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1. Anhörung als Voraussetzung der Verdachtskündigung
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Bei Internal Investigations stehen meist strafrechtliche- oder Compliancethemen im Vordergrund. Es geht den Ermittlern primär darum, aus dem Unternehmen begangene Straftaten aufzuklären und langwierige behördliche Verfahren zu vermeiden. Die internen Ermittler sind meist die internen Revisoren oder externe Berater wie Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer. Regelmäßig wird (erst) während oder nach Abschluss der Ermittlungen über arbeitsrechtliche Konsequenzen nachgedacht. Neben dem Ziel der strafrechtlichen Überführung und der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche sollte der interne Ermittler aber schon früh eine arbeitsrechtliche Besonderheit bedenken. Arbeitsrechtlich wird zwischen der Tat– und der Verdachtskündigung unterschieden.[1] Das Arbeitsrecht billigt dem (verletzten) Arbeitgeber das Privileg zu, trotz des letzten fehlenden Nachweises kündigen zu können. Der Arbeitnehmer kann – für den Strafrechtler schwer verständlich – seinen Arbeitsplatz verlieren, obwohl letzte Zweifel an seiner Verfehlung bestehen. Die Kündigung ist aber entgegen vielfachem Fehlverständnis keine „Strafe“. Die Kündigung als solche „bestraft“ nie vergangenes Tun, sondern wird gerechtfertigt durch die Wiederholungsgefahr in der Zukunft. Kein Arbeitgeber soll mit einem Arbeitnehmer zusammenarbeiten müssen, bei dem er befürchten muss, schwerwiegend geschädigt zu werden. Die eigentliche Rechtfertigung der Verdachtskündigung ist daher die Wiederholungsgefahr. Die Verdachtskündigung verstößt deshalb auch nicht gegen die in Art. 6 Abs. 2 MRK verankerte Unschuldsvermutung.[2]
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Die Hürden für eine (erfolgreiche) Verdachtskündigung sind entsprechend hoch. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört.[3] Der Verdacht muss (1) auf objektiven Tatsachen beruhen, (2) die hohe Wahrscheinlichkeit der Verfehlung muss die weitere Zusammenarbeit unzumutbar machen und (3) der Arbeitgeber muss den Sachverhalt aufzuklären versuchen, mindestens den Arbeitnehmer anhören.[4] Verständlicherweise muss die vermutete Verfehlung ein gewisses Gewicht haben, im erwiesenen Fall müsste sie eine Kündigung rechtfertigen können.
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Abzulehnen sind Tendenzen der Rechtsprechung, den anzuhörenden Arbeitnehmer mit Rechten wie den Beschuldigten im Strafverfahren auszustatten. Teilweise wird verlangt, dass dem Arbeitnehmer in der Einladung der Gegenstand des Gespräches mitgeteilt und die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes ermöglicht werden müsse.[5] Sogar die Beweismittel soll der Arbeitgeber im Einzelnen benennen müssen, um dem Arbeitnehmer allein den Angriff auf die Beweismittel zu ermöglichen.[6] Nachvollziehbar erscheint noch, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht über den Inhalt des Gespräches täuschen sollte, also nicht bewusst zu einem falschen Thema einlädt, etwa zu einem allgemeinen Personalgespräch wegen der Übernahme zusätzlicher Schichten.[7] Es muss aber reichen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ohne Angabe irgendeines Grundes zu einem Gespräch bittet. Der dolose Arbeitnehmer weiß dann, worum es gehen kann, der Unschuldige kann sich auch ohne Vorbereitung ausreichend einlassen. Dem Arbeitgeber muss aber die Möglichkeit verbleiben, die Reaktion des verdächtigten Mitarbeiters auf Vorhalte zu beurteilen, ohne dass dieser vorher mit seinem Anwalt eine Verteidigungsstrategie entwickeln konnte. Jeder Richter beurteilt die Glaubwürdigkeit eines Zeugen auch an dessen spontanen Reaktionen, an Erröten, Schweigen, Stottern etc. Die Würdigung dieser Reaktionen muss auch dem Arbeitgeber in einer Anhörung erlaubt sein.
