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Kapitel 6
ОглавлениеRoland wusste, dass er sich vermutlich fürchten sollte oder wenigstens ernsthaft beunruhigt sein, aber er war zu müde, um sich darum zu kümmern.
Es war nicht so, als würde es einen Unterschied machen, wenn er sich fürchtete. Er hatte den Entschluss gefasst, sich in die Hände dieses Alphas zu begeben, und er war nicht in der Lage, sich mehr vor Beau zu schützen als vor jedem anderen Alpha, mit dem er Fehler begangen hatte. Sich zu fürchten hatte nie geholfen.
Diesmal hatte er richtig gewählt, oder zumindest weniger falsch.
Aber Beau hatte ihn nicht gebissen, aber er versprach nach wie vor, ihn zu heiraten. Als er letzte Nacht mit Susan darüber geredet hatte, hatte sie versprochen, dass sie mit Rory in Verbindung bleiben und nach ihm sehen würde. Wenn etwas falsch lief, würde sie ihm helfen, Beau zu verlassen und zurück in die Unterkunft zu kommen.
Damit gab es keinen Grund zur Vorsicht mehr. Selbst wenn er vorsichtig sein wollte, war er zu müde, um das hinzubekommen. Nicht nach einer schlaflosen Nacht, in der er sich stundenlang im Griff der Panik befunden hatte, wobei er auf die Flasche mit den Tabletten – mit dem Gift – gestarrt hatte und doch nicht widerstehen konnte, eine weitere zu nehmen. Sein Bauch fühlte sich schlimmer an als sonst, ihm tat alles weh und der schlechte Geschmack in seinem Mund wurde stärker.
Aber Beaus Arm um ihn herum hatte sich gut angefühlt. Wie viel es ihn später auch kosten mochte, es tat so gut, einen Alpha zu haben, der ihn festhielt und ihm sagte, dass er sich um alles kümmern wollte.
Es gab einen Grund, warum er so oft den Fehler gemacht hatte, Alphas zu vertrauen. Es gab manchmal gute Sachen, wie das. Das war gut.
Nach einer Weile murmelte Beau: „Hast du heute schon etwas gegessen? Rory?“
Rolands Mund zuckte ein wenig bei der absichtlichen, unbeholfenen Art, wie Beau seinen Spitznamen benutzte, als sei er fragwürdig. Aber er mochte den Klang aus Beaus Mund. Bisher hatte er keinem anderen Alpha angeboten, ihn so zu nennen; niemand hatte ihn so genannt, nicht seit dem letzten Mal, als er seine Mutter gesehen hatte, und selbst sie hatte ihn bis dahin meistens Roland gerufen.
„Auch etwas zu trinken?“, wollte Beau wissen.
Roland zuckte die Schultern. „Etwas Wasser? Mein Magen … fühlt sich nicht gut an.“
„Nimmst du deine Suppressiva mit Wasser?“
Roland zuckte zusammen. „Sollte ich eigentlich. Aber in letzter Zeit …“
„Dein Magen ist leer, du fühlst sich bereits krank und zu viel Wasser macht dich noch kränker“, sagte Beau, als wäre alles vor ihm ausgebreitet. „Also hast du nicht viel Wasser zu deinen Tabletten getrunken. Oder hast du überhaupt wenig getrunken?“
Roland nickte gegen seine Schulter.
„Okay“, seufzte Beau. „Also dehydriert und niedriger Blutzucker, dein Magen ist verstimmt und wahrscheinlich gereizt von den Tabletten ohne genug Flüssigkeit, um sie zu puffern. Wie wäre es mit …“
Er schlang einen Arm fester um Roland, zog dafür den anderen weg und kramte in dem Rucksack, den er mitgebracht hatte. Wie ein Kind mit einer Schultasche, dachte Roland zärtlich, aber dann hätte Beau ja gerade erst die Schule beendet, oder?
Das Medizinstudium, aber wahrscheinlich schleppten sie ihre Bücher und Sachen nicht in schwarzen Arzttaschen herum, nur weil es diese Art von Schule war.
Etwas knisterte in Beaus Hand, er führte es zu seinem eigenen Mund und zerrte mit den Zähnen an einer Plastikhülle. Ein würziger Geruch stieg auf, nur leicht süß, der das Wasser in Rolands Mund zusammenlaufen ließ.
