Читать книгу Wir kommen alle wieder! - Detlef K.H. Würth - Страница 12
ОглавлениеKapitel 5.
Schulische Noten
Mit jedem Kapitel bewegen wir uns ein Stück tiefer in die Geschichte Katharinas und so wird auch die Informationsvielfalt dichter und bedeutend prägnanter. Was sich hier nun zeigen wird, ist eine höchstinteressante Abhandlung ihrer Schulzeit. Sie bietet uns die Möglichkeit, einen einzigartigen Eindruck damaliger Vorgänge des Jahres 1883 zu erhalten. Von dem Lehrer bis zu dem Klassenzimmer, von Bestrafungen bis zu den Zeugnisnoten, werden sich uns die Dinge eröffnen. Auch die damalige Schrift, wie sie zur Zeit Katharinas unterrichtet wurde, werden wir hier wiederfinden. Besonders diese, war mir sehr wichtig zu erhalten. Wenn all die Informationen tatsächlich der Wahrheit entsprachen, dann war es auch möglich Katharina wieder schreiben zu lassen. Es würde zumindest einen kleinen Beweis darstellen. Ein Leben in einer anderen Zeit, setzt auch das beherrschen dieser Schrift voraus! Gehen wir nun aber gemeinsam zum Tag ihrer Einschulung und der damit verbundenen Ereignisse eines kleinen störrigen Mädchens …
A: ich bin am Schreien! (wirkt aufgeregt, leicht wütend)
F: aus welchem Grund?
A: …..suche was!! (wirkt wütend)
F: was suchst Du denn?
A: einen Stein!!
F: warum einen Stein?
A: den muss ich mitnehmen!! (energisch)
F: weshalb?
A: …ist mein Glücksstein!! (kindlich, sehr energisch)
F: aber warum schreist Du?
A: weil ich ihn nicht finde!! (ärgerlich)…..Ohne den geh ich nicht!! (emotional)…es ist mein Stein und ohne den geh ich nicht!!
F: was ist denn das für ein Glücksstein?
A: es ist ein dunkler Stein…den hab ich gefunden…das ist mein Stein!!
F: und den hast Du immer bei Dir?
A: ..den hab ich immer bei mir!!
F: und jetzt kannst Du ihn nicht finden?
A: der Stein ist nicht mehr da!! (sehr ärgerlich, wirkt jetzt zorniger)
F: warum nicht?
A: …..ich weiß es nicht (ärgerlich, zornig)….liegt nicht mehr auf der….Nachtkommode!!
F: hat ihn Dir jemand weggenommen?
A: ..ich weiß es…nicht! Ich gehe nicht ohne den Stein!! Das ist mein Stein und den brauche ich!!
Es war praktisch das erste Mal, dass sich ein besonderer Charakterzug von Katharina zeigte. Sie besaß extreme Eigensinnigkeit, der wir später noch im Erwachsenenalter sehr oft begegnen werden. Vermutlich war genau das sogar die Grundlage, für die noch kommenden Ereignisse. Katharina war ein Einzelkind und vielleicht trug auch die Erziehung der Eltern dazu bei, denn auch sie bekamen den Verlust des banalen Glückssteins zu spüren. Im Vergleich zu Frau B. ´s Kindheit, war Katharina das absolute Gegenteil, denn sie zeigte bereits in jungen Jahren schon äußerst selbstbewusste Züge.
F: ist der denn so wichtig?
A: ja!! ……Ich lauf die Treppen runter!………Geh in die Küche…schau in den Küchenschrank…….schau in den (unverständlich) und da ist er auch nicht!!……..Mutter schimpft! (presst die Lippen kurz zusammen)
F: was sagt sie denn?
A: …dass ich das nicht brauchen würde!…Das wir gleich gehen müssen……..aber ich gehe nicht ohne diesen Stein!!…..Ich geh wieder hoch………die Schuhe sind so schwer! (verkrampft leicht das Gesicht)
Wieder ein sehr interessanter Hinweis, den ich genauer beleuchten möchte. Anscheinend waren diese Schuhe entweder größer als ihre Füße oder es war das Material, das ihr das Empfinden von Schwere, so deutlich in ihr Bewusstsein führte. Vielleicht mögen Sie sich noch erinnern, dass Katharina denselben Hinweis im vorherigen Kapitel über die Schwere der Schuhe gegeben hatte, als sie auf dem Stuhl saß. Würden wir Frau B. reine Fantasie unterstellen, müsste sie zumindest ein extrem ausgeprägtes Erinnerungsvermögen besitzen, denn beide Aussagen lagen fast ein ganzes Jahr auseinander! Und dazu muss man noch sagen, dass es eigentlich um ihren Stein ging und das Übel der Schuhe, eher eine Randbemerkung darstellte. Nein! Das ist keine Fantasie! Ich sehe genau den Realismus des Erlebten darin. Nämlich, dass sich gerade beim Sitzen die schweren Schuhe bemerkbar machten, wenn die kleinen Beinchen nach unten hingen, ebenso, wenn sie ihre Füße, weit höher als ein Erwachsener auf einer Treppe anheben musste. Oftmals wirkte es sehr unheimlich zu sehen, wie eine erwachsene Frau vor mir lag und dennoch, wie ein Kind aus einer Vergangenheit von seinen kindlichen Problemen sprach.
