Читать книгу "Und jetzt, kommen Sie!" - Dieter Gronau - Страница 7
Kapitelüberschrift 5
Оглавлениеnicht mehr hörte. Seine beiden Begleiter, der Mann und die Frau, sprachen und erwiderten kaum etwas, sie nickten ihm nur immer zustimmend zu und machten sehr ernste Gesichter. Waren es seine Arbeitskollegen, die Einzigsten, mit denen er sich gut verstand und die ihn, den alten Mann, verstanden? Hört man das rumoren der nahenden U-Bahn auf den Schienen im Tunnel, liefen alle drei in unterschiedliche Richtungen auseinander und riefen sich viele Abschiedsgrüße und Wünsche für den beginnenden Arbeitstag zu. Mit einem leichten Ruck kam der Zug zum Stillstand fast alle Waggontüren flogen auf, viele Fahrgäste stiegen aus und zwängten sich hastig, einige mit Brötchen und Getränkebechern mit einem Deckel, in die Waggons, die Türen schnellten mit einem lauten Klack wieder zu, der Zug setzte sich langsam wieder in Bewegung und verschwand, uns nur noch seine beiden roten Schlusslampen zeigend, im Tunnelanfang am Ende des Bahnsteiges. Die Wagen waren alle gut mit arbeitswilligen Frühaufstehern besetzt, das heißt, der Zug war zu so morgentlicher Stunde verdammt voll. Für einige Fahrgäste gab es schon keine Sitzplätze mehr, sie mussten stehen. Ich setzte mich immer zu gerne neben einem Gast, der in einer Zeitung las und dieselbe bereits so in beiden Händen vor sich ausgebreitet hielt, das ich , danebensitzend, ohne großartig den Kopf zu verdrehen aus dem Augenwinkel wunderbar mitlesen konnte und seien es auch nur die fettgedruckten Überschriften und Schlagzeilen in der Zeitung. Wenn es nicht so einen Sitzplatz gab, setzte ich mich genau gegenüber und so alles auf der Rückseite der Zeitung mitlesen. Hatte ich dann noch das unverschämte Glück, ich hatte einen langsam Leser, so war der eine oder Text so gut für mich zu entziffern, das ich mir den weiteren Textinhalt dann schon denken konnte.
In meinem morgendlichen U-Bahnwaggon, war die vordere Hälfte frei. Kein Fahrgast saß dort. Alle neu hinzusteigenden Fahrgäste machten sofort eine Kehrtwendung und suchten sich mit einem komisch verzogenen Gesichtsausdruck einen Sitzplatz in meiner Waggonhälfte.
Irgendwie mischte sich der herrliche Kaffee- und Kakaoduft mit einem süßlich, säuerlichen Geruch. Die ersten Kippfenster wurden schon laut knackend geöffnet. Keiner der anderen Fahrgäste, saßen sie jetzt auch etwas im Durchzug, beschwerte sich oder verschloss das Kippfenster wieder. Jetzt zog es mir aber allmählich an meinem Sitzplatz, Ich hatte mich auf die hinterste Sitzbank gesetzt und bekam somit die Zugluft aus dem ganzen Waggon um die Ohren. Ich stand auf und setzte mich eine Sitzreihe weiter nach vorn neben einem Fahrgast, der seine Morgenzeitung weit ausgebreitet hatte und in aller Ruhe darin las. Als ich neben ihm Platz nahm, faltete er rasch die Zeitung zusammen und knickte sie auch noch nach unten um, bestimmt mit Rücksicht auf mich und damit ich auf gar keinen Fall bei ihm mitlesen konnte. Dann kippte er seine Lesefläche mehr nach rechts um noch besser lesen zu können und ich nicht mal eine Schlagzeile mehr entziffern konnte, so angestrengt ich mich auch bemühte.