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Klargestellt hat das BAG, dass ein 21-jähriger Auszubildender zum Bankkaufmann, dem ein Kassenfehlbestand vorgeworfen wird, nicht über den beabsichtigten Gesprächsinhalt vor Durchführung der Anhörung unterrichtet werden muss.[8] Dies folge insbesondere nicht aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör, da Art. 103 Abs. 1 GG nur die Gerichte binde. Die vorherige Mitteilung des Gesprächsthemas gebe dem Auszubildenden zwar die Möglichkeit der Vorbereitung, nehme ihm aber die Chance, sich möglichst unbefangen mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen und möglicherweise schon mit seiner spontanen Reaktion eine Entlastung herbeizuführen.[9] Allerdings kann es im Einzelfall geboten sein, bei einem sichtlich überforderten Auszubildenden auf dessen Wunsch hin die Anhörung zu unterbrechen und einen Fortsetzungstermin anzuberaumen. Auch könne eine Unterbrechung notwendig werden, wenn der Auszubildende die Beratung mit einer Vertrauensperson verlange. Eine dahingehende Hinweispflicht besteht für den Ausbildenden hingegen nicht.[10]
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Auch wenn die Entscheidung ein Berufsausbildungsverhältnis betrifft, so kann im Arbeitsverhältnis doch nichts grundlegend Abweichendes gelten. Entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalles. Sollen in der Anhörung umfangreiche Sachverhalte geklärt werden, kann eine Vorbereitung durch den verdächtigten Arbeitnehmer sinnvoll sein. Soll unter mehreren Verdächtigen eine Tatbeteiligung geklärt werden, empfiehlt es sich, dem BAG folgend, das Thema im Vorhinein gerade nicht mitzuteilen und die spontanen Reaktionen genau zu dokumentieren.
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Die Einladung zur Anhörung kann mündlich, schriftlich oder elektronisch erfolgen. Ist damit zu rechnen, dass sich der Arbeitnehmer gar nicht äußern wird oder ist er arbeitsunfähig erkrankt, empfiehlt sich die Zustellung des Einladungsschreibens durch einen Boten, der den Text des von ihm überbrachten Schreibens kennen muss. Zu Beweiszwecken empfiehlt es sich, dass der Bote auf einer Kopie der Einladung handschriftlich vermerkt, wann und wo er das Schreiben übergeben oder in den Hausbriefkasten eingeworfen hat. Einwurfeinschreiben haben demgegenüber den Nachteil, dass sie nicht beweisen können, welchen Inhalt das Schreiben hatte, von Rückscheineinschreiben ist allgemein abzuraten. Sie werden vom nicht angetroffenen Empfänger oftmals nicht abgeholt und gehen dann an den Absender zurück.
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Es besteht auch die Möglichkeit, den Arbeitnehmer statt der Einladung zu einem persönlichen Gespräch gleich schriftlich anzuhören. Das BAG hat klargestellt, dass an eine solche schriftliche Anhörung keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen, insbesondere nicht das Niveau einer Betriebsratsanhörung erreicht werden müsse.[11] Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen und dem Arbeitnehmer die Möglichkeit geben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen zu bezeichnen und so zur Aufklärung beizutragen.[12] Die Anhörung vor der Verdachtskündigung sei dagegen nicht dazu da, als verfahrensrechtliches Erschwernis die Aufklärung zu verzögern und die Wahrheit zu verdunkeln. Es reicht also eine einfache Schilderung des Vorwurfs mit Angabe der Art des Vorwurfs und Ort und Zeitpunkt der Verletzungshandlung aus. Ist dem Arbeitnehmer ein Durchsuchungsbeschluss bekanntgegeben worden, kann der Arbeitgeber darauf Bezug nehmen.[13] Allerdings wird die Kenntnis seines Strafverteidigers dem Arbeitnehmer nicht zugerechnet.[14] Es reicht also nicht aus, dass der Verteidiger Akteneinsicht hatte. Die (allein) schriftliche Anhörung sollte aber auf Fälle beschränkt bleiben, in denen der Arbeitnehmer nicht greifbar ist oder ein sehr einfacher Sachverhalt vorliegt. Nur in einem persönlichen Gespräch kann der Arbeitgeber spontane Reaktionen auf Vorhalte werten, sich der Arbeitnehmer in Widersprüche verwickeln und dessen Gefühlsregungen beurteilt werden. Dies kann einen Verdacht entkräften oder aber eben auch verstärken. Dieser Erkenntnismöglichkeiten sollten sich die internen Ermittler und der Arbeitgeber nicht begeben.
