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Kapitel 1
ОглавлениеDer kurz vor seiner Promovierung stehende Arzt Beau Jeffries tat sein Bestes, es nicht zu zeigen, aber er konnte kaum glauben, dass er auf dem Campus der Rochester-Klinik herumwanderte, die vielleicht sein zukünftiges Zuhause war. Das Bewerbungsgespräch für das Assistenzprogramm war eigentlich ein kompletter Tag voller Gespräche, unterbrochen von Mahlzeiten und anderen ‚nebensächlichen‘ Ereignissen, von denen Beau wusste, dass sie für den Eindruck, den er machte, nicht weniger entscheidend waren.
Er musste einen makellosen Eindruck hinterlassen. Beau war der einzige Werwolf, der für einen Aufenthalt in Rochester ausgewählt worden war.
Selbst mit exzellenten Noten und brillanten Empfehlungen würde es ein harter Kampf werden, sich einen Platz in dem Programm, das den Schwerpunkt Humanmedizin hatte, zu sichern.
Als er zum Wartebereich vor dem Büro des Direktors dieses Programms geführt wurde, lächelte ihn die Verwaltungsassistentin leicht an, und er versuchte, das mit der gleichen Intensität zu erwidern. „Dr. Aster wird gleich bei Ihnen sein.“
„Kein Problem“, sagte Beau und ging zu den Stühlen, auf die sie gedeutet hatte, um sich zu setzen. Sie nickte und kehrte an ihren Schreibtisch zurück.
Wie praktisch jeder Mensch, also jede Person, die er in Rochester getroffen hatte, wirkte sie überhaupt nicht verängstigt oder übermäßig neugierig. Er hatte hier sogar Werwölfe bemerkt, die als Sicherheitskräfte oder Ordner arbeiteten. Er war keinem von ihnen vorgestellt worden und hatte sie nicht verraten, indem er sich anmerken ließ, dass sie ihm aufgefallen waren, aber sie waren da, arbeiteten mit diesen Menschen und wurden von ihnen akzeptiert. Abgesehen von der Rochester-Klinik war das nur ein weiterer Punkt, der ihn veranlasste, dieses Programm gedanklich als seine erste Wahl einzustufen, noch bevor er sein Gespräch beendet hatte.
Bei sämtlichen Bewerbungsgesprächen, die er allesamt hervorragend gemeistert hatte, war Beau der einzige Werwolf-Medizinstudent gewesen. In seiner Abschlussklasse hatte sich eine Handvoll anderer befunden, aber er hatte sich für die Northwestern entschieden, weil es eine der wenigen Medizinfakultäten im Land war, die bekennende Werwolf-Studenten hatte. Es gab nicht viele Werwölfe in der Medizin, und außer Beau gab es keinen, den er kannte, der Menschen behandeln wollte, statt in den brandneuen Bereich der Werwolfforschung zu gehen.
Natürlich konnte man dort viel Gutes tun. Beau war genauso neugierig wie jeder zu erfahren, wie seine eigene Art wirklich tickte. Aber Werwölfe waren Jahrhunderte lang vor der Offenbarung ohne moderne Medizin ausgekommen, vor allem weil Werwölfe verdammt schwer zu töten waren. Die Entscheidung, dass Werwölfe Menschen waren und sie zu töten Mord bedeutete, war im gleichen Jahr in Kraft getreten, in dem Beau die Highschool abgeschlossen hatte, und diese Entscheidung hatte die Lebenserwartung der Werwölfe mehr verbessert, als es die gesamte Ärzteschaft jemals konnte.
Menschen dagegen konnten von allen möglichen Dingen umgebracht werden. Beau wollte Arzt werden, weil er Menschen retten wollte – und das bedeutete, dass er ein Arzt für die Menschen sein wollte, die Rettung brauchten.
Er hatte davon geträumt, am Rochester zu arbeiten, lange bevor er die medizinische Ausbildung anfing. Rochester war die letzte Zuflucht für viele kranke Menschen, die weltbekannte Klinik für schwierige Fälle. Wenn Beau beweisen wollte, dass die Sinne eines Werwolfs, in Verbindung mit einer fundierten medizinischen Ausbildung, durch eine verbesserte Diagnose Leben retten konnten, war dies der richtige Ort, um es zu tun.
Also musste er wirklich aufhören, jedes Mal zu grinsen wie ein Idiot, wenn er ein neues Schild, einen Briefkopf oder ein Mitarbeiterschildchen mit dem Rochester-Klinik-Emblem sah. Er war hier, um für eine Assistenzarztgenehmigung in Betracht gezogen zu werden, und nicht um ein Autogramm einer medizinischen Einrichtung zu bitten.