„Das ist eine Ingwersüßigkeit, echter Ingwer“, erklärte Beau und hielt es an Rolands Lippen. „Wenn man es nicht gewöhnt ist, kann es ein wenig intensiv sein. Leck einfach daran und schau, ob du es magst.“
Roland leckte gehorsam daran und der scharf-süße Geschmack hielt ihn fast davon ab zu bemerken, dass er dabei auch Beaus Fingerspitzen ableckte. Der Geschmack schien die kranke und schale Panik aus seinem Mund zu spülen, er nickte und öffnete den Mund, damit Beau das Bonbon hineinwerfen konnte.
„Es wird auch deinen Geruch verändern, wenn ein Wolf in deiner Nähe unhöflich ist und an dir schnuppert, um festzustellen, was mit dir los ist.“
Roland bog den Kopf leicht zurück, um Beau in die Augen sehen zu können, und Beau zwinkerte.
Rolands Mund bog sich nach oben zu einem Lächeln, sein Inneres fühlte sich auf eine völlig neue Art lustig an. Es war eine gute Sache, dass er diesen Fehler bereits gemacht hatte, denn es wäre umso peinlicher, wenn man sich lediglich durch ein Bonbon und eine kleine zärtliche Berührung in die Falle locken ließ.
Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf das Bonbon in seinem Mund, ließ alle Sinne von dem leicht scharfen Brennen, dem Hauch von Süße vereinnahmen. Er konnte nichts anderes mehr hören, konnte kaum etwas anderes riechen. Er fragte sich, ob Beau diese Bonbons mochte, weil sie seinen Geruch verschleierten, oder weil sie ihm halfen, jeden anderen Geruch zu ignorieren. Oder hatte er einfach vergessen zu essen und nun Magenschmerzen? Das Medizinstudium war hart und anspruchsvoll, so viel wusste Roland.
„Da kommen die Anstandswauwaus“, murmelte Beau, und Roland öffnete die Augen, damit er Umrisse, die schätzungsweise Susan und Ms Dawson waren, über den Rasen kommen sehen konnte. „Ich wette, sie wollen mit dir allein reden, also werde ich dir etwas Warmes zu trinken suchen und danach können wir ins Büro gehen.“
Beaus Griff festigte sich noch einmal für einige Sekunden, dann stand Beau auf und ließ Roland sich anlehnen, bis er sicher auf den eigenen Füßen stand. Umsichtig behielt Beau eine Hand an Rolands Ellbogen, während er sich bückte und mit der anderen die Papiere aufhob, die er Roland übergab, als die anderen Omegas zu ihnen stießen. „Roland hat eingewilligt, mich zu heiraten, aber ich bin sicher, Sie wollen den vorläufigen Ehevertrag mit ihm durchgehen? Bitte reden Sie mit ihm über jeden Punkt, ob es etwas gibt, was er geändert haben möchte. Ich glaube, er ist dabei, mir zu sehr zu vertrauen. Ich bin mit jeder Änderung einverstanden.“
Susan nahm die Dokumente an sich, doch Beau zog das oberste Blatt zurück und steckte die Geburtsurkunde vorsichtig in den Umschlag zurück, ehe er ihn Roland in die Hand drückte. „Das kannst du halten, das ist kein Teil der Verhandlungen.“
Roland nickte, drückte Beaus Arm an der Stelle, an der er ihn immer noch hielt, und ließ ihn dann los.
***
Als sie damit fertig waren, die Dokumente durchzugehen, war sich Roland ziemlich sicher, dass sie trotz Beaus Bemühungen realisiert hatten, dass er nicht lesen konnte. Aber sie sagten nichts deswegen, sondern redeten über den Wortlaut jeder einzelnen Zeile mit ihm, damit er alles einwandfrei verstand.
Tatsächlich war es gar nicht kompliziert. Roland wurde gestattet, zu jeder Zeit die Scheidung einzureichen, und würde automatisch Geld von Beau bekommen, wenn sie geschieden waren. Geschah das nach mehr als einem Jahr Ehe, bekäme er mehr Geld, und doppelt so viel, wenn sie drei Jahre verheiratet blieben. Beau erklärte sich schriftlich damit einverstanden, vielleicht nie Sex zu haben, und dass das kein Grund für Beau war, die Scheidung einzureichen oder einen Teil ihrer Vereinbarung zu ändern.
