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Kapitel 8

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Rorys Welt verwandelte sich in eine Reihe vager, verwirrter Wachphasen, die nur teilweise durch die leere Schwere des Schlafes drangen.

Der Geruch seines Alphas war allgegenwärtig, selbst wenn er von etwas Schärferem durchbrochen wurde. Hühnchen und Zwiebeln und Karotten; Ingwer; Pfefferminze. Sein Alpha summte und murmelte, hielt ihm einen Löffel oder eine Tasse an die Lippen, einen Arm dabei um Rorys Schultern geschlungen, und er tat sein Bestes, um zu befolgen, um was sein Alpha ihn bat, nur damit er bleiben konnte.

Er wollte einfach nur hierbleiben.

Einmal träumte er, dass er aufwachte, ins Bad taumelte, das nicht dort war, wo es sein sollte, um eine gefühlte Ewigkeit zu pinkeln. Nachdem er herausgetorkelt war, trank er etwas Wasser und sah sich nach seinen Sachen um, schnüffelte nach dem herben Medizingeruch seiner Beruhigungsmittel. Er fand seine Tasche, der ein Hauch von Geruch entströmte, aber die Flasche war nicht da. Er musste sie finden, er musste.

Sein Alpha war da, hielt ihn, brachte ihn zurück zum Bett und beruhigte ihn, als er versuchte, ihm zu entwischen. Rory wollte ihn nicht verärgern, aber er musste dafür sorgen, dass er verstand.

„Ich brauche es, ich brauche meine … meine Medizin“, beharrte Roland und kämpfte gegen den Griff seines Alphas an. „Ich brauche sie, ich muss, damit ich nach Hause gehen kann, ich will nur nach Hause. Bitte, ich kann normal sein, wenn ich sie habe, ich will nur nach Hause.“

Er weinte, und der Traum war eine gedämpfte Mischung aus Furcht und Ärger. Er wusste bereits, dass es zu spät war, und dennoch spürte er das rasende Bedürfnis, es in Ordnung zu bringen. Sich in Ordnung zu bringen.

„Du bist zu Hause, Rory“, sagte sein Alpha, hielt ihn fester. „Du bist normal, Baby, du fühlst dich gerade nur nicht gut. Du brauchst einfach noch mehr Ruhe. Aber du bist wirklich zu Hause. Du bist hier sicher, ich verspreche es.“

„Ich will meine … meine …“ Medizin, das war das Wort, aber es wollte ihm nicht über die Lippen kommen, und er konnte sich nicht bewegen, und er konnte nicht denken. Der Traum versank bereits im Nebel und wurde vage.

„Ich will meinen Dad“, flüsterte er, oder vielleicht auch Mom, oder vielleicht sagte er auch einfach Ich will nach Hause.

„Ich hab dich“, murmelte sein Alpha, schaukelte ihn wie ein Kind. „Ich habe dich, Rory, du bist schon zu Hause. Schließ einfach deine Augen. Mach die Augen zu, Baby, du musst dich ausruhen.“

Rory krallte seine Finger in das Hemd seines Alphas, damit er Rory nicht wegschicken konnte. Der Traum verschwand in einem weiteren dunklen, ereignislosen Abschnitt von Schlaf.

***

Er erwachte in der Dunkelheit und wusste, dass er wach war. Er konnte seinen eigenen sauren Schweiß riechen und dachte daran, ihn abzuduschen, aber sobald er sich bewegte, atmete er den Geruch seines Alphas ein – Beau, sein Ehemann, wenn das alles nicht nur ein teilweise sehr lebhafter Traum gewesen war.

Beau roch ungewaschen und erschöpft, und Rory tastete sich in Richtung des leisen Geräusches seines Atems und fand ihn. Beau lehnte gegen die Seite des Bettes und döste, seinen Kopf dabei gegen die Matratze gelehnt.

Sein Alpha saß mitten in der Nacht auf dem Boden und überließ Rory das Bett.

Sobald Rorys forschende Finger durch sein dunkles Haar strichen, hob Beau den Kopf. Seine Stimme war klar und bestimmt, seine Augen vollständig geöffnet. „Was brauchst du? Hast du Hunger?“

Tatsächlich hatte Rory ein klein wenig Hunger, was ein seltsames Gefühl war, aber noch lieber als etwas zu essen würde er gern etwas anderes als sich selbst in diesem großen, sauberen Bett riechen.