F: was ist schwer?
A: die Schuhe!…………(beginnt plötzlich zu lächeln)
F: was ist? Du lächelst?!
A: ….ich hab ihn!
F: Du hast ihn? Wo hat er denn jetzt gelegen?
A: hinterm Bett! Hinter dem Fuß von dem Bett……dahinter!..(wirkt entspannt, lächelt)..
F: einfach dahinter gefallen?
A: …der muss hinter die Nachtkommode gefallen sein!
F: geht’s jetzt besser?
A: ja!…Ja! (völlig erleichtert)
F: und jetzt?
A: …(atmet leicht ein und wirkt entschlossen)…jetzt geh ich in die Schule! (lächelt, entschlossen)..
F: erzähl mal alles, was auf dem Weg zur Schule passiert. Wie kommt ihr dorthin?
A: gehen zu Fuß!
F: wo ist Dein Stein?
A: den hab ich am Bund von meinem Rock!
F: am Bund?
A: ja, so hineingequetscht!..
F: hmm…wie hast Du denn das gemacht?
A: ich hab ihn im Rock so ein bisschen zur Seite gemacht!…..Der ist dort breit…ein breiter Bund…dort hab ich ihn so reingemacht…dass er sich da hält zwischen Unterhose und Rock!..
F: trägst Du sonst noch etwas mit Dir?
A: ….Schultasche!
F: wie sieht die aus?
A: …ist so braun….eine Ledertasche!.. Die hat so einen Riemen…da ist eine Tafel drin…ein Brot drin!
F: ist ein Brot drin?
A: jaa! (kindlich stolz) Ich wollt ein Brot mitnehmen!
F: was ist denn auf dem Brot?
A: Butter!
F: sonst noch was?
A: …nein!
F: nur Butter?
A: ..Butterbrot!
F: liegt das einfach so in der Tasche?
A: ..nein das ist in Leinen gewickelt……Stück Leinen!..
F: sonst noch etwas?
A: …..Kohle….Stück Kohle!..
F: und wo hast Du die Tasche?
A: ..die hab ich an der Schulter…so ein bisschen auf dem Rücken hängen!..
F: noch was?
A: ….ich halte mich an meinen „Biezen“ fest!..
F: was tust Du?
A: dass ich nicht hinfalle!
F: wie noch mal?
A: das ich nicht hinfalle!
F: und Du hältst Dich wo fest?
A: an meinen Biezen!
F: Biezen? Was ist das?
A: ..Biezen…meine Haarbiezen…Biezen!..
F: Haarbiezen?
A: ja!
F: und da hältst Du Dich fest?
A: damit ich nicht falle!
F: wie meinst Du das?
A: …ich halte mich an den Biezen fest!….Ich hüpfe auf dem Weg…vor meinen Eltern her….laufe…und wenn ich springe und laufe, dann halte ich mich an meinen Biezen fest!
Das Wort "Biezen" dürfte wohl eine rein saarländische Erfindung für Zöpfe sein. Zwar bin ich Saarländer, aber dennoch war mir das Wort nicht bekannt. Lassen Sie uns somit die Sache etwas genauer betrachten. Die Situation mit den „Biezen“ machte mir etwas Kopfzerbrechen, denn Frau B. ist Saarländerin und Katharina war eine Hessin. Demnach hätte sie das Wort „Biezen“ überhaupt nicht nennen können, da es in der Region Frankfurt praktisch nicht bekannt ist und erst recht nicht, zu ihren Lebzeiten. Also doch alles Erfindung?
