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Kapitel 22 - ICE nach München 17.02., 12:15

Robert Schibulskys Zug verspätet sich. Er ist heute früh um 8:06 Uhr vom Hauptbahnhof in Bielefeld gestartet. Seine Frau Kerstin hat ihn das ganze Wochenende über weich geredet, bis er endlich einwilligte, am heutigen Montag zu seiner Enkelin nach München zu fahren, um dort in einer heilpraktischen Privatklinik auf Besserung seiner MRSA-Wunde an der Hüfte zu hoffen.

Der Anschluss-ICE 91 von Hannover nach Würzburg hatte leider fast zwanzig Minuten Verspätung, so dass der eigentlich vorgesehene ICE 1521 schon abgefahren ist. Im nächsten ICE 621 hat Roberts Sitzplatzreservierung natürlich keine Gültigkeit mehr. Daher ist er froh, dass er noch einen freien Fensterplatz mit Tisch und einen freien Platz für seinen blauen „Travelite Colosso-Trolley“ im Gepäckfach des Waggons findet.

Ihm gegenüber sitzt eine ältere Dame, die aufmerksam eine Illustrierte studiert; sie hat nicht einmal zur Kenntnis genommen, dass Schibulsky an ihrem Tisch Platz genommen hat. Neben der Dame, die hier im gut geheizten Waggon ihre Pelzmütze aufbehalten hat, flegelt sich eher liegend ein etwa 15-jähriges Mädchen, das ihre ausgestreckten Beine, natürlich mit den dreckigen Turnschuhen, auf seinem Nebensitz platziert hat. Der Teenager gehört offensichtlich zur Dame, die sich auch durch leichte Knuffe des Mädchens in ihren Bauch nicht von ihrer Lektüre abbringen lässt. Die rot gefärbten Haare der Kleinen werden durch einen Kopfhörer mit riesigen Ohrmuscheln gebändigt, in ihren Händen hält sie ein Smartphone, mit dessen Hilfe sie wohl gerade ein Bataillon Aliens bekämpft.

Einige Minuten nach der Abfahrt in Würzburg nimmt Robert sein Sudoku-Heft aus seiner Manteltasche und hockt sich angespannt über die einundachtzig Quadratkästchen.

„Aha, Kreuzworträtsel für Doofe“, kommentiert die Göre, die gerade von ihrem Handy aufschaut.

Robert tut so, als hätte er die Provokation des Mädchens gar nicht gehört. Beim Überlegen schaut er hinüber zu der lesenden Dame. Erst jetzt nimmt er die Hauptüberschrift der Illustrierten wahr:

SKANDAL – Angela Merkel von NSA bezahlt?

„Was ist das denn für ein Revolverblatt? Was soll denn unsere Bundeskanzlerin mit der amerikanischen Weltraumbehörde zu tun haben?“, fragt sich der ehemalige Hauptkommissar in Gedanken. „GWENDOLINE – den Zeitungsnamen habe ich auch noch nie gehört.“

Als die Dame das Blatt nach einiger Zeit vor sich hinlegt und sich mit geschlossenen Augen nach hinten legt, fragt Robert, ob er mal kurz einen Blick in ihre Frauenzeitschrift werfen kann. Die Dame hebt die Augenlider provozierend langsam an und nickt ihm zu:

„Warum nicht? Dem einen kommt es früher, dem anderen halt später.“

Robert möchte auf ihre Bemerkung nicht eingehen. Er zeigt nur mit dem rechten Zeigefinger auf die Hauptüberschrift. Doch die Dame hat die Augen schon wieder geschlossen und ist fast augenblicklich eingeschlafen, ein Zustand, den auch die erneuten Ellenbogenstöße ihrer Begleiterin nicht stören können.

Robert nimmt sich die GWENDOLINE und blättert zum Inhaltsverzeichnis. Auf Seite 13 will der USA-Korrespondent der Illustrierten darlegen, warum unsere Bundeskanzlerin nichts gegen die Abhörpraktiken des amerikanischen Geheimdienstes unternimmt. Ihm sollen geheime Gehaltslisten der NSA zugespielt worden sein, auf denen auch der Name der deutschen Regierungschefin verzeichnet ist.

„Aha, nicht Weltraumbehörde, sondern Geheimdienst“, denkt sich Schibulsky. „Kaum zu glauben“, entfährt es seinem Mund, aber neugierig blättert er schnell weiter und sucht den entsprechenden Artikel.

Plötzlich starrt ihn seine Enkelin an. Mit offenem Mund sieht er sie auf drei Bildern. Ungläubig hält er die Zeitschrift näher an seine Augen. Aber es besteht kein Zweifel. Das ist wirklich seine Enkelin Britta, die in München studiert und zu der er gerade fährt. Die zugehörige Überschrift lautet:

Die entführte Gräfin zu Hohenstein zeigt ihrer Lebensretterin ihre Dankbarkeit.

Tatsächlich, unter dem Artikel befinden sich auch drei Fotos der Gräfin. Sie zeigen sie einmal vor ihrer Villa Lindenhof in Lindau, einmal kurz nach ihrer Befreiung aus ihrer Entführung, noch am Grünten und zuletzt zusammen mit seiner Enkelin Britta vor der Fachbibliothek Mathematik der Ludwig-Maximilians-Universität München an der Theresienstraße.

Skeptisch überfliegt Robert den Fotobericht des Klatschblattes. Darin kommt zum Ausdruck, dass die am Anfang des Jahres entführte Gräfin zu Hohenstein aus Dankbarkeit ihrer Lebensretterin ein Hochschulstipendium und eine angemessene Studentenwohnung finanzieren wird. Auf einem Bild steht Britta in der Tat vor ihrer neuen Wohnung in Stadtteil Grünwald.

Robert schlägt sich reflexartig so laut mit der flachen Hand vor die Stirn, dass die alte Dame erschrocken zusammenzuckt und das Mädchen kurz von ihrem Alien-Fight hochschreckt. Er schüttelt erneut den Kopf, kann es nicht glauben:

„Wie leichtsinnig von Britta. Woher hat das Mädel das nur? Wie kann man so viele Informationen der Öffentlichkeit preisgeben?“

Blutiger Kampf ums Museumsdorf in Oberstdorf

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