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»To Gustl with best wishes …« Maria Jeritza und August Prossinger
ОглавлениеIm Sommer 1993 erschien mein Salzkammergut-Buch »Nachsommertraum«. Abgesehen von seinem beträchtlichen Verkaufserfolg brachte es dem Autor auch einen Haufen Zuschriften ein. Besonders auf das Kapitel über die Primadonna Maria Jeritza und ihren Sommersitz in der Attersee-Gemeinde Unterach reagierten zahlreiche Leserinnen und Leser – sei es, daß sie meine Ausführungen zum Anlaß nahmen, ihre eigenen Erinnerungen an die legendäre Elsa, Tosca und Salome der Wiener Staatsoper zu Papier zu bringen, sei es, daß ihnen Ergänzendes zu meinen Recherchen einfiel.
Unter letzteren war es vor allem ein Brief aus Salzburg, der mir naheging. Ein gewisser August Prossinger, fünfundsiebzig Jahre alt, gab sich in seinem zwar von Tippfehlern strotzenden, doch inhaltlich bewegenden Schreiben als der letzte noch lebende Jeritza-Bedienstete zu erkennen, und wer eine ungefähre Vorstellung von dem »Hofstaat« hat, mit dem sich die exzentrische Diva in ihrer großen Zeit zwischen 1910 und 1950 zu umgeben pflegte, durfte hinter den interessanten Andeutungen des Briefschreibers einen veritablen Schatz vermuten. Doch mein Buch war erschienen, ich saß längst über der Arbeit am nächsten, August Prossingers Wortmeldung blieb liegen.
Erst jetzt, als ich – für das vorliegende Projekt – das Thema »dienstbare Geister« aufgriff, holte ich den mittlerweile fünfzehn Jahre alten Brief wieder hervor. Meine Hoffnung, auf das seinerzeitige Interviewangebot mit derart großer Verspätung eingehen zu können, war allerdings gering: Sollte er überhaupt noch am Leben sein, steuerte dieser August Prossinger unterdessen auf den Neunziger zu. Doch das Glück war mir hold: Der durch meine Nachlässigkeit verzögerte Kontakt kam tatsächlich zustande. Der redefreudige alte Herr lud mich ein, ihn in seiner Wohnung in der Salzburger Hauspergstraße zu besuchen. Trotz seines inzwischen durchlässig gewordenen Gedächtnisses werde er sich alle Mühe geben, meine Fragen zu beantworten. Auch versprach er, die Fotos von einst hervorzukramen – dies würde es vermutlich leichter machen, bestimmte Erinnerungslücken zu schließen. So nahmen die Dinge – wenn auch mit beträchtlicher Verspätung – ihren Lauf …
12. August 1935, Santa Barbara, das renommierte Seebad an der südkalifornischen Pazifikküste. Maria Jeritza geht ihre dritte Ehe ein, heiratet den amerikanischen Filmproduzenten Winfield Sheehan. Die Siebenundvierzigjährige, seit achtzehn Jahren Kammersängerin und seit zwölf Jahren Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper, nunmehr in den USA ansässig, hat sich auf den großen Bühnen rar gemacht, dafür aber neuerdings im Filmgeschäft Fuß gefaßt: Für den Streifen »Großfürstin Alexandra«, in dem Paul Hartmann, Johannes Riemann, Szöke Szakall und Leo Slezak ihre Partner sind, hat Franz Lehár die Musik geschrieben. Ihr letzter Auftritt an der »Met« – als Elisabeth in Richard Wagners »Tannhäuser« – liegt drei Jahre zurück, ihr Abschied als Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper (mit ihrer Glanzpartie Tosca) wird in einigen Wochen über die Bühne gehen. Wie wär’s, wenn sie bei dieser Gelegenheit ihrem frisch Angetrauten, dem Hollywood-Mogul Sheehan, ihr 1925 erworbenes Sommerhaus am Attersee zeigen würde, das nach wie vor in ihrem Besitz ist?
Man reist also in großem Stil aus Los Angeles an. Die Unteracher sind selig, wieder einmal für ein paar Wochen ihre berühmte Ehrenbürgerin um sich zu haben, der kleine Ort steht kopf. Was sie nicht wissen können: Maria Jeritza hat sich in den Kopf gesetzt, sich im Salzkammergut mit Personal für ihre und die Besitzungen ihres Mannes einzudecken. Da ist einmal die feudale Residenz in der Prominentensiedlung Beverly Hills, die einen ganzen Trupp Hilfskräfte verlangt; außerdem braucht man für Mister Sheehans Ranch »Thousand Oaks« im nahegelegenen Hidden Valley Männer, die etwas von Pferdezucht und Reitstallbetrieb verstehen.
Das Ehepaar Sheehan kauft also gleich en gros ein: Johanna Speigner, Köchin aus Unterach, soll in Beverly Hills die Führung des Haushalts übernehmen, Maria Prossinger aus der Mondsee-Gemeinde Oberaschau wird als Kammerzofe engagiert, ein gewisser Viktor Haberl als Chauffeur. Und da Maria Jeritza, einige Monate später wieder in Kalifornien, mit den Leistungen »ihrer« Österreicher hochzufrieden ist, stimmt sie dem Vorschlag ihrer Kammerzofe Maria Prossinger zu, deren Brüder Josef und August in die USA nachkommen zu lassen – ersteren als Betreuer der sechs Lipizzaner, die Mister Sheehans ganzer Stolz sind, letzteren als Hausdiener und Gärtner bei der »gnädigen Frau«.
Für die beiden jungen Männer kommt das Angebot aus Kalifornien wie gerufen. Einer ärmlichen Acht-Kinder-Familie entstammend, finden sie in Oberaschau und Umgebung keine Arbeit. Gustl, 19 Jahre alt, würde gern Mechaniker werden, doch die Lehrstellen sind rar. Auch können beide Brüder nur acht Klassen Volksschule vorweisen.
Maria Jeritza, ihre künftige Dienstgeberin, schaltet sich persönlich ein, um für die beiden Österreicher die Einreisevisa zu beschaffen. Sie selber nutzen die Wartezeit dazu, unterdessen Englisch zu lernen. Als sie schließlich das Schiff nach Amerika besteigen, sind sie zu viert: Die Jeritza hat ihnen aufgetragen, aus Europa auch zwei Hunde für sie mitzubringen. Es wird das erste Abenteuer ihrer langen Reise sein: Die New Yorker Einwanderungsbehörde verdonnert Josef und Gustl samt ihrer vierbeinigen Fracht zu mehrtägiger Quarantäne auf Ellis Island. Die Weiterfahrt in Richtung Los Angeles erfolgt per Bahn und dauert – mit Umsteigen in Chikago – drei Tage und vier Nächte.
August Prossinger erinnert sich: »Es war alles für unsere Ankunft bestens vorbereitet. Wir bezogen unser Quartier im Personalhaus, und da wir von daheim gewohnt waren, bei jeder anfallenden Arbeit beherzt zuzupacken, stellten wir auch in Amerika vom ersten Tag an unseren Mann. Unser Lohn betrug 45 Dollar im Monat.«
Gustl ist ein Verwandlungskünstler: Aus dem Gärtner, dessen besondere Liebe der Pflege der aus Österreich importierten Rosenstöcke gilt, wird im Handumdrehn ein Stallknecht, der – wie übrigens auch die »pferdenarrische« Jeritza höchstpersönlich! – beim Ausmisten mithilft, und damit er die gnädige Frau zu ihren Ausfahrten herumkutschieren und vor allem zu ihren Konzertauftritten bringen kann, macht er in aller Eile den Führerschein. Sogar als Butler ist er einsetzbar: Wenn Gäste zu bewirten sind, ist es er, der die Drinks serviert (Whisky sour ist die bevorzugte Marke, während Wein zu dieser Zeit in Amerika noch weitgehend unüblich ist).
Rasch lernt unser Tausendsassa sich auf die Eigenarten der Freunde des Hauses einzustellen: Für Kinderstar Shirley Temple ist stets ein zusätzliches Sitzkissen bereitzuhalten. Auch in seiner Freizeit arbeitet Gustl an seiner weiteren »Vervollkommnung«: Maria Jeritza hat ihm einen Englischkurs in der Abendschule verordnet. Da er ohnehin vorhat, in Amerika zu bleiben, und die US-Citizenship anstrebt, legt er sich beim Vokabelpauken mit doppeltem Eifer ins Zeug.
Was den künftigen Neubürger allerdings zunehmend bedrückt, sind die Nachrichten aus der alten Heimat Österreich: In Europa tobt der Krieg. Als 1941 auch die USA in die Kampfhandlungen gegen Hitler-Deutschland eingreifen, müssen sich sogar Staatsbürgerschaftsanwärter wie August Prossinger der Einberufungsbehörde der US-Army stellen. Der Vorladung in die City Hall von Beverly Hills folgt die Abkommandierung zur Grundausbildung: Der Dreiundzwanzigjährige landet im Truppenlager Fort Knox im Bundesstaat Kentucky.
Obwohl Maria Jeritza von nun an auf die treuen Dienste ihres Faktotums verzichten muß, hält sie weiterhin ihre schützende Hand über ihn: Sie setzt sich dafür ein, daß Gustl seine freien Wochenenden in Kalifornien verbringen darf, wo ihm seine vormaligen Dienstgeber längst zum Familienersatz geworden sind.
Viel ließe sich noch berichten über den Kleinbauernsohn aus dem Salzkammergut, den sein Job in Kalifornien zum Amerikaner gemacht hat – also etwa über seine Militärzeit in der neuen Heimat, über seine Kontakte zum »Austrian Batallion«, das 1942/43 auf Anregung von Präsident Roosevelt und unter Mitwirkung der Brüder Otto und Robert von Habsburg vom Bundesstaat Indiana aus den Nukleus einer möglichen österreichischen Exilregierung bilden soll, über die Verlegung seiner Truppe nach Europa (wo August Prossinger zum Glück der Frontdienst mit der Waffe erspart bleibt), über seine vorübergehende Heimkehr nach Österreich (wo er nach Kriegsende – nun als Besatzungssoldat – seine nach wie vor am Mondsee lebende Mutter in die Arme schließen kann), über seinen Abschied von der US-Army und seine weitere Verwendung im Zivilleben sowie über die nachgeholte Abendmatura und den Job im Bankfach, der ihn (und die ihm inzwischen angetraute Frau) auch nach der endgültigen Rückkehr nach Österreich ernähren wird.
Es ist ein buntes, ein ereignisreiches Leben, in dem eine Person, auch nachdem er längst aus deren Diensten geschieden ist, für immer ein wichtiger Bezugspunkt bleiben wird: die Jeritza. Als sie am 14. September 1953 zum letzten Mal die Bühne der Wiener Staatsoper betritt, ist es August Prossinger, der sie zu ihrem Auftritt chauffiert, und auch in ihrem neuen Domizil in New Jersey, wo sie – nun an der Seite ihres vierten Ehemannes, des Schirmfabrikanten Irving Seery – ihren Lebensabend verbringt, stattet ihr der alte Diener einen letzten Besuch ab. Die Jeritza-Bilder mit der handschriftlichen Widmung »To Gustl with best wishes« behalten in August Prossingers Fotoalbum für alle Zeiten ihren Ehrenplatz.