er zu einer Autorität geworden, wenn es um Bannsprüche, Kräuterkunde und dergleichen ging. Selbst Vanessa suchte ab und zu seinen Rat, wenn sie Probleme mit ihren empfindlicheren und anspruchsvolleren Pflanzen hatte.
Marc blickte auf die Uhr. Es war gerade mal sieben Uhr durch. Wie er Sven kannte, würde er in etwa einer Stunde seinen Laden abschließen, um dann für den Rest des Abends über irgendwelchen Büchern zu brüten. Ein Blick auf Vanessas Gesicht sagte ihm, dass sie dasselbe dachte, während sie ihn mit einem erwartungsvollen Blick anschaute.
»Hey«, meinte er. »Das ist deine Idee. Ruf du ihn doch an.«
Marc blickte ihr nachdenklich hinterher, als sie zum Telefon stürmte, während er sich langsam darüber klar wurde, was für eine schwierige Zeit vor ihnen lag. Jemandem diese Art von Verantwortung zu übergeben, fähig zu sein, die Kräfte der Schöpfung zu manipulieren, war nicht ungefährlich. Er wusste um die Gefahren aus eigener Erfahrung. Die Verantwortung des Ausbilders war dabei mindestens genau so hoch wie die des Lehrlings. Zugegeben, es hatte seit mehreren Jahrzehnten keine Schwarzmagier mehr gegeben, die den Namen verdient hatten, aber es hatte welche in der Vergangenheit gegeben. Und sie waren einer der Gründe, warum das Wort Magie nach wie vor mit einem äußerst ambivalenten Ruf behaftet war. Filme wie 'Carrie' taten ihr übriges.
»Was soll denn passieren?«, fragte Vanessa, nun wieder deutlich ernsthafter, als sie die Küche erneut betrat und Marc beim Nachdenken beobachtete. Sie spürte, dass ihm mehr durch den Kopf ging, als nur das Problem des Zeitmanagements, das auf sie zukommen würde, Nadja neben der Schule in die Materie der Magie einzuweihen.
»Das wird schon«, meinte sie. »Wovor hast du denn solche Angst? Sie wird schon nicht anfangen, den Teufel anzubeten.«