Während er wartete, hielt er den Blick gesenkt, und konnte nicht anders, als auf sein eigenes Besucherschild zu starren. Sein Bild prangte darauf, kopiert von einem Foto, das er mit seiner Bewerbung mitgeschickt hatte. Er hatte sich große Mühe gegeben, sein Lächeln richtig in Szene zu setzen, ein warmer Ausdruck, der dem Klischee eines dunkelhaarigen, dunkeläugigen Alpha-Werwolfs entgegenwirkte. Er war gut zwei Meter groß, mit der breiten, muskulösen Alpha-Figur, die die Menschen vor ihm zurückschrecken ließ, noch bevor sie wussten, was er war, wenn er nicht darauf achtete, freundlich und ungefährlich auszusehen. Es erinnerte ihn daran, wie er auszusehen versuchte, liebenswürdig und zugänglich, und nicht vor idiotischer Freude zu strahlen.
„Mr Jeffries?“ Die Direktorin selbst stand in der Tür zu ihrem Büro, und Beau sprang vielleicht ein wenig zu schnell auf seine Füße. Sie und ihre Assistentin zeigten kurze Anzeichen von Schreck, aber nicht mehr.
Beau lächelte und strich sein Hemd glatt. Er schritt langsam vor, während Dr. Asters Gesichtsausdruck zu einem professionellen Lächeln wurde.
Dieses Gespräch war sein letztes des Tages und es war nur für ungefähr fünfzehn Minuten angesetzt, keine Zeit für eine ausführliche Unterhaltung. Beau nahm an, dass es nur ein Händedruck und ein kleines Schwätzchen wurden – eine Formalität.
Diese Vorstellung hielt ungefähr zwei Minuten, während er mit Dr. Aster Höflichkeiten austauschte. Dann sagte sie: „Ich möchte den Elefanten im Raum nicht länger ignorieren. Sie sind anders als jeder andere Medizinstudent, den wir interviewen.“
Beau nickte, behielt jedoch seinen Gesichtsausdruck bei. In seinen anderen Bewerbungsgesprächen waren ihm mehrmals verschiedene offene Fragen zur Lykanthropie gestellt worden. Auf alle hatte er sehr gute Antworten gefunden.
„Wenn Sie angenommen werden“, fuhr die Direktorin fort, „hätten Sie andere Bedürfnisse als alle anderen Kollegen, und wir versuchen, einen Überblick darüber zu bekommen, was das bedeuten würde. Das ist Teil unserer Aufnahmepolitik für Werwölfe im Eingliederungsprogramm hier in Rochester. Ich hätte gern, dass Sie es sich ansehen und mir sagen, was Sie davon halten, oder mir alle Fragen stellen, die Ihnen dabei einfallen.“
Beau starrte sie einige Sekunden an, bevor er sich zwang, ihr die Papiere aus der Hand zu nehmen. Wie er es gelernt hatte, hielt er seine Miene neutral und seine Hände ruhig, aber er konnte die Worte vor sich kaum lesen, all die zusätzlichen Regeln, denen er folgen sollte, damit er sein konnte, was er war.
Eine Vorschrift ziemlich weit oben sprang ihn an:
Von Werwolfauszubildenden wird erwartet, dass sie starke und anhaltende Unterstützung durch andere Werwölfe vorweisen (durch das Herkunftsrudel/ örtliche Rudelaufnahme und/oder einen Partner/Ehepartner).
Beau konnte nicht einmal so tun, als würde er weiterlesen, seine Kehle wurde eng und sein Herz raste, während er auf das Papier starrte, das plötzlich wie eine Mauer zwischen ihm und allem stand, für das er die ganze letzte Dekade gearbeitet hatte.
„Ich …“ Beau zwang sich, aufzusehen und dem höflich wirkenden Blick des Menschen zu begegnen. „Ich bin kein Mitglied eines Rudels.“
Technisch gesehen konnten sie ihn nicht zwingen, etwas über seine Mitgliedschaft in einem Rudel offenzulegen, wenn er keine hatte, aber wenn sie ihn fragten, was mit dem Rudel geschehen war, in das er geboren wurde, warum er es verlassen hatte, musste er antworten. Lügen war keine Option, aber die Wahrheit war etwas, vor dem er eine lange Zeit weggelaufen war. Er wollte nichts davon hier erzählen, aber wenn er musste, wenn das der Preis war …
Dr. Aster bestand nicht auf das Thema. „Ich nehme an, dass Sie gestern zum Dinner keinen Partner mitgebracht haben, ist dann nicht nur das Zweikörperproblem in der Zeitplanung?“
Beau schüttelte leicht den Kopf. Er hatte seit seinem sechzehnten Lebensjahr keine Zeit für Dates gehabt und war davor noch nie in jemanden verknallt gewesen.
