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Kapitel 2

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Das Taxi näherte sich einem von außen nicht einsehbaren Gelände, das von einem riesigen Metallgittertor zwischen zwei gemauerten Säulen abgeschottet wurde. An der linken Seite des Tores war die Kommunikationsanlage zu erkennen, die man mit bestem Willen nicht mehr als Klingel bezeichnen konnte.

»Soll ich auf Sie warten und Sie dann durch das Tor bis vor die Tür fahren? Vielleicht werden Sie ja gar nicht auf das Gelände gelassen. Bei diesen Typen weiß man das nie.«

Eduard sah keinen Grund, dem Taxifahrer auf die Nase zu binden, dass er einen Termin hatte und somit fest davon ausging, eingelassen zu werden. Außerdem wollte er die paar Schritte von dem Tor bis zum Haus an der frischen Luft zu Fuß gehen. Das würde ihm sicher guttun.

»Nein danke, Sie können sofort fahren.«

Der fragende und zweifelnde Blick des Taxifahrers zwang Eduard, seine Ansage auch noch zu begründen.

»Sollte ich Sie bald oder später wieder brauchen, habe ich ja die Nummer Ihrer Taxigesellschaft.«

Er wedelte kurz mit dem Kärtchen des Taxiunternehmens, steckt es in seine Brieftasche und entnahm ihr gleichzeitig das Geld, um die Fahrt vom Bahnhof bis hierher nach Hamburg-Blankenese zu bezahlen. Da er keine Lust auf eine weitere Diskussion hatte, gab er ihm reichlich Trinkgeld, was den Taxifahrer offensichtlich dafür entschädigte, dass er ihn nicht bis vor die Haustür fahren durfte.

Er beobachtete noch, wie der Wagen sich von dem Einfahrtstor entfernte, dann ging er zu der Kommunikationsanlage in der gemauerten Säule zur linken Seite des Tores.

Er hatte noch nie eine Sprechanlage mit verschiedenen Klingeln gesehen, die allerdings nicht mit den Namen unterschiedlicher Bewohner eines Hauses versehen waren, sondern mit einer Klassifizierung der Personen, die hier klingeln wollten.

In einer vergoldet wirkenden Tafel waren vier tellergroße Vertiefungen mit jeweils einem Knopf in der Mitte eingelassen. Daneben befanden sich gravierte Tafeln mit den Beschriftungen:

- Familie und Freunde

- Besucher

- Firmenangehörige

- Lieferanten

Im ersten Moment erschloss sich ihm das Erfordernis für eine solche Regelung nicht. Doch nach einiger Überlegung erkannte er den Grund ... oder vermutete zumindest ihn zu erkennen. Auf der Zugfahrt von München hatte er sich im Internet das Grundstück aus der Vogelperspektive über die Satellitenansicht in Google Maps angesehen ... und war von der Größe mehr als beeindruckt gewesen. Was im Internet von oben aus nicht so deutlich wurde, war, dass von seinem Standort aus die eigentliche herrschaftliche Villa nicht einsehbar war. Dazu war der Baumbestand in dieser parkähnlichen Anlage zu dicht. Ihm war zuvor nicht bewusst gewesen, dass es derart abgeschottete Grundstücke in den Nobelvierteln von Hamburg überhaupt gab. Die Villa in der Mitte des schätzungsweise 40.000 Quadratmeter großen Grundstücks war über Zufahrten zu erreichen, die an verschiedene Stellen des Hauses führten. Er ging davon aus, dass der Lieferant jemand anderen durch sein Klingeln erreichte, als der Besucher oder der Firmenangehörige.

Für wen genau die Klingel ›Familienangehörige‹ gedacht sein sollte, war ihm dagegen nicht klar. Seine Internetrecherche zur Familie Ahlsbeek hatte gezeigt, dass diese nicht groß genug war, als dass es sich gelohnt hätte, für zahlreiche Familienangehörige eine eigene Klingel einzurichten, da man nicht entsprechend viele Schlüssel ausgeben wollte.

