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Der Laden, den Sven betrieb, war einerseits Fassade für das, was sich im Lager befand, andererseits stellte er, genau wie bei Vanessa, den Grundstein für ein regelmäßiges Einkommen dar.

Während Vanessa in ihrem Geschäft alles verkaufte, was sich aus Pflanzen und Kräutern herstellen ließ, hatte sich Sven auf den unterhaltsamen Teil der Magie verlegt. Das Angebot fing mit den klassischen Rollenspielwerken und deren Zubehör an, ging über rein dekorative Kristallkugeln und endete mit Kostümen und handgefertigten mittelalterlichen Outfits. Mehr als neunzig Prozent der Kunden waren normale Personen, die ihrem Hobby nachgingen oder sich zu Halloween als Hexe, Dämon oder Zauberer verkleiden wollten. Die wenigen, die wussten, dass Sven ein Teil der magischen Kommune war, ignorierten das offen zur Schau gestellte Inventar und richteten ihre Bestellungen oder Fragen direkt und diskret an Sven.

Der Fantasyladen war einer der wenigen, die in der Stadt noch existierten, und hatte über die Jahre eine Stammkundschaft aufgebaut, die es Sven erlaubte, zwei Angestellte zu beschäftigen, die sich um die täglichen Belange des Geschäftes kümmerten.

Als Sven, Marc und Vanessa den Laden betraten, schlenderte Sven kurz hinüber zum Tresen, hinter dem einer seiner Angestellten saß. Marc und Vanessa blickten sich in dem Verkaufsraum um. Überall waren Regale mit Waren zu sehen, hier und da war ein Kunde in eines der Bücher vertieft, versuchte zu entscheiden, welche der unzähligen Würfel ihm am besten gefiel oder probierte eines der Kostüme an. Sven beendete das Gespräch mit seinem Angestellten und zu dritt begaben sie sich in den hinteren Teil des Ladens, wo sich einerseits das Lager, andererseits das Archiv befand.

Vanessa und Marc blieben stehen und besahen sich die langen Reihen der Bücher, die Sven im Laufe der Jahre gesammelt und erworben hatte. Manche davon waren Erbstücke seiner eigenen Familie, andere waren Werke, deren Ursprung sich nicht mehr zurückverfolgen ließ, und einige waren von Sven selbst verfasst worden. Mehr als zweitausend Bücher, Folianten und Schriftrollen reihten sich nebeneinander in den Regalen des kleinen Raumes. Vanessa hatte einmal gemeint, sie könne die magische Spannung, die von den Werken ausging, praktisch spüren. Auch jetzt stellten sich ihr die Nackenhaare auf, als sie an den Regalen vorbei ging.

»Warum hast du die Sachen eigentlich nicht eingescannt?«, fragte Marc, während Sven sich langsam aber sicher durch einen Index arbeitete. Ein halb belustigter, halb resignierter Blick untermalte die Antwort:

»Das hab ich mal versucht. Funktioniert nicht. Aus irgendwelchen Gründen kann man echte magische Werke nicht vervielfältigen oder einscannen. Man muss sie mit der Hand schreiben.«

»Ist vielleicht auch besser so.«

»Ah. Hier haben wir's.« Sven legte den Index beiseite, ging ein paar Schritte die Regale entlang und holte ein, im Vergleich zu den anderen, recht unscheinbares Buch heraus. Es hatte die Ausmaße eines größeren Taschenbuches und war, wie fast alle Bände, die sich in der Bibliothek befanden, per Hand geschrieben.

»Tore … Tore … «, murmelte er, während er das Inhaltsverzeichnis überflog, das er, wie Marc erkannte, als er Sven über die Schulter blickte, selbst verfasst hatte. Allein bei dem Gedanken, alle Bücher hier wenigstens einmal komplett gelesen haben zu müssen, um später einen Index zu erstellen, aus dem man auch schlau wurde, ließ ihn den Kopf schütteln.

»Tore! Tore und interdimensionale Übergänge.« Sven blättere ein wenig in dem Buch, dann las er laut weiter.

»Tore und Übergänge, öffnen: Index V.« Er blickte Marc und Vanessa an, die mittlerweile ebenfalls neben ihm stand. »Wollen wir ja nicht. Wir wollen's ja zumachen.«

»Was ist Index V?«, erkundigte sich Vanessa.

»V steht für Verboten. Ich habe alle Sachen wie Beschreibungen und Sprüche, die unter die Kategorie Schwarzmagie fallen, irgendwann mal aus den Büchern entfernt und in Extrabänden zusammengefasst. Die stehen extra gesichert da drüben.« 'Da drüben' entpuppte sich als ein mit schweren Schlössern und Stahltüren gesichertes Regal, das am anderen Ende des Raumes stand. Den Ausmaßen nach zu urteilen, beinhaltete es gut ein Viertel der kompletten Sammlung.