„Na ja, haste heute Morgen aber wirklich mit deiner Bildung auf fremde Kosten Pech! Solltest dir doch wirklich selber eine Zeitung kaufen. Bei deinem Gehalt kannst du dir das ohne Schwierigkeiten erlauben und machst deiner Kollegen am Arbeitsplatz noch eine riesengroße Freude, jeden Morgen die neuste Tageszeitung zum Nulltarif für die netten Kollegen. Die werden dich dann bestimmt schon himmelhoch loben und nur gutes von dir denken und sprechen, der mit der täglichen Morgenzeitung, ein toller und sehr netter Kollege. So einen wünscht sich doch jeder an seinem Arbeitsplatz. Zumal die morgendliche Geldausgabe, das, mal Arbeitstage auf ein Jahr umgerechnet, da kam schon ein kleiner Urlaub zusammen. Wie günstig für die netten Kollegen in der Firma. Bestimmt wäre auch der Chef sehr dankbar für die nette morgendliche Geste von mir. Eine Zeitung, für ihn zum Lesen, ganz umsonst und dann noch das nie gelöste Kreuzworträtsel auf der letzten Seite, das war stets eine Herausforderung für ihn, den Chef, so konnte er seinen Untergebenen jeden Tag beweisen, was über ein enormes Fachwissen er verfügte. Es war schon richtig so, das, alle ihn als ihren Chef und Vorgesetzten akzeptierten und es kein Neid um sein fast doppelt so hohe Gehalt wie das ihre., gab. So ging dann alles gerecht und anständig in meiner Firma zu.“ schlug mir mein Ich überzeugend vor.
Sollte ich jetzt noch einmal meinen Sitzplatz verlassen und mir einen Geeigneteren suchen? Einen Platz neben einer Frau, die vielleicht etwas Mitleid mit mir hatte und mir meine heimliche morgendliche Bildung neidlos gönnte und sogar Verständnis mit mir hatte? Zu dumm, ein geeignetes weibliches Wesen mit einer Zeitung konnte ich nicht entdecken.
„Pech gehabt Noch einmal meinen Sitzplatz wechseln, das wollte ich dann nun auch nicht. Das fiel doch auf, wenn ich immer von einem Zeitungsleser zum anderen wanderte. Da vermutet doch jeder Zeitungsleser sofort, der will nur schwarz mitlesen, das ist einer aus der geizigen Riege, ein kleiner Nassauer,"stellte ich überrascht fest und lehnte mich auf meinem Sitz zufríeden an die Rückenlehne.
Ich blieb neben meinem unfreundlichen Zeitungsleser, war er eigentlich wirklich unfreundlich? Vielleicht wollte er mir nur mehr Platz machen und mich nicht mit seiner Zeitung stören. Er war eigentlich doch sehr rücksichtsvoll zu seinen Mitmenschen. Eigentlich sollte ich doch wirklich sehr froh sein, einen so netten Sitzpartner gefunden zu haben, der mir nicht mit seiner Zeitung vor der Nase herumwirbelte und mir jedes Mal beim ausfalten einer neuen Zeitungsseite einen Knuff in die Seite verpasste. War doch wirklich ein netter Frühaufsteher, sehr rücksichtsvoll und hochanständig.
Da ich am Mittelgang nun saß, konnte ich mich mit den vorderen Sitzbänken beschäftigen, auf denen merkwürdiger Weise keiner der ständig zusteigenden Fahrgäste sitzen wollte. Schwankte der U-Bahnwaggon in einer Kurve etwas, hörte ich ganz deutlich das rollende Geräusch einiger leerer Getränkedosen, mit einem Klick stießen sie an ein Hindernis und begannen in einer anderen Richtung wieder weiterzukullern. Da bog eine leere Bierdose um eine Sitzbankreihe und machte sich auf den langen Weg durch den Mittelgang meines Bahnwagens. An mir vorbei ging die lange Kullertour, bis in die letzte Reihe in meinem Zug. Bremste der gesamte Zug in einer Haltestelle langsam ab, begann die leere Dose, übrigens war sie von der Holsten Brauerei ,wie ich im vorbeikullern deutlich lesen konnte, begann die leere Bierdose, an mir vorbei, wieder dorthin zu rollen, wo sie vor einigen Minuten gestartet war, in den Bereich der säuerlichen Gerüche, ein Klick und es tauchen beim erneuten