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Vorwort der Herausgeber

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Silvester, Fußball und Demonstrationen – ausgelassenes Feiern zum Jahreswechsel, wöchentliche sportliche Großereignisse mit Choreografie und Emotionen, kollektive demokratisch legitimierte Meinungsäußerung – drei Anlässe, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Und doch – in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und der polizeilichen Arbeitsrealität verbindet sie zunehmend eines: in aller Öffentlichkeit durch Gruppen ausgeübte Übergriffe, Randale und Gewalt.

Ein eher neues Gewaltphänomen ist das erste, geprägt vor allem durch die Ereignisse der Silvesternacht 2015/2016 in Köln mit zahlreichen Eigentumsdelikten und sexuellen Übergriffen von jungen Männern, überwiegend aus dem nordafrikanischen und nahöstlichen Raum. Im Zusammenhang mit der in dieser Zeit zunehmend geführten politischen Diskussion um wachsende Gewaltkriminalität durch Zuwanderer und Flüchtlinge hat kaum ein einzelnes Ereignis in so starkem Ausmaß Veränderungen in gesellschaftlicher Einschätzung, politischem Agieren und normativer Rechtsetzung bewirkt. Wie ist dem Phänomen polizeilich zu begegnen?

Eher altbekannt und alltäglich erscheinen dagegen die beiden anderen Phänomene.

Fußball und Gewalt sind seit langem miteinander verwoben. Nicht erst seit der Fußballweltmeisterschaft 1998 mit den Ausschreitungen deutscher Fußballfans und ihren Attacken auf den französischen Polizisten Daniel Nivel gehören Ausschreitungen und Gewalttaten rivalisierender Gruppen in Stadien, auf An- und Abreisewegen und in den Vergnügungsvierteln der Städte zum Fußballgeschehen, in zunehmendem Maße auch die gewollte Konfrontation mit Ordnungsdiensten und Polizeikräften. Im Zuge der fortschreitenden Kommerzialisierung der Eventindustrie Fußball und der damit einher gehenden Entfremdung von Fan-Gruppen sind Feindbilder und Gewaltbereitschaft gewachsen. Eskaliert die Gewalt?

Auch Ausschreitungen und Gewalt im Demonstrationsgeschehen haben eine lange Geschichte. Die „Studentenunruhen“ liegen mehr als 50 Jahre zurück. Heute sind vor allem Gewaltexzesse bei Demonstrationen anlässlich des G-20-Gipfels 2017 in Hamburg, Übergriffe auf Ausländer oder andere missliebige Personen im Zuge rechtsgerichteter Aufmärsche wie jüngst in Chemnitz, die gesuchte körperliche Konfrontation von „Linken“ und „Rechten“ oder das gewalttätige Vorgehen von „Aktivisten“ gegen die Polizei bei der Räumung und dem Abriss von Baumhäusern im Hambacher Forst im Oktober 2018 in aktueller Erinnerung. Führen die spürbare Polarisierung gesellschaftlicher Positionen und ein wachsendes Konfliktpotential zu mehr Gewalt in der demokratisch legitimierten Auseinandersetzung?

Gemeinsam ist allen drei Phänomenen, dass sie – so unterschiedlich sie sind – die Polizei in ihrer Aufgabenwahrnehmung vor besondere Herausforderungen stellen.

Die Autoren dieses Lehr- und Studienbriefs setzen sich in ihren Beiträgen jeweils praxisbezogen mit dem von ihnen behandelten Phänomen auseinander, gehen Ursachen nach, zeigen Entwicklungen auf und beschreiben gesellschaftliche und polizeiliche Handlungsansätze, damit verbundene Problemstellungen und ihre Wirksamkeit oder Wirkungen auf das gesellschaftliche Miteinander.

So beleuchtet der Beitrag von Dr. Carsten Dübbers das Phänomen der Gruppengewalt im Rahmen der Kölner Silvesternächte 2015, 2016 und 2017 mit einem besonderen Augenmerk auf die spezifischen gruppendynamischen Prozesse und die Frage, wie sie verhindert werden können. Die Schilderung der nach den Erfahrungen der ersten Silvesternacht abgeleiteten polizeilichen Folgerungen, der Fortentwicklung von Bearbeitungs- und Einsatzkonzepten sowie ihrer Umsetzung in Präsenz und verändertem Handeln polizeilicher Einsatzkräfte erweist sich als gelungene Fallstudie.

Ein umfassendes Bild über die Entwicklung von Gewalt im Kontext von Fußballspielen, dem Wandel ihrer Formen und ihrer Akteure über mehr als 25 Jahre sowie die ebenso lange währenden Anstrengungen von Vereinen, Veranstaltern, den Polizeien von Bund und Ländern sowie weiteren Netzwerkpartnern, diese Gewalt einzudämmen, zeichnet der Beitrag von Detlef Gröner. Ausgehend von dem wiederholt fortgeschriebenen Nationalen Konzept Sport und Sicherheit und den bundesweiten Erkenntnissen der polizeilichen Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze liegt ein Schwerpunkt der Darstellung auf den Leitlinien und Zielen polizeilichen Handelns sowie der Erörterung geeigneter, aber auch umstrittener Maßnahmen der Gefahrenabwehr im Vorfeld und am Einsatztag sowie zur Gewährleistung einer effektiven Strafverfolgung.

Einen noch weiteren Bogen spannt Udo Behrendes in seinem vielschichtigen Beitrag zu Gewalt bei Demonstrationen von den 1960er Jahren bis heute. Darin reflektiert er auf der Grundlage polizeilicher Erfahrungen, sozialwissenschaftlicher Befunde und der Rechtsentwicklung u. a. die Frage, wie Gewalt bei politischen Veranstaltungen und Demonstrationen entsteht, welche Formen und Akteure sie hat, welche Wirkungen das Auftreten und Verhalten der Polizei haben und in welche „Gewaltfallen“ sie geraten kann. Sein Beitrag ist ein Plädoyer für eine dialogfähige Polizei, die – ohne reflexartige Handlungsmechanismen – professionell gegen Formen von Demonstrationsgewalt agiert, dabei aber auch eine friedliche Protestkultur im Sinne des Art. 8 GG unterstützt.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Beiträge vermittelt dieser Lehr- und Studienbrief einen sachgerechten Überblick über drei gesellschafts- und kriminalpolitisch bedeutsame Themenfelder, die sich für die polizeiliche Ausbildung und Praxis in Gefahrenabwehr und Strafverfolgung durch hohe Aktualität und Relevanz auszeichnen.

Wolfgang Gatzke

Horst Clages

Gewalt durch Gruppen

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