Читать книгу Wir kommen alle wieder! - Detlef K.H. Würth - Страница 8
ОглавлениеKapitel 1.
Der Hausbesuch
Es war 8.30 h, ein kühler Novembermorgen im Jahre 2012. Es begann immer frostiger zu werden, was mir meine Autoscheibe mehr als deutlich in kleinen Eiskristallen zu verstehen gab. Der Winter stand vor der Tür. Noch während ich das Eis entfernte, ging ich nochmal im Inneren die Dinge durch, die mir Frau B. bei unserem Telefonat mitgeteilt hatte. Sie litt seit frühester Kindheit an leichten bis mittelschweren Panikattacken, sobald sie im Dunkeln und ganz alleine war. Der Zustand trat nicht immer auf, eher unregelmäßig, allerdings über die ganzen Lebensjahre ansteigend in der entsprechenden Symptomatik, die sich in Herzrasen, Angstschweiß und dem Gefühl des wie gelähmt seins ergab. Frau B. hatte bereits schon mehrere Jahre an Psychotherapie hinter sich, was ihr jedoch keine Besserung brachte. Auch berichtete sie von einer unterschwelligen Angst, die sie empfand, sobald sie grüne Augen sah. Dieses Gefühl hätte sich zwar über die Jahrzehnte etwas gebessert, aber ein Unwohlsein würde sie immer noch überkommen, auch wenn die entsprechenden Personen vollkommen nett und sympathisch auf sie wirkten. Noch eben meinen Gedanken nachhängend, drehte ich meinen Zündschlüssel um und befand mich gute 45 Minuten später an der Tür von Frau B.
Eine hochgewachsene dunkelhaarige Frau im Alter von 48 Jahren lächelte mich mit freundlichen blauen Augen an und bat mich mit weicher Stimme einzutreten. Es duftete nach frisch gemahlenem Kaffee, dem ich unmöglich widerstehen konnte, als mir Frau B. eine Tasse davon anbot. Ihre Wohnung war zweckmäßig eingerichtet und man vermisste weitestgehend luxuriöse Dinge. Irgendwie beschlich mich das Gefühl, dass Frau B. schon Einiges in ihrem Leben mitgemacht hatte, wenn auch in ihrem Äußeren dafür keine Anzeichen zu finden waren. Meine Annahme sollte sich später noch als richtig erweisen. Nach eingehender Exploration (Untersuchung) der bereits geschilderten Symptome erklärte ich Frau B. die entsprechende Vorgehensweise hinsichtlich der Hypnosetherapie und dessen, was sie zu erwarten hatte. Etwas Ängstlichkeit in ihren Augen war nicht zu übersehen. Alles, was sie jemals über Hypnose hörte oder kannte, waren die typischen Bühnenshows, bei denen es um diese willenlosen Menschen ging, die alles Mögliche machten, was der Hypnotiseur von ihnen verlangte. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, denn ich kann schon nicht mehr sagen, wie oft ich diese Aussage in meiner Praxis gehört hatte. Ich erklärte ihr, dass dazu keinerlei Anlass bestünde und dass die klinische Hypnose nicht im Geringsten mit den Bühnenshows zu vergleichen wäre. Die Hypnose ist, wenn man es richtig betrachtet, eine der ältesten und effektivsten Therapieformen der Menschheit! Dort, wo die meisten herkömmlichen Therapien schon im Ansatz scheitern, zeigt die Hypnose - vorausgesetzt in der Hand des richtigen Therapeuten - schon nach wenigen Interventionen die besten Resultate. Völlig unabhängig von Alter oder Glaubensgrundsätzen eröffnet sie ihr volles Potenzial. Ich verzichte hier ganz bewusst auf das Rezitieren der Geschichte sowie der Anwendungsmöglichkeiten von Hypnose, denn das würde sicherlich ein weiteres Buch an Seiten füllen.
Frau B. machte es sich nun bequem und ein paar Sekunden später waren Ängstlichkeit und Zweifel verflogen. Sie befand sich in einer tiefen entspannten Trance, die sie mit einem harmonischen Lächeln quittierte. Während ich sie vertiefte, bemerkte ich rasch, dass sie sehr schnell einen somnambulen Zustand zeigte. Die Bezeichnung "Somnambulismus" kommt aus dem Lateinischen und steht für das Wort "Schlafwandeln" und bezieht sich, im hypnotischen Sinne, eher auf die Tiefe und die besondere Aufnahme für Suggestionen. Ihr Zustand war nun regungslos und vollkommen entspannt und ich begann mit der Therapie. In der Regel löse ich Angstzustände, wie im Falle von Frau B., sehr schnell. Routiniert und behutsam versuchte ich, zu den möglichen Urhebern zu gelangen, die für die Entstehung der Angst verantwortlich waren. Therapeutisch nennt man dies „eine Altersregression durchführen“ und bedeutet, dass man zunächst beginnt, Auslöser für die vorhandene Leidenssituation in der Kindheit zu suchen. Besonders bei somnambulen Patienten geht das sehr schnell und man kann damit gut arbeiten. Für alle anderen Patienten gibt es eine Fülle genauso effektiver Vorgehensweisen.
