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Gehalt Vorsichtige Verhandlungen
ОглавлениеVon Jens Jessen
ZEIT CAMPUS 2/2008
Zu den Evergreens der berufsbegleitenden Ratschläge gehört die Mahnung, bei Bewerbungsgesprächen oder Gehaltsverhandlungen sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen – das heißt, möglichst keck aufzutreten und über den eigenen Marktwert zu sprechen. Abgesehen davon, dass diesen Marktwert der Arbeitgeber meist besser kennt als der Berufsanfänger, taugt der Ratschlag ohnehin nur für anonyme Großunternehmen, wo die Verhandlungen nicht mit unmittelbaren Vorgesetzten, sondern mit Personalchefs geführt werden, die keine eigenen Erfahrungen mit dem fraglichen Arbeitsplatz haben. Überall sonst kennt der Chef seine Pappenheimer, und man kann ihm gegenüber, nur weil es ums Geld geht, nicht plötzlich eine ganz andere Miene aufsetzen.
Das Gehalt hängt dann davon ab, ob der Chef Sie schätzt (und man kann diese Sympathie nicht durch ein ruckartiges Gespräch steigern) oder ob er sich davor fürchtet, dass Sie abgeworben werden könnten; schließlich auch davon, ob die Firma überhaupt Geld für Lohnerhöhungen hat.
Wenn man Pech hat, sagt der Chef: Okay, ich sehe ein, wir können Sie uns nicht mehr leisten.
Wenn das Pech noch größer ist, entspricht das der Wahrheit. Mit anderen Worten: Anders als die Ratgeber behaupten, müssen Gehaltsverhandlungen sehr vorsichtig geführt werden. Und zwar in steter Abwägung mit einem nicht unwichtigen zweiten Aspekt: nämlich wie wichtig einem persönlich der Arbeitsplatz ist und ob der nette, vielleicht etwas melancholische Chef und seine wirtschaftlich leicht angeschlagene Firma am Ende nicht menschlich mehr wert sind als alles Geld, das man bei einem prosperierenden, aber brutal geführten Großunternehmen verdienen könnte. Und umgekehrt, wenn Sie sich nicht wohlfühlen: Keine Gehaltssteigerung wird so süß wie eine Kündigung sein.