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Die außerordentliche Kündigung kann nach § 626 Abs. 2 BGB nur innerhalb einer Frist von 2 Wochen ab Kenntnis von den die Kündigung begründenden Tatsachen erfolgen. Entscheidend ist die Kenntnis eines zur Kündigung Berechtigten. Insofern ist es für den internen Ermittler, bspw. für die interne Revisionsabteilung oder den ermittelnden externen Berater, eine entscheidende Frage, ab wann er Vorstand/Geschäftsführung informiert. Um sich spätere Diskussionen über die Zweiwochenfrist zu ersparen, sollte die Information erst zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem der Verdacht weitgehend erhärtet ist. Die Information sollte in Form eines Vermerkes oder einer Mail auch hinsichtlich ihres Zeitpunktes dokumentiert werden. Der interne Ermittler sollte im Hinblick auf die Zweiwochenfrist spätestens zu diesem Zeitpunkt den Personalleiter in seine Information einbeziehen und idealerweise auf die ab dann laufende Frist für arbeitsrechtliche Maßnahmen hinweisen. Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, kann sich der Kündigungsberechtigte am Fortgang des Strafverfahrens orientieren. Er kann jedoch nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt während des laufenden Strafverfahrens außerordentlich kündigen. Für den gewählten Zeitpunkt muss es einen sachlichen Grund geben. Sachlicher Grund können etwa neue Tatsachen oder neue Beweismittel aus den Ermittlungsakten sein, wodurch der Kündigungsberechtigte nunmehr einen – neuen – ausreichenden Erkenntnisstand für eine Kündigung zu haben glaubt.[15] Weitere mögliche Zeitpunkte sind Anklageerhebung oder Verurteilung. Selbst ein Freispruch hindert den Ausspruch einer Verdachtskündigung nicht, wenn dieser nur wegen „letzter – geringer – Zweifel“ erging.[16] Nur bei einem Freispruch wegen „erwiesener Unschuld“ fehlt der Verdachtskündigung endgültig die Grundlage.
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Die Anhörung muss innerhalb einer angemessenen Frist, i.d.R. einer Woche, erfolgen.[17] Wird diese Frist gewahrt, ist die zweiwöchige Kündigungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB bis zum Abschluss der Anhörung gehemmt.[18] Der mit der beabsichtigten Anhörung verbundene Fristaufschub entfällt auch dann nicht, wenn der Arbeitgeber das ergebnislose Verstreichen der Frist zur Stellungnahme für den Arbeitnehmer zum Anlass nimmt, nunmehr auf dessen Anhörung zu verzichten.[19] Findet die Anhörung dagegen erst nach Ablauf der Wochenfrist statt, obwohl das Gespräch auch früher hätte erfolgen können, beginnt die Frist bereits mit Kenntnis des Arbeitgebers bzw. der kündigungsberechtigten Person.
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Bei internen Ermittlungen wird der Ablauf regelmäßig so sein, dass die Ermittler den Sachverhalt vor allem auf dolose Handlungen hin aufzuklären versuchen. Arbeitsrechtliche Aspekte stehen dabei (zunächst) nicht im Fokus. Die Ermittler sind keine kündigungsberechtigten Personen. Haben Sie den dolosen Mitarbeiter eingehend befragt und teilen danach den Verdacht dem Arbeitgeber mit, stellt sich die Frage, ob der Mitarbeiter damit durch die Ermittler bereits angehört wurde. Auch wenn sich der verdächtige Mitarbeiter gegenüber den Ermittlern weitgehend eingelassen hat, ist dem Arbeitgeber zu raten, den Mitarbeiter vor Ausspruch einer Verdachtskündigung erneut anzuhören. Die Situation in einem Ermittlergespräch muss nicht dieselbe wie in einem Anhörungsgespräch sein. Erst im Anhörungsgespräch, bei dem sich der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber gegenüber sieht, muss ihm klar werden, dass es um den Bestand des Arbeitsverhältnisses geht. Auch nach umfangreichen Ermittlungsgesprächen sollte daher der kündigungsberechtigte Vertreter, seien es Personalchef(in) oder Vorstand/Geschäftsführung, den Arbeitnehmer in der dargestellten Weise anhören.
