Читать книгу Magische Bande - Dennis Blesinger - Страница 9

6

Оглавление

Marc starrte ein Loch in die Luft, während Vanessa in der Küche herumwerkelte. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihren Bruder in seiner momentanen Laune auch nur anzureden. Sven, der bei familiären Situationen nicht ganz so viel Erfahrung mit Marc hatte, versuchte es dennoch.

»Hast du als Kind nie gegen Regeln verstoßen?«, fragte er. »Ich will euch nicht in die Erziehung von Nadja reinreden«, meinte mit erhobenen Händen, als er Marcs Blick bemerkte, »aber glaubst du nicht, dass du vielleicht ein wenig überreagierst?«

»Ach ja? Ich will dir mal was sagen. Als meine Eltern mich dabei erwischt haben, dass ich gegen eine ihrer Regeln verstoßen habe, haben die mir sechs Wochen Hausarrest aufgebrummt und mir einen Fluch angehängt, der sechs Monate lang meine Fähigkeiten unterdrückt hat. Und da war ich zehn!«

»Ähm, da mag ja richtig sein«, erklang Vanessas Stimme vom Türrahmen her. »Aber du hast damals fast jemanden in Brand gesteckt. Das ist ein bisschen was anderes, als sich unerlaubt auf eine Party zu schleichen.«

»Ich schwöre bei Gott, wenn die Kleine hier auftaucht, dann reiße ich ihr dermaßen – «

Das Brummen und Klingeln seines Handys verhinderte, dass Marc sich in ausführlichen Darstellungen der Bestrafung seiner kleinen Schwester erging. Mit einem missgelaunten Blick schaute er auf das Display. Gleich darauf verschwand seine schlechte Laune und wurde von ehrlicher Überraschung ersetzt.

»Du hast echt Nerven, hier anzurufen!«, beantwortete er den Anruf und legte das Telefon vor sich auf den Tisch, so dass Sven und Vanessa mithören konnten. »Kannst du mir vielleicht mal – «

»Marc, es tut mir leid!«, erklang Nadjas gehetzte Stimme aus dem Lautsprecher. »Ihr müsst mir helfen! Ich bin … ich glaub', ich hab echt Mist gebaut. Hier ist ein Dämon und der hat … der hat Leute umgebracht! Ich … oh scheiße!«

Irgendetwas schepperte und krachte im Hintergrund. Ein spitzer Schrei war zu hören, von dem alle wussten, dass er von Nadja stammte. Ein Grunzen oder vielleicht auch ein Knurren war zu hören und andere Geräusche, aus denen keiner der drei Zuhörer schlau wurde.

»Nadja, was ist los?«, rief Vanessa. »Wo bist du?«

»Hat sie gerade Dämon gesagt?« Marcs Mimik spiegelte sowohl Unglaube als auch Entsetzen wider. Die Kampfgeräusche hielten an, während sie versuchten, Nadja dazu zu bringen, ihnen zu sagen, was los war und wo sie sich befand. Keine Antwort war zu hören, nur weiteres Poltern und das wiederholte Grunzen von etwas, das keiner der drei einordnen konnte.

»Ich weiß, wo sie ist.«

Marc und Sven drehten sich zu Vanessa um, die mit geschlossenen Augen da stand und sich scheinbar auf etwas konzentrierte, das sich nicht im Raum befand. Einige Sekunden vergingen, als plötzlich ein kleiner grüner Funke vor Vanessa erstrahlte. Einen Augenblick lang hing er in der Luft, dann schwebte er langsam von ihr weg in Richtung Haustür. Vanessa öffnete die Augen und blickte dem Licht hinterher, das gerade dabei war, durch die Tür zu verschwinden.

»Sie ist ganz in der Nähe«, meinte sie und schritt entschlossen dem Licht hinterher. Marc und Sven brauchten eine Sekunde, um sich von ihrer Überraschung zu erholen, dann folgten sie ihr.

Bei jeder Fahrprüfung wäre Marc mit Pauken und Trompeten durchgefallen, so wie er den Wagen schließlich halb auf der Straße zum Stehen brachte. Sie waren dem grünen Licht weniger als fünf Minuten lang gefolgt, als es schließlich vor einem leicht heruntergekommenen Einfamilienhaus zu Stehen gekommen und dann erloschen war. Dass andere das Licht hätten sehen können, interessierte weder Vanessa noch Marc. Sie standen vor dem Grundstück und blickten auf das Haus, in dem sich, Vanessas Findezauber zufolge, Nadja aufhalten musste.

Marc steckte das Handy ein, das er die ganze Zeit über angeschaltet gelassen hatte. Er wusste, dass die andauernde Präsenz des Lichtes besagte, dass Nadja zumindest noch lebte, andernfalls wäre es bereits auf dem Weg hierher erloschen. Die Geräusche und die andauernden panischen Rufe von Nadja, die aus dem kleinen Lautsprecher drangen und nach wie vor auf eine Art Kampf hindeuteten, trugen jedoch zusätzlich zu ihrer aller Beruhigung bei.