Beau sagte zu, ihn zu nichts zu zwingen, und versprach, dass Roland, wenn er Hitzen hatte, sie weder mit Beau noch sonst wem verbringen musste. Beau wusste, dass er gebrochen war, wenn er auch keine Ahnung hatte, wie es dazu gekommen war; Beau hatte die Narben seines Halsbandes gesehen. Und Beau gab ihm trotzdem das alles, und Ingwerbonbons, und eine Tasse mit süßem heißem Pfefferminztee, die er neben Rolands Ellbogen abstellte, ehe er leise wieder davonging.
Als Susan Roland noch einmal fragte, ob er sich absolut sicher sei, dass er das alles wollte, lachte er, nickte und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Er würde kein besseres Angebot als das bekommen, und egal, wie es zwischen ihnen wurde, es war auf jeden Fall besser, als hier allein kränker und kränker zu werden.
„Nun denn“, sagte Susan. „Wir sollten zusehen, dass wir dich für den Standesbeamten schick machen, nicht wahr?“
Roland stimmte vorsichtig zu und fand sich bald darauf unter der Dusche wieder, danach wurde er mehr gestylt, als er jemals in seinem Leben erlebt hatte. An seinem Haar gab es nichts zu tun, aber er war damit einverstanden, drei verschiedene Augentropfen, Make-up und mehr Aufmerksamkeit auf seine Fingernägel zu bekommen, als er ihnen je zuvor geschenkt hatte. Susan und Ms Dawson brachten ihm saubere, neue Kleider, die er anziehen konnte.
„Wage es nicht zu weinen“, sagte Susan und tupfte dabei ihre eigenen Augen mit ihren Fingerknöcheln ab, als sich Roland im Spiegel anstarrte. „Wenn du das Make-up verschmierst, brauchen wir zwanzig Minuten, um das wieder zu richten.“
Er sah … lebendig aus. Gesund, verglichen mit dem, was er in den letzten Monaten oder Jahren im Spiegel gesehen hatte. Es fühlte sich wie eine Maske an, oder wie ein flüchtiger Blick auf eine alternative Version seiner selbst, und völlig fremd, da er sicher war, dass sein Geruch ihn nach wie vor verriet und sein Körper in den feinen neuen Kleidern genauso schmerzte und unsicher wie immer war. Er wusste, dass selbst das Make-up für einen gesunden Werwolf nicht so überzeugend aussah wie für ihn – aber für einen Menschen reichte es, vermutete er. Der Beamte war wahrscheinlich ein Mensch.
Er zog nervös am Kragen des weißen Hemdes mit den schmalen Streifen in rosa und lila. Es verdeckte die meisten Verbrennungen um seinen Halsansatz, aber wenn es aufklaffte oder wenn einer der Striemen durch den steifen Stoff gereizt wurde und zu nässen begann …
„Kann ich nicht meinen Schal tragen?“ Sehnsüchtig warf er einen Blick darauf, obwohl selbst er sehen konnte, dass die dunklen Cranberry- und Navystreifen in der dicken Wolle nicht zu seinem schicken neuen Outfit passten. Der Schal sah eintönig und leicht schmutzig aus, trotz der satten Farbe, die ihn dazu getrieben hatte, ihn aus dem Gebrauchtkleidercontainer einer menschlichen Unterkunft zu fischen, in der er vor dem Asyl geblieben war. Er hatte ihn monatelang ohne Unterbrechung getragen, daher war das keine Überraschung.
„Es ist Juni, Schatz“, sagte Susan und legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter. „Sie können im Juni keinen Schal tragen. Halten Sie einfach Ihren Kragen gerade – Sie werden sowieso nicht lange vor dem Standesbeamten stehen.“
Roland ballte die Hände zu Fäusten, er wollte den Schal einfach nur aufheben und mitnehmen. „Er ist … er gehört immer noch mir, oder? Sie werden ihn niemandem anderen geben?“
Susan schüttelte den Kopf, faltete den Schal zusammen und legte ihn energisch auf seinen Spind. „Er gehört Ihnen, Mr Lea. Er wird hier auf Sie warten, wenn wir vom Standesamt zurückkommen. Jetzt lassen Sie uns Ihren Alpha finden.“
Roland nickte und ließ sich von ihnen aus seinem kleinen Einzelzimmer zurück in die öffentlichen Bereiche des Asyls führen. Er wusste nicht, was Beau von ihm halten würde. Vielleicht gefiel es ihm nicht. Vielleicht gefiel es ihm zu gut und wollte, dass Roland diese Maske die ganze Zeit trug, die Narben und den kahlen Kopf bedeckte und hübsch für ihn war, obwohl sie beide wussten, dass es eine Lüge war.