Er versuchte zu sprechen und hustete, und auf der Stelle kniete Beau sich hin und bot ihm eine Flasche Wasser an. Rory trank genug, um seine Kehle zu befeuchten, dann gab er sie an Beau zurück. „Komm einfach ins Bett, das ist alles.“

„Nein, hey, du musst nicht …“

„Nicht zum Ficken“, schnitt Rory ihm das Wort ab. „Lege dich nur zum Schlafen hin. Du hast vorhin nicht geschlafen.“ Er zuckte zusammen, als die Worte aus seinem Mund purzelten. Es war unhöflich, einem Fremden zu sagen, was er an seinem Geruch erkennen konnte. Jeder andere Alpha, mit dem er zusammen gewesen war, hätte ihn wahrscheinlich dafür geschlagen, weil er es gewagt hatte, ihnen zu sagen, was sie brauchten. Oder dass sie nicht ficken würden.

Aber Beau hatte neben dem Bett gesessen und darauf gewartet, ob er etwas brauchte. Rory wagte es, nach ihm zu greifen und leicht am Saum seines Hemdes zu ziehen. „Bitte?“

„Du brauchst nicht bitte sagen“, murmelte Beau, was definitiv nicht die Art war, wie er diesen Satz zuvor beenden wollte.

„Okay, ich werde … wenn das so ist …“ Rory zog wieder an dem Hemd, da Beau nicht wollte, dass er bitte sagte.

Beau sagte: „Ich werde fester schlafen, wenn ich mich hinlege, aber weck mich auf, wenn du etwas brauchst, okay? Irgendetwas.“

Rory nickte und zog erneut an dem Hemd. Beau seufzte, kletterte auf das Bett und krabbelte über Rory, um sich auf den Platz an der Wand zu legen. Er zog keine Show ab, dass er ihn vor dem Platz an der Tür beschützen wollte. Er engte ihn nicht ein. Beau berührte ihn nicht, sah ihn nicht einmal an, sondern rollte sich mit dem Gesicht zur Wand und schnappte sich eine Ecke des Kissens und eine halbe verhedderte Decke.

„Okay?“, murmelte Beau. Sein Herzschlag verlangsamte sich, sein Geruch wurde durch den nahen Schlaf wärmer und seine Worte undeutlicher.

„Okay“, flüsterte Rory und drehte sich zu dem breiten Rücken seines Alphas um.

Als er sicher war, dass Beau schlief, rutschte Rory näher und noch ein bisschen näher, bis er seine Stirn an Beaus Wirbelsäule legen konnte. Er atmete den Geruch seines Alphas ein, aalte sich in seiner Wärme und schlief innerhalb einer Minute ein.

***

Rory erwachte bei dem Geruch von Haferflocken und fragte sich ein paar Minuten verschlafen, ob er heute zur Schule gehen musste oder ob er vielleicht krank zu Hause bleiben könnte oder ob es überhaupt ein Schultag war. Juni, war es nicht Juni? Der Winkel des Morgenlichts gegen seine Lider, die künstliche Kühle des Zimmers …

Rory drehte sein Gesicht zum Kissen und der Geruch weckte seine Erinnerung. Für einen Moment blieb er vollkommen still, dann zeigte er seine beste Imitation einer Drehung im Halbschlaf im Bett, wobei er sich so umdrehte, dass sich sein Gesicht dem Geruch von Haferflocken und dem Geräusch des Herzschlags eines anderen Werwolfs zuwandte.

Beau, sein Alpha, sein Ehemann. Beau, bald Arzt für Menschen, der ihm gesagt hatte, dass seine Beruhigungsmittel Gift seien und ihn davon überzeugt hatte, sie aufzugeben. Er erinnerte sich verschwommen an einen wirren Traum, in dem er Beau oder seine Mutter oder … jemand anderen … um die Beruhigungsmittel bat, damit er nach Hause gehen konnte. Damit er wieder zur Schule gehen konnte, ins Haus seiner Eltern und an einem kühlen Morgen Haferflocken essen.

Rory öffnete ein Auge und musterte Beau, der eine Pyjamahose und ein weiches, verblasstes marineblaues T-Shirt mit einer Art Logo, vielleicht in Kreuzform, auf der Brust trug. Feuerwehr?

Rorys Magen knurrte hörbar. Beau sah zu ihm herüber und begegnete seinem halb versteckten Blick.