Seit er von zu Hause weg war, hatte er alle Zeit und Anstrengung darauf verwandt, ohne Rudel zu überleben, das College abzuschließen und dann Medizin zu studieren.
Die Werwölfe unter den Medizinstudenten nannten sich manchmal Rudel, aber das kam nicht annähernd an die gesetzliche Definition heran. Angesichts der Tatsache, dass jeder in diesem ‚Rudel‘ entweder noch zur Schule ging oder in einem Wohnheim wohnte, wären sie selbst als legitime Gruppe nicht als Unterstützungsnetzwerk geeignet gewesen. Niemand würde ihm glauben, wenn er behauptete, dass sie sein Support seien.
„Es gibt einige lokale Rudel in der Gegend, mit denen wir in Verbindung stehen“, sagte Dr. Aster vorsichtig. „Es gibt mindestens zwei, die dafür offen zu sein scheinen, ein vorübergehendes oder dauerhaftes neues Mitglied aufzunehmen. Ausgehend von dem, was diese Rudel sagten, als wir darüber diskutierten, denke ich, dass diese Art der Unterstützung wirklich von entscheidender Bedeutung wäre. Es wäre weder für Sie noch für andere sicher, wenn Sie versuchen, ein so anspruchsvolles Programm wie unsere Ausbildung ohne Unterstützung abzuschließen.“
Da war es – unverblümter ausgedrückt als irgendwo sonst, wo er sich vorgestellt hatte. Wir können nicht verantworten, dass Sie durchdrehen und Patienten beißen. Er fragte sich, ob die Richtlinie eine zusätzliche Sicherheitsvorkehrung für seine Schichten vorsah, Leute, die bereit waren, ihn auszuschalten, wenn er wild wurde, oder ob sie das als seine alleinige Angelegenheit betrachteten.
Er dachte an die anderen Werwölfe, die ihm aufgefallen waren, und erkannte, dass sie alle das Geheimnis unbedingt für sich behalten mussten. Sicher würde Rochester den Werwolf-Sicherheitsleuten nicht mehr vertrauen als einem Werwolf-Mediziner. Er konnte es nicht riskieren, andere zu gefährden, indem er zeigte, dass er ihr Geheimnis kannte. Wenn er hierher käme, könnte er keinen von ihnen anerkennen, selbst wenn sie die ironische Aufgabe hätten, ihn unter Kontrolle zu halten.
Beau setzte ein bescheidenes Lächeln auf und brachte sich dazu, aufzusehen und das erstickende Gefühl der Klaustrophobie zu ignorieren, das ihn bei der Vorstellung, unter dem Deckmantel der Offenheit zu solch schrecklicher Geheimhaltung zurückzukehren, überfiel. „Ich verstehe. Es würde einige zusätzliche Anpassungen bedeuten, aber natürlich würde ich alles tun, um mich an die Programmrichtlinien zu halten, wenn ich angenommen werde.“
Dr. Aster lächelte.
Beau kannte sie nicht im Entferntesten gut genug, um einen besonderen Einblick in die Bedeutung ihres Geruchs oder Herzschlags zu bekommen, aber sie schien ruhig und gelassen zu sein. Nicht wütend oder ängstlich, nicht grausam, aber entschlossen, die richtige Richtung einzuschlagen.
Beau schaffte es, den Rest des Gesprächs mit dem Autopiloten zu absolvieren, aber er wollte bereits wieder in Chicago sein, weg vom falschen Versprechen dieses Ortes. Auf keinen Fall würde er die Rochester-Klinik auf seine Liste möglicher Wirkungskreise setzen. Egal wie sauber und ordentlich sie es klingen ließen, er würde sich nicht anmelden, um sich sein Privatleben von Menschen diktieren zu lassen.
***
Sechs Wochen später hatte Beau seine Liste der Eingliederungsprogramme etwa tausend Mal auf- und umgestellt. Die Frist für die Abgabe seiner bevorzugten Wahl war nur wenige Stunden entfernt und er wusste, dass das Auswechseln seiner siebten und achten Platzwahl nicht wirklich das war, worüber er sich Sorgen machen musste.
Er hatte nur neun Programme auf seiner Liste.
Bei zwölf hatte er vorgesprochen und die beiden, die er nach der Rochester-Klinik besucht hatte, waren jeweils ein absolut klares Nein gewesen. Alle waren höflich gewesen, aber er hatte in Bezug auf beide Orte ein unglaublich schlechtes Gefühl gehabt und war nicht in der Lage gewesen, auch nur versuchsweise mit den Ärzten oder Auszubildenden zu sprechen, die er getroffen hatte. Es hatte keine Werwolfwachleute gegeben, nur Menschen.
War das wichtig? War er nach Rochester einfach nur hyperempfindlich? Er wusste es nicht, aber ihm stellten sich die Haare im Nacken auf und er spürte ein Knurren in seiner Kehle vibrieren, wenn er nur daran dachte, auch nur ein Wohnheim von diesen beiden auf seine Liste zu setzen.
Die Ironie war, dass er sich immer noch daran erinnerte, wie glücklich er sich in Rochester gefühlt hatte, bis zu dem Ende mit Dr. Aster. Jedes Mal, wenn er daran dachte, hatte er nur diesen sonnigen, fröhlichen Vorortscampus vor sich. Er hatte beinahe elf Jahre in Chicago verbracht und war bereit, irgendwo anders hinzugehen, wo seine Wolfssinne nicht ganz so strapaziert wurden. Kein Aufenthaltsprogramm würde so sein wie das, in dem er aufgewachsen war, aber Rochester war eine der kleineren Städte, die er besucht hatte, und es war von einer Vielzahl von Wäldern und Nationalparks umgeben. Es war Minnesota.
Dort könnte er glücklich sein, wenn nicht diese …
Er schüttelte den Kopf. Nein. Er würde sich nicht von seinem Ausbildungsprogramm in ein Rudel zwingen lassen und sich selbst zum Spielball für die Entscheidungen eines fremden Alphas machen. Das konnte unmöglich besser laufen als beim ersten Mal. Und natürlich würde er sich nicht zu einer Paarung drängen lassen. Er konnte das nicht, nicht so. Nicht, um Menschen zufriedenzustellen, die vielleicht niemals damit zufrieden waren, dass er keine Zeitbombe mit lykanthropischen Aggressionen war, geradewegs einer verdrehten Sensationsgeschichte über einen weiteren Werwolf entsprungen, der von einem Menschen in sogenannter Selbstverteidigung getötet worden war.
Das bedeutete allerdings auch, dass nur noch neun Wahlmöglichkeiten auf seiner Liste standen. Ihnen war immer und immer wieder vor den Bewerbungen und Vorstellungsgesprächen eingebläut worden, dass die Chance, genommen zu werden, bei neunzig Prozent und höher lag, wenn zehn oder mehr Auswahlmöglichkeiten auf ihrer Liste standen.
Aber das waren natürlich Statistiken für menschliche Medizinstudenten. Dr. Pavlyuchenko, der als halboffizieller Berater für sämtliche Werwolfstudenten am Northwestern fungierte, hatte ihm im Vertrauen gesagt, dass zehn das absolute Minimum war, wenn er hoffte, genommen zu werden.
Die Aufnahme zwischen Bewerbern und Aufenthaltsprogrammen wurde national geregelt, jeder Medizinstudent im achten Semester fand am selben Tag heraus, ob man aufgenommen wurde, und dann, ein paar Tage später, wohin man gehen durfte. Wenn er nicht aufgenommen wurde, musste er kämpfen, um ein Programm zu finden, das ihn annahm.
Und wenn er einen Platz fand, würde es in Werwolfmedizin sein und nicht in Humanmedizin. Wenn er zwei oder drei Jahre in einem Programm verbrachte, das auf Lykanthropie spezialisiert war, konnte er seine Chancen, von der Ärztekammer für Humanmedizin angenommen zu werden, in die Tonne treten.
Also musste er einen Platz finden. Er musste einen Platz in einem der zwölf Programme finden, bei denen er sich beworben hatte, oder es war alles umsonst gewesen.
Es war nicht so, dass Rochester ihn auf jeden Fall annahm, wenn man bedachte, wie sie über Werwölfe dachten. Und wenn es auf seine zehnte Wahl ankam …
Beau biss die Zähne zusammen und tippte die Rochester Klinik ans Ende seiner Liste. Er klickte auf Senden, bevor er es sich ein zweites Mal überlegen konnte. Damit hatte er zehn Programme auf seiner Liste. An neun davon würde er glücklich sein. Er hatte noch das letzte Semester vor sich und konnte keine Zeit mehr damit verschwenden, darüber nachzudenken, wohin er passen könnte. Jetzt lag es nicht mehr in seinen Händen.