Dann trat Roland durch eine Tür und Beau stand da, ein Stück dunkelblau-weiß gestreiftes Tuch in der einen Hand, sein Telefon in der anderen. Er musterte Roland von oben bis unten, nickte und lächelte ihn schief an.
„Vielleicht brauchst du das dann überhaupt nicht. Ich dachte, du hättest gern ein Halstuch zu deinem Hemd? Es befindet sich in deinem Kragen, nicht wie eine Krawatte, also läge es weich auf deiner Haut …“
Rolands Kehle war zu eng, um zu sprechen, er konnte kaum atmen und brachte nur ein festes, ruckartiges Nicken zustande.
„Ich habe gerade nachgeschaut, wie man es bindet“, erklärte Beau und kam näher. „Es war mir zu peinlich, im Geschäft zu sagen, dass ich keine Ahnung habe. Darf ich …?“
Roland nickte, hob die zitternden Hände, um die obersten Knöpfe seines Hemdes zu öffnen, und gab Beau so den Platz, den Kragen zu lösen und das weiche Tuch um seinen Hals zu legen.
„Da ist ein kleiner Fleck Rot wie bei deinem Schal darin“, murmelte Beau, seine Hände bewegten sich geschickt und zogen das Tuch an seinem Hals fest, streng, aber nicht abschnürend. „Aber hauptsächlich marine und weiß, das fand ich gut für den Sommer. Du kannst es bei lässigen Sachen wie einen Schal tragen – ich könnte noch weitere in anderen Farben besorgen, wenn es dir gefällt. Du kannst es zu deiner ganz persönlichen Stilsache machen.“
Beau fummelte an Rolands Kragen herum und ging dann einen halben Schritt zurück, damit Roland seine eigenen Hände heben und den einfachen Stoff um seinen Hals herum berühren konnte. Es verbarg definitiv die Verbrennungen und polsterte sie gegen sein Hemd ab, fühlte sich aber eher wie eine Krawatte als ein Schal an.
„Danke“, schaffte er zu flüstern.
Beau nickte nur und drückte Rolands Schulter mit seiner großen Hand. „Ich danke dir. Für alles. Weil du mir vertraut hast.“
Roland wandte den Blick ab, als ihm all die schrecklichen Dinge, die er über Beau gedacht hatte, durch den Kopf rauschten. Er hatte diesen Alpha nicht verdient und früher oder später würde Beau das realisieren. Ein guter Mann wie er wollte keinen Omega um sich haben, der ständig darauf wartete, dass er sich wie alle anderen benahm.
Aber noch wusste Beau das nicht.
Roland hatte es noch nicht versaut. Er zwang sich, Beau wieder in die Augen zu sehen, und lächelte leicht.
Beau lächelte zurück und zog ihn näher an sich, legte einen Arm um ihn, damit sich Roland an ihn lehnen konnte, eingehüllt in seinen starken Duft. Während Roland beschäftigt gewesen war, hatte er sich ein wenig ins Schwitzen gebracht – er war zu dem versnobten Laden gelaufen, wo man ihn in Verlegenheit gebracht hatte, nur um Roland etwas Seidenweiches zum Anziehen zu besorgen.
„Bereit?“, fragte Beau weich.
Roland nickte, und Beau begleitete ihn aus der Eingangstür zu Ms Dawsons wartendem Wagen.
***
Der Standesbeamte war menschlich und schien von der ganzen Sache fürchterlich gelangweilt zu sein, der schwierigste Teil war, als Roland ihm seine brandneue Geburtsurkunde präsentierte, zusammen mit einem Brief, den der Direktor des Asyls als Identifikationsmittel geschrieben hatte. Der Brief begann damit, dass das Asyl in loco gentits (anstelle der Familie; Anm. des Übers.) handelte und das Schreiben deshalb vergleichbar mit einem Dokument der Rudelzugehörigkeit war, was zur Identifikation genügte. Das erntete eine Menge Geblinzel und gebrummte Hmmms, danach verschwand der Standesbeamte für einige Minuten mit Rolands gesamten Papieren, ehe sie urplötzlich anerkannt wurden.
Erst ganz zum Schluss, nachdem er ein offiziell aussehendes Dokument über die Theke geschoben hatte, lächelte der Standesbeamte. „Gratulation, Gentlemen. Viel Glück bei der Hochzeit.“
Das war der Moment, als Roland dachte: Warte, was? Ich dachte, das war die Hochzeit.
