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1.3. Philosophie des Geistes und die Wissenschaften

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Die Psychologie, die Medizin, die Neurowissenschaften, die Linguistik und die Kognitionswissenschaften bearbeiten Fragen, die eine außerordentliche Nähe zu den Problemen der Philosophie des Geistes haben. So ist beispielsweise das Verhältnis der Philosophie des Geistes und der Psychologie sehr eng. Die Begriffe, die das Arbeitsfeld der Philosophie des Geistes bezeichnen – Wissen, Erkennen, Denken, Sprechen, Wahrnehmen, Empfinden, Fühlen, Wollen, Wählen, Entscheiden, Handeln, Bewusstsein, Selbstbewusstsein – sind alle auch Gegenstände psychologischer Theoriebildung. Es ist nicht leicht, die psychologischen Herangehensweise und die philosophische Art der Auseinandersetzung mit diesen Begriffen eindeutig zu unterscheiden.

Während die Psychologie als empirische Wissenschaft die angeführten Zustände und Vorgänge beim Menschen erforscht, werden diese in der Perspektive der Philosophie des Geistes teilweise unabhängig vom Menschen behandelt. So werden Formen der Erkenntnisbildung im Rahmen der Forschung über Künstliche Intelligenz (KI) oder der Kognitionswissenschaften am Beispiel von Computern und Automaten untersucht. Daher ist es nicht sinnvoll, in allen Fällen eine durchgängige Bedeutungsgleichheit der Prädikate ,mental‘ und ,psychisch‘ zu unterstellen. Manche Forscher gehen davon aus, dass es mentale Zustände bei Computern oder Automaten, also bei nicht belebten Individuen, gibt bzw. geben kann.

Angesichts der Entwicklungen der Neurowissenschaften und der Kognitionswissenschaften sind manche Zeitgenossen der Philosophie gegenüber skeptisch eingestellt: Wieso brauchen wir heute überhaupt eine Philosophie des Geistes? Reicht es nicht aus, dass die empirischen Einzelwissenschaften sich den jeweiligen Phänomenen, z. B. der Wahrnehmung, dem Denken oder der Empfindung, zuwenden und diese erforschen? Was kann ein Philosoph überhaupt zum Phänomen der Wahrnehmung und ähnlichen Phänomenen sagen? Sind philosophische Auffassungen nicht entweder unvereinbar mit den wissenschaftlichen Forschungsergebnissen oder bloße Wiederholung von bereits bekanntem Wissen? Wenn sie mit den Ergebnissen der Wissenschaften unvereinbar sind, dann scheinen die philosophischen Auffassungen in einer wissenschaftsdominierten Kultur inakzeptabel zu sein. Wenn die philosophischen Auffassungen mit den wissenschaftlichen Ergebnissen übereinstimmen, dann scheinen sie nicht interessant, weil sie im Vergleich mit den Wissenschaften nichts Neues zu bieten haben. Und ist nicht offensichtlich, dass die Naturwissenschaft die einzige Autorität auf diesem Gebiet ist, da alle geistigen Funktionen beim Menschen Prozesse des zentralen Nervensystems (ZNS), insbesondere des Gehirns, als Grundlage haben, so dass man eigentlich das Gehirn meint, wenn man vom Geist spricht?

Empirische Forschung vs. begriffliche Analyse

Die in diesen Fragen zum Ausdruck kommenden Meinungen gehen auf irrtümliche Vorstellungen über Aufgaben und Möglichkeiten der Philosophie zurück. Es ist richtig, dass die Psychologie primär an empirischem Wissen über psychische Zustände und Funktionen interessiert ist. Ein wesentlicher Teil der Arbeit der Psychologen besteht in der Suche nach Erklärungen für das Auftreten bestimmter psychischer Phänomene. Durch empirische Untersuchungen wird der Versuch gemacht, ein Wissen über die Bedingungen und Ursachen zu gewinnen. Richtig ist auch, dass die Philosophen keine empirischen Ergebnisse liefern, die mit den Resultaten der psychologischen Forschung konkurrieren können. Philosophen sind keine empirischen Forscher. Dies heißt aber nicht, dass ihre Arbeit durch die Naturwissenschaften überflüssig gemacht wird. Zu einem erheblichen Teil besteht die Arbeit der Philosophen in der Analyse der Begriffe, die für den Bereich des Psychischen konstitutiv sind. Dabei ist nicht nur an die Begriffsanalyse im Sinn der Benennung von notwendigen und hinreichenden Bedingungen für die korrekte Verwendung des Begriffs zu denken. Der Rekonstruktion von Begriffsnetzen, also des Zusammenspiels und der Abhängigkeiten unterschiedlicher Begriffe, kommt eine große Bedeutung zu. Die Analyse der Grundbegriffe vermittelt einen Einblick in die Vernetzung dieser Begriffe, ihre Abhängigkeiten und die Bedingungsverhältnisse. Die Aufgabe der Philosophie besteht also nicht darin, empirisches Wissen über kausale Verhältnisse zu formulieren. Durch Nachdenken und begriffliche Analyse kann man nicht herausfinden, welches die Ursachen z. B. einer Wahrnehmungsstörung sind. Die experimentelle Forschung ist Sache der Einzelwissenschaftler, in diesem Fall also der Psychologen, der Neurowissenschaftler und der Mediziner.

Im Gegensatz zu langen Perioden der Geschichte herrscht heute ein breiter Konsens darüber, dass geistige/mentale Eigenschaften, Aktivitäten und Funktionen bei Menschen auf der Grundlage der Prozesse des zentralen Nervensystems (ZNS) auftreten. Grob gesprochen: Ohne Gehirn kein Geist. Wenn man voraussetzt, dass diese Sicht der Dinge richtig ist, dann lautet die philosophisch brisante Frage ,Wie ist das Verhältnis von Gehirn und Geist angemessen zu bestimmen?‘. Diese Frage muss man unter Bezugnahme auf das von den Wissenschaften gebildete empirische Wissen beantworten. Aber das empirische Wissen allein genügt hier nicht. Denn in die einzelwissenschaftliche Theoriebildung gehen begriffliche Unterscheidungen und Voraussetzungen ein, die selbst nicht Ergebnisse empirischer Forschung sind. Und hier liegt der Zuständigkeitsbereich der Philosophie. Philosophen wissen, dass sie die Arbeit der empirischen Wissenschaftler nicht ersetzen können, und sie wollen das auch nicht tun. Sie interessieren sich für die Voraussetzungen, Grundlagen und die Methoden der Wissenschaften. Insbesondere untersuchen Philosophen in ihrer Funktion als Wissenschaftstheoretiker diejenigen Grundbegriffe, die in den einzelnen Wissenschaften eine fundierende Rolle übernehmen. In vielen Fällen geschieht die Untersuchung von Grundbegriffen in konstruktiver Kooperation mit den Einzelwissenschaften.

Am Beispiel des oben genannten Konzepts der inferentiellen Beziehungen zwischen Propositionen oder Aussagen lässt sich die Stellung der Philosophie des Geistes in Abhebung von den empirischen Wissenschaften verdeutlichen. Eine empirische Untersuchung des Erkennens und Denkens kann beschreiben, wie Menschen faktisch Schlussfolgerungen ziehen und welche Regeln sie dabei anwenden. Eine empirische Untersuchung rechtfertigt aber diese normativen Regeln nicht. Sie diagnostiziert die Anwendung oder Missachtung bestimmter Regeln. Sie erklärt aber nicht, weshalb bestimmte Regeln befolgt werden sollen. Das philosophische Interesse gilt neben der Bestimmung der Regeln gerade dieser Frage der Rechtfertigung und Begründung des normativen Status der entsprechenden Prinzipien. Weshalb ist es vernünftig, angemessen und sinnvoll, den logischen Inferenzregeln zu folgen? Dies ist eine Frage, auf die eine philosophische Logik und eine philosophische Erkenntnislehre eine Antwort geben müssen. Vom philosophischen Standpunkt aus kann man mit Blick auf die propositionalen Einstellungen sagen: Eine propositionale Einstellung als mentalen Zustand zu charakterisieren heißt, diese Einstellung in ihren inferentiellen Zusammenhängen mit anderen propositionalen Einstellungen betrachten. Ohne den rational geregelten Zusammenhang mit anderen Einstellungen lässt sich überhaupt kein Zustand als mentaler, propositionaler Zustand ansprechen.

Die Philosophie des Geistes ist aber auch an mentalen Zuständen interessiert, die keine propositionale Struktur haben. In erster Linie ist dabei an die als ,Qualia‘ bezeichneten Empfindungen zu denken. Eine Schmerzempfindung ist zunächst einmal ein bewusstes Erlebnis, das eine eigentümliche Qualität – eben die Qualität des Schmerzes – hat. Qualia-Verteidiger sagen ,Eine Schmerzempfindung kann bewusst erlebt werden, ohne dass das entsprechende Erlebnis der Bezugspunkt einer propositionalen Einstellung oder einer begrifflichen Repräsentation ist‘. Aus diesem Grund ist es falsch zu sagen: ,Alles Bewusstsein hat einen Gegenstand‘. Denn die basale Schmerzempfindung ist einfach ein bestimmter qualitativer Bewusstseinszustand. Man spricht auch von phänomenalem Bewusstsein. In dieser Perspektive betrachtet gibt es nicht-begriffliche und nicht-propositionale Gehalte des Mentalen. Der Zusammenhang dieser mentalen Gehalte mit den propositionalen Elementen des Mentalen ist ein kontrovers debattiertes Thema der Philosophie des Geistes, das in Kapitel 7 behandelt wird.

Begriff des Bewusstseins

Eine weitere Aufgabe der Philosophie des Geistes besteht in der Klärung des Begriffs ,Bewusstsein‘. Tatsächlich stehen die meisten mentalen Prozesse und Zustände in einem Zusammenhang mit dem Phänomen des Bewusstseins. Während die empirischen Wissenschaften nach kausalen Bedingungen für das Auftreten bestimmter bewusster Erlebnisse suchen, gilt das philosophische Interesse der Analyse und Erläuterung des Begriffs ,Bewusstsein‘. Philosophen fragen danach, ob es begrifflich sinnvoll ist, die Möglichkeit zu erwägen, dass Bewusstseinszustände identisch mit bestimmten Zuständen des ZNS sind. Oder sie überlegen, ob der Begriff des Bewusstseins von der Art ist, dass man Bewusstsein auf neuronale Aktivitäten reduzieren kann. Diese Fragen werden von der Philosophie des Geistes in enger Verbindung mit den empirischen Wissenschaften erörtert.

Neben der Analyse von Grundbegriffen und des Zusammenhangs verschiedener Begriffe leisten Philosophen als Wissenschaftstheoretiker einen wesentlichen Beitrag, der gerade für die Einzelwissenschaften, die mentale Phänomene erforschen, von Bedeutung ist. Als Wissenschaftstheoretiker begleiten Philosophen die einzelwissenschaftliche Theoriebildung mit kritischer Aufmerksamkeit und sie rekonstruieren die Strukturen der wissenschaftlichen Theorien. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn bestimmte Themen entweder nicht klar einer einzigen Wissenschaft zugeordnet werden können oder wenn sie eng mit Fragen der Ethik zusammenhängen. In allen diesen Fällen ist die begriffliche Differenzierungskompetenz der Philosophie vonnöten.

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