Keineswegs! Es ist ja schließlich auch nicht die Stimme von Katharina, geschweige denn ihre damaligen Stimmbänder oder ihr Sprachzentrum. Dieses könnte sie auch nicht mehr nutzen, denn ihre kommunikative Eigenschaft war mit ihrem Gehirn verknüpft und dieses existiert nicht mehr! Das von Frau B. hingegen schon, allerdings ist sie Saarländerin und ihre Muttersprache ist ebenso mit ihren anatomischen Anteilen verbunden. Da sich Katharina aber mitteilen muss, kann sie eben nur das Sprachzentrum nutzten, welches auch vorhanden ist. Das Gleiche gilt natürlich auch für den im Kapitel 3. geschilderten Geburtsvorgang. Der Fötus besaß natürlich keinerlei muttersprachliche Kenntnisse, war aber aufgrund der Decodierung des Unbewussten in der Lage, sich sprachlich mitzuteilen. Letztendlich sorgt der unbewusste Anteil von Frau B. für den Kontakt mit dem Vorleben, genauso wie überhaupt für das Entstehen einer Kommunikation!
F: was sagen denn Deine Eltern zu Dir?
A: …..die sagen, ich wäre störrig….ich wär störrig!..
F: störrig?
A: wie ein Stier! (kindlich, stolz)
F: und warum?
A: ….hm…ich sag immer, was ich nicht mag!..
F: magst Du jetzt zur Schule gehen?
A: ja!
F: und warum?
A: ich möchte lernen!
F: was möchtest Du denn lernen?
A: ich möchte schreiben lernen!
Und genau das, wird sie auch später beruflich tun. Die Schreibmaschine, die sie dazu verwenden wird, spielte auch eine kleine Rolle im Leben von Frau B. Ich möchte an dieser Stelle aber noch nicht zu viel verraten.
A: ….sind viele Kinder! (wirkt plötzlich verängstigt)
F: wie fühlst Du Dich jetzt?
A: hm…bisschen aufgeregt!…..Da sind viele Lehrer!…Die Mädchen….stellen sich links auf….und rechts die Jungs!..
F: weiter!
A: …die Lehrer rufen die einzelnen Kinder auf!…Haben so eine…Liste…
F: geh mal genau zu dem Zeitpunkt, als Dein Name aufgerufen wird!
A: ….Fräulein Katharina Sielman!….Ich stelle mich auf die rechte Seite…..hmm…linke Seite ist das…links…wo die Wand ist!…Der Lehrer geht vor…wir gehen nach…..gehen in die Klasse!…..Ich setze mich in die dritte Reihe…in die Mitte!..
F: sitzt Du jetzt dort alleine?
A: …kommt noch ein Mädchen!……Sie sitzt neben mir..
F: was sagst Du denn zu ihr?
A: nichts…ich lächle..(lächelt)..
F: und was sagt sie?
A: …ich bin die Mathilde!….Ich sag…..Katharina!..(lächelt)..
F: wie sieht denn die Mathilde aus?
A: die hat…nackenlange…so lockiges Haar………sie hat…dunkle Augen!..
Dieser Moment war der Beginn einer sehr langen Freundschaft, denn sie wird uns noch hin und wieder begegnen und sogar später für den Ehemann Katharinas ein Alibi sein. Auch war sie zu ihrer Hochzeit und der späteren Kindertaufen zugegen. Diese Freundschaft sollte fast bis in die Hälfte ihres Lebens bestehen, um sich dann später für immer zu verlieren.
F: ist der Lehrer schon da?
A: ja der redet mit sich selbst!
F: hörst Du, was er sagt?
A: der sucht was…auf dem Tisch!
F: was sagt er?
A: …..(unverständlich)…er begrüßt uns!…“Schönen guten Morgen!“…Er schaut in die Runde…den Stock in der Hand…den er sich immer in die Hand haut!…….Er sieht sehr streng aus!..
F: was macht er denn?
A: er geht hin…….er geht her!…..Nach links…hin und her…und spricht……Er schreibt etwas an die Tafel…..ein A…ein B…ein C……einer der Jungs geht jetzt an die Tafel…und schreibt das nach!..
F: musst Du auch an die Tafel schreiben?
A: ..ich hab meine eigene! (stolz, kindlich)…Ich schreib das ab!
F: in welcher Farbe schreibst Du denn?
A: ….ist so ein Kohlestück!..
F: und was für eine Farbe hat die Tafel?
A: ..die ist schwarz! Die hat eine Holzumrandung!
Falls Sie jetzt der Meinung sind, dass ein schwarzes Kohlestück auf einer schwarzen Tafel keine Spuren hinterlassen konnte, dann irren Sie sich! Die Farbe, die dabei auf der Tafel entstand, war grau!
F: und was machst Du für ein Fach im Moment?
A: ..Schreiben!
F: beschreib mal, wie die Jungen in Deiner Klasse gekleidet sind?
A: …die haben…so…Hosen an mit Hosenträgern und Hemd!…..Man muss gerade sitzen die Hände auf dem Schreibpult!…Man darf nicht….herumhampeln!..