So befand Sie sich nun in einem Alter von 18 Jahren allein im Bett ihres Zimmers und schilderte das Erleben, was jedoch keinen Aufschluss über die Genese brachte. Auch die weitere Regression in das Alter von 16 Jahren ergab nichts Konkretes. Somit machte ich mir den somnambulen Anteil von Frau B. etwas mehr zunutze. Durch eine spezielle Technik gab ich dem unbewussten Anteil (dazu später mehr) die Anweisung, zur Verbindungssuche der Panikattacken. Es verging etwas Zeit und Frau B. begann daraufhin mit starken Augenbewegungen unter ihren Lidern. Die Reaktion zeigte mir, dass sie bereits etwas zu erleben schien. Behutsam fragte ich, wo sie sich befinden würde, und die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Sie sagte mir in leicht verändertem und ängstlichem Tonfall: "Ich bin in meinem Schlafzimmer, … im Wäldchen!“
F: im Wäldchen?
A: ja…es ist dunkel!…Kerze brennt!..
F: was passiert?
A: ..ein Mann!…..Ein Mann kommt!
F: wer ist das?
A: ..(Atmung wird schneller, wirkt plötzlich extrem unruhig)…kommt ins Zimmer!!..
F: kennst Du diesen Mann?
A: …es ist ein…ein Freund von meinem Mann..(sehr unruhig)..
F: was macht er, was ist mit ihm?
A: (atmet schneller, wirkt immer belasteter)…..sie haben Karten gespielt…sie haben Karten gespielt…Klaus hat verloren!!….. (Atmung nimmt immer mehr zu)….
F: weiter!
A: ……(sehr belastet und sehr ängstlich)….er…zieht mich aus…..(weinerlich)..
Die Atmung ging ihrem Höhepunkt entgegen und Frau B. schien die Situation noch einmal vollkommen zu durchleben. Deutlich zeigten sich Abwehrhaltungen unter der dünnen Decke, die auf ihr lag. Es war klar, das, was sich hier zeigte, war der Beginn einer Vergewaltigung. Die ganze Situation wurde zu einer schaurigen Atmosphäre.
A: .. (weinerlich)…er sagt, ich wäre der Hauptgewinn……der Gewinn! (atmet sehr erregt)..
F: was macht er?
A: …ich halt die Decke fest!!…..Er zieht die Decke weg!!..(aufgeregt)….. Ich hab ein weißes Nachthemd an…er lacht….er stinkt!…..Er zieht mir das Nachthemd hoch……….(atmet sehr schnell)
F: ist der Klaus nebenan im Zimmer?
A: …..(schnelle Atmung)….er ist unten…
F: vergewaltigt Dich dieser Mann?
A: ……ja (ängstlich)
Zu diesem Zeitpunkt war für mich klar, diese Frau schien unter einer nicht verarbeiteten Vergewaltigung zu leiden. Nur komischerweise erhielt ich in der Anamnese, ein deutliches Nein verheiratet zu sein.
F: was passiert jetzt, nachdem er Dich vergewaltigt hat?
A: er geht runter……..er hat sich seinen Gewinn geholt!! (hasserfüllt)..
F: der Klaus hat Dich verspielt?
A: ja! (hasserfüllt)
F: was geht Dir durch den Kopf, was denkst Du?
A: ….ich hasse meinen Mann!!!
F: hat er das schon öfter getan?
A: .. ja!!
F: wie oft denn?
A: ….(weint leicht)…ein paarmal…(presst die Lippen aufeinander)..
F: also Du bist mit dem Klaus verheiratet?
A: ja (klingt völlig abwertend)
F: habt ihr Kinder?
A: ja..
F: wie viele?
A: zwei!
F: wo sind die Kinder jetzt?
A: .. die sind unten…die sind im Zimmer!…..Sie schlafen in ihrem Zimmer!
F: in welchem Alter sind die Kinder?
A: ..drei…..fünf..
So lief für mich noch alles in der gewohnten Bahn und ging weiter den Dingen auf den Grund. Schon allein aus der Tatsache heraus, dass es sich hier um eine Vergewaltigung handelte und dies im Sinne meiner Patientin, nicht ungestraft bleiben sollte. So gab ich dem unbewussten Anteil die Aufforderung, zu dem allerersten Mal eines Missbrauchs zu gehen.