Beau lächelte nur. „Hungrig?“

Rory nickte gegen das Kissen und drückte sich in die Höhe, umklammerte die Laken, als ihm schwindelig wurde. „Wie lange habe ich …“

„Drei Tage“, antwortete Beau lässig. „Wenn du dich erst waschen möchtest, mach das ruhig, das hier braucht noch ein paar Minuten.“

Rory nickte vorsichtig, als der Schwindel verblasste. Er stemmte sich behutsam auf die Füße und überprüfte sich dabei auf irgendeinen neuen oder unterschiedlichen oder schlimmeren Schmerz.

Er fühlte sich von Kopf bis Fuß wund und krank, aber das war bei ihm jetzt schon eine lange Zeit so. Sein Magen schmerzte leicht, aber er dachte, das sei Hunger und nichts weiter. Sein Mund schmeckte, als hätte er sich die Zähne nicht geputzt oder eine Weile nichts getrunken, aber er schmeckte nicht nach Krankheit oder etwas Schlimmerem.

Sein Arsch tat nicht weh, und tiefer in seinem Bauch auch nichts. Er trug seinen eigenen Pyjama aus dem Asyl, Flanellhosen und ein langärmeliges Shirt. Beides fühlte sich an und roch, als hätte er es bereits mindestens drei Tage an, aber es war kein Geruch nach Sex daran, nur Schweiß und Krankheit. Er hatte nicht das kriechende, dunkle Gefühl, das ihn in den letzten Jahren so oft in den Wachzustand zurückgebracht hatte – die Erkenntnis, dass irgendetwas Schlimmes passiert war, an das er sich nicht mehr erinnern konnte.

Er streckte sich vorsichtig, dann ausgiebig. Seine Wirbelsäule knackte und er stöhnte über die seltsame Erleichterung bei dieser Empfindung. Sofort darauf spürte er eine Bewegung und erstarrte, seine Augen blitzten auf, als Beau mitten im Schritt erstarrte, eine Hand ausgestreckt, die Augen weit aufgerissen.

Er musste denken, das sei ein Schmerzenslaut gewesen, erkannte Rory. Und jetzt wusste er, dass es eindeutig nicht so war.

Rory stand einen Moment einfach nur da, die Arme immer noch ausgestreckt, und dann lächelte Beau ihn ein wenig verlegen an und sagte: „Entschuldigung, alles okay. Sagst du Bescheid, wenn du etwas brauchst?“

Rory nickte, Beaus Stimme hallte in seinen Ohren wider. Weck mich auf, wenn du etwas brauchst. Beau hatte neben ihm geschlafen … letzte Nacht? Irgendwann.

Verspätet ließ er die Hände an seine Seiten sinken und ging Richtung Bad, wobei er unterwegs seine Tasche aufhob. Sobald er mit seinem eigenen Geruch alleine war, brauchte er nicht lange, um zu beschließen, dass er unbedingt eine richtige Dusche brauchte. Er beeilte sich, so gut er konnte, nicht nur, weil Beau auf ihn wartete, sondern weil ihm in der dampfenden Hitze einer Dusche schwindelig werden würde, wenn er zu lange brauchte. Die meiste Zeit über musste er eine Hand gegen die Duschwand halten, aber er wusch sich, sein eigener, kranker Gestank wurde durch den sauberen Duft von Beaus Seife ersetzt. Halb war er versucht, sich Beaus Shampoo über die Kopfhaut zu reiben, nur um das Duftprofil zu vervollständigen, aber dann würde Beau wissen, dass er sein nicht vorhandenes Haar schamponiert hatte. Stattdessen schnupperte er nur an der Flasche, ehe er das Wasser abstellte.

Er trocknete sich ab und erst da realisierte er, dass das heiße Wasser an seinem Nacken nicht annähernd so gebrannt hatte, wie er es gewohnt war. Er tastete mit den Fingern nach den Verbrennungen und zuckte zusammen, als er feststellte, dass sie nach wie vor mächtig schmerzten, wenn er sie anfasste. Dann trocknete er sich weiter ab und mied wie üblich seinen eigenen Anblick im Spiegel. Eigentlich war er durchaus neugierig zu sehen, ob sich die Verbrennungen besserten, aber er wollte sich dem Rest nicht stellen. Nicht jetzt, da Beau draußen auf ihn wartete.

