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Soziale Herkunft Siegelring und Arschgeweih
ОглавлениеVon Jens Jessen
ZEIT CAMPUS 4/2008
Zu den menschlichen Herausforderungen der Arbeitswelt gehört auch die soziale Durchmischung der Kollegenschaft. Es ist ein schwerer Irrtum zu glauben, dass ähnliche Hochschulabschlüsse, Fähigkeiten und Gehälter schon zu einem homogenen Team führen. In der Praxis ist auch im Umgang mit deutschen Kollegen jene multikulturelle Toleranz gefordert, die man sich im Verhältnis zu Ausländern wünscht. Anders gesagt: Man muss den Siegelring genauso zu ertragen lernen wie das Arschgeweih.
Denn die berufliche Stellung eines Menschen ist nur die eine Seite seiner sozialen Identität; sie wird ebenso durch die Herkunft bestimmt. Nur selten - wenn schon Großvater und Vater Anwalt waren - kommt beides zusammen. In der Regel hat der Kapitalismus, in dem bekanntlich alles »Stehende und Ständische« verdampft (Karl Marx), die Herkunft von der Stellung getrennt.
Die Position, die für den einen Kollegen ein Aufstieg ist, bedeutet für den anderen einen Abstieg. Es ist nützlich, das zu wissen; insbesondere im Falle des Chefs. Merke: Soziale Kälte ist von alters her das Kennzeichen des Aufsteigers. Selten behält er eine Sympathie für das Milieu, aus dem er sich emporgewurschtelt hat. Meist geht die Karriere mit einem sofortigen Klassenverrat an dem familiären Ursprung einher.
Leichter zu ertragen ist der Absteiger, für den selbst eine leitende Position nur die weitere Stufe eines Niedergangs bedeuten kann, der womöglich schon vor Generationen einsetzte. Natürlich kann auch er nerven: durch Ressentiments und Hochmut. Meist aber hat er eine gesteigerte Einsicht in die Vergeblichkeit allen menschlichen Tuns, was dem Büroklima sehr zugute kommt.