F: wo bist Du?
A: …Wäldchen!
F: und wer ist es?
A: ..ich kenne ihn nicht…
F: und sagt der Klaus etwas zu Dir?
A: steht auch an der Tür…
F: was sagt er denn?
A: ..er nimmt die Wiege raus!
F: wo?
A: (flüstert)…aus dem Schlafzimmer!
F: warum?
A: er sagt…er hat das Spiel verloren…ich sollte nett sein..(wirkt sehr emotional)
F: was passiert jetzt?
A: ..er geht runter…mit der Wiege……ich werde…(unverständlich)…(Gesicht verzieht sich extrem)…
F: was ist?
A: ….der Mann vergewaltigt mich!!..(weinerlich, sehr emotional)..
F: was passiert, nachdem er fertig ist?
A: zieht sich an und geht…(weinerlich)..
F: was sagt der Klaus?
A: …er ist unten..
F: spricht er mit Dir?
A: ……..er kam später hoch….er ist betrunken!
F: was sagt er?
A: (atmet schwer aus)…fragt…ob es mir gefallen hat…
F: was sagst Du?
A: ich gebe ihm keine Antwort!…(atmet belastet)…Er ist ein Schwein!!………Ich hasse ihn!!! (sehr emotional)
Durch weiterführende Schilderungen stellte sich dann heraus, dass sie insgesamt dreimal, immer nach dem gleichen Schema vergewaltigt wurde. Was mich jedoch sehr misstrauisch machte, war die Aussage, dass ihr Mann ein Polizist wäre. Irgendwie machte sich ein ungutes Gefühl in mir breit, eines das ich so noch nie, während einer Therapie erlebt hatte. Die Art und Weise des geschilderten Erlebens war real, keine Frage, aber die Umstände, ein betrunkener Polizist, ein Kartenspiel und die Frau als entsprechenden Spieleinsatz, nun, das erschien fast unglaublich. Meine pragmatische Einstellung, immer klares Ziel vor Augen den Patienten von seinem Leiden zu befreien, veranlasste mich, weiter voranzuschreiten, um in gewohnter Arbeitsweise die verdrängte Vergewaltigung zu verarbeiten. Dennoch muss ich gestehen, konnte ich mich einer gewissen Neugierde nicht entziehen und ließ mich somit noch auf etwas mehr ein.
F: und Dein Mann ist wirklich Polizist?
A: ja!
F: und er sagt gar nichts dazu?
A: wenn er getrunken hat, weiß er nicht mehr, was er tut!
F: was sagst Du?
A: ..er soll mich in Ruhe lassen!! (energisch)
F: beschreib doch mal das Schlafzimmer, in dem Du liegst, wie sieht das aus?
A: Doppelbett…gegenüber vom Bett ist ein…kleines… Fenster…links…Nachtschrank…rechts ist die Waschkommode und links ist eine Tür!..
F: wo führt sie hin?
A: ….es ist…wie….eine Klappe…wo man Stufen…wie mit einer Leiter hinunter geht!
Die geschilderte Umgebung schien in keiner Weise mit ihrem tatsächlichen Wohnraum in Verbindung zu stehen. Aber das war in diesem Moment auch nicht so wichtig, denn ich erhoffte mir lediglich durch mehr Informationen, eine bessere Nachbesprechung mit ihr führen zu können. Meine nächste Frage galt Ihrem Empfinden, ob sie nicht das Bedürfnis gehabt hätte, sich danach im Badezimmer zu reinigen. Dann kam das hier …
A: gibt’s kein Badezimmer!
F: wo wascht Ihr euch denn?
A: …Waschschüssel!
F: in welchem Raum?
A: …Küche….mit der Waschschüssel!
F: und mit der Waschschüssel wäschst Du Deinen ganzen Körper?
A: ..ja! (runzelt die Stirn)
Meine Frage ließ sie die Stirn runzeln, denn das schien für sie völlig normal zu sein. Und in diesem Moment wurde es mir klar. Das hier hatte nichts mehr mit unserer Zeitrechnung zu tun, denn selbst Menschen in sozial schwachen Bereichen, verfügen zumindest über einen Waschtisch.
F: was nimmst Du für Dich zu reinigen?
A: Seife!
F: und welche Seife ist das?
A: Kernseife!
F: hast Du auch ein Parfüm?
A: ……Rosenblüte Duft!
F: wer stellte es her?
A: ..Frankfurt….ein Laden in Frankfurt!…Es ist ein kleines Fläschchen…mit so einem silbernen Verschluss!…Es ist eine Rose drauf!……Ich sehe nur eine Rose…eine Holzkiste!
F: steht da was drauf?