anfahren der Bahn jetzt zwei Dosen auf, die in rasender Wettfahrt durch den gesamten U-Bahnwaggon rollten. Da stellte sich ein gestrecktes Bein mit einem Männerschuh, sich ihnen in den Weg. Durch den überraschenden Einsatz und die Attacke dieses Schuhes gab es eine Karambolasche mit wilden Drehungen und Restbierspritzern auf den staubigen Fußboden, ein langsames knacken deute unverkennbar an, die eine Dose wurde aus dem rollenden Verkehr gezogen und mit einem Männerschuh rolluntauglich und platt gemacht. Die zweite Bierdose ergriff in rasender Fahrt die Flucht, allerdinge knallte sie mit einem lauten Geräusch gegen das Untergestell einer Sitzbank, drehte sich ein paar Mal um die eigene Achse, kam durch einen glücklichen Zufall wieder in die richtige Rollrichtung und ergriff ihr Heil in der Flucht durch den Mittelgang in den stinkenden Teil unseres Wagens, wurde aber im Mittelgang gegen einer weiteren Sportschuh geschleudert und gestoppt, unter der Schuhsohle langsam platt gedrückt und unter die Sitzbank geschoben. Aus und vorbei war das lustige übermütige Wettrennen, es gab eben zwei Männer unter den Frühaufstehern, die sehr viel gegen so ein rollendes Wettrennen in unserem U-Bahnwaggon hatten, die sich genervt und belästigt fühlten und ganz bestimmt und fast unhörbar für ein sofortiges Ende dieser illegalen Wetttour sorgten.
„Gut so, das war wirklich mehr als nervig, das ewige hin und her. Mit einer Bierdose hatte es angefangen, dann zwei und wer weiß wie viele noch startbereit im vorderen Teil des Bahnwaggons lagen, das wäre dann aber wirklich zum verrückt werden und das auch noch an einem frühen Morgen in der sonst so herrlich ruhigen Bahn.
Aus dem vorderen Bereich unserer U-Bahn kroch jetzt beim Anfahren des Zuges, wie eine Schlange, ein Rinnsal mit einer Flüssigkeit über den staubigen, grauen Wagenboden. Mal rann der kleine Strom mehr nach rechts, dann wieder mehr nach links, stets abhängig davon, auf welche Seite der Bahnwagen gerade etwas mehr sich neigte oder schwankte. Die dunkele und nasse Spur, von einer mir unerklärlichen Flüssigkeit, war deutlich zu erkennen und wurde ständig länger und länger. Mal stoppte das Rinnsal vor einer Sitzbank, als wenn einer zu ihr sagte, halt bis hier und nicht weiter, dann fühlte sich der kleine flüssige Strom zu einem See auf und begann erneut in eine nicht vorhersehbare Richtung über den grauen Fußboden weiterzulaufen. Erschreckt und angewidert werden zwei schwarze, hochglänzende Damenschuhe je hochgerissen und einen halben Meter weiter rechts wieder auf den Fußboden gestellt.
In diesem Moment blicke ich wieder mal, wie durch einen Zufall, in den vorderen Teil unserer U-Bahn, da wo keiner heute sitzen möchte und sehe einen alten, ungepflegten und abgetragenen Schuh auf der Sitzbank liegend um die Ecke genau zu mir schauend. Der Schuh steckte auf einem in einer nicht mehr ganz so weißen Socke, die einen menschlichen Fuß umgab. Der Fuß gehörte bestimmt zu einem Bein und das wiederum zu einem Menschen, der dort liegen müsste, denn sitzen konnte ich da vorne niemand erkennen.. Wie mochte es wohl in dem Schuh da vorne aussehen? Gehörte der Fuß mit dem Schuh zu einem älteren oder einem jungen Menschen?
„Hauptsache der Schuh da vorne fiel jetzt nicht auch noch von diesem Fuß, freiwillig oder wurde abgestreift, dann steige an der nächsten Haltestelle aus und suche mir einen anderen U-Bahnwaggon mit ordentlichen Menschen und Frühaufstehern,“ das murmelte ich verärgert vor mich hin.
„Hab nur keine Angst, so schlimm wird es nun bestimmt nicht werden. Deine feine, etwas zu groß geratene Nase soll heute Morgen nicht beleidigt werden,“ beruhigte mich mein Ich.