Er konnte Beau an seiner Seite spüren, ebenso erstarrt, und dann lächelte der Alpha breit, legte einen Arm um Roland und schnappte sich mit der anderen Hand das Dokument. „Danke.“
Roland ließ sich zur Seite drehen und nach hinten schieben, wo Susan und Ms Dawson auf sie warteten. Erst als er hörte, wie der Beamte die nächste Person aus dem Wartebereich aufrief, wagte er zu Beau zu flüstern: „Aber wann sind wir verheiratet?“
„Bald“, erwiderte Beau eifrig und drückte Roland noch ein bisschen enger gegen sich. Roland berührte behutsam mit den Fingern sein Halstuch, dann gratulierten Susan und Ms Dawson ihnen dazu, ihre Heiratsgenehmigung erhalten zu haben – wie sich herausstellte –, aber tatsächlich noch … nicht verheiratet zu sein.
Erst als sie im Wagen saßen, sah er Beau auf sein Telefon tippen, und er fühlte ihn seufzen.
„Ich habe nicht daran gedacht, vorher darauf zu sehen“, murmelte Beau. „Ich habe es nicht kapiert. Die Genehmigung kann nicht vor morgen verwendet werden.“
Roland ballte die Hände zu Fäusten und drückte sie gegen seinen Magen. Noch ein Tag. Nur ein Tag mehr.
Ein Tag mehr, an dem er sich entscheiden musste, ob er Gift nehmen wollte oder sich nicht traute. Ein weiterer Tag ohne einen Alpha, der auf ihn aufpasste und beschützte. Ohne Beau.
„Ihr werdet feststellen“, sagte Susan vom Vordersitz aus, „dass wir eine sehr, sehr lange Strecke zurück zum Asyl nehmen. Das dauert vielleicht Stunden. Ich wäre nicht überrascht, wenn es bereits nach Mitternacht wäre, wenn wir dort eintreffen.“
Susan drehte sich um, um zu zwinkern, während Roland ein paar Sekunden gegen seine Schockstarre kämpfte und dann begriff. Er senkte den Kopf, um sein Grinsen zu verstecken. Natürlich hatten sie all das geplant. Sie wussten, dass ein Alpha nicht wie ein Mensch warten wollte, um seinen Anspruch auf den Omega, den er auserwählt hatte, geltend zu machen.
Sie wussten nicht, dass Roland derjenige war, der es nicht erwarten konnte, oder warum.
Beau drückte ihn an sich und murmelte: „Warum schließt du nicht einfach deine Augen? Du kannst dich genauso gut ausruhen, wenn es ohnehin eine derart lange Fahrt wird.“
Roland legte den Kopf nach hinten gegen Beaus Arm und kuschelte sich so eng an, wie er es wagte, ohne dabei Make-up auf Beaus Anzug zu verschmieren. Er schloss die Augen und atmete Beaus Duft ein, der schwer im geschlossenen Inneren des Wagens hing. Mein Alpha. Er wird mich nach Hause bringen, er wird mir helfen, gesund zu werden. Er hat es versprochen. Wirklich versprochen, auf Papier und alles.
Er schlief ein wenig, oder zumindest drifteten seine Gedanken für eine Weile durch eine stille Leere. Als die Vordertür des Wagens geschlossen wurde, kam er wieder zu sich. Nur er und Beau saßen noch im Auto. Roland öffnete die Augen und sah Beaus Gesicht näher bei sich, als er erwartet hatte.
Nahe genug für einen Kuss.
Sein Atem stockte, er spürte die gefährliche Spannung der Erwartung, obwohl er es besser wissen sollte, obwohl er sich alles andere als das lieber wünschen sollte.
Beau lächelte nur. „Bereit für deinen Hochzeitstag?“
Roland schaute aus dem Fenster zu der wenig mitteilsamen Front des Asyls. „Sie haben doch nicht … etwas geplant, oder? Es wird nicht so sein wie …“ Ein Durcheinander von Bildern ging ihm durch den Kopf, hauptsächlich menschliche Hochzeiten, die er im Fernsehen und in Filmen gesehen hatte, aufwendige, langwierige Ereignisse, bei denen immer jemand schrecklich gedemütigt oder enttäuscht oder auf andere Weise zum Weinen gebracht wurde.