Er holte saubere Boxershorts und ein langärmeliges T-Shirt aus seiner Tasche mit seinen Besitztümern, die die Hälfte der winzigen Badezimmerablage einnahm. Er nahm sie wieder mit nach draußen, als er das kleine Bad verließ, unsicher, was er sonst noch anziehen sollte. Die schöne Hose von seinem Hochzeitstag, die er nirgendwo im Badezimmer gesehen hatte? Die durchgeschwitzte Schlafhose, die er gerade ausgezogen hatte?

Als er aus dem Bad kam, wanderten seine Augen zuerst zum Herd; der Topf mit Haferflocken stand da und dampfte noch, obwohl er sich jetzt auf einer kalten Herdplatte befand. Als Nächstes suchte Rory nach Beau: Er war halb versteckt hinter Pappkartons und kramte in einem Müllsack, der nicht nach Müll roch. Mit einem Lächeln sah er auf, als Rory einen zögerlichen Schritt auf ihn zu machte. „Hey, ich habe nur geschaut … ich dachte, das könnte dir passen. Ich hatte diesen irren Wachstumsschub, gleich nachdem ich hier eingezogen war, also hatte ich nie die Chance, sie aufzutragen, aber sie rochen immer noch so vertraut und Chicago nicht, also habe ich sie behalten.“ Beau stand auf und hatte zwei zusammengefaltete Jeans in dunkler Waschung in der Hand. Er legte sie auf einen Karton, schüttelte ein Paar aus und hielt sie in Rorys Richtung. „Vielleicht ein bisschen lang, aber ich war verdammt dünn, also werden sie wohl nicht rutschen? Obwohl, ich meine, wir können dir auch neue Sachen kaufen“, korrigierte Beau, senkte die Jeans und wirkte unsicher, als Rory schwieg und verblüfft erstarrte. „Ich hasse es einfach, neue Sachen zu kaufen, vor allem ist es zu anstrengend, sie nach Zuhause riechen zu lassen. Und hoffentlich wirst du genug an Gewicht zunehmen, wenn es dir besser geht, dass du dir einfach alles neu kaufen musst, also dachte ich, es wäre einfacher …“

Rory gelang es schließlich, ruckartig zu nicken. „Ja, das, ich werde …“

Er stellte die Tasche mit seinen Sachen in der Mitte des Raumes ab und streckte die Hand aus, und Beau kam die zwei Schritte auf ihn zu, um ihm die Hose zu geben.

Sie fühlte sich weich in seiner Hand an – reine Baumwolle, das wusste er bei der ersten Berührung, festes, gut gefärbtes Denimgewebe. Keine Marke, kein Label, nur ein kleines Zeichen in Rot und Gelb war in der hinteren Mitte des Bundes eingestickt, und ein weißes an der rechten Hüfte. Gute Wünsche, traditionelle Talismane.

Die Hose war für Beau handgemacht worden. Von seinem Rudel gemacht. Natürlich hatte er sie behalten, als er an den fremden Ort kam – aber jetzt bot er sie Rory an.

Er schluckte hart, erinnerte sich an den letzten vorhandenen Sweater, den ihm seine Mutter gegeben hatte. Zuletzt war er zu klein gewesen und so aufgetragen, dass er beinahe durchsichtig war, und zum Schluss hatte er ein Loch gehabt, das sich nicht mehr flicken ließ. Doch auch wenn er ihn nicht mehr tragen konnte, hatte er ihn aufgehoben, so lange er konnte, gut verstaut in einem Schubfach. Eines Tages war er einfach weg gewesen, und Martin hatte gesagt, er hätte nach Abfall ausgesehen, also hatte er ihn weggeworfen. Er konnte seinen Omega schließlich nicht in Lumpen herumlaufen lassen, oder? Und dann hatte Roland dankbar zu sein gehabt, obwohl er viel lieber über den Verlust geweint hätte, und dankbar zu sein bedeutete nur eines.

Bei dieser Erinnerung fühlte sich Rory leicht krank, seine Haut kribbelte; er zuckte zurück, als sich Beaus Hand zu seinem Ellbogen hin bewegte, um sich darauf zu legen, und Beau zog die Hand weg.

„Ich werde nur …“ Rory packte seine Einkaufstasche, hastete ins Bad und schloss die Tür entschlossen hinter sich.

Er setzte sich auf den Toilettendeckel und knickte in der Mitte ein, als er versuchte, sein Gleichgewicht zu finden. Als er wieder bei Atem war, konnte er nicht aufhören zu denken: Blöd, saublöd, was machst du denn?