»Die Schließung eines Überganges zwischen den Ebenen kann nur auf zwei Arten ermöglicht werden«, las Sven unvermittelt vor. Sowohl Marc als auch Vanessa setzten sich neben ihn.

»Wer oder was auch immer für die Öffnung des Übergangs verantwortlich zeichnete, ist in der Lage, diesen auch wieder zu schließen.«

»Ich glaube nicht, dass wir diese Option allzu stark in Erwägung ziehen sollten«, meinte Vanessa trocken. Sven zuckte mit den Schultern und las weiter.

»Aus Erfahrungen wissen wir, dass das Schließen dieser Übergänge von dieser Seite aus nur erfolgreich unternommen werden kann, wenn sich ein kompletter Zirkel eben diesem Ziel verschrieben hat. Eine geringere Anzahl von Magiern wird an dieser Aufgabe unweigerlich scheitern.« Er stockte, blickte auf die Seite, blätterte ein wenig und schlug die Fußnote nach, auf die am Ende des Textes verwiesen wurde. Dann verdrehte er die Augen und meinte: »Es sei denn, man kennt zufällig einen Siluvinum.«

»Einen was?«, fragte Marc.

»Siluvinum«, meinte Vanessa nachdenklich. »Nimi hat mir mal davon erzählt.« Sie dachte kurz nach, schüttelte dann aber mit dem Kopf und blickte Sven hilfesuchend an.

»Ein Siluvinum oder eine Siluvina ist … ein Art Fabelwesen.« Sven dachte kurz nach. »Alle paar tausend Jahre kommt es dazu, dass ein Magier mit außergewöhnlicher Kraft geboren wird. Quasi ein Magier hoch drei. Sehr mächtig und, wie schon gesagt, sehr selten. Die letzten Erwähnungen eines solchen Ereignisses liegen mehr als viertausend Jahre zurück. Und ich bin nicht sicher, ob es sich bei der Schilderung um Fakten oder um Legenden handelt.«

Er wandte sich wieder dem Text zu und las weiter: »Darüber hinaus wurde oftmals beobachtet, dass die Risse oder Übergänge nach den gescheiterten Versuchen größer waren als zuvor. Ein spezielles Ritual ist nicht vonnöten, außer der Harmonie innerhalb des Zirkels und der korrekten Zeichnung beziehungsweise Darstellung der erforderlichen Symbole. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, so wird auch bei dem Vorhandensein eines vollen Zirkels das Ziel nicht oder nur schwerlich erreicht werden.«

Sven wandte den Blick vom Buch ab und blickte erst Vanessa, dann Marc an. Zwei konsternierte Blicke trafen ihn und bestätigten das, was er bereits glaubte, aus den wenigen Zeilen herausgelesen haben.

»Wir sitzen tief in der Scheiße.«

»Was ist denn genau das Problem?«, fragte Sven, nachdem beide keine Anstalten gemacht hatten, Vanessas letzte Äußerung auszuführen. Vanessa benutzte selten Kraftausdrücke, aber irgendwie schien es Sven, nicht zuletzt ob Marcs Gesichtsausdruck, dass sie gerade eine himmelschreiende Untertreibung von sich gegeben hatte.

»Ein kompletter Zirkel?« Marc Stimme hatte einen hohlen Klang. »Wir reden hier von mindestens sechs Leuten. Eher neun. Und die müssen auch noch wissen, was sie tun.«

Sven blickte schweigend von Marc zu Vanessa. Sie hatte sich auf einen der Stühle gesetzt, die Stirn in Falten gezogen und starrte ein Loch in die Luft.

»Es muss doch möglich sein, vier Magier zu finden. Oder?«

Marc blickte Sven mitleidig an.

»Die vier Magier sind unser kleinstes Problem. Allerdings wird das schon schwer genug. Offiziell beträgt die magische Kommune in dieser Stadt sechs Leute. Und davon war Nadja eine.«

»Und dann ist es auch nicht nur damit getan, einen Haufen Magier zusammenzuwürfeln«, erläuterte Vanessa. »Es muss zumindest eine gewisse Harmonie innerhalb des Zirkels existieren. Und nicht nur, was das Thema Magie angeht. Es muss auch ein persönlicher Zusammenhalt bestehen. Es muss ein gemeinsames Ziel existieren. Es dauert eine Zeit, bis man so eine Versammlung überhaupt zustande kriegt. Falls das überhaupt einmal gelingt. «

»Oh.«

Schweigend saßen sie in dem kleinen Raum und dachten nach. Schließlich fragte Sven:

»Was ist mit den anderen? Du hast gesagt, es gäbe sechs Personen.«

Marc gab ein Grunzen von sich und lachte. Die einzige Gefühlsregung, die dieser letzten Äußerung fehlte, war Humor. Er schüttelte den Kopf.

»Wir haben mal vor ein paar Jahren zur Walpurgisnacht den Versuch gestartet, so etwas wie einen informellen Zirkel zu bilden.« Noch bevor Vanessa weiter redete, wusste Sven, wie dieser Versuch ausgegangen war.

