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Kapitel 23 - Hotel Dolde 17.02., 13:15

Kurz nach seiner Mittagspause erhält PHM Peter Endras in der Polizeiinspektion Oberstdorf in der Bahnhofstraße 4 einen aufgeregten Anruf.

„Hallo, ist da die Polizei, hier spricht Michael Gruber.“

„Polizeihauptmeister Peter Endras, Polizei Oberstdorf, was pressiert denn so, Michi?“

„Bitte, Peter, kannst du rasch bei mir im Hotel vorbeikommen. Ich habe mit der heutigen Post einen Drohbrief bekommen.“

„Okay, Michi, ich bin gerade allein hier. Aber die Kollegen müssen jeden Augenblick von einem Einsatz wegen Ladendiebstahls im Netto zurückkommen. Ich bin dann bestimmt gleich in der Dolde.“

Während er den Telefonhörer wieder auf die Gabel des Diensttelefons legt, kommen ihm blitzschnell zwei Aspekte in den Sinn: die Ermordung des Sohnes und die Anschuldigung der Brandstiftung – hängt vielleicht beides miteinander zusammen? Vielleicht kommt jetzt etwas Licht in die Angelegenheit?

Nachdem PM Regina Ströbele und Polizeianwärter Eckhard Zwanziger zehn Minuten später wieder den Empfangsraum der Inspektion betreten haben, macht sich der Dorfsheriff auf den Weg zum Hotel Dolde, das kaum 100 m entfernt an der Hauptstraße liegt. Da Regina den Diebstahl in einem Sportfachgeschäft noch protokollieren muss, nimmt er den Anwärter mit.

Im Hotel wird er sofort von der Gastwirtsfrau Rosemarie in Michaels Büro geführt. Gruber sitzt hinter seinem uralten, aber deswegen sehr stilvollen Schreibtisch. Vor ihm liegen einige Rechnungen und ein Zettel mit zusammengeklebten Buchstaben. Wortlos reicht er dem Sheriff das Blatt.

„Hier, schau dir das an, Peter, das ist doch eine Sauerei.“

Der Dorfsheriff betrachtet ausführlich die Collage aus farbigen Einzelbuchstaben.


Peter Endras liest die Seite laut vor:

„Lass dir das Schicksal deines Sohnes eine Lehre sein. Verzichte auf die Konzession!“

Es handelt sich um ein Blatt aus einem Schulheft. Die Lineatur ist für Schüler der Klasse 2 typisch. Die Buchstaben sind ziemlich wahllos zusammengeschnippelt worden. Er wendet es und reicht es dann Eckhard Zwanziger, der seine kleine Kompaktkamera herausholt und das Beweisstück ablichtet.

„Das ist ja wie in einem schlechten Film“, mokiert sich der Assistent. „Ist das vielleicht ein Kinderscherz?“

„Nichtsdestotrotz müssen wir die Sache ernst nehmen“, mahnt Endras.

„Was glaubst du, warum ich dich sofort angerufen habe?“, empört sich Gruber.

„Und du hast keine Ahnung, wer dich auf diese niederträchtige Art einschüchtern will?“

Auch Zwanziger schaut den Wirt erwartungsfroh an. Gruber überlegt, legt seine Stirn in Falten und schüttelt langsam den Kopf.

„Natürlich möchten auch andere Wirte hier aus Oberstdorf die Restauration im neuen Museumsdorf übernehmen. Aber das jemand unserer Gilde deshalb nicht einmal vor Mord zurückschrecken würde, kann ich mir nicht vorstellen.“

Endras bestätigt Grubers Meinung durch kaum wahrnehmbares Nicken.

„Was ist mit deinem Personal. Hast du mit einem von ihnen in letzter Zeit Streit?“

„Nach dem Brand der „Schnatossi-Bar“ muss ich den Hotelbetrieb für mindestens ein Jahr schließen. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als einigen zu kündigen.“

„Und, Michi, mit wem gab es da besondere Probleme?“

Als der nur ahnungslos die Hände in die Höhe hebt, schaut Peter Endras seine Frau an, die bislang kommentarlos im Türrahmen stehen geblieben ist.

„Nichts da, Peter, auf unser Personal lasse ich nichts kommen. Alle sind seit vielen Jahren bei uns angestellt, und es hat noch nie irgendetwas Negatives gegeben.“

„Dein Wort in Gottes Ohr. Aber leider habe ich schon sehr oft erkennen müssen, dass man sich manchmal doch in den Menschen täuschen kann.“

Der Dorfsheriff wendet sich wieder dem Wirt zu.