Warum hatte er seine Sachen wieder hier hereingebracht? Warum versteckte er sich hier drinnen? Er hätte sich auch auf das Bett setzen können oder auf einen Stuhl am Tisch, falls er schon nicht aushielt, dass Beau ihn stützte, wenn er sich eine Hose anzog.

Er setzte sich so gerade hin, um die Jeans auszuschütteln, die sauber und wie Beaus Apartment roch. Es gab ein paar dünnere Stellen an den Säumen und den Knien, ansonsten war sie jedoch in hervorragendem Zustand, viel hübscher als alles in den Spendenboxen, in denen Rory auf der Suche nach Kleidung gegraben hatte. Und sie roch nicht nach einem Fremden oder aggressivem Waschmittel oder dem seltsamen Nichtgeruch starker Geruchsneutralisierer. Sie duftete, als gehörte sie Beau – genau wie Rory.

Er stand auf und zog sie an. Sie schlackerte über seine Füße, aber sie hing ihm nur leicht lose an der Hüfte und fühlte sich so weich und bequem an wie alles, was er angehabt hatte und an das er sich erinnern konnte. Er zog sein T-Shirt nach unten, um zu verstecken, dass sie doch zu weit war, griff nach seiner Tasche und kam wieder aus dem Bad. Vorsichtig lächelte er in Beaus Richtung.

Beau grinste sofort. Inzwischen saß er am Tisch und füllte zwei Schalen mit Haferflocken. Auf dem Tisch standen brauner Zucker und ein Honigtopf in Bärenform sowie Ahornsirup, eine Plastiktüte mit Walnüssen, ein Glasstreuer mit Zimt und eine Packung Sojamilch.

„Sieht gut aus“, sagte Beau. „Wir können sie kürzen, es gibt eine Näherei ein paar Blocks weiter unten, die schnell arbeiten.“

„Oh nein, ich kann doch einfach …“ Rory stellte seine Einkaufstasche wieder ab und schlurfte zum Tisch. Er wollte seine Füße nicht richtig heben, um nicht zu stolpern.

„Na, dann lass sie mich für dich umschlagen“, meinte Beau und winkte Rory auf einen der beiden Stühle. Er setzte sich, beäugte die Schale Haferflocken, die für ihn hingestellt worden war, und dann kniete sich Beau neben seine Füße und schlug rasch die Säume der Jeans um.

„Wir könnten dir vielleicht Hosenträger besorgen“, schlug Beau vor und lächelte zu ihm auf. „Das würde das Ganze ziemlich hip machen, hm? Und vielleicht Flanellhemden?“

Rory wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Er konnte sich nicht genau als Person vorstellen, von der plausibel behauptet werden konnte, ein Hipster zu sein, sondern viel eher schlecht sitzende Kleidung zu tragen, weil er obdachlos war, aber er wollte Beau nicht widersprechen oder riskieren, diese fröhliche, freundliche Stimmung zu vermiesen.

Beau schien sowieso keine Antwort zu erwarten. Er kehrte zu seinem Platz zurück und sagte: „Ich hoffe, dir machen die Haferflocken nichts aus? Ich dachte, die wären für deinen Magen nicht zu schwer. Das ist Sojamilch, weil ich nicht – hast du irgendwelche Allergien? Ich hätte das früher fragen sollen.“

Rory öffnete und schloss den Mund ein paar Mal und sagte dann: „Mein Mund und meine Ohren fühlen sich komisch an, wenn ich Bananen esse.“

„Oh, das“, Beau wedelte mit dem Finger vage zu Rory, aber er schien mit der Geste nicht schimpfen zu wollen. Seine Augen waren auf die Haferflocken gerichtet, während er einen Löffel braunen Zucker und Walnüsse darüber streute. „Ich habe von solchen Allergien gehört. Das kommt von einem Protein, auf das dein Körper reagiert, keine echte Lebensmittelempfindlichkeit.“

Rory biss sich auf die Lippe und verteilte über seinen Haferflocken ebenfalls einen Löffel braunen Zucker, dann ein paar Walnüsse, die er nacheinander hineinlegte. „Das mit deinen Ohren kommt von den Eustachischen Drüsen“, fügte Beau an. „Sie verlaufen bis in den Hals, wo sie gereizt werden können. Fühlt sich das vielleicht irgendwie kratzig an? Wie auch immer – keine Bananen, ich habe verstanden.“

Rory blickte auf, während er den Zucker in die Haferflocken rührte und versuchte, die Walnüsse gleichmäßig zu verteilen. Beau schob sich gerade einen großen Löffel voll Haferflocken in den Mund. „Aber … du sagtest, es ist keine echte Allergie.“

Beau zuckte kauend die Schultern. Er nickte zu Rorys Schale und schob ihm die Tüte mit den Walnüssen zu. Rory streute noch ein paar über sein Essen, rührte um und probierte vorsichtig.

