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Goethesinne

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«Fürwahr, mein Namensvetter, deine Forellen sind zauberhaft! Sie sind der beste Mittagstisch, den man auf dem Weg nach Franzensbad zu sich nehmen kann!»

«Danke. Es ist mir eine Ehre, Euch wieder in meiner bescheidenen Hütte begrüßen zu dürfen. Ich habe es schon in meinem Gästebuch notiert: Samstag, 2. Mai 1812. Besuch vom größten Dichter unserer Zeit, nein, aller Zeiten!»

«Johann, lass die Förmlichkeiten und Übertreibungen. Wie ergeht es dir?»

«Vor elf Jahren, also zu Beginn dieses unsäglichen neunzehnten Jahrhunderts, habe ich die Konzession eines Brauhauses beantragt. Seit nunmehr fünf Jahren habe ich die Konzession. Ich kann nicht klagen, aber die lange Wartezeit, Jahre meines Lebens, Nerven meines Geistes, war ein erneuter Akt unserer schamlosen Bürokratie. Es ist lange her und nichtsdestotrotz habe ich nicht vergessen, wie die Regierung mich sechs Jahre lang hängen ließ. Sechs Jahre, in denen ich die Postroute Hof-Eger hätte nutzen können, um Menschen hierher einzuladen, um sie zu bewirten. Aber Neuhausen ist nicht Bayreuth. Würdest du hier sitzen, mein lieber Johann Wolfgang, wenn es nicht dieses goldfarbene, selbstgebraute Bier in diesem feinen Gasthaus gäbe?»

«Ich hab dich als wunderbaren Freund und Weggefährten kennengelernt, Johann Baumgärtel! Nur leider wird es nie jemand erfahren, mein Tagebuch wird darüber schweigen, denn …», Goethe näherte sich geheimnisvoll Baumgärtels Ohr, «… du weißt wieso. Aber unsere Regierung … irgendwann werde ich in der vorteilhaften Situation sein, als Geheimrat die Geschicke unseres Landes zu leiten und dort an unseren Bund zu denken, seine Idee zu wahren und seinen Weg zu lenken.»

Der Wirt setzte sich zu seinem Gast. Der griff zufrieden nach dem Bierkrug und lehnte sich entspannt zurück. Er liebte dieses Bier, obwohl er sonst mehr dem Rotwein zusagte. Draußen schien die Sonne, sie blinzelte durch die sauberen Fenster des leeren Gasthauses. Sie blinzelte hinein in Johann Baumgärtels Augen und färbte sie golden.

Es war noch zu früh für die Bewohner des Dorfes einzukehren. Sie hatten mit ihrem Tagwerk zu schaffen.

«Dieser vierte Koalitionskrieg, dieser napoleonische Radau ist gerade fünf Jahre her und es wird dauern bis wieder Ruhe herrscht. Bis dahin hoffe ich, meine Krankheiten auf der Kur in den böhmischen Bädern genesen zu können. Was macht das neue Königreich Bayern?»

«Es ist die Zeit der Aufklärung, wie sie es nennen, es ist die Zeit für die sittliche Verbesserung, wie sie es nennen, es ist die Zeit der Illuminaten und Freimaurer, so wie wir es nennen! Dieses neue Bayern wird ein ebenso großer Fluch sein wie all die Kriege zuvor. Unser Orden mag offiziell nicht mehr existieren, dennoch ist er stärker denn je!»

«Du sagst es. Und obwohl der Orden der Illuminaten verboten ist, obwohl die Freimaurer in der Versenkung verschwunden sind, wird es doch weitergehen, stärker fürwahr! Johann Baumgärtel, halte die Eule des Ordens hoch, halte die Fahne im Wind. Dieser Ort, dein Dorf, es wird immer an der Grenze zu einem anderen Land liegen, und das, obwohl es im Herzen Europas schlägt. Vom Herzen Europas muss die Aufklärung ausgehen, von hier aus müssen Fürsten und Kirchen überflüssig werden. Halte dieses Dorf beisammen, mit all seinen Familien, Häusern und Umgebung, von der Voitmühle über Neuhausen bis zur Knallhütte. Das wird dein Vermächtnis und das deiner Erben sein, auch dann, wenn unser Order verboten ist. Er wird für immer leben. Sei dabei und bleib dabei mit all deinen Sinnen! Diese Sinne werden dich und deine Nachfahren schärfen und wenn ihr die Kontakte hegt und pflegt, werdet ihr Einfluss bis ganz nach oben haben. Denn unsere Staatsmacht ist kaum mehr zu ertragen.»

«Oh ja, Johann Wolfgang. Ich liebe unser Land, aber nicht den Staat. Und ich bin mir sicher, es wird nie besser werden. Nie!»

«Deswegen ist es unsere Aufgabe, dies zu ändern! Wir sind verabscheut, doch noch immer da. Der Mensch ist in die Mitte einer wirklichen Welt gesetzt und mit solchen Organen begabt, dass er das Wirkliche und nebenbei das Mögliche erkennen und hervorbringen kann. Alle gesunden Menschen haben die Überzeugung ihres Daseins und eines Daseienden um sie her. Indessen gibt es auch einen hohlen Fleck im Gehirn, das heißt eine Stelle, in der sich kein Gegenstand abspiegelt, wie denn auch im Auge selbst ein Fleckchen ist, das nicht sieht. Wird der Mensch auf diese Stelle besonders sehen, kann er Geheimnisse entdecken!»

«Du bringst mich auf eine Idee, Johann Wolfgang. Eine schmerzliche Idee!»

Als Johann Wolfgang von Goethe wenig später seine Reise fortgesetzt hatte, fand Johann Baumgärtel ein Stück Papier auf dem Gasttisch:

«O, dass der Sinne doch so viele sind! Verwirrung bringen sie ins Glück herein. Wenn ich dich sehe, wünsch' ich taub zu sein. Wenn ich dich höre, blind!

Doch vertraue darauf. Es ist keine Beleidigung, es ist beinahe Hörigkeit! J.W.»

Es war die Zeit gekommen, ein Geheimnis zu schaffen.

Neuhausen - Eine Dorfverschwörung

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