„Du erlaubst, dass wir dieses Blatt mitnehmen? Ich werde es der Mordkommission in Kempten übermitteln. Die werden es kriminaltechnisch untersuchen lassen. Vielleicht finden wir ja doch Spuren oder andere Indizien, die auf den Verfasser schließen lassen.“

Michael Gruber erhebt sich schwermütig von seinem Bürosessel und reicht den Polizisten zum Abschied die Hand. Zwanziger verstaut den Drohbrief in seiner Aktentasche und tritt in den Flur des Hotels, das jetzt während der Restaurierung einen wirklich einsamen Eindruck hinterlässt.

Als die beiden Polizisten über den Hintereingang das Gebäude verlassen, kommen sie im Hof an den Mülltonnen vorbei. Endras verspürt wie immer in so einem Fall den Drang, einen Blick in die Abfalleimer zu werfen. In der großen Papiertonne liegt obenauf eine Zeitung. Auch ohne genau hinzusehen, fällt ihm ins Auge, dass dort einige Buchstaben ausgeschnitten worden sind. Bei der Zeitschrift handelt es sich um das neueste „Oberstdorf Magazin“ vom Februar 2014

Er dreht sich um. Niemand scheint ihn zu beobachten. Nur Zwanziger lächelt ihn an. Schnell greift Endras sich das Magazin, bei dem schon Buchstaben aus dem Titelblatt ausgeschnitten fehlen, reicht es dem Anwärter und flüstert:

„Einstecken, Eckhard. Erzählten Sie mir nicht einmal, dass Sie sehr gerne große Puzzles zusammensetzen. Ich glaube, ich habe eine schöne Aufgabe für Sie.“

Zwanziger nickt, wundert sich aber, warum sein Chef plötzlich wieder zum Sie übergegangen ist.

Von der Hauptstraße ertönt das Starten eines Fahrzeugs. Ein grauer SUV passiert das Hotel und schiebt sich durch die Passanten in Richtung Bahnhofsplatz.

* * * * *

Kurz nachdem die beiden Polizisten ihre Inspektion verlassen haben, stürmt Dominik Steingasser, der Sohn des ermordeten alten Vorsitzenden der Oberstdorfer RECHTLER in den Vorraum.

„Grüß di, Regina. Bist du allein hier?“

„Genau, Domo. Peter und der Eckhard sind gerade zur Tür hinaus. – Was gibt´s denn?“, fragt die Polizeimeisterin, die vor einigen Monaten noch mit dem Jungbauern verbandelt war.

„Du, Gina, ich habe was Neues erfahren, wer meinen Vater hat umgebracht haben könnte.“

„Das erzählst du am besten gleich den Kommissaren in Kempten.“

„Spinnst du, mit den Affen will ich nichts mehr zu tun haben. Die wollten mir doch sogar den Brand in der „Schnatossi“ in die Schuhe schieben.“

„Vorsicht, bitte, Domo, hast du sicherlich schon mal was von Beamtenbeleidigung gehört, oder?“

Dominik nickt ihr zu.

„Trotzdem, ich möchte hier meine Aussage machen.“

„Geht klar. Du musst dich allerdings noch kurz gedulden. Ich komme auch gerade aus einem Einsatz. Und jetzt muss ich zuerst mal pullern, wenn du verstehst, was ich meine.“

Dominik errötet leicht.

„Natürlich, das geht natürlich vor.“

„Setz dich solange, ich bin gleich zurück.“

Mit diesen Worten verlässt Regina Ströbele die Dienststelle und verschwindet im Flur.

Ohne Zeitverzug springt Steingasser auf und eilt zum Schreibtisch des Dorfsheriffs. Blitzschnell durchstöbert der die Akten, die ordentlich gestapelt dort liegen.

Schon nach wenigen Minuten findet er, was er gesucht hat.

„Habe ich es doch gewusst. Rüdiger, die alte Ratte, hat mich der Brandstiftung bezichtigt. Das konnte ich mir eigentlich auch allein denken. Das Schwein ist noch immer hinter meiner Doro her. – Na warte!“

Dominik legt den Aktenstapel wieder geordnet zusammen und verlässt schnell das Inspektionsbüro.

Kurz darauf erscheint Regina wieder im Türrahmen.

„So, Domo, dann wollen wir mal. – Oh, wo ist er denn?“

Blutiger Kampf ums Museumsdorf in Oberstdorf

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