„Ich denke, sie kennen dich gut genug, um zu wissen, dass du nichts Großes und Anstrengendes willst“, sagte Beau leise. „Ich vermute allerdings, dass es Kuchen geben wird. Glaubst du, du könntest vielleicht ein kleines Stück Kuchen essen?“
Roland biss sich auf die Lippe, sein Magen wand sich unruhig. „Hast du noch mehr von diesen Ingwerbonbons?“
Beau lächelte und holte eines aus seiner Tasche, wickelte es aus, bevor er es an Rolands Lippen hielt. Er schloss die Augen und öffnete den Mund, das erste scharfe Brennen des Ingwers ließ ihn schlucken und stach in seinen Augen. Beau blieb ruhig an seiner Seite und hielt ihn die ganze Zeit im Arm. Nach einem weiteren Augenblick sagte Roland: „Ich schätze, wir müssen irgendwann aus dem Auto steigen.“
„Nicht wirklich so, wie ich mir unser Zusammenleben die nächsten Jahre vorgestellt habe“, stimmte Beau zu, machte jedoch keine Anstalten, Roland aus dem Auto zu lassen, bis Roland den Kopf hob und sich zur Tür drehte.
Als sie das Asyl betraten, gab es Kuchen, und Susan und Ms Dawson und Dr. Hanek, der das Asyl leitete und, wie sich herausstellte, eingetragener Standesbeamte als auch Notar war. Er ließ Roland und Beau erst den Ehevertrag unterschreiben, beglaubigte ihn notariell und bezeugte ihn auf mehreren Kopien.
Was bedeutete, dass Roland seinen Namen schreiben musste, ohne ihn lesen zu können.
„Es ist okay, lass dir Zeit“, murmelte Beau und legte seinen Finger auf die Seite. „Genau dort. Direkt über meinem Finger. Wenn du so weit bist.“
Roland atmete ein paarmal ein und versuchte, seine Finger locker um den Stift zu legen, sich an die Bewegungen zu erinnern, mit denen er seinen Namen schrieb. Ihm fiel nicht mehr ein, wann er das jemals gemacht hatte, aber das bedeutete nichts, es konnte nicht so schwer sein. In der Schule hatte er Schreibschrift gelernt. Er wusste, wie man seinen eigenen Namen schrieb, mehr brauchte es wirklich nicht. Sein eigener Name, in Schreibschrift, besagte, dass er sich bereit erklärte, unter all diesen Bedingungen mit Beau verheiratet zu sein.
Als er fertig war, blinzelte er den Schriftzug an; es sah ein wenig schief und wackelig aus, aber es schien sein Name zu sein. Roland Lea. Er hatte es geschafft.
Und dann musste er noch dreimal unterschreiben.
„Eine Kopie gebe ich hier zu den Akten“, erklärte Dr. Hanek, „und schicke das andere an die staatliche Initiative für Omegarechte. Sie haben viele solcher Dokumente, nur um auf der sicheren Seite zu sein.“
„Natürlich“, sagte Beau leichthin. „Und Roland bekommt ebenfalls ein Exemplar für seine Unterlagen.“
Die Kopie wurde ordnungsgemäß in einen Umschlag gesteckt und Roland hielt sie zusammen mit seiner Geburtsurkunde, während sie den Rest der Hochzeitsformalitäten erledigten. Alles lief so ruhig und sachlich ab, er brauchte nur auf der kleinen Couch neben Beau in einem der Wohnzimmer des Asyls zu sitzen, während Susan und Ms Dawson und Dr. Hanek sich auf den anderen Stühlen um sie herum versammelten. Roland merkte kaum, dass die Fragen, die er beantwortete, sein Eheversprechen waren, selbst als er automatisch antwortete: „Werde ich.“
Aber dann gab es leisen Applaus, und Roland drehte sich um, um Beaus Blick zu begegnen.
Beau hob die Augenbrauen, stellte still eine Frage. Roland nickte leicht und dann – oh, oh – senkte Beau seinen Kopf und berührte Rolands Lippen, weich und keusch. Ein Kuss. Ihr erster Kuss.
Sie waren verheiratet.
Es gab noch ein Dokument zu unterzeichnen, aber Beau ließ Roland erneut an seinem Finger unterschreiben, wobei seine Hand nicht schlimmer zitterte als die ersten vier Male.
„Ausgezeichnet. Wir werden das entsprechende Datum eintragen und es morgen zur Archivierung einreichen, aber Sie sind jetzt offiziell verheiratet. Herzlichen Glückwunsch an Sie beide.“
„Danke“, murmelte Roland und sah dann zu Beau auf, der ihn ein wenig enger an sich drückte.
„Wir werden zuerst etwas Kuchen essen“, sagte Beau. „Und dann sehen wir weiter.“