„Ich meine, wenn du sie so sehr magst, verspreche ich dir, dich aus sicherer Entfernung mit einem EpiPen zu überwachen“, sagte Beau. „Aber irgendwie hat es sich angehört, als wäre es nicht unbedingt lustig, sie zu essen, wenn sie deinen Mund zum Jucken bringen.“

„Sie, ähm“, Rory starrte in seine Haferflocken und zuckte steif mit den Schultern. „Sie … manchmal will ich einfach Obst, verstehst du?“

„Ja, das ist ein Vitamindefizit – oh, hey, ich habe Vitamine.“ Beau ging und holte eine strahlend bunte Flasche vom Schrank und zeigte sie Rory, während er sich wieder setzte. Rory konnte Fred Feuerstein auf dem Etikett erkennen, wenn auch nicht die Worte, die drum herum standen, aber es war klar, dass das für Kinder gedacht war.

Beau öffnete die Flasche, schüttelte zwei Tabletten heraus und warf sie sich in den Mund. „Willst du? Zwei für Erwachsene, und sie haben eine ‚Lycane Formel‘, deshalb schmecken sie nicht allzu scheußlich und behaupten, wenigstens eine recht gute Nahrungsergänzung für uns zu sein.“

„Sie behaupten es?“ Rory streckte die Hand aus. Beau hatte sie genommen, und es waren Feuerstein-Vitamine. Was konnte es also schaden? Beau schüttelte zwei Vitaminpillen in Rorys Hand – nicht die kleinen, harten Tabletten, die er erwartet hatte, sondern weiche Gummidinger.

Er kaute darauf herum, und Beau hatte recht, sie schmeckten nicht allzu übel, nicht wie … er verjagte diesen Gedanken. Gerade jetzt musste er sich nicht an diese Dinge erinnern. Er musste auf seinen Alpha hören.

„Mm, also, Vitamine“, sagte Beau und machte mit einer Hand eine wippende Geste. „Bei ihnen ist das anders geregelt als bei richtigen Medikamenten, deshalb lässt sich schwer sagen, was tatsächlich drin ist, sie werden nicht mal auf besondere Wirksamkeit geprüft. Aber ein Präparat wie das hier richtet wohl kaum Schaden an und hilft vielleicht sogar, wenn du in letzter Zeit wenig Obst und Gemüse gegessen hast. Magst du Orangen? Beeren?“

Rory war ein wenig schwindelig über den unerwarteten Verlauf, den diese Unterhaltung genommen hatte. Schließlich sagte er: „Orangen, ja. Beeren … sind so teuer.“

Bananen waren billig, weswegen er sie aß, obwohl er sich ab und zu schon gefragt hatte, ob seine Kehle danach eines Tages nicht einfach zuschwellen würde. Und Bananen schmeckten immer ziemlich genau nach Banane.

„Yeah, und die Beeren, die man in den normalen Lebensmittelläden bekommt, sind Müll, zumindest elf Monate im Jahr“, stimmte Beau abwesend zu, auch wenn Rory das nie zu sagen gewagt hätte. „Wir können schauen, ob wir Bessere bekommen – dieses Wochenende ist Bauernmarkt oder so was. Wenn wir nach Rochester kommen, gibt es vielleicht ein ‚Pflück es dir selbst‘-Gebiet. Ich muss nachsehen, ob es in der Nähe eventuell einen Gemeinschaftsgarten gibt, aber ich weiß nicht, ob man mitten in der Saison beitreten kann.“

„Oh“, machte Rory schwach. Das alles klang nach mehr Mühe, als er von irgendwem erwarten würde, nur um ein paar Himbeeren zu bekommen, die es wert waren, gegessen zu werden, aber … Beau würde Arzt werden. Ärzte hatten üblicherweise gute Sachen. Erwartete Beau, dass Rory lokale Produkte einkaufte? Für ihn kochte? Sich um ein schickes Haus wie aus einem Magazin kümmerte?