F: welche Fächer hast Du denn?
A: Deutsch….Rechnen….Natur….Volkskunde….Sport….Malen..
F: wie viele Stunden bist Du in der Schule?
A: bis zu Mittag!
F: von wann bis wann?
A: von acht bis zwölf…
F: und woher weißt Du, wann Schluss in der Schule ist?
A: der Lehrer sagt das! Der hat eine Uhr in seiner Weste!…..Der drückt da drauf und dann springt das auf…das ist…eine Taschenuhr!
F: und da schaut er jede Stunde drauf?
A: ja und dann sagt er uns, wann Pause ist!
F: was machst Du in der Pause?
A: spielen!
F: was denn?
A: wir springen Seil…wir hüpfen!…Wer am schnellsten auf einem Bein hüpfen kann….ich kann das ganz gut! (lächelt)
F: was machst Du noch gern?
A: ..wir spielen Blindekuh!..
Ich denke, dieser kurze Einblick war ausreichend, um den oberflächlichen schulischen Tagesablauf von Katharina nachzuvollziehen. Wir gehen nun zeitlich etwas weiter vor, als Katharina bereits lesen und schreiben konnte. Und genau das, wird uns jetzt eine glasklare Beschreibung ihrer damaligen Leistungsbeurteilung liefern!
F: hast Du schon mal ein Zeugnis bekommen?
A: …..eine Beurteilung für meine Arbeit in der Schule!
F: was steht drauf?
A: wie ich mitarbeite…und…welche Schwächen ich habe und welche Arbeiten gut sind!…
F: ist das ein Blatt Papier? Was steht denn für eine Überschrift?
A: das ist ein Blatt Papier!…..Beurteilungszeugnis!…Dann kommt mein Name…und dann kommt die Beurteilung…unten ist, wie ein durchgeschriebenes Siegel auf dem Papier!..
F: welche Farbe hat das Siegel?
A: braun!
F: beschreib das mal ganz genau. Ich möchte das ganz deutlich hören!
A: ….ist eine Krone mit so…Striche drumherum!…So eine Krone…da ist wie so ein Muster rundherum!..
F: kann man etwas lesen?
A: ………..Reich……..(flüstert)…Deutsches Reich!….Steht Reich….ja!…Es ist schwer…da man das nicht gut sieht!..
F: aus was besteht dieses Siegel?
A: ist wie Wachs!..
F: achso, deshalb kannst Du es nicht so gut lesen?
A: ja!
F: kannst Du sonst noch was sehen?
A: ….ist mit schwarzer Tinte geschrieben!..
F: was?
A: Beurteilung!..
F: lies das mal ganz genau vor?
A: Beurteilungszeugnis…Katharina Sielman…darinnen ist…im Unterricht nicht immer aufmerksam…beteiligt…..lässt sich gerne ablenken!…Dann ist eine Zeile frei!…Ihre Deutschkenntnisse sind hervorragend entsprechend ihrem Alter!…Ihre Rechenkenntnisse eher befriedigend!…Volkskunde etwas aufarbeitend!…Naturkunde sehr hervorkommend!…Mitarbeit…könnte sich etwas mehr…bei den Arbeiten melden!…Unten steht die Schulleitung, Unterschrift und rechts ist ein Siegel!..
F: wird das gefaltet oder bleibt das so?
A: …das wird gerollt!
F: steht dort auch, ob Du in eine andere Klasse versetzt wirst?
A: …nein!
Mal ehrlich, so etwas kann man sich doch nicht in ein paar Sekunden zurechtschustern? Die Ausdrucksweise, wie „hervorkommend, aufarbeitend“, hat doch ganz eindeutig den Charakter einer anderen Zeit. Die Einzigartigkeit, mit der Katharina ihr Beurteilungszeugnis wiedergab, besitzt in meinen Augen, vielleicht schon einen kleinen historischen Wert, denn ich war bei meinen späteren Recherchen nicht in der Lage, nur ein einziges Schulzeugnis von 1886 aus Katharinas Region zu besichtigen. Das soll nicht bedeuten, dass keines mehr in Deutschland existiert, aber jede Region besaß halt ihre eigene Art und Weise, derartige Beurteilungszeugnisse zu verfassen. Was sich in ihrer Schilderung auch sehr gut erkennen lässt, ist der Hinweis auf ihre hervorragenden Deutschkenntnisse, welche die bereits vorangegangenen Aussagen darüber stützt. Lassen wir uns nun den Klassenraum etwas näher beschreiben.
F: was siehst Du?
A: Pult!