»Es ist … nicht so toll gelaufen, um es mal vorsichtig auszudrücken.«

Marc lachte. »So kann man es auch ausdrücken«, meinte er. »Zwei der drei Frauen sind heulend aus dem Raum gelaufen, und die dritte wollte mir eine reinhauen.«

»Was hast du gemacht?«, wollte Sven wissen.

»Ich war ehrlich. Ich habe ganz einfach gesagt, wie meine Überzeugungen und Einstellungen gegenüber der Magie lauten und was ich von denen der anderen Anwesenden halte.«

Sven überlegte einen Augenblick, ob er das Thema weiterverfolgen sollte. Es könnte interessant werden zu hören, was Marc seinerzeit wirklich gesagt hatte, aber er kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass Diplomatie nicht eben zu seinen allergrößten Stärken gehörte. Was Marc als 'ehrlich' bezeichnete, wurde von seinen Gesprächspartnern nur allzu oft als schroff, unhöflich und taktlos wahrgenommen. Vanessas mürrischer Blick von der anderen Seite bestätigte ihn darin, das Thema besser ruhen zu lassen.

»Okay«, meinte er satt dessen. »Dann müssen wir halt auf andere Weise welche finden.«

»Ach ja? Super. Und was willst du machen?«, fragte Marc. »Eine Zeitungsannonce aufgeben?«

»Was ist mit deinen Kunden?«, fragte Sven, an Vanessa gewandt. Sie schenkte ihm einen erstaunten Blick, dann überlegte sie.

»Da sind ein paar, von denen ich glaube, dass sie talentiert sind. Ich glaube aber nicht, dass – «

»Haben wir eine Wahl?« Sven blickte Vanessa vielsagend an und ermunterte sie mit Blicken, weiter zu reden.

»Rebecca vielleicht«, überlegte sie laut. »Die Kleine hat definitiv Talent. Ihre beiden Freundinnen kann ich nicht einschätzen. Dafür habe ich sie nicht oft genug gesehen.«

»Becky?« Marc blickte erstaunt. »Die Kleine mit den braunen Haaren, die so rumläuft, als ob sie zu oft 'Die kleine Hexe' gelesen hat? Ich bitte dich! Außerdem ist es die, die mir eine reinhauen wollte.«

»Das ist drei Jahre her. Da war sie fünfzehn«, wandte Vanessa ein. Dann überlegte sie weiter. »Hm. Okay«, meinte sie schließlich. »Zugegeben, sie ist ein bisschen auf der esoterischen Seite zu verorten, aber – «

»Die ist doch auf irgendeinem Trip hängen geblieben! Und von ihren beiden Freundinnen möchte ich gar nicht erst anfangen.«

»Ich sage es euch ungern«, meinte Sven, »aber wir können es uns nicht leisten, wählerisch zu sein. Wir haben ein Zeitproblem.«

»Inwiefern?«

Sven überlegte, blickte auf die lange Reihe von Büchern hinter sich, überlegte es sich dann jedoch anders.

»Es gibt nur wenige Personen, die überhaupt in andere Dimensionen gelangt sind. Und noch viel weniger sind wieder zurück gekommen. Alle Berichte, die ich gelesen habe, stimmen jedoch darin überein, dass die Zeit dort anders vergeht als hier.«

»Wie jetzt?« Vanessa blickte verwirrt.

»Während hier zwei Tage vergehen, ist es möglich, dass dort, wo Nadja ist, mehrere Wochen ins Land gehen. Es kann genauso gut anders herum sein, aber bisher haben alle Berichte, die existieren, ausgesagt, dass es sich in den … Sphären, in denen sich Dämonen aufhalten, genau so verhält.«

»Was heißt das für Nadja?«, fragte Marc, obwohl er die Antwort bereits ahnte.

»Jede Stunde, die hier vergeht, ist ein Tag, vielleicht auch eine Woche dort, wo Nadja ist. Vielleicht auch nur eine Stunde und zehn Minuten. Der Punkt ist, auch, wenn wir alle wissen, wie stark sie ist, wird sie das nicht ewig aushalten. Wir müssen uns beeilen.«

»Was haben wir sonst für Möglichkeiten?«

»Ich weiß nicht«, gab Marc offen zu. Er hatte sich in Vergangenheit nie sonderlich intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt, wie ihm schmerzlich bewusst wurde. Vanessa auf der anderen Seite hatte eine Spezialisierung in ihrem Beruf erlangt, die es fast unnötig machte, von sich aus mit anderen Magiern in Kontakt zu treten. Es lief meistens genau anders herum ab.

»Du hast recht«, nickte Marc seiner Schwester zu. »Wir sitzen tief in der Scheiße.«

»Nur mal so aus Neugier«, unterbrach Vanessa das brütende Schweigen schließlich. »Wie teuer ist so eine Zeitungsannonce eigentlich?«

Magische Bande

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