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Meldet sich der Arbeitnehmer nicht, kommt er trotz zugegangener Einladung unentschuldigt nicht zum Anhörungsgespräch oder teilt er mit, sich nicht äußern zu wollen, ist dem Anhörungserfordernis Genüge getan, die Verdachtskündigung kann übergeben werden. Weitgehend ungeklärt ist, wie der Arbeitgeber mit Verzögerungstaktiken umzugehen hat. In der Praxis ist es nicht selten, dass sich für den Arbeitnehmer ein Anwalt meldet, der den vorgeschlagenen Termin wegen anderweitiger Termine nicht wahrnehmen kann oder selbst einen zweiten Termin wieder kurzfristig absagen muss. Ist die Einladung zur Anhörung unmittelbar nach Kenntnis vom Verdacht für ein Gespräch innerhalb der Wochenfrist erfolgt und schlägt der Arbeitnehmer einen späteren Termin vor, kann die Wochenfrist überschritten werden.[20] Ist der Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht nur zu einem persönlichen Gespräch, sondern längerfristig auch an einer schriftlichen Stellungnahme auf ihm übermittelte Fragen verhindert, hat der Arbeitgeber die Wahl. Er kann die Genesung bei Hemmung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB abwarten oder ohne Stellungnahme des Arbeitnehmers eine Verdachtskündigung aussprechen. Der Vorwurf der unterlassenen Anhörung kann ihm dann nicht gemacht werden.[21] Verzögert der Arbeitnehmer ohne nachvollziehbare Gründe das Anhörungsverfahren, ist dem Arbeitgeber eine erste außerordentliche Kündigung ohne Anhörung und eine zweite außerordentliche Kündigung nach erfolgter Anhörung zu empfehlen. Überhaupt lassen viele Arbeitgeber bzw. ihre Berater die Chance ungenutzt, vorsorgliche weitere Kündigungen auszusprechen. Gerade während eines internen Ermittlungsverfahrens kann sich der Verdacht durch neue Erkenntnisse, Einlassungen der Mitarbeiter oder Beweismittel so verstärken, dass die Verdachtskündigung ab einem späteren Zeitpunkt erfolgversprechender wird. Dies kann dazu führen, dass eine frühere Verdachtskündigung von den Gerichten nicht, eine weitere spätere aber schließlich akzeptiert wird.
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Die Anhörung hat an einem geeigneten Ort, regelmäßig in einem Büroraum des Arbeitgebers ohne äußere störende Einflüsse stattzufinden. Lehnt der Arbeitnehmer dies ab, kann die Anhörung aber auch an einem geeigneten neutralen Ort erfolgen, etwa in einem Café.[22] Manche interne Revisoren führen Befragungen bei schweren Delikten ausschließlich in Erdgeschossräumen durch, um Suizidgefahren zu begegnen (vgl. dazu Rn. 96).
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Die Anhörung sollte durch Personalabteilung oder einen externen Berater schriftlich dokumentiert und anschließend (zumindest) von den Arbeitgebervertretern unterzeichnet werden. Im Protokoll sollten Widersprüche des angehörten Arbeitnehmers oder auffällige Gefühlsregungen ausdrücklich erwähnt werden. Kann sich der Mitarbeiter zwar an alle Einzelheiten seines Tagesablaufes am Tattag erinnern, aber nicht mehr an das Wetter dieses Tages, gehört auch dieser Widerspruch in das Protokoll. Hilfreich ist auch die abschließende und ins Protokoll aufzunehmende Frage, ob der Arbeitnehmer noch ergänzende Anmerkungen machen möchte.[23]