Da es keinerlei Zweifel gab, welcher Kategorie er zuzuordnen war, zögerte er nicht länger und drückte den Knopf neben ›Besucher‹. Es dauerte erstaunlich lange, bis eine Reaktion erfolgte, was ihn zu der Überzeugung brachte, dass es keinen Wachmann oder etwas Vergleichbares gab, der darauf wartete, dass jemand läutete. Nach etwa zwei Minuten ertönte aus versteckten Lautsprechern in völlig klarem Ton und nicht etwa in dem blechernen Krächzen, wie man es von normalen Gegensprechanlagen gewohnt war, eine weibliche Stimme, deren Besitzerin er auf ein Alter jenseits der 60 schätzte.

»Ja bitte, der Herr, Sie wünschen?«

Die Ansprache machte ihm klar, dass die Sprecherin ihn sah, obwohl er nirgends eine Kamera entdecken konnte. Somit war ihm auch nicht klar, wohin er sich bei seiner Antwort wenden sollte, also versuchte er es erst gar nicht. Er blieb da stehen, wo er stand, sah unbeteiligt in Richtung des Tores und versuchte den Anschein zu erwecken, als würde er nicht ständig aus dem Nichts heraus angesprochen.

»Guten Tag, mein Name ist von Gehlen und ich habe einen Termin mit der Familie Ahlsbeek.«

Selbst für ihn klang seine Aussage seltsam. Wie kann man mit einer Familie einen Termin haben? Mit einem Ehepaar, mit Vater und Mutter, mit Herrn oder Frau sowieso, ja, aber mit einer Familie? Aber genau so war seine ganze Kommunikation in der Vorbereitung dieses Besuchs gelaufen. Er hatte über elektronische Mail mit dem Sekretariat der Firma Ahlsbeek Shipping Holding kommuniziert und alles, was er hatte erreichen können, waren jeweils Aussagen gewesen, wie:

»Ich werde die Familie kontaktieren und nachfragen, Herr von Gehlen.« »Ja, die Familie sieht das Erfordernis eines Gespräches für gegeben an, Herr von Gehlen.« »Die Familie hat heute in drei Tagen ein Zeitfenster für Ihren Besuch eingeplant, Herr von Gehlen.«

Zu keiner Zeit war ihm die Gnade gewährt worden, mit einem Mitglied der Familie Ahlsbeek persönlich zu sprechen. Außer den Informationen, die er sich als verantwortungsvoller Journalist selbstverständlich im Internet recherchiert hatte, waren die Ahlsbeeks für ihn bisher nur die Familie. Selbstverständlich kannte er inzwischen die Namen aller Familienmitglieder, aber er hatte feststellen müssen, dass es erstaunlich wenig Fotografien dieser Dynastie im Netz gab. Eduard hatte sich schon mehr als einmal gefragt, ob es zum typisch hanseatischen Understatement gehörte, dass eine Familie mit solcher Macht und solchem Reichtum im Netz so wenig präsent war. Gleichzeitig hatte er sich gefragt, was es wohl kosten mochte, eine solche Nicht-Präsenz aufrechtzuerhalten. Sie mussten die besten und teuersten Computerspezialisten bezahlt und damit beauftragt haben, ständig das Netz nach Informationen über sie zu durchforsten und diese so weit wie möglich zu entfernen. Der Mangel an Bildmaterial über die Ahlsbeeks sprach für den Erfolg dieser Maßnahme.

Statt einer erneuten Nachfrage der ältlichen Stimme oder einem Summen, wie man es von Türöffnern gewohnt war, sprang eine kleine, in das riese Gittertor eingelassene Tür, lautlos auf und schwang nach außen. Das konnte er wohl als Aufforderung einzutreten auffassen, was er auch ohne zu zögern tat. Langsam und bedächtig ging er den gekiesten Weg, der sich von dem Tor aus in das Innere des Grundstücks schlängelte entlang und bereits nach der zweiten Biegung zeigte sich ihm erstmals das Haus. Man musste es schon als Villa bezeichnen, die ihn eher an ein kleines Waldschlösschen erinnerte. Es war ein wirklich beeindruckendes Gebäude mit zwei Etagen, deren Abmessungen auf sehr hohe Räume schließen ließen. Es gab zahlreiche Ausbuchtungen und Erker, wobei er die Rückseite der Villa noch nicht gesehen hatte. Darüber gab es ein drittes Geschoss, welches mit leichten Dachschrägen zusätzliche Zimmer zur Verfügung stellte. Seitlich abgesetzt standen kleine Nebengebäude und eine nach unten führende Zufahrt, was ihn dort eine Tiefgarage vermuten ließ.