A: ..Mat…usell..Matumsell…Mademoiselle..Rosé…. auf dem Holz ist…wie eine Rose eingebrannt…
F: trägst Du das oft an Dir?
A: nein!
F: wann machst Du es denn an Dich?
A: ……….wenn ich….unter Leute gehe!…
F: wo gehst Du dann hin?
A: zur Kirche!
F: und wo befindet sich die Kirche?
A: Kloppenheim!
Ich hatte genug gehört und begann mit der Auflösung ihres langjährigen Leidens. Fast jedem Therapeuten, der mit Hypnose arbeitet, ist dieses Phänomen bekannt. Plötzlich findet man sich mit seinem Patienten in einem - früheren Leben -, das scheinbar irgendwie mit der Erkrankung in der Gegenwart, in Verbindung steht. Man redet nicht darüber, weil die Dinge, die man hört, auf der einen Seite nicht unbedingt gehört werden möchten und andererseits auch nicht wirklich nachprüfbar sind. Meinen Pragmatismus kennzeichnend, hegte ich nie wirklich großes Interesse an derartigen Schilderungen und konzentrierte mich nur auf das Ziel, schnellstmöglich Besserung für meinen Patienten zu schaffen. Zählend begann ich Frau B. aus dem Trancezustand zu nehmen. Langsam öffneten sich ihre Augen und ihr Blick, kreiste im Raum umher, ganz so, als müsse sie sich neu orientieren. Sie konnte sich an jedes kleinste Detail erinnern, denn hierzu hatte ich die Anweisung in der Trance gegeben. Ebenso hatte ich die verdrängte Vergewaltigung so neutralisiert, dass kein emotionaler Bezug mehr vorhanden war. Das Erste was ich von ihr vernahm, war die erstaunte Reaktion: Ich war das! Jetzt ist mir klar, warum ich in der Dunkelheit Angst hatte. Ich wurde mehrmals vergewaltigt! Sie war sichtbar erleichtert über ihre gewonnene Erkenntnis, andererseits völlig irritiert über die doch so real stattgefundene Situation, die eigentlich nicht wirklich etwas mit ihrem Leben zu tun hatte. Ganz zu schweigen von den genannten Örtlichkeiten Frankfurt und Kloppenheim. Zugegeben, mein Interesse war irgendwie geweckt. Berichte über irgendwelche mittelalterlichen Dörfer im Wald hörte ich zu genüge. Auch mal von einem napoleonischen Soldaten, der sich auf einer Wiese eine Kugel fing. Aber etwas, das nur 250 km von mir entfernt stattgefunden hatte, war mir bis zu diesem Tage noch nicht untergekommen! Gerade noch in meinen Gedanken versunken, nahm ich eher unbewusst die Frage von Frau B. wahr: Herr Würth, glauben Sie, dass das alles jetzt echt war oder bilde ich mir das nur ein? Meine Antwort darauf war knapp: Um ehrlich zu Ihnen zu sein, ich weiß es nicht!
Es gibt in dieser Hinsicht leider so gut wie keine Untersuchungen, als dass man mit Bestimmtheit sagen könnte, was es wirklich ist oder wie dieses Phänomen funktioniert. So zumindest, war bis dahin mein Wissensstand und eigentlich auch meine Meinung darüber. Aber eines ließ ich sie ganz sicher wissen, dass ihre Angst- und Panikzustände nun der Vergangenheit angehörten, aus der sie auch entsprungen waren. Sofort brach es aus hier heraus: Ja, weil ich jetzt weiß warum! Irgendwie hab ich auch jetzt ein anderes Gefühl dazu! Die Zeiger meiner Uhr signalisierten mir nun mehr als deutlich, dass es Zeit war zu gehen. Schnell vereinbarten wir noch den nächsten Termin und Frau B. verabschiedete mich dankend an ihrer Tür. Zügig fuhr ich los und die ersten Schneeflocken rieselten langsam vor sich hin. Mein Unterbewusstsein steuerte mein Fahrzeug, während mein bewusster Anteil noch immer bei Frau B. war. Irgendetwas spulte die Sitzung immer und immer wieder in mir ab. Was war es, was mich im Kopf nicht abschließen ließ? War es vielleicht eine Möglichkeit, die sich hier bot? Hm, vielleicht sollte ich, sobald zu Hause angekommen, nur mal kurz nachschauen, wo dieses Kloppenheim liegt. Das würde auch Aufschluss darüber geben, um welches Frankfurt es sich handelte. Aber sollte ich wirklich damit Zeit verschwenden? Mit diesen Gedanken kam ich dann endlich zu Hause an, um schon wenige Minuten danach den nächsten Patienten zu behandeln. Einen halben Tag später dachte ich schon nicht mehr daran. So verging die Zeit bis zu unserem nächsten Wiedersehen.