»Was machen wir jetzt?«, fragte Vanessa ratlos. »Was ist, wenn da drin wirklich sowas wie ein Dämon ist?«

Anstatt einer Antwort ging Marc um den Wagen herum, öffnete den Kofferraum und holte ein Brecheisen hervor, das er kurz in der Hand wog. Sie nickten, dann schritten sie nebeneinander auf die Tür zu. Dort angekommen, legte Vanessa kurz die Hand an den Türrahmen. Noch bevor die Haut das Holz vollständig berührt hatte, sprang sie entsetzt einen halben Meter zurück und blickte mit großen Augen auf die Tür.

»Ich weiß nicht, ob das reicht«, meinte sie mit einem Blick auf das Brecheisen in Marcs Hand. »Ich habe noch nie so viel negative Aura auf einem Fleck erlebt.«

Vorsichtig öffnete Marc die Tür.

Ein Blick in den Flur und das daran angrenzende Wohnzimmer offenbarte, dass der Kampf sich nicht weiter auf den Keller beschränkte. Überall lagen zerbrochene und zersplittere Teile der Einrichtung herum, Spiegelscherben bedeckten den Boden und ein metallischer Geruch hing in der Luft, der unangenehm in der Nase stach.

Ein Scheppern erklang aus dem Wohnzimmer, gefolgt von dem schon bekannten Knurren. Dann hörten sie Nadjas Stimme.

»Ich hab noch mehr davon, pass bloß auf!«

Wieder schepperte es und Splitter flogen durch die Gegend, als Nadja ihre Geschosse durch den Raum warf und, der Reaktion nach zu urteilen, mindestens einen Treffer landete.

Für einen Augenblick erhaschten sie einen Blick auf das, was Nadja sich vom Leib zu halten versuchte. Mit viel Fantasie hätte man es als Mensch bezeichnen können, allerdings waren die graue Farbe der Haut, die durchgehend roten Augen und die sich windenden Verformungen, die mittlerweile sogar durch die Kleidung hindurch sichtbar waren, für alle ein deutliches Zeichen dafür, dass sie es hier nicht mit einem normalen Menschen zu tun hatten. Marc spürte, wie sich Vanessa neben ihm versteifte und ihr ein entsetztes Keuchen entfuhr. Wortlos drehte sie sich zu ihm um und schüttelte den Kopf. Was immer dieses Ding auch war, es haftete ihm nichts menschliches an.

Vielleicht hatte das Ding Vanessas Keuchen gehört, vielleicht hatte es ihre Gegenwart auf einer anderen Ebene wahrgenommen. Auf jeden Fall hielt es plötzlich in der Bewegung inne und drehte sich langsam zu ihnen um. Marc entspannte sich und trat einen Schritt in den Raum hinein, jetzt, da die Notwendigkeit der Heimlichkeit nicht mehr gegeben war.

Ein kurzer Blick zeigte ihm, dass Nadja sich hinter einem Tisch verschanzt hatte und alles, was sich in der Vitrine neben ihr befand, als Wurfgeschoss verwendete, um sich ihren Gegner vom Leib zu halten. Mehrere Kratzer und kleinere Wunden waren auf ihren Armen und im Gesicht zu sehen, jedoch schien sie nicht ernsthaft verletzt zu sein.

Ihr Gegner sah weniger intakt aus. Mehrere klaffende Wunden zeugten davon, dass Nadja bei ihren Wurfgeschossattacken mehrere Treffer gelandet hatte. Allerdings wurde Marc das Gefühl nicht los, dass keine der Wunden, so offensichtlich sie auch waren, irgendeine Wirkung zeigte. Er hatte den vagen Eindruck, als ob das Ding mit Nadja spielte. Der Blick, den Nadja ihnen zuwarf und die darin liegende Erleichterung ließen ihn für eine Sekunde vergessen, wie wütend er auf sie war. Er nickte ihr beruhigend zu und bedeutete ihr, wieder in Deckung zu gehen.

Ohne ein Wort miteinander zu wechseln, betraten Vanessa und Sven das Zimmer und stellten sich in einem lockeren Halbkreis neben ihn.

Jetzt, wo sie Zeit und einen freien Blick hatten, war es noch offensichtlicher, dass dieses Ding, das vor ihnen stand, kein Mensch war. Blasen schlängelten sich unter der Haut entlang, liefen den Körper auf und ab, als ob etwas Fremdes innerhalb des Körpers versuchte, einen geeigneten Platz zu finden.