Wäre es wirklich doch noch so gekommen, wie von mir vermutet und befürchtet, so hätte sich unser Waggon an der nächsten und übernächsten Haltestelle vollends geleert, dieser Duft wäre bestimmt viel schlimmer, als das gesamte menschliche Wesen, das da vorne auf der Sitzbank lag und ich hoffte nur inständig, nur friedlich schlief und nicht noch schlimmere Macken hatte, das man dann als einen Notfall bezeichnete. Ich weiß nicht und wahrscheinlich der stolze Schuhbesitzer saß vorne ganz in unserer Nähe, wusste es selber nicht mehr, wann dieser Schuh, natürlich der andere, der Zweite, am anderen Fuß, das letzte Mal das Tageslicht erblickt, gewaschen und ausgiebig getrocknet und gelüftet worden war. Ich tippte ,nach dem Aussehen, auf bestimmt vier Wochen wenn nicht noch länger. Die Socke konnte man bestimmt beim Auslüften schon senkrecht hinstellen, so steif und fest war das edle Gewebe schon, nach dem Einwirken der vielen Sekrete aus Schweiß, Wasser, Hautresten und so weiter. Die Socken wären so einmalig präpariert und über viele hundert Jahre haltbar und unzerstörbar.
Die Schuhspitze neigte sich nach vorne, fuhr unsere Bahn mal wieder an und richtete sich senkrecht, mit der Schuhspitze steil nach oben, auf, bremste unsere U-Bahn vor einer Haltestelle, einem Bahnsteig wieder ab. Aus diesen ständig wechselnden Bewegungen, konnte ich mit absoluter Sicherheit erkennen, hier lag ein vollkommen entspannter menschlicher Körper. Alle Muskeln waren gelockert und ohne Kontrolle, nichts, keine elektrischen Ströme durch Nerven und Muskeln deuteten sich mit einem Zucken an, absolut nichts, hier ruhte ein total erschöpfter menschlicher Körper, der durch äußere Einflüsse in diesen Zustand versetzt war. Würde dieser Körper durch eine Zwangsbremsung der U-Bahn von der Sitzfläche der Bank rollen und auf den Fußboden fallen, es gäbe keine Reaktion, keinen Schrei oder sonst ein Hinweis, hier war noch Leben in diesem Häufchen Haut, Fleisch und Knochen. Der Körper würde am Fußboden, im Dreck und Staub, weiter liegen bleiben und weiterhin das tun, was er auf der Sitzbank auch schon getan hatte, nämlich liegen, in welcher Lage auch immer. Hier herrschte ein Tiefschlaf oder vielleicht inzwischen schon Tod?
„Na nun komm mal endlich wieder auf den Teppich, das sieht doch ein Blinder, der da, ist stinkbesoffen, hört und sieht nichts mehr und kommt irgendwann von alleine wieder auf die Beine,“ schimpfte mein Ich mit mir. Der U-Bahnzug fuhr in eine scharfe Linkskurve. Da wurde das weißgelb bestrumpfte Bein immer länger und länger. Es kam ein graues Hosenbein zum Vorschein. Von einer Art Bügelfalte, wie es sich für so eine Art Hose, die bestimmt schon einmal viel bessere Zeiten gesehen hatte, jetzt befand sie sich in der Endphase ihres Daseins, wahrscheinlich wurde es irgendein Papierkorb neben eine Parkbank im Sommer, gehörte, konnte ich leider nichts mehr erkennen. Diese Hose war bestimmt jetzt zugleich Ausgehhose und Schlafsack für das Häufchen Elend, das zur Zeit in ihr steckte. Woher sollte da noch eine Bügelfalte kommen, ein Bügelbrett, ein Bügeleisen, dafür reichte es inzwischen nicht mehr, viel wichtiger war eine Blechdose oder eine Flasche mit etwas drinnen.
In der nächsten Haltestelle wurde der Zug sehr abrupt aus mir nicht erkennbaren Gründen plötzlich abgebremst. Hatte jemand die Notbremse gezogen? Einige Aktenkoffer, Rucksäcke und Taschen, sorgfältig neben den