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Urlaubspostkarten Krakelschrift mit Sonnenölflecken

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Von Jens Jessen

ZEIT CAMPUS 5/2008

Soll man Ansichtspostkarten aus dem Urlaub schicken? An die Großmutter - selbstverständlich. Aber auch an die liebe Kollegenschaft im Büro?

Wenn es sich nicht um eindeutig obszöne Motive handelt, muss man damit rechnen, dass sie am Schwarzen Brett landen und die Krakelschrift einschließlich der Sonnenölflecken zum allgemeinen Amüsement freigegeben wird. Handelt es sich dagegen um jene Damenpopos, die von anzüglichen Felsformationen der Algarve eingerahmt werden, besteht die Gefahr, dass besagte Karte mit Kennerblick in der Kantine getauscht wird, nämlich gegen entsprechende Urlaubsmotive aus anderen Abteilungen. Die Goya-Reproduktion aus dem Prado wiederum könnte als unkollegialer Bildungshochmut ausgelegt werden, während eine unverfängliche Küstenlandschaft selten ohne den Pfeil auskommt, der mit Kugelschreiber mühsam eingeritzt werden muss, um die Lage des Hotels zu bezeichnen.

Kurzum, die Urlaubspostkarte ins Büro enthält meistens eine unbeabsichtigte Zusatzbotschaft, die sich schwer kalkulieren lässt. Wie zum Beispiel soll man die Kollegen anreden? »Ihr Lieben«, pflegte meine Großmutter zu schreiben, »wie geht es Euch? Mir geht es gut. Jetzt muss ich aber schnell zur Post. Eure Großmutti.« Dies ungefähr wäre das Muster für eine wahrhaft unverfängliche Karte - nur dass sie tragischerweise an die Familie gerichtet wurde, wo ein gewisses Maß an persönlicher Verbindlichkeit durchaus erwünscht gewesen wäre. Offenbar aber bildete für meine Großmutter schon die Familie eine Art imaginäres Büro, gegenüber dem man nicht vorsichtig genug sein konnte.

Von dem Schriftsteller Gustave Flaubert wird erzählt, dass er einmal mehrere Stunden über einem Dankesbrief brütete, der am Ende nur die Worte »besten Dank« enthielt. Mit anderen Worten, der beste Brief ist manchmal nur die Geste eines Briefes. Er kommt an, und mehr hat man vernünftigerweise auch gar nicht gewollt.

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