F: wie sieht das aus, beschreib das mal? Was steht drauf?
A: davor steht eine…eine Lampe!…Petroleum!….Eine Gaslampe!…Liegt eine Feder…Schreibfeder…die ist grau und vorne eine Spitze!
F: wie sieht die Spitze aus?
A: …da ist…wie eine…kleine…Kaule…
F: was?
A: wie hohl…so ein bisschen hohl…An der Feder vorne!..
F: ist da ein Metall dran?
A: ..nein!
F: wie alt bist Du jetzt?
A: neun!
F: beschreib mal Deinen Tisch?
A: …..da ist eine Klappe…am Tisch..
F: wo ist die?
A: an der Seite, die kann man hochheben!
F: und dann?
A: ..ist Papier drin!
F: welche Farbe hat das Papier?
A: …die sind braun!..
Ihre Aussage zur Farbe des Papiers hätte nicht treffender sein können, denn zu ihrer Zeit und zum Teil noch darüber hinaus, gab es das sogenannte „Holzschliffpapier“! Aufgrund verschiedener chemischer Wirkmechanismen kam es recht schnell zur Vergilbung (gelbbräunlich) des Produktes und auch dem Einbüßen der Reißfestigkeit. Noch heute kämpfen unsere Kuratoren um den Erhalt unserer geschichtlichen Überlieferungen, die leider auch auf solchem Papier geschrieben wurden.
F: wenn Du Dich auf diesem Papier mit dem Kohlestift verschreibst, wie kannst Du das wieder entfernen?
A: …..ist nicht gut…wenn ich mich verschreibe…nicht gut! (presst die Lippen zusammen)
F: warum?
A: ..weil sich das nicht gut wegmachen lässt!
F: und wenn es passiert ist?
A: ….muss ich weiter schreiben…(presst die Lippen zusammen)..
F: und was sagt der Lehrer dazu?
A: …er wird böse…..er schimpft!..
F: was sagt er dann?
A: ich müsste mich konzentrieren!
F: wenn er Dich bestraft, wie macht er das?
A: er haut auf die Finger!
Es ist wirklich schlimm, wenn man bedenkt, dass es eine Zeit gab, in der man tatsächlich kleinen Kindern Schmerzen zu Lernzwecken zufügte. Besonders in Katharinas Zeit und selbst noch bis in unsere Achtzigerjahre hinein, war das Schlagen von Kindern ein ganz legitimes Mittel. Natürlich war es der damalige Zeitgeist, aber sicherlich auch genauso das Ausleben an Macht, was die Lehrer zu den meist sadistischen Bestrafungsmethoden anspornte.
F: wie macht er das?
A: er hat einen Stock in der Hand!
F: wie oft schlägt er damit?
A: …..fünf Mal!
F: immer fünf Mal?
A: …nein!…Auch einmal…zweimal….bis fünfmal!..
F: zählt das für jeden in der Klasse?
A: nein!….Je nachdem was man gemacht hat!
F: und das heißt?
A: kommt drauf an, ob man sich verschrieben hat oder man nicht…zuhört!…Es soll ja daran …erinnern…dass man…..aufpassen soll!
F: und der Lehrer haut nur auf die Finger?
A: …..nein!…Hosenbund….bei den Jungen!..
F: wie macht er das?
A: ….auf dem Strafhocker!
F: auf dem Strafhocker? Wie sieht der aus?
A: das ist…so ein hoher Hocker…wo man sich…drüber beugen muss und da kriegt man…den Stock auf den Hintern!..
F: die Mädchen?
A: ….die Jungen!
F: nur die Jungen?
A: ja!
F: und wie oft?
A: elf Mal! (presst die Lippen kurz zusammen)..
F: beschreib den Strafhocker mal!
A: …..er ist hoch…so halb rund…aus Holz!…Ist ein Lederstück drüber und…hat vier Füße!..
F: wo steht der?
A: rechts unter der Tafel!
F: was siehst Du noch?
A: ..Jacke…eine Tasche..
F: was für eine Tasche ist denn das?
A: …so eine…Schultasche!..
F: beschreib die mal!
A: …manche sind aus Leder…..manche aus Stoff!..
Die Angaben waren völlig korrekt, wie ich später feststellen konnte!
F: hast Du auch eine Armbanduhr?
A: nein!
F: weißt Du was das ist?
A: nein!
F: was ist noch in dem Raum?
A: …….ein Loch…(beginnt zu lächeln)..
F: ein Loch?
A: ja!
F: für was ist denn das?
A: …so am Boden….in der Wand……sind Mäuse drin..(lächelt)..
F: Mäuse?
A: ja!
