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Der Umzug

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Mit ihren Gedanken über ihre Zukunft sollte sie recht behalten - und dann geht alles ganz schnell. Andreas Falk erhält die Stelle als Stationsarzt im Klinikum Ballenhainischen. Das bedeutet grundlegende Veränderungen im Leben der Familie. Mit dem Bescheid, dass sich die Klinik für ihn entschieden hat, kommt er freudig nach Hause und ruft schon im Korridor: „Ich habe den Zuschlag erhalten … in einem viertel Jahr kann ich die Stelle antreten.“

„Herzlichen Glückwunsch, ich freue mich ganz sehr für dich“, reagiert Anke auf die Botschaft - sie hat sich längst mit der Umstellung ihres bisherigen Lebens abgefunden und meint es ehrlich mit ihrer Freude - auch wenn ihr schon vor der Zukunft etwas Bange ist. Sie setzt ihre Ausführungen fort: „Jetzt müssen wir noch die Kinder davon unterrichten … das wird nicht einfach … doch gemeinsam sind wir stark und werden es schon meistern.“

„Schieben wir es nicht auf die lange Bank … wenn die Beiden zu Hause sind, dann sollten wir es sofort tun. “

„Ja, Yvonne und Tobias sind in ihren Zimmern … ich sage ihnen Bescheid.“

Beide Kinder setzen sich zu ihren Eltern an den Couchtisch im Wohnzimmer.

„Sieht aus wie ein Familienrat … haben wir was ausgefressen?“, eröffnet die Dreizehnjährige die Gesprächrunde.

„Nein, ausgefressen habt ihr nichts. Wir haben euch etwas Wichtiges mitzuteilen“, antwortet Anke, „Papa hat eine neue Arbeitsstelle bekommen … er übernimmt die Kardiologische Station des Klinikums in Ballenhainischen.“

„Ist ja toll, dann bist du ja ein richtiger Chef … finde ich super, ich gratuliere dir ganz herzlich“, bemerkt Yvonne spontan.

„Es ist nur ein kleiner Haken daran“, wirft Andreas vorsichtig ein, „wir müssen umziehen … nach Akazienaue.“

„Wo liegt denn das … habe ich noch nie gehört“, fragt Yvonne schon nicht mehr so begeistert.

Bei der Erklärung der geographischen Lage von diesem Ort wird es ganz still und die Mienen der Kinder werden nachdenklich. Tobias meldet sich zu Wort und fragt: „Müssen wir da auch die Schule wechseln … oder fährt von dort auch ein Bus bis hierher.“

Ja … ein Schulwechsel ist notwendig … der Ort liegt zwei Stunden Autofahrt von hier entfernt … und mit der Bahn würdet ihr die doppelte Zeit brauchen.“

„Ohne mich, sprudelt es sofort aus Yvonne heraus, „da mache ich nicht mit.“

„Dann kann ich ja nie mehr Miriam sehen“, bringt Tobias mühsam hervor und hat sichtlich mit den Tränen zu kämpfen.

Voller Mitgefühl nimmt Anke ihre zwei Lieblinge in die Arme und tröstet sie mit den Worten: „Leben kann man überall auf der Welt … und, lieber Tobias, du wirst in deinem Leben noch so viele Miriams kennenlernen … so etwas tut nur im ersten Moment weh.“

Doch diese Ausführungen können die beiden Kinder nicht überzeugen. Anke merkt es und erzählt weiter: „Der Ort liegt an einem herrlichen See … da könnt ihr jeden Tag im Sommer baden gehen … ein Boot werden wir uns auch kaufen … und neue Fahrräder bekommt ihr selbstverständlich … und ein kleines Einfamilienhaus wird unser neues Heim … mit zwei großen Kinderzimmern … in unserem Haus richten wir einen grandiosen Party- und Freizeitraum ein … mit einem Dartspiel … Billard … Tischtennis … da könnt ihr euch richtig mit euren Freunden auslassen.“

„Easy … kann man da auch Wasserski fahren?“ will Yvonne neugierig wissen.

„Selbstverständlich, das ist ein ganz tolles Wassersportparadies … da machen andere Urlaub … und wir wohnen einfach dort.“

„Ich will ein Mountainbike“, ruft Tobias mit einem Male hell begeistert, „mit dem man auch Geländefahrten machen kann.“

„Und ich ein neues Laptop … mit integrierter Kamera, damit ich auf Skype mit meinen Freundinnen telefonieren kann … und einen neuen Bikini … und Wasserskier“, wirft Yvonne dazwischen.

Anke ist über die begeisterten Ausrufe recht froh. Die niedergedrückte Stimmung ist verflogen. Mit ihren ermunternden Worten hat sie die Kinder wieder aufgerichtet und ihnen Hoffnung für eine inhaltsreiche und interessante Zukunft gegeben.

Die nächsten Tage sind mit angespannter Betriebsamkeit im Leben der Familie Falk angefüllt. Allen bemächtigt sich eine freudige Erwartung auf das Neue. Auch ein Haus mit einem großen Garten ist schnell gefunden. Anke, ein Organisationstalent in allen Belangen des täglichen Lebens, erstellt einen Ablaufplan der wichtigsten Aufgaben für den Umzug in ihr neues Heim. Das Vorrecht für den Hauskauf haben sie sich bereits bei der Grundstücksverwaltung der zuständigen Immobilienfirma gesichert. So und ähnlich schallt es seit Tagen durch die Wohnung:

„Andreas … du kümmerst dich gleich morgen um einen Termin mit der Bank für den Hauskredit … da müssen wir beide hingehen … das sind die Vorschriften … wird bei unserer Bonität sicher kein Problem … und schau einmal, was du im Internet für kostengünstige Umzugsunternehmen findest … und der Keller muss ausgeräumt werden, das heißt … du sortierst aus, was wir mitnehmen, das andere kommt auf den Sperrmüll … und vergiss nicht, die Umzugskartons zu bestellen, die brauche ich umgehend.“

Dann ist alles geschafft und sie beziehen ihr schmuckes Häuschen unweit vom Akaziensee. Vergessen sind all die Aufregungen und die immense Arbeit der letzten zwölf Wochen, vergessen die Wege zu den Behörden und zur Bank - jetzt sind sie Einwohner von Akazienaue - ihrer neuen Heimat.

Der Umzug in ihr neues Heim ist bis auf ein paar Kleinigkeiten bewältigt. Beide sitzen am Frühstückstisch. Andreas blättert in der Tageszeitung. Ab und zu liest er Anke eine Meldung vor, die ihm aus regionaler Sicht mitteilungswert erscheint. Unverhofft unterbricht ihn Anke: „Da ist eine Sache, die ich bei dem ganzen Trubel etwas aus den Augen verloren habe … als wir Frank Ringhof besuchten hat er eine Patientin erwähnt … Frau Nicolai … ob das meine beste Freundin Cornelia sein könnte?“

„Das glaube ich nicht … sie würde doch nie aufs Land ziehen … ihr habt euch doch schon lange Zeit nicht mehr gesprochen.“

„Das stimmt … als wir das letzte Mal telefonierten, sprach sie von einem tollen Job, den sie in Aussicht habe … den Namen des Ortes habe ich mir leider nicht gemerkt.“

„Ich glaube nicht, dass sie als studierte Betriebswirtin in Akazienaue so etwas finden könnte.“

„Sicher nicht … aber es war auf alle Fälle ein mir unbekannter Städtename.“

„Wenn es dich beruhigt … ich rufe gleich einmal Frank Ringhof an.“

Er greift zum Telefonhörer und nach den üblichen Befindlichkeitsfragen sagt er: „Als ich dich mit Anke das erste Mal besuchte, hast du den Namen einer Frau Nicolai erwähnt … ist ihr Vorname eventuell Cornelia?“

„Muss ich nachschauen“, und öffnet auf seinem Laptop die Kundenkartei, „ja, das ist ihr Vorname … möchtest du noch mehr wissen … denke aber dabei an meine ärztliche Schweigepflicht … daran bin ich auch dir gegenüber gebunden.“

„Warte einmal einen ganz kleinen Moment“, antwortet Andreas und teilt Anke die Neuigkeit mit.

„Frage ihn doch bitte nach dem Geburtstag … den habe ich noch im Kopf.“

Welch ein Zufall - es ist ihre beste Freundin aus der Schul- und Studienzeit.

„Gib mir doch einmal die Telefonnummer … mit Vorwahl“, bittet Andreas seinen Freund, notiert sich die Zahlen und reicht den Zettel zu Anke hinüber.

„Das ist doch unsere neue Vorwahl … hier in Akazienaue“, sagt Anke ganz erstaunt.

Voll innerer Spannung nimmt sie das Telefon und tippt die Zahlen ein.

„Anke Falk … spreche ich mit Cornelia Nicolai?“

Schon an der Stimme erkennt diese ihre alte Schul- und Studienfreundin und sagt:

„Mensch … ich bin ja ganz aus dem Häuschen … Anke … bist du es wirklich“, und mit Blick auf das Display spricht sie weiter, „du rufst von hier aus an … nun sage einmal, wo bist du denn … und was machst du denn in Akazienaue?“

Anke macht eine kleine Kunstpause, um die Überraschung richtig spannend zu machen. Dann erwidert sie: „Ich glaube … wir sind Nachbarn … seit acht Tagen.“

„Ist ja kaum zu glauben … das ist das Beste, was ich in den letzten Jahren zu Ohren bekommen habe.“

„Wann können wir uns denn sehen … ich kann es kaum erwarten.“

„Am Wochenende feiern wir Einzug … wäre großartig, wenn du kommen könntest.“

„Na klar … da bin ich dabei … wir haben uns sicher viel zu erzählen.“

Für die Einzugsfeier hat sich Andreas extra eine Design Feuerschale mit Edelstahlrahmen von Armin Wenzel, dem Inhaber des Hotels „Haus am Akaziensee“, ausgeliehen. Diese verbreitet an diesem recht kühlen Dezembertag eine behagliche Wärme auf der Terrasse ihres Hauses. Auf Anraten von Frank Ringhof sind auch die unmittelbaren Nachbarn eingeladen. Macht immer einen guten Eindruck, wenn du als promovierter Mediziner nicht abgehoben erscheinst - sind dazu seine Bemerkungen. Auch Andreas und Anke finden die Idee nicht schlecht. So haben sie ungezwungen eine Gelegenheit, die Nachbarschaft kennenzulernen. Der Abend verläuft mit angenehmen Gesprächen ausgenommen heiter und fröhlich. Das ist natürlich auch auf das spezielle Partygetränk „„Schlehenzauber““ zurückzuführen, welches Cornelia Nicolai zur Feier beigesteuert hat. Beide langjährigen Freundinnen sind glücklich über diese wundersame Fügung des Schicksals. Wie zu früheren Zeiten sehen sie sich wieder sehr oft. Seit dem letzten Zusammentreffen haben sie eine Menge erlebt - und wem vertraut man sich mehr an, als seiner besten Freundin. Vor allem Anke ist darüber überglücklich. Somit ist sie nun nicht mehr so ganz allein in der für sie noch fremden Umgebung. Auch Andreas ist in seiner neuen Position sprichwörtlich richtig aufgeblüht. Voller Stolz zeigt er Anke seine neue Wirkungsstätte und führt sie durch das Klinikum. Auf der großen Wegweisertafel am Eingang steht in großen Buchstaben: Dr. Andreas Falk - Stationsarzt Kardiologie.

Anke Falk schaut versonnen aus dem Fenster hinaus auf den naheliegenden See. War es das, was sie wollte oder hat sie wieder einmal nur den Wünschen ihres Ehemanns entsprochen? Schließlich ging es ja immer nach ihn - aber das sind keine tiefgreifenden Überlegungen, dafür liebt sie Andreas zu sehr und er auch sie, davon ist sie zutiefst überzeugt. Auch den Schulweg für Yvonne und Tobias hatte sie sich viel schwieriger vorgestellt. Beide fahren morgens mit den anderen Kindern gemeinsam im Schulbus in die Stadt und sind am späten Nachmittag wieder wohlbehalten zu Hause. Beide haben den Schul- und Ortswechsel recht gut verkraftet. In den ersten Tagen, nachdem sie erfahren hatten, dass eine Veränderung bevorsteht, sind schon ein paar Tränchen geflossen. Doch nach kurzer Zeit sind neue Freundinnen und Freunde gefunden - bei Kindern geht das eben schnell. Mit dem schönen Häuschen am Ortsrand hin zum See hatten sie eine Menge Glück. Das stand seit einem halben Jahr zum Verkauf und sie waren die ersten Interessenten. Die Bank gewährte ihnen einen günstigen Kredit und die monatlichen Raten sind erträglich. Schließlich hat Andreas mit der Position eines Stationsarztes auch erheblich höhere monatliche Bezüge als bisher. Und das Mehr an Freizeit darf bei solchen Überlegungen auch nicht vergessen werden.

Das Haus entspricht ganz ihren Vorstellungen. Mit ihrer Einrichtungs- und Gestaltungskunst ist ein wirklich tolles Heim entstanden. Voller Glück denkt sie gerne an die zärtlichen Stunden vorm Einschlafen - die es bedeutend häufiger gibt, als vormals in der Großstadt. Nur mit einer Arbeitsstelle entsprechend ihrem Universitätsabschluss sieht es für sie nicht so günstig aus. Gerne hätte sie im Rechtswesen gearbeitet. Dafür gibt es zurzeit leider keine Möglichkeit. Eine Zwischenlösung hat sie trotzdem gefunden. Im Autohaus in Ballenhainischen führt sie die Buchhaltung. Die Teilzeitbeschäftigung kommt ihr entgegen. Damit hat sie genügend Zeit für ihre Kinder und die Gestaltung des Gartens. Richtig glücklich ist sie, wenn sie am Wochenende mit dem kleinen Kajütboot unterwegs sind. Es ist nicht das Allerneueste, aber dafür war es preislich erschwinglich. Sie liebt die Stunden auf dem Wasser - wenn die Wellen leise an die Bordwand plätschern und das Schaukeln des Bootes sie sanft in den Schlaf wiegt.

Die Tote unter dem Schlehendorn

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