»Verpiss dich«, rief Marc seinem Gegenüber zu. »Du bist hier nicht erwünscht. Geh dahin zurück, wo du hergekommen bist.«

Die Schnelligkeit, mit der ihr Gegner die wenigen Meter überbrückte, war ebenso unmenschlich wie der Rest an ihm. Noch ehe Marc mit dem Brecheisen zum Schlag ausgeholt hatte, schloss sich eine Hand um seine Kehle und er wurde mit Wucht gegen die Wand geschmettert. Unfähig, auch nur einen Laut von sich zu geben, kämpfte Marc gegen den Griff an. Er fühlte, dass er gleich ohnmächtig werden würde. Er konnte nicht atmen und der Griff schnürte ihm die Blutzufuhr ab. Dann, als er bereits begann, Sterne vor den Augen zu sehen, schleuderte der Kopf seines Gegners ruckartig zur Seite, und der Griff löste sich. Keuchend rappelte Marc sich auf und sah, wie Sven auf den am Boden liegenden Dämon blickte, in der Hand das Brecheisen, das Marc entglitten war.

Trotz der klaffenden Kopfwunde, die sein Schlag verursacht hatte, begann sich der Körper auf dem Boden wieder zu regen. Ohne dass er die Verletzung in irgendeiner Art und Weise zu bemerken schien, stand der Dämon langsam auf und wandte sich nun Sven zu, der mit einem erschrockenen Aufschrei zurückwich, während er das Eisen wie ein Schild fest umklammerte und vor sich hielt. Ebenso wie bei Marc war er jedoch nicht auf die Geschwindigkeit vorbereitet, mit der ihr Gegner angriff. Noch bevor er eine Bewegung machen konnte, traf ihn der Schlag mit voller Wucht gegen den Oberkörper und ließ ihn mehr als einen Meter durch die Luft fliegen, bevor er hart auf dem Fußboden landete.

Jetzt jedoch waren zwei der Gegner im Rücken des Dämons. Vanessa, die gerade aus der Küche kam und eine gusseiserne Bratpfanne in den Händen hielt, hielt kurz inne und orientierte sich. Dann warf sie Marc die Pfanne zu und hob den Kuhfuß auf, der Sven aus der Hand gefallen war. Gleichzeitig und ohne ein weiteres Wort gingen sie zum Angriff über.

Erschöpft ließ Marc die Pfanne auf den Boden fallen, wo sie mit einem schmatzenden Geräusch aufschlug. Neben ihm wandte Vanessa sich ab, um das Ergebnis der letzten dreißig Sekunden nicht länger ansehen zu müssen.

Von den Schulterblättern aufwärts war nur noch Brei von dem übrig, was einmal ein Kopf gewesen war. Marc blickte an sich hinunter und wischte angeekelt kleine Stücke Hirnmasse und Knochensplitter von seiner Jacke, gab es dann aber schnell auf. Sowohl er als auch Vanessa waren von Kopf bis Fuß mit den Spuren der vergangenen Auseinandersetzung bedeckt. Es würde Tage brauchen, bis sie alles rausgewaschen hatten. Es brauchte eine Weile, bis sich sein Atem beruhigt und er zum ersten Mal Zeit hatte, sich in Ruhe im Zimmer umzublicken. Er wünschte, er hätte es nicht getan.

Überall lagen Utensilien herum, die jeder, der sich mit der Materie der Zauberei befasste, sofort als schwarzmagische Artefakte identifizieren konnte. Amulette, Bücher, Schriftrollen und noch vieles andere hingen an den Wänden oder lagen auf dem Boden und dem Tisch, hinter dem Nadja Schutz gesucht hatte. Sie konnten von Glück sagen, wenn das eben der einzige Dämon gewesen war, der hier sein Unwesen trieb.

Während Vanessa sich durch die Trümmer der Einrichtung zu Nadja durchkämpfte und sie in den Arm nahm, zog Marc es vor, sich im Moment noch nicht mit dem eigentlichen Grund ihres Aufenthaltes zu beschäftigen. Ein kurzer Blick hatte ihm gezeigt, dass die Kleine zwar einige Kratzer, ein paar Prellungen und dergleichen abbekommen hatte, aber ansonsten wie durch ein Wunder unverletzt geblieben war. Er schwankte kurz zwischen dem Verlangen, es Vanessa gleichzutun, und dem, seine kleine Schwester hier und jetzt windelweich zu schlagen.

»Riechst du das?«

Sven schüttelte die letzten Reste der Benommenheit ab, die sein Sturz verursacht hatte, als er neben Marc trat. Marc nickte. Der stechende Geruch von Metall war während der letzten Minuten ins Hintertreffen geraten, was die Sinneseindrücke betraf. Jetzt aber, wo sie Zeit hatten, sich neu zu justieren, dominierte dieser spezielle Geruch alles andere. Ohne ein Wort zu sagen, drehten sich beide Männer um und gingen die wenigen Schritte zurück in den Flur, von dem aus die Kellertreppe hinabführte. Der Geruch wurde stärker.

»Wollen wir wirklich wissen, was da unten ist?«

»Nein. Nicht wirklich.«

Marc voran, schritten sie zusammen die Treppen hinunter.

Magische Bande

Подняться наверх