Beau hatte für ihn gekocht. Rory hatte drei Tage geschlafen und Beau hatte sich um ihn gekümmert, als er nutzlos, hilflos war.

Rory schob sich hastig einen weiteren Löffel voll Haferflocken in den Mund, und nachdem er geschluckt hatte, sagte er: „Danke für das Frühstück. Es ist sehr gut.“

Beau lächelte. „Es ist schwer, Haferflocken zu vermasseln. Ich meine, ich schätze, ich hätte sie leichter anbrennen lassen können als Suppe vom Lieferservice, aber ich dachte, ich sollte eine Grenze ziehen und dich nicht neun Mal hintereinander mit Suppe füttern.“

Rory leckte sich über die Lippen, die Erinnerung des Geschmacks kam in ihm auf – salzige, fettige Brühe und leckere Karotten. „Hühnersuppe mit Nudeln?“

Beau grinste. „Ich hatte das Gefühl, du wärst manchmal wach gewesen. Ja, ziemlich gutes Zeug.“

Rory sah auf seine Haferflocken hinab und nahm noch einen kleinen Bissen. Er war immer noch hungrig, aber auch … alles andere.

„Danke“, sagte er wieder leise. „Ich kümmere mich um den Abwasch.“

„Okay“, erwiderte Beau, ohne den kleinsten Hinweis darauf, ob das die richtige Antwort war oder ob es überhaupt eine richtige Antwort gab. „Wenn du dich dafür fit genug fühlst. Wenn nicht, ist es auch nicht schlimm. Ich bin es gewöhnt, mich um mich selbst zu kümmern, und zwei brauchen nicht viel mehr Geschirr als einer.“

„Ich würde aber gern“, sagte Rory mit dünner Stimme. Am anderen Ende des Tisches nickte Beau nur, als wäre das alles, was man dazu machen konnte. Beau nahm sich noch mehr Haferflocken, diesmal mit einem Schuss Sojamilch, Honig und Zimt. Rory dagegen schob sich immer kleinere Bissen in den Mund.

Er war hungrig, oder war es gewesen, und Beau hatte das hier für ihn gemacht, es ihm serviert, ihm die guten Dinge hingestellt, die er hinzufügen konnte, doch sein Magen schmerzte und er begann die ganze Wirbelsäule hinab zu schwitzen, während er mit jedem Bissen kämpfte. Seine Schale war nicht mal annähernd leer.

„Rory?“

Rory sah scharf auf und war sich sicher, dass die Dinge nun doch so laufen würden, wie er befürchtete.

„Vielleicht habe ich dir mehr gegeben, als du derzeit bereit bist anzunehmen“, sagte Beau sanft. „Du hast während der letzten drei Tage kaum feste Nahrung zu dir genommen, dein Magen kommt wahrscheinlich mit einer großen Schüssel Haferflocken noch nicht klar. Es ist in Ordnung, wenn du nicht aufessen kannst oder willst.“

Rory zog den Kopf ein, seine Augen prickelten vor Dankbarkeit und Verwirrung, die tiefer ging als das Schwindelgefühl. Beau blieb weiterhin nett und Rory war zwischen Ärger auf sich selbst, weil er vergessen hatte, dass Beau ein guter Kerl war, und der Unfähigkeit zu glauben, dass irgendein Alpha wirklich nett sein konnte, hin und her gerissen.

„Wirf es ruhig weg, wenn du willst“, sagte Beau, und Rory hielt den Atem am, um über den freundlichen Ton nicht anzufangen zu weinen. „Haferflocken sind billig, es ist eine Menge da. Wir können noch welche machen. Du kannst es mit ihnen – oder etwas anderem – später noch einmal probieren.“

Rory nickte und nutzte die Gelegenheit, um sich abzuwenden. Er stand vorsichtig vom Tisch auf, um nicht wieder dieses Schwindelgefühl zu bekommen, aber sein Kopf blieb klar. Es waren nur ein paar Schritte bis zur Spüle und ein kurzer forschender Blick ergab, dass es einen Müllzerkleinerer gab, sodass er die Haferflocken in den Abfluss spülen konnte, anstatt sie in den Mülleimer zu werfen, wo der Geruch bleiben und ihn an seinen Misserfolg mit dem Essen erinnern würde.

Anstatt sie in den Kühlschrank zu stellen und sich immer wieder zum Essen zu zwingen, während sie mit jedem Mal weniger appetitlich, aber nicht verschwendet wurden.

Er kratzte die Schüssel sauber, ließ den Zerkleinerer laufen, dann schrubbte er seine Schale und den Löffel sauber.

Während er das tat, kam Beau zurück und löffelte die letzten Haferflocken aus dem Topf in seine eigene Schüssel, anschließend stellte er den Topf und den Holzlöffel in die Spüle. Rory bedankte sich murmelnd und wusch auch dieses Geschirr ab.

Er versuchte, den Schmerz in seinen Händen und Armen während der Arbeit zu ignorieren, und stützte dazu die Ellbogen gegen den Rand des Waschbeckens. Er beugte sich tiefer und tiefer und versank in den Versuch, jeden noch so kleinen Haferflockenrest aus dem Topf zu waschen, dann spülte er jede Spur von Seife ab, und dann …

Dann lag Beaus Arm um ihn herum, der tropfende Topf wurde ihm aus der Hand genommen und auf die Theke gestellt. Beau sagte: „Lass mir auch noch etwas zu tun übrig, Baby. Ich werde es abtrocknen, und du setzt dich eine Minute hin.“

Rory nickte – er würde den Teufel tun und ‚Nein‘ zu seinem Alpha sagen. Er drehte sich um, um sich auf einen Stuhl am Tisch zu setzen, doch Beau dirigierte ihn entschlossen zurück ins Bett. Er wimmerte leise in Beaus Griff, zwar wehrte er sich nicht, doch ihm gefiel die Idee trotzdem nicht. Aus den Laken konnte er seinen eigenen kranken Geruch aufsteigen riechen.

„Okay“, sagte Beau. „Hier, setz dich einfach eine Minute hin.“

Rorys Beine streckten sich unter ihm aus, er saß am Fußende des Bettes, die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in den Händen verborgen.

Er spürte und hörte Beau sich um ihn herumbewegen, doch er konnte nichts anderes riechen als die Schärfe des Spülmittels an seinen Händen. Dann berührte Beau seine Schulter, drückte ihn nach hinten, bis er auf dem Bett lag. Rory war zu müde, um dagegen anzukämpfen.

Seine Augen gingen auf, als seine Wange das Kissen mit einem frischen, kühlen Bezug berührte, der nach Beau und Waschmittel roch und nur einen Hauch von seinem Geruch trug. Er sah zu, wie Beau seine Beine auf einem frischen Laken richtete, das alte wegzog und aus dem Weg warf, und das neue unter der Matratze feststeckte.

„Hat man dir das im Medizinstudium beigebracht?“

Beau sah zu ihm auf und lächelte leicht. „Nah, aber ich habe ein paar Monate als Pflegehelfer gearbeitet, nachdem ich eine Pause von den Fahrten mit der Ambulanz brauchte.“

Rory runzelte die Stirn und blinzelte zu Beaus Shirt, dem Logo, das er nicht ganz zuordnen konnte. „Ist das …“

Beau kam zu ihm, setzte sich neben ihm auf das Bett und zeichnete mit einem von Rorys Fingern das Zeichen auf seiner Brust nach. „Chicago Fire Department. Während dem College habe ich als Sanitäter gearbeitet, und als ich dann die Prüfungen hatte, als Rettungsassistent.“

Rory ließ seine Augen zufallen und drückte seine Hand gegen Beaus Brust und das weiche, warme T-Shirt. „Ich dachte, das wäre dasselbe.“

„Nein“, entgegnete Beau. Er strich mit der Hand über Rorys kahlen Kopf, und obwohl es sich warm anfühlte, zitterte er. Beau ließ seine Hand in Rorys Nacken liegen. „Ein Rettungsassistent braucht drei Semester mehr und einige Prüfungen. Und dann ein Vorstellungsgespräch, obwohl ich über ein Jahr als Sanitäter bei ihnen gearbeitet hatte.“

Sanitäter, Rettungsassistent, Medizinstudium, Doktor für Menschen. „Du rettest immer Leute, hm?“, murmelte Rory.

„Na, ich versuche es“, erwiderte Beau leise, dann drückte er Rorys Nacken sanft. „Schlaf ein wenig, Baby. Ich wecke dich, wenn es Zeit fürs Mittagessen ist.“

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