In der geöffneten Haustür, die man über drei halbrunde Treppenstufen erreichen konnte, stand eine älter wirkende Frau in einer Uniform, wie er sie bisher nur in Spielfilmen oder Bühnenaufführungen gesehen hatte: eine schwarze Bluse, ein schwarzer halblanger Rock, eine weiße Spitzenschürze und auf dem Kopf ein Häubchen, ebenfalls mit Spitze an den Rändern.

Bereits als er die Stufen hinaufschritt, begrüßte sie ihn in einem völlig neutralen Tonfall, der nichts über ihre Gefühlslage verriet.

»Willkommen Herr von Gehlen. Ich darf Sie in den Salon führen und bitten, dort zunächst Platz zu nehmen. Die Familie wird sich in Kürze zu Ihnen gesellen.«

Erst als er das Ende der drei Stufen erreicht hatte, stellte er fest, dass er die vermeintliche Hausdame mit seinen 1,92 Körpergröße um mindestens 40 Zentimeter überragte. Aus der Nähe wirkte sie nicht nur klein, sondern auch zerbrechlich, was sie noch älter erscheinen ließ.

Ohne eine Antwort auf ihre Begrüßung abzuwarten, drehte sie sich um und ging voraus. Er folgte ihr in den besagten Salon, ein etwa 50 Quadratmeter großes Zimmer mit Blick in den Park, einem Kamin und reichlich Sitzmöbeln. Es handelte sich um zwei Ledergarnituren unterschiedlichen Alters, eine dunkelrote Stoffgarnitur aus einzelnen Mehrsitzern mit Holzlehnen und eine moderne Sitzlandschaft, die Bequemlichkeit schrie. Dazu standen über den Raum verteilt, ein schwerer Holztisch mit soliden hochlehnigen Holzstühlen und diverse Ohrensessel im Halbrund um den Kamin. Noch während er das Ambiente aus einer Zusammenstellung sowohl moderner als auch klassischer Möbel in sich aufnahm, sprach ihn die Hausdame – als Dienstmädchen wollte er sie aufgrund ihres Alters nicht ansehen - ein zweites Mal an.

»Bitte nehmen Sie Platz. Darf ich Ihnen einen Kaffee oder Tee bringen lassen?«

Kaffee und Tee schieden aus, weshalb er um ein Mineralwasser ohne Kohlensäure bat, was Sie mit einem leichten Kopfnicken entgegennahm. Noch während ihm durch den Sinn ging, dass die Ausdrucksweise bringen lassen zusätzliches Personal unterstellte, machte er sich parallel Gedanken darüber, wo er in diesem Sammelsurium von Sitzmöbeln platznehmen sollte.

Er hatte sich nach einiger Überlegung in einem kleineren Sessel in der Nähe eines Beistelltisches niedergelassen, als ein älterer Mann in der Kleidung eines Butlers erschien. Er balancierte geschickt ein kleines Silbertablett mit einer Flasche und einem Kristallglas darauf. Für einen kurzen Moment erwog Eduard, aufzustehen, tat den Gedanken dann aber als unpassend ab und blieb sitzen.

»Bitte schön, junger Herr.«

Mit diesen Worten stellte er das Tablett auf den Beistelltisch, zog einen Öffner für Kronkorken aus einer kleinen Tasche seiner Weste und öffnete die Flasche. Danach schenkte er das Glas zur Hälfte voll und verstaute den Öffner wieder in der Westentasche.

»Auf Ihr Wohlsein, junger Herr.«

Mit diesen Worten machte er eine kleine Verbeugung, anschließend eine fast militärisch anmutende Kehrtwendung und verließ mit für sein offensichtliches Alter erstaunlich federnden Schritten den Raum.

Hätte er es nicht besser gewusst, wäre ihm die gesamte Szene wie aus einem Rosamunde-Pilcher-Film und der Darstellung eines Geschehens in einem hochherrschaftlichen englischen Adelssitz vorgekommen. Er konnte nicht umhin, verwundert, aber auch ein wenig amüsiert, den Kopf zu schütteln.

Während er das Wasser in kleinen Schlucken trank und sich nach fünf Minuten auf eine längere Wartezeit einstellte, wanderten seine Gedanken wie zwangsläufig zurück zu den Ereignissen, die ihn an diesen seltsamen Ort geführt hatten.

Transplantierter Tod

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