F: Ist das ein Mauseloch und die Mäuse laufen in der Klasse rum?
A: …nein!…….Eine Maus!
F: weiß der Lehrer von diesem Loch?
A: nein!
F: und wer weiß das?
A: ..wir! (grinst)….Wir legen…ein Stück Brot…….in das Loch und dann ist es weg! (lächelt)
F: wann macht Ihr denn das?
A: wenn der Lehrer nicht da ist!…Wenn er was holen geht…in der Pause!..
F: wie heißt denn die Schrift, die Du schreibst?
A: …. (unverständlich)…..(flüstert irgendwas)…ich weiß es nicht!..
F: geh mal zu einem Zeitpunkt als Dein Lehrer über die Schrift zur Klasse spricht! Was muss man darüber wissen?
A: …die Schrifthaltung!…Die Schriftform……die Haltung!
F: was ist mit der Schrift? Ist sie schwer?
A: ja!
F: was ist schwer daran?
A: die Schriftform!
Zur Schrift werde ich später noch etwas sagen. Kommen wir nun zu der Sache mit dem Gedicht, welches ich schon im vorherigen Kapitel angesprochen hatte. Katharina war zu dem Zeitpunkt 11 Jahre alt.
A: ein Gedicht!
F: Oh! Sag es mal auf!!
A: ……..Zu den Weiden!..
F: weiter!
A: ……..es ging ein Mädel….so jung es war….durch die….Wiesen und Felder so wunderbar!…Es strahlet die Sonne am Himmel so warm…das Mädel es ginge….voller Freude…im Farn!….Es rauschet…der Bach ….dem Mädel ist dürst……es ginget hinüber den Weiden Betracht!..
F: weißt Du auch, von wem dieses Gedicht ist?
A: …….Karl Hof…Karl Hoffmann!
Trotz intensivster Recherche und es waren wirklich viele Stunden, fand ich bis zum heutigen Tage keinen Hinweis auf solch ein Gedicht. Auf diversen Internetseiten, die historische Gedichte in Hülle und Fülle besitzen, war nichts zu finden. Ein Gedicht mit der Bezeichnung "Zu den Weiden" fand ich, denn was die Weiden angeht, gibt es wirklich viele, aber nicht ein einziges passte zu dem, welches Frau B. von sich gegeben hatte. Dass es einmal existiert haben muss, steht für mich außer Frage, denn die Reime sind absolut passend und stellen keine Fehler dar. Frau B. kann unmöglich in ein paar Sekunden ein in sich recht nachvollziehbares Gedicht erfinden, so etwas braucht Zeit!
Auch die gezielte Suche nach dem Dichter mit Namen Hoffmann, brachte zwar Ergebnisse, aber keine die man mit diesem Gedicht in Verbindung hätte bringen können. Insgeheim freut es mich ein wenig, denn das zeigt immerhin auch eine gewisse Authentizität gegenüber dem Geschilderten. Wer weiß, vielleicht steht es noch irgendwo in einem alten Schulbuch oder es liegt schon lange vergessen und verstaubt auf einem Dachboden. Möglicherweise gibt es noch jemanden, der dieses Gedicht kennt, so würde ich mich um eine Benachrichtigung sehr freuen. Ebenso natürlich über jede Art von Fragen! Meine Kontaktadresse finden Sie am Ende des Buches. Kommen wir jetzt aber zu dem Moment, den ich am Anfang des Kapitels angesprochen hatte. Ich ließ Frau B. in Trance schreiben! Zu keiner Sitzung wusste sie was ich fragen oder tun würde, denn das war für mich äußerst wichtig, so entstand nie der Verdacht einer Vorbereitung. Ihr rechter Arm lag wie immer für die Fingersignale ausgestreckt auf der Couch. Ich schob ein Blatt Papier unter die Hand und gab ihr einen Bleistift zwischen die Finger. Dann bat ich den unbewussten Anteil, zu einem Moment zu gehen, als Katharina in der Schule schrieb. Ihre Hand hob sich nach einem kurzen Moment zögerlich an und ihre Finger begannen den Stift zu umklammern. Frau B’s Augen waren während des ganzen Vorgangs komplett geschlossen. Sie lag in absolut tiefer Trance. Dann begann eine faszinierende Situation. Sie schrieb mit gestrecktem Arm und geschlossenen Augen, in einer alten Schrift, welche die meisten von uns, heute gar nicht mehr lesen können und gemäß meiner Recherche die deutsche Frakturschrift darstellt. Frau B. begann zu schreiben und es sah tatsächlich so aus, als hielte sie eine Schreibfeder in der Hand!
F: was heißt denn dieses Wort?
A: Sonnenschein!
(Schrift Katharina im Alter von 13 Jahren) Sonnenschein
Frau B. schrieb liegend mit gestrecktem Arm und geschlossenen Augen!
F: schreib mal noch etwas!
A: ….ich weiß nicht..
F: schau mal, ob Du irgendetwas von der Tafel abschreiben kannst!
A: (beginnt wieder zu schreiben)
F: was heißt das?
A: Siegfried!
(Schrift Katharina im Alter von 13 Jahren) Siegfried
F: gut! Wie alt bist Du jetzt?
A: …dreizehn!
Im Moment der Frage und obwohl ich bereits das Blatt schon entfernt hatte, führten ihre Finger immer noch Schreibbewegungen aus. Ich unterbrach den Vorgang, sodass sie innehielt. Dann schob ich erneut ein Blatt Papier unter ihre Hand, denn ich hatte noch etwas Besonderes vor. Konnte ich hier Schriftzüge aus ihrer Schulzeit erhalten, so musste es auch möglich sein, dasselbe aus einer Erwachsenenzeit zu bekommen. So bat ich das Unbewusste, zu einem Zeitpunkt zu gehen, indem sie sich im zwanzigsten Lebensjahr befand und etwas schrieb. Wieder begann sie zu schreiben, aber diesmal war es völlig anders. Die schnelle und routiniert anmutende „Federführung“, war nicht zu übersehen. So etwas hatte ich noch nicht erlebt und langsam stellten sich mir die berühmten Nackenhaare. Frau B. lag vor mir mit geschlossenen Augen, nichts an ihr regte sich, außer dem Arm und der Hand. Ich hatte das Gefühl, irgendwie neben mir zu stehen, denn auf dem Papier zeigte sich eindeutig eine alte Schrift, die absolut passend für die Zeit Katharinas war. Leider entstanden große Absätze auf dem Blatt und eine relativ schlechte Qualität, denn wie ich schon sagte, Frau B.´s Augen waren geschlossen und ihr Arm hatte kaum Bewegungsmöglichkeit, denn er lag gestreckt auf der Couch. Dennoch möchte ich das Schriftstück in das Buch übernehmen.
A: (beginnt zu schreiben und lächelt)
F: warum lächelst Du?
A: „Liebste Mathilde“…(lächelt)……(schreibt weiter und lächelt hin und wieder)..
F: was schreibst Du ihr denn?
A: „Liebste Mathilde…wann kommst du…mich besuchen?“ …“Dein Brief war sehr schön“……sie hatte mir einen Brief geschrieben!…(wirkt ganz erfreut)
F: hast Du ihr noch mehr geschrieben?
A: ja!
Brief an Mathilde
Ebenso schrieb sie noch eine andere Sache, jedoch ging es dabei um ein Ausfüllen einer Vorgabe. Hierzu die entsprechende Schilderung.
F: was hast Du noch geschrieben?
A: ..Manuskript…..das ist ein Manuskript!..
F: ein Manuskript?
A: ja! Manuskriptform….achtzehn…..sechsundneunzig…….1896!
F: was für ein Manuskript ist denn das?
A: .. für den Verlag!
F: von was handelt es denn?
A: das handelt von dem…Verlag selbst…es handelt über…hm…hach….hmmm…
Katharina schien etwas Schwierigkeiten mit der Erklärung zu haben. So entschied sie sich eigenständig dafür, mir eine bessere Schilderung über den Schreibvorgang zu geben. Sie las genau das, was sie vor sich liegen sah …
A: ….Position 1…über die Arbeitsweise…über die Zeiten…über die Schichtwechsel…..über den Tagesablauf…..über die Anzahl…der gedruckten Seiten!…Den Druckablauf…unten in der Druckerei…und…für die Materialien……was an Materialien verbraucht wird…pro…pro…das….hm …die Schwärze…über die Menge!..
F: die Tinte?
A: was man…pro…braucht!..
F: zum Druck braucht?
A: ja!…Es erfasst alle…diese Ausgaben!
F: und dort hast Du nun hineingeschrieben?
A: da hab ich jetzt reingeschrieben!…Das hab ich…nicht ganz geschrieben…nur zum Teil…und das andere…..mit Schreibmaschine geschrieben!
F: also hast Du das ausgefüllt?
A: ja und ein bisschen auf der Schreibmaschine!…Hab’s korrigiert…und es dann auf das Papier mit der Schreibmaschine…geschrieben!..
Drängt sich einem nicht der Gedanke eines Insider-Wissens auf, wenn man diese Manuskriptbeschreibung liest? Es deutet ganz klar auf einen Materialausgabe-Erfassungsbogen hin, mit den entsprechenden Hinweisen für eine Druckerei. Alles, was sie beschrieb, steht in einem logischen Verhältnis. Kann man so etwas, noch dazu völlig Sachliches, einfach so zurecht fantasieren? Bedenken Sie bitte, dass ich praktisch von der Schriftprobe der Schule übergangslos in ihr Erwachsenenalter gewechselt hatte. Aber glauben Sie mir, es wird im Laufe des Buches noch weitaus kurioser! Ich versichere Ihnen, ich wäre in der Lage wahrscheinlich alles, was sie je in ihrem Leben einmal geschrieben hatte, noch mal auf Papier zu bringen. Vielleicht tue ich das auch irgendwann einmal, aber im Moment gilt meine Aufmerksamkeit weit Wichtigerem, was ich aber noch für mich behalten werde. Aber nun weiter, denn wir sind noch nicht ganz am Ende, was Katharinas Schulzeit betraf. Die Sitzungen darüber ließen mich unentwegt nachdenken und immer wieder kam der Gedanke in mir hoch, einen Beweis oder zumindest jemanden zu finden, der sich mit so etwas noch auskannte. Meine Wahl fiel auf das Schulmuseum in Ottweiler, dass eine kleine Stadt im Saarland ist. Und so machte ich mich auf den Weg dorthin.
Es war so ein grauer verregneter Sonntag, nass und unfreundlich. Eigentlich ein idealer Tag für eine solche Unternehmung, dachte ich noch in demselben Augenblick, als ich durch die Tür in das Museum eintrat. Gleich vorne am Eingang saß ein etwas älterer freundlicher Herr, der mir eine Eintrittskarte gab. Ich schlenderte durch die Räume und fand hier und da verschiedene Dinge, die in die Zeit Katharinas passten. Allerdings musste ich auch sehr schnell feststellen, dass die meisten Exemplare nicht wirklich aus der Zeit von 1883 stammten, sondern bedeutend jünger waren. So machte ich schon recht früh keine all zugute Erfahrung, was es hieß, bestimmten Dingen und Aussagen aus dem neunzehnten Jahrhundert nachzuspüren. Wie wenig in dieser Hinsicht noch greifbar ist, sollte mir erst später richtig klar werden. Nach meinem Rundgang suchte ich das Gespräch mit dem älteren Herrn an der Kasse und zu meinem Glück stellte sich heraus, dass er ein ehemaliger Schullehrer war. Obwohl ich nicht die Absicht hatte, nur ein einziges Wort über meinen tatsächlichen Besuch zu sagen, tat ich es doch, hoffend auf mehr Informationen.
Mit leicht irritiertem Blick sah er mich im ersten Moment fragend an. Seine Stirn runzelte sich und es hatte den Anschein, als ob er in diesem Augenblick meinen Geisteszustand prüfen wollte. Ich konnte es verstehen, kam doch nicht jeden Tag jemand durch seine Tür um von einem Leben nach dem Tod zu berichten. Aber je umfassender mein Bericht über die erworbenen Kenntnisse von Katharinas Schulzeit wurden, umso erschrockener wurde sein Gesicht. Zunehmend wurde er interessierter und offener. Diesen Moment wollte ich nutzen, um ihm die Schriftproben von Frau B. zu zeigen, und griff, zu meinem Erstaunen in eine leere Hosentasche. Verdammt! Ich hatte sie tatsächlich auf meinem Schreibtisch zu Hause liegen gelassen. Seine linke Augenbraue zog sich nach oben und was soll ich sagen, vorher noch groß den Beweis angekündigt, stand ich nun mit leeren Händen da. Aber es schien nicht allzu schlimm, denn er bat mich mit ihm in den präparierten Klassenraum zu gehen, der sich auf der unteren Ebene des Museums befand. Dort nahm er eine braune Ledertasche von der Wand. Es war genauso eine Tasche, wie die kleine Katharina sie beschrieben hatte. Ebenfalls wies er mich daraufhin, dass es auch noch eine andere Form der Taschen gegeben hatte, nämlich einer Tragetasche ähnelnd aus Leinen. Es fiel mir direkt ein, auch diese hatte sie beschrieben und es war wie ein kleiner Beweis für mich selbst. Zwischenzeitlich hatten wir uns wieder zur Kasse bewegt, wo er wieder Platz nahm. Noch ein paar letzte Worte wechselnd, kam ihm von den Lippen "Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir uns nicht erklären können" und dieser Aussage zustimmend verabschiedete ich mich und fühlte mich spürbar erleichtert